Martyrs Memorial Monument Museum Bahir Dar

Martyrs Memorial Monument Museum Bahir Dar

Veranstalter
Amhara Region People Martyrs Memorial Monument
Ort
Martyrs Memorial Monument Museum, Bahir Dar (Äthiopien)
Land
Ethiopia
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Schürmann, Forschungszentrum Gotha, Universität Erfurt

Der blaue Nil hat eine bräunliche Färbung angenommen, denn es hat geregnet in der vorigen Nacht, was zu dieser Jahreszeit ungewöhnlich ist und für die Ernte gefährlich. Mit dem Sonnenaufgang hat sich das Unwetter verzogen. Am Ufer werden Autos gewaschen und in der Flussmitte lassen sich selbst hier, inmitten der Stadt, einige Nilpferde sehen. Den Zugang zum „Amhara Region People Martyrs Memorial Monument“ kontrollieren Polizeieinheiten, wie in vielen öffentlichen Einrichtungen Äthiopiens. Seit Beginn der Demokratisierungs- und Aussöhnungspolitik unter Präsident Abiy Ahmed 2018 treten ethnisierte Konflikte, zuvor oft repressiv niedergehalten, immer schärfer zutage. Auch in Bahir Dar, der sechstgrößten Stadt des Landes, ist die Anspannung mit Händen zu greifen. Erst vor wenigen Monaten wurde hier der Präsident der Amhara-Region ermordet, ein enger Vertrauten Abiys. Als mutmaßlichen Drahtzieher des Attentats erschossen Polizisten den Befehlshaber der regionalen Streitkräfte. Völlig offen scheint in diesen Tagen, ob die gegenwärtige Phase als eine Nach- oder Vorkriegszeit in die Geschichte Äthiopiens eingehen wird.

Neben einer Bibliothek, einer Kunstgalerie und weiteren Einrichtungen beherbergt der wuchtige Komplex mit dem wuchtigen Namen ein Museum, dem mein Hauptinteresse gilt. Historische Dinge aus Afrika haben auch in Deutschland im Zuge der anhaltenden Provenienz- und Restitutionsdebatte zuletzt viel Aufmerksamkeit erfahren – sofern sich diese Dinge in Europa befinden. Dass in dieser Debatte die historische und museale Kultur auf dem Nachbarkontinent selbst kaum vorkommt, ist eines ihrer gravierendsten Defizite. Doch welche Geschichten afrikanische, auf ein regionales Publikum ausgerichtete Museen wie hier am blauen Nil vermitteln – in welchen Kontexten, unter welchen Bedingungen, an welchen Objekten –, gilt es zu verstehen, wenn solche Häuser wie vielfach gefordert als Partner gewonnen werden sollen.

Das „Martyrs Memorial Monument Museum“ erinnert an den von 1974 bis 1991 geführten Äthiopischen Bürgerkrieg, genauer: an die Rolle des „Ethiopia‘s People Democratic Movement“ (EPDM) darin. Anfangs panäthiopisch ausgerichtet, schloss sich die Organisation 1982 dem bewaffneten Kampf gegen die autoritärsozialistische Militärjunta an. Nach deren Sturz ging die EPDM in einer Partei auf, die ab 1994 unter dem Namen „Amhara National Democratic Movement“ (ANDM) zunehmend tribalistisch als Vertretung des amharischen Bevölkerungsteils agierte. In dieser Rolle bestimmte sie als Teil der nationalen Regierungskoalition die Geschicke Äthiopiens entscheidend mit. Das Memorial Monument entstand ab den 1990er-Jahren unter einer ANDM-geführten Regionalregierung.1


Abb. 1: Außenansicht des Amhara Region People Martyrs Memorial Monument
Foto: Felix Schürmann

Der Weg zu dieser Geschichte führt ins Untergeschoss. „Ein Museumsbesuch macht Spaß, ist interessant und bereichert“, belehrt mich ein Schild an der Eingangstür. An der Schwelle nimmt mich ein Aufseher freundlich in Empfang. Hinter ihm präsentiert eine Reihung von Portraits pflichtschuldig die äthiopischen Kaiser und Präsidenten seit 1855 – jenem Jahr, das der hiesigen Nationalgeschichtsschreibung als Beginn der Neuzeit gilt. Ausgehend von einem Portrait Haile Selassies skizziert eine weitere Reihung von Fotografien die Umbruchphase Mitte der 1970er-Jahre, gekennzeichnet durch die Abschaffung der Monarchie, die Machtübernahme durch die Militärs und den Ausbruch des Bürgerkriegs.

