Krieg Macht Nation

Veranstalter
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (MHM), Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.07.2020 - 31.01.2021

Publikation(en)

Cover
Militärhistorisches Museum der Bundeswehr; Bauer, Gerhard; Protte, Katja; Wagner, Armin (Hrsg.): Krieg Macht Nation. Wie das deutsche Kaiserreich entstand. Dresden 2020 : Sandstein Verlag, ISBN 978-3-95498-545-6 440 S., zahlr. Abb. € 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mathias Herrmann, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Die Auswirkungen der Reichseinigung und die mit ihr eng verbundene bismarcksche Blut-und-Eisen-Politik finden sich auch in aktuellen politischen Debatten immer wieder, zumeist stark polarisierend. War Bismarck nun ein „Held“ der deutschen Geschichte, wie es einige Vertreter rechtspopulistischer Parteien in Deutschland behaupten oder, um es mit den Worten des Kronprinzen Friedrich Wilhelm im Dezember 1870 zu sagen, doch derjenige, „der uns [unsere] Freunde, die Sympathien der Welt und – unser gutes Gewissen [raubte]“?1 Auch wenn der für seine Errungenschaft im Krieg zum Generalfeldmarschall beförderte, spätere deutsche Kaiser Friedrich III. sicher nicht zu den größten Pazifisten unter den deutschen Fürsten gehörte, so zeigte sich dennoch früh, dass der „Heldenmythos“ des preußischen Kanzlers schon von den Zeitgenossen nicht unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde. Abseits dieser eher personenbezogenen Aspekte war die Reichseinigung aber auch ein Ereignis mit geopolitischen Auswirkungen, denn mit der Gründung des Deutschen Reiches im Spiegelsaal von Versailles betrat ein neuer Akteur die politische Bühne Europas und brachte das Mächtegleichgewicht auf dem Kontinent ins Wanken.

Der Beginn des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 – dem letzten Akt der drei Reichseinigungskriege – jährt sich nun im Jahr 2020 zum 150 Mal. Es verwundert daher auch nicht, dass das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden (MHM) vor dem Hintergrund dieses historischen Jubiläums vom 16. Juli 2020 bis 31. Januar 2021 – und damit auch während des runden Jahrestags der Reichsgründung am 18. Januar 2021 – den Ereignissen unter dem Namen „KRIEG MACHT NATION. Wie das deutsche Kaiserreich entstand“ eine Sonderausstellung widmet.2 Anders als bei der im Musée de l’armée zu Paris im Jahr 2017 gezeigten Ausstellung „France-Allemagne(s) 1870–1871. La guerre, la Commune, les mémoires“ geht es im MHM, wie auch aus dem Titel ersichtlich wird, vordergründig um die deutsche Nationengründung, aber auch darum, sich mit Krieg, Macht und Nation (zwischen der Erfindung nationaler Identitäten und der Entstehung „moderner“ Nationalstaaten) als zeitgenössischen und analytischen Begriffen bzw. Phänomenen, aber auch mit ihren vielschichtigen Verschränkungen im Kontext des Ausstellungsthemas zu befassen.3

Und so erklären auch die Kurator/innen in der Einleitung ihres gelungenen Ausstellungsbands – im Anschluss an Golo Manns „Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ –, dass sie das Thema der Ausstellung multiperspektivisch verhandeln und deutsche mit europäischen Perspektiven verknüpfen wollen.4 In diesem Zusammenhang gibt es zwei große Bereiche zu betrachten. Der erste, untergebracht im Hauptgebäude des Museums, widmet sich schwerpunktmäßig der Politik- und Militärgeschichte. Angefangen bei den Auswirkungen der Revolution von 1848/49, behandelt er vor allem die „missglückte Reichseinigung von Unten“ und zeichnet die Entwicklungslinien im Deutschen Bund bis zum Ausbruch des ersten Reichseinigungskrieges von 1864 nach. Jedem dieser Kriege ist anschließend ein eigener Abschnitt gewidmet, wobei auf dem Deutsch-Französischen Krieg ein besonderer thematischer Schwerpunkt liegt. Abgeschlossen wird dieser inhaltliche Bereich der Ausstellung einerseits mit den bekannten historischen Darstellungen der Reichseinigung, wie derjenigen von Anton von Werner, und andererseits auch mit einem Ausblick auf das Ereignis der Pariser Commune, das sich in Frankreich an das Ende des Deutsch-Französischen Krieges anschloss. Angesprochen werden hier auch die Bedeutung technischer Neuerungen (Eisenbahnnetz, Telegrafie etc.) sowie geschlechtergeschichtliche Perspektive des Krieges – wenngleich sich letztere weitgehend auf Frauen von und für Militärangehörige, das heißt auf Ehefrauen und Rotkreuzschwestern, beschränken.


