Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram

Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram

Veranstalter
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.10.2019 - 12.01.2020

Publikation(en)

Cover
Ruelfs, Esther; Beyerle, Tulga (Hrsg.): Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram. Heidelberg 2019 : Kehrer Verlag, ISBN 978-3-86828-964-0 208 S., 192 Farb- u. SW-Abb. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dennis Jelonnek, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin

Gleich an der ersten Wand der Hamburger Ausstellung zur Amateurfotografie, kuratiert von Esther Ruelfs, finden sich die Besucher/innen vor einem Exponat wieder, das die zentrale Herausforderung des Themas vor Augen stellt. Was zeigt diese Fotografie, die hier im ersten von insgesamt vier thematischen Abschnitten der Ausstellung mit dem Titel „Wider alle Regeln“ hängt? Auf der motivischen Ebene müssen sich die Betrachter/innen möglicherweise einen Moment besinnen, denn die rechteckige Bildfläche scheint lediglich von verteilten Graustufen strukturiert zu werden, die an manchen Stellen schärfer umgrenzt sind, an anderen Stellen weicher ineinander übergehen. Bei genauerem Hinsehen wird dann klar, dass diese Aufnahme durch den beinahe senkrechten Blick des Fotografen aus einem Fenster hinab zustande gekommen sein muss, wobei vor allem die Balkone der darunterliegenden vier Etagen des Hauses mit ihren Geländern von links unten als räumliche Staffelung geometrischer Figuren ins Bild ragen. Den restlichen, größeren Teil der Bildfläche nimmt eine vielfach strukturierte Bodenfläche ein, auf der Sand und Gras dominieren.1

Nicht nur auf der Ebene des motivischen Erkennens, sondern auch auf derjenigen der allgemeineren Einordnung setzt diese Fotografie dem Betrachter Widerstände entgegen. Welche Motivation oder Intention leitete den Fotografen wohl bei der Aufnahme? Handelt es sich um ein Testbild, mit dem die Kamera auf ihre Funktion hin überprüft wurde, etwa nach dem Einlegen eines neuen Films? Ist es der tastende Versuch eines Knipsers, der wenig Erfahrung mit etablierten Motiven und üblichen Kompositionen hatte? Wollte ein ambitionierter Fotografie-Adept seine Originalität unter Beweis stellen? Oder wird hier ein ästhetischer Anspruch offenbar, der bewusst mit den Konventionen bricht und dem bloß abbildenden Apparat eine formal abstrakte Komposition abringt?

Die bereits erwähnte Thematik des Ausstellungsabschnittes „Wider alle Regeln“, die benachbart hängenden Fotografien und die durch das Bauhaus-Jahr 2019 ubiquitäre Ästhetik dieses Bildes lassen rasch erahnen, dass letztere Vermutung zutrifft. Ein Blick auf den Bildtext verrät, dass es sich um eine Fotografie des Bauhaus-Studenten Theodore Lux Feininger (1910–2011) von 1927 oder 1928 handelt. Sie zeigt seine Dessauer Unterrichtsstätte aus ungewöhnlicher Perspektive, in der uns heute als „typisch Bauhaus“ erscheinenden Art und Weise des Neuen Sehens, das eben dort gelehrt wurde. Doch was haben die Fotografien der gestalterisch und technisch ausgebildeten Bauhaus-Künstler nun mit Amateurfotografie zu tun? Was ist diese „Amateurfotografie“ überhaupt?

Damit sind gleich zu Beginn zwei Fragen formuliert, deren letztere sich den aufmerksamen Besucher/innen beim Rundgang immer wieder aufdrängen wird, auf die die Ausstellung – soviel sei vorausgeschickt – jedoch keine definitive Antwort gibt, was man ihr als Defizit anrechnen könnte. Allerdings stellt sich von Exponat zu Exponat zunehmend die Vermutung ein – auch das sei verraten –, dass eine Antwort ganz bewusst nicht formuliert werden soll. Und hierin mag man eine Stärke erkennen, denn gerade durch die Weigerung, den Begriff der Amateurfotografie abschließend qua Wandtext festzuschreiben, kann die Offenheit und Vielgestaltigkeit des Phänomens deutlich werden.