Weitaus größer als die Bilder dieser nationalgeschichtlich ausgerichteten Hängung präsentiert auf der gegenüberliegenden Wand eine Fotocollage die Gründer und Gründerinnen der EPDM. Als Leitobjekt des ersten von insgesamt 16 Ausstellungsbereichen gibt das Bild der Schau eine Richtung vor, sowohl in der Themensetzung als auch in Bezug auf den favorisierten Objekttypus. Unter anderem fokussieren sich die Bereiche auf Gründungs- und Führungspersönlichkeiten der Organisation, auf bedeutende Ereignisse sowie auf Alltagsansichten aus dem Bürgerkrieg – militärisches Training, medizinische Versorgung, politische Diskussionen. Die Bildunterschriften auf Amharisch und Englisch fallen mal sachlich, mal emphatisch aus – von „visionären Gründern“ ist unter anderem zu lesen. Die meisten Bereiche zeigen ausschließlich oder ganz überwiegend Fotografien, viele vergrößert auf Posterformat. Entsprechend häufig kommen Stellwände als Gestaltungsmittel zum Einsatz. Sie erfüllen zugleich die Funktion, dem großen, aber einzigen Ausstellungsraum die Struktur eines Rundgangs zu geben.

Sechs Bereiche stellen andere Dinge als fotografische Flachware in den Vordergrund. Vor einer Fensterfront reihen sich Maschinengewehre und Mörser aneinander. In Vitrinen finden sich Gewehre und Funkgeräte, Schriften aus der Bewegungsdruckerei, Radios und medizinisches Gerät. Ein Stromgenerator war offenbar zu groß für die Vitrine, er steht davor. Anders als die Fotos sind diese Objekte allein auf Amharisch beschriftet. Auffallend prominent thematisiert ein eigener Ausstellungsbereich die Musikgruppe der EPDM. Von ihr sind Instrumente, Verstärker und Kostüme zu sehen, selbstredend auch Fotos. Höreindrücke gibt es leider nicht.

Nicht alle Fotomotive lassen sich gut erkennen, zu ungleichmäßig sind die fensterfernen Ausstellungsbereiche ausgeleuchtet. Die dafür eingesetzten Neonröhren geben dem Raum im Zusammenspiel mit dem gefliesten Boden und den nackten Betonwänden eine kalte Atmosphäre. Besonders dunkel ist der letzte Bereich vor dem Ausgang geraten, bestehend aus nur zwei Objekten: einer Liste der im Bürgerkrieg getöteten „Märtyrer“ der EPDM und einem hölzernen Tisch in der Umrissform Äthiopiens. Die darauf abgebildete Karte zeigt das Mitte der 1990er-Jahre etablierte Modell des ethnischen Föderalismus, das jeder großen Bevölkerungsgruppe einen eigenen Bundesstaat zuerkannte – und das aus Sicht seiner Kritikerinnen und Kritiker die Politisierung von Ethnizität verhängnisvoll potenzierte. Für die EPDM bedeutete jene Zeit den herausfordernden Rollenwechsel von einer oppositionellen Bürgerkriegs- hin zu einer staatstragenden Regierungspartei. Bedauerlicherweise umfasst der für diese besonders interessante Phase vorgesehene Bereich „After Victory“ bloß einige Parteitagsfotos.

Bevor ich die Ausstellung verlasse, blättere ich im Gästebuch. Ausweislich der Einträge kommen fast ausschließlich äthiopische Besucherinnen und Besucher hierher. Unter den wenigen Anwesenden am heutigen Nachmittag sind auch drei Studenten aus dem Sudan, was ich weiß, weil mich einer von ihnen anspricht. Ob mir klar sei, dass die Somalier das höchststehende Volk Afrikas seien, fragt er. Hinter der Fensterfront hat sich die Sonne gesenkt, die Maschinengewehre werfen einen langen Schatten in den Raum.