Abb. 1: Blick in einen Gang des Ausstellungsraums
Foto: Martin Reimer

Der zweite Teil der Ausstellung erwartet die Besucher/innen hinter dem eigentlichen Hauptgebäude im Bereich der ehemaligen Artilleriewerkstätten. Inhaltlich widmet man sich dort vor allem den erinnerungskulturellen Dimensionen der Reichseinigung in einem meist sehr eng gehaltenen militärhistorischen Rahmen. So schuf Louis Braun im Jahr 1883 ein 360-Grad-Panorama, das „Die Erstürmung von St. Privat am 18. August 1870“ zeigt. Dieses Panorama wurde, aufbauend auf Fotografien, in Form einer Stoffhängung innerhalb des Ausstellungsraumes angebracht und kann über eine zentrale Plattform besichtigt werden, ähnlich wie es die Panoramakonstruktionen Yadegar Asisis im Panometer zu Dresden regelmäßig ermöglichen. Hinzu kommen einzelne Sektionen zum „Krieg im Kinderzimmer“, wo Kopien zeitgenössischer Kinderbücher einen kleinen Einblick in die Mentalität der deutschen und französischen Gesellschaft gewähren. Überblicksartig werden zu den Bereichen Antisemitismus, Frauenwahlrecht, Sozialistengesetze, Kulturkampf und nationale Minderheiten Informationen in Form von „Themenkäfigen“ gegeben. Die Besucher/innen erhalten abschließend einen Einblick in die Entwicklung des humanitären Völkerrechts und der Waffentechnologie im Laufe der Zeit.


Abb. 2: Zentrale Informationsplattform Panorama „Die Erstürmung von St. Privat am 18. August 1870“
Foto: Martin Reimer

Inhaltlich gesehen ermöglicht die Exposition einen guten Überblick über diese wichtige Epoche und gibt die geläufigsten Daten und Ereignisse wieder. Mehr als ein Überblick ist dabei aber nicht zu erwarten. So sind viele historische Abläufe, Zusammenhänge und Personen auf ein Minimum an Informationen reduziert. Gerade die oben beschriebenen Wechselwirkungen mit dem wichtigen politischen Akteur Frankreich leiden darunter. Nicht nur, dass die historischen Zusammenhänge in der Sektion zur Revolution von 1848/49 diesbezüglich auf einen Satz reduziert wurden, ab 1867 spielen die historischen Abläufe in Frankreich nur noch im Hinblick auf Napoleon III. eine Rolle. Im Einführungstext des Bereichs zum Deutsch-Französischen Krieg bekommt man sogar den Eindruck, die Kriegserklärung Frankreichs am 19. Juli 1870 hätte keine wirkliche Vorgeschichte gehabt, die über „den Druck der öffentlichen Meinung“ hinausgeht – der Krieg wird einfach erklärt, die Emser Depesche findet mit keinem Wort Erwähnung. Abseits dessen werden viele Ereignisse, Schlachten und Personen kurz portraitiert und auch außerdeutsche Perspektiven geboten, um das jeweilige Zwischenthema inhaltlich zu füllen, was vor allem durch die hervorragenden Ausstellungsexponate gelingt, die von Gemälden über Postkarten, zeitgenössische Waffen, historische Karten bis hin zu literarischen Erzeugnissen und Uniformen reichen. Die transnationale Dimension der frühen deutschen bzw. europäischen Nationalbewegung(en) – angefangen bei Arndt und Frankreich –, aber auch die vielschichtigen transnationalen Verflechtungen der politisch-militärischen Ereignisse zwischen 1848/49 und 1870/71 – von Reichseinigung, Risorgimento, Sécond Empire, Commune de Paris und Troisième République –, die zweifellos zentrale Bedeutung für die kritische Auseinandersetzung mit den Kategorien Krieg, Macht und Nation hätten – , geraten, wenn sie Erwähnung finden, zur Randnotiz. Auch die Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Pariser Kommune, mit der Annexion Elsass-Lothringens, mit deutschen Sedanfeiern und französischem Revanchismus, mit nationalen Feindbildern und der gleichsam fortwährenden Bedeutung Frankreichs im kulturellen System des deutschen Kaiserreichs gerät viel zu kurz.

Im zweiten Ausstellungsteil kann vor allem die Panoramakonstruktion begeistern, die nicht nur die dargestellte Schlacht bei St. Privat, sondern auch deren Produktion und die Rezeption des Panoramas thematisiert. Die darüber hinaus dargebrachten musealen Inhalte berühren zwar viele verschiedene gesellschaftliche und kulturelle Bereiche, bieten aber auch hier größtenteils nur minimale Einblicke, wobei besonders die „Themenkäfige“ zu nennen sind. Diese rufen zwar viele wichtige Dimensionen der politischen Geschichte des Kaiserreichs in den 1870er-Jahren in Erinnerung, die gebotenen Informationen sind allerdings derart knapp, dass darüber hinaus kaum weitere historische Verläufe und Zusammenhänge zu rekonstruieren sind. So wird zwar deutlich, dass es sich beim Deutschen Reich um einen militaristischen, nationalistischen und autoritären Staat handelte, was das aber perspektivisch bedeutete, vor allem im Hinblick auf revanchistische Bestrebungen in Frankreich und dem Deutschen Reich (Elsass-Lothringen), kann man vielleicht noch anhand der propagandistisch gefärbten Kinderbuchliteratur, Stichwort „Krieg im Kinderzimmer“ (u.a. Hansi, Jean Richepin, Dr. Hoffmeister) erahnen, eine breit kommentierende oder diese Narrative aufbrechende Ebene wird aber nicht geboten.