Abb. 1: Ausstellungsansicht mit einer Arbeit von Guadalupe Rosales (geb. 1980), A Collective Memory: veteranas rucas, 2018 (Detail). Ausstellungsarchitektur: Nagy und Jehle Architektur, Wien
(© Guadalupe Rosales / Foto: Henning Rogge)

Dramaturgisch nimmt die Ausstellung trotz ihrer durchaus unterschiedlichen Themen einen sanften Verlauf ohne harte Übergänge. Bereits im Anschluss an die Bauhaus-Fotografien des ersten Teils wird im zweiten Abschnitt die locker chronologisch weitergeführte Anordnung der Exponate zu Bildern aus der privaten Lebenswelt der Fotograf/innen immer wieder von neueren Positionen durchbrochen, bevor sich historische und aktuelle Arbeiten ab dem dritten Abschnitt gleichmäßiger mischen, um im Kapitel zu gesellschaftsverändernden Potentialen der Amateurfotografie schließlich die ganze hier ausgestellte Spannweite der Fotografie von den 1920er-Jahren bis 2019 abzubilden. Zu den Bildanordnungen, mit denen die Ausstellungsmacher/innen die im künstlerischen, privaten und politischen Kontext entstandenen Fotografien vorstellen, zählen sowohl die Einzelpositionierung von Aufnahmen als auch Gegenüberstellungen und Vergleiche sowie größere Reihen und Raster von fotografischen Exponaten. Insgesamt eignet der Ausstellung dabei eine kontinuierliche Zuspitzung, die sich in der Ausweitung vom ursprünglich privaten, ästhetisch motivierten Fotografieren im ersten Abschnitt zur Praxis einer an die Öffentlichkeit gerichteten politischen Bildproduktion am Ende des Rundgangs erkennen lässt.

Trotz des beschriebenen positiven Erlebnisses, das die Schau für fotografieinteressierte Besucher/innen bereithält, sind auch problematische Aspekte zu konstatieren. Zwei zentrale Kritikpunkte schließen sich unmittelbar an den Titel der Ausstellung und die damit verbundene Gewichtung an. Die Frage muss erlaubt sein, warum das Bauhaus als Einstiegspunkt für diese Ausstellung dient: Wie zuvor bereits formuliert, könnte man ja gerade das Bauhaus als diejenige Institution bezeichnen, die der Amateurfotografie durch die eigene Fotoproduktion erstmals das Etikett einer ästhetischen Werthaltigkeit verpasst hat und dadurch eben nicht der eigentlichen Amateurpraxis zugehörig erscheint. Und tatsächlich ist dies auch ein Kernargument der Ausstellungsmacher/innen, das den Besucher/innen allerdings erst durch die Erläuterungen des Wandtextes klar wird: Die zahlreichen Aufnahmen der Bauhaus-Lehrer und Bauhaus-Schüler fanden nicht als Amateurfotografien im engeren Sinne Aufnahme in das Ensemble der gezeigten Objekte, sondern als Nachweise eines Einflusses der Amateurfotografie auf die Ästhetik des Neuen Sehens. Zugleich wird jedoch auf Bildbeispiele der einige Jahrzehnte weiter zurückreichenden vorbildlichen Amateurfotografie-Bewegung vollständig verzichtet – lediglich wenige Beispiele aus der damals schon umfänglich vorhandenen Ratgeberliteratur für dilettierende Amateure zeugen von deren Vorhandensein. Die doppelte Verwirrung, die hier gestiftet wird, möglicherweise um im Bauhaus-Jahr 2019 eben jenes Schlagwort in den Titel der Ausstellung aufnehmen zu können und an entsprechender Förderung zu partizipieren, macht einen Einstieg in das Konzept der Schau etwas kompliziert.