Das Außenareal hat sich in der Zwischenzeit stark belebt. Vor allem Jüngere sind gekommen und spazieren durch die weitläufige Parkanlage, lesen im Schatten der Bäume oder nehmen Selfies vor der gewaltigen Stele auf, errichtet zur Erinnerung an das „Martyrium der Märtyrer“. Jenen ist auch eine wuchtige Skulptur gewidmet, ein Ensemble von Statuen idealtypisierter Personen: ein gefallener Märtyrer, eine trauernde Witwe, eine bäuerliche Gemeinschaft im Waffengang. Ihnen sind zwei panoramaartige Reliefs beigeordnet, die in einer Bilderfolge den Weg aus einem friedlichen Alltag in den bewaffneten Widerstandskampf erzählen – oder umgekehrt, je nachdem, welche Seite man zuerst betrachtet. Ästhetisch steht all das in der Tradition des sozialistischen Realismus und erinnert stark an die postkolonialen Ehrenmale, die die nordkoreanische Kunstwerkstatt „Mansudae“ unter anderem in Namibia, Simbabwe und im Senegal gebaut hat. Auch in Addis Abeba hat „Mansudae“ noch während des Bürgerkriegs ein monströses Märtyrerdenkmal errichtet. Ob auch die Skulptur von Bahir Dar unter nordkoreanischer Mitwirkung entstanden ist, kann mir niemand der gerade Anwesenden beantworten.

Ein weiterer Bereich des Außenareals versammelt militärische Großtechnik aus dem Bürgerkrieg: Kampfhubschrauber und -flugzeuge, Panzer und weitere Fahrzeuge, Artillerie- und Flugabwehrgeschütze – fast alle sowjetischer Bauart. Von der anderen Seite des Drahtgitterzauns, der das Gelände hier abgrenzt, hallen Rufe spielender Kinder zum Kriegsgerät herüber. Langsam schieben sich dunkle Wolken über die Stele und ich trete den Rückweg an.

In der nahegelegenen Universität, einer der größten Äthiopiens, erfahre ich am späteren Nachmittag von hier tätigen Kollegen, dass das Memorial Monument im Land umstritten ist. Beliebt seien vor allem die Parkanlage und die Bibliothek, die in der betriebsamen Stadt seltene Momente der Ruhe böten. Als Gedenk- und Bildungsstätte aber gelte die Einrichtung als zu parteinah, auch deshalb verzeichne das Museum nur niedrige Besuchszahlen. Von vielen werde sie als steinerne Überlegenheitsgeste einer Siegerpartei gegenüber den Unterlegenen des Bürgerkriegs wahrgenommen. Vor allem aber trage sie in ihrer Heroisierung des amharischen Anteils am Triumph über die Militärjunta zur ethnischen Polarisierung des Landes bei.

Auf mich wirkte die Thematisierung von Ethnizität in der Ausstellung eher latent, doch manche Subtexte sind mir als Ausländer sicher entgangen. Während die Kollegen und ich in der Cafeteria über das Subtile im Überdeutlichen diskutieren, marschieren Soldaten über den Campus. In den zurückliegenden Wochen war es an mehreren äthiopischen Universitäten zu teils tödlichen, von ethnischen Rivalitäten getriebenen Auseinandersetzungen zwischen Amharen und Oromo gekommen, seither verweigern viele Studierende ihre Teilnahme am Lehrbetrieb, aus Protest und auch aus Angst. Nun also soll der Aufmarsch des Militärs regierungsseitig befürchtete Ausschreitungen unterbinden. Vielleicht soll er den Studierenden auch nahelegen, ihren Boykott besser zu beenden. Vieles bleibt schwer durchschaubar in Bahir Dar.

Anmerkung:
1 Die ANDM benannte sich 2018 in Amhara Democratic Party (ADP) um und vereinigte sich ein Jahr später mit ihren Koalitionspartnern auf nationaler Ebene zur neu gegründeten Prosperity Party.

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