Ebenfalls fraglich ist der zweite Referenzpunkt des Ausstellungsuntertitels: Instagram. Auch hierbei scheint es sich um ein momentan massenwirksames „Buzzword“ zu handeln, denn aus mehreren Gründen wird nicht einsichtig, warum gerade dem Namen dieses global agierenden, werbefinanzierten Bildertauschdienstes so prominent Raum gegeben und Bedeutung verliehen wird. Zum einen handelt es sich bei Instagram um nur eines von mehreren digitalen Bildverbreitungsnetzwerken, zum anderen ist diese eine Plattform auch nicht repräsentativ für den insgesamt viel breiteren Umgang mit und die Nutzungsweisen von digitalen Amateurbildern. Dies demonstriert auch die Ausstellung selbst, indem die Positionen, die dezidiert mit Instagram in Verbindung stehen, quantitativ doch eher rar sind.

Für die Positionierung in einem Museum schließlich, das die Begriffe „Kunst“ und „Gewerbe“ in seinem Namen führt, wäre gerade im Hinblick auf die letzteren aktuellen Positionen aus der digitalen Sphäre eine intensivere Auseinandersetzung mit eben diesen beiden Aspekten wünschenswert gewesen, statt beispielsweise mit dem Video einer Klavier spielenden Katze an der Zementierung von Stereotypen des digitalen (Bewegt-)Bildkonsums mitzuarbeiten. Speziell an Beispielen der jüngeren Vergangenheit wäre eine historische Linie der Verflechtung von Fotografie mit ihren flexiblen Ästhetisierungspotentialen sowie ihren von Beginn an virulenten ökonomischen Dimensionen als beinahe universal einsetzbarem Medium der Reproduktion und Dissemination von Bildern aufzuzeigen gewesen. Dass solche Fehlstellen den positiven Gesamteindruck der Ausstellung nicht wesentlich mindern, liegt daran, dass Verweise auf diese Themen in den Begleittexten durchaus entdeckt werden können, wenn auch meist eher implizit oder durch die Lektüre der Aufsätze namhafter Expert/innen im Katalog (Susanne Regener, Bernd Stiegler u.a.).


Abb. 2: Blick in den Raum der Ausstellung zur Amateurfotografie im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Mehrere Spiegel unterstreichen das reflexive Element (siehe hier rechts im Bild, an der Säule).
(Foto: Henning Rogge)

Die vielfältigen Positionen, die im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe gezeigt werden, sind in einem einzigen großen Raum untergebracht. Die Ausstellung ist als ein Rundgang entlang dreier Wände mit regelmäßigen Abzweigungen in die Raummitte konzipiert, wo sich die Exponate in lockerer Verteilung darbieten. Die thematische Einteilung in nur vier Abschnitte, von denen die mittleren zwei zusammengehören, ist angenehm übersichtlich. Sie wird durch ein klares und leuchtendes Farbleitsystem unterstützt, das jedem der drei Themen eine eigene Farbe zuweist. So sind die Wand- und Objekttexte im bereits erwähnten Abschnitt „Wider alle Regeln“ in Rot, in dem in I und II unterteilten Abschnitt „Die eigene Lebenswelt“ in Gelb sowie im abschließenden Block zum Thema „Gesellschaft verändern“ in Orange gehalten. Auf den ersten Blick erkennen die Besucher/innen so, welchem Aspekt der Amateurfotografie die ausgestellte Position jeweils zugeordnet wurde.


Abb. 3: Ausstellungsansicht mit einer Installation von Werker Collective, Domestic Worker Photographer Network, Embroidering Theory, 2019
(© Werker Collective / Foto: Henning Rogge)

Die verwendeten Signalfarben stehen dabei in deutlichem Kontrast zum leuchtenden Cyanblau des Bodens und zum klaren Weiß einiger Einbauten und der zur Hängung von Fotografien zahlreich verwendeten modularen Stellwände, die sicher nicht allen Besucher/innen unmittelbar einleuchten oder gar gefallen mögen. Der kühl leuchtende Teppichboden und die perforierten Metallwände verleihen der Schau einen eher spröden Charakter, der sich den momentan gängigen – und durchaus zur Einförmigkeit neigenden – Ausstellungsgestaltungen großer Museen und Galerien widersetzt. Zwar changieren die Assoziationen, die der Raum auf Anhieb hervorruft, zwischen Volkshochschule und Elektronikfachmarkt, während das übergeordnete Konzept den Plänen für eine niedrig budgetierte Gruppenausstellung von Kunststudent/innen zu folgen scheint. Was gerade daran dennoch überzeugt, ist das Wagnis, nicht nur Bilder und Objekte zu rahmen, sondern diese Exponate auch zugunsten eines Gesamt-Raumeindruckes für sich zu reklamieren. So oszilliert der Reiz der Ausstellung zwischen dem sukzessiven Entdecken der ausgestellten Positionen und ihrer Teilhabe an einem spannenden Ausstellungsraum in all seiner formalen Eigensinnigkeit, die dem Besucher immer wieder in den Blick gerät. Damit entfaltet der Raum eine Wirkung, wie sie den wenigen erhaltenen Ansichten zufolge auch der Werkbund-Ausstellung „Film und Foto“ (FiFo) von 1929 in Stuttgart eignete, worin man einen formalen Bezug der Ausstellungsgestaltung zu Ideen der Bauhauszeit sehen könnte.2

Die leuchtend farbige Schlichtheit und der Mut zu pragmatischen Präsentationslösungen verleihen dem heutigen Ausstellungsraum einen Werkstattcharakter, der die Besucher/innen zur engagierten Teilnahme animiert. Dazu trägt auch die Vielzahl an Medien bei, die hier auf vergleichsweise wenig Raum, aber dennoch alles andere als gedrängt, ganz en passant zur eingehenden Betrachtung geboten werden. Sie reichen von den zahlreichen ausgestellten Fotografien über Fotobücher, -zeitschriften und -alben, die zum Teil auch in die Hand genommen und durchgeblättert werden können, bis hin zu Stadtplänen, Karteikästen und -karten, Notizheften, Dia- und digitalen Projektionen.


Abb. 4: Digitale Projektion von Bildern aus Fotoalben des Amateurfotografen Karl A., um 1931 (links); Diaprojektion der Serie „Continental Breakfast“ von Axel Herrmann, 1970er-Jahre (rechts)
(Foto: Dennis Jelonnek)

Auch durch diese Vielfalt an Exponaten und Materialien wird deutlich, dass die Ausstellung weniger daran interessiert ist, fertige Ergebnisse einer Arbeit am Begriff „Amateurfotografie“ und ihrer theoretischen Fixierung zu präsentieren. Vielmehr regt sie ihre Betrachter/innen dazu an, sich ein eigenes Bild von den fotografischen Spielarten bei Knipsern, ambitionierten Laien und künstlerischen Fotograf/innen zu machen und eigene Gedanken oder Fragen zur Amateurfotografie zu entwickeln, statt sich einer feststehenden Erzählung und Dramaturgie hinzugeben. Ein letztes, beinahe irritierendes Detail unterstreicht diesen erfrischenden Anspruch: An mehreren Stellen der Ausstellung sind große Spiegel aufgestellt (s.o., Abb. 2), in denen sich der Besucher immer wieder und ganz unvermutet selbst zu Gesicht bekommt – Reflexion im doppelten Sinne wird in dieser Ausstellung sowohl großgeschrieben als auch ganz wörtlich genommen.

Anm. der Red., 18.12.2019:
Siehe zu dieser Ausstellung auch die Rezension von Sandra Starke, in: Visual History, 18.12.2019, https://www.visual-history.de/2019/12/18/rezension-ausstellung-amateurfotografie-vom-bauhaus-zu-instagram/ (18.12.2019).

Anmerkungen:
1 Leider kann dieses Motiv aus rechtlichen Gründen hier nicht gezeigt werden. Es ist im Internet verfügbar unter http://www.artnet.de/k%C3%BCnstler/t-lux-feininger/bauhaus-dessau-BHuWFJLF9IltJDplvHb43w2 (09.12.2019).
2 Vgl. https://www.moma.org/interactives/objectphoto/exhibitions/5.html (09.12.2019). Dort findet sich eine historische Raumansicht der Ausstellung von 1929.

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