Abb. 3: Blick in die Sektion „Krieg im Kinderzimmer“. An den Schnüren hängen die eingeschweißten Kopien der Kinderbücher. Auf den Stuhlkonstruktionen kann Platz genommen werden.
Foto: Martin Reimer

Wie bereits an mehreren Stellen angedeutet, bietet die Ausstellung zahlreiche spannende Exponate. So ist nicht nur eine breite Vielfalt an Materialien des MHM zu sehen, es wurden auch Objekte aus anderen Museen (zum Beispiel dem „Musée d’art et d’histoire Paul Eluard“) herangezogen, wie die „Hörner des letztens während der Belagerung von Paris geschlachteten Rinds“ oder der Korb eines zu Spionagezwecken während der Belagerung von Paris genutzten Heißluftballons, der so ungünstig auf einem Aufsatz positioniert wurde, dass man ihn zunächst übersieht. In diesem Zusammenhang ist auch die größtenteils sehr diffuse Beleuchtung der Ausstellungsräume zu nennen, die es vor allem im ersten Teil sehr erschwert, besonders die vielen kleinen Beschriftungen genauer studieren zu können, die viele interessante Objekte in den Vitrinen näher beschreiben. Gelegentlich ist auch die Anordnung einiger Medien zueinander verwirrend, beispielsweise, wenn Karten zum Deutschen Krieg von 1866 unkommentiert neben Karten zum Dritten Italienischen Unabhängigkeitskrieg hängen. Auch der Zusammenhang zwischen Waffen der Einigungskriege und denen des Amerikanischen Bürgerkriegs wird nicht sofort ersichtlich.

Darüber hinaus haben die Kurator/innen der Ausstellung viel Wert darauf gelegt, Besucher/innen in das Ausstellungsgeschehen einzubeziehen. So gibt es für Kinder und insbesondere Schulklassen eine Rallye, in deren Rahmen kleine „cartes de visites“ an verschiedenen Stationen der Ausstellung gesammelt und in einen kleinen Übersichtsband geklebt werden können. Dieser ist biographisch orientiert an wichtigen Persönlichkeiten der Zeit, wie Fürst Bismarck oder Albert von Sachsen, thematisiert aber auch die Krankenpflegerin Marie Simon oder die Revolutionärin und Autorin Louise Michel. Weiterhin können die Gäste der Ausstellung Wünsche und Meinungen in Form kleiner Zettel an einer Aufhängung hinterlassen und haben auch außerhalb der eigentlichen Ausstellungsräume die Möglichkeit, weitere wichtige Personen aus der Zeit des 19. Jahrhundert kennen zu lernen, denn überall auf den Arealen rund um das Museum finden sich Aufsteller mit entsprechenden Fotografien und Informationen. Zur Ausstellung ist ebenfalls ein äußerst umfangreicher Museumskatalog erschienen, der viele gute Bebilderungen und ausführliche Texte zu den in der Ausstellung thematisierten Inhalten enthält. Damit stellt er eine gelungene Ergänzung zu den zwei Ausstellungsabschnitten dar und schließt thematische Lücken.

Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass es die Ausstellung nicht schafft, ihr eingangs formuliertes Ziel einer Integration deutscher und europäischer Perspektiven, die über die Kriegs- und Militärgeschichte hinausreichen, gänzlich gerecht zu werden. Dazu ist auch der Fokus der musealen Präsentation zu stark am Militärischen aus preußisch-deutscher Sicht orientiert, während die Begrifflichkeiten der Macht und Nation eher zweitrangig verhandelt werden. Durch ihren Überblickscharakter ist die Ausstellung „KRIEG MACHT NATION. Wie das deutsche Kaiserreich entstand“ daher in allererster Linie für Personengruppen von Bedeutung, die sich dem Thema der Reichseinigungskriege und dem Deutschen Kaiserreich inhaltlich annähern wollen. Dies werden vor allem Schulklassen oder Seminargruppen, aber auch Personen sein, die historisch interessiert sind. Gerade die Vielfalt der Objekte wird hier zu tiefgründigen Diskussionen und Gesprächen anregen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Heinrich Otto Meisner (Hrsg.), Kaiser Friedrich III. Das Kriegstagebuch von 1870/71, Berlin/Leipzig 1926, S. 303.
2 Ursprünglich sollte die Ausstellung am 09. April 2020 eröffnet werden.
3 Zur Ausstellung im Musée de l’armée, vgl. Musée de l’armée (Hrsg.), France-Allemagne(s) 1870–1871. La guerre, la Commune, les mémoires, URL: <https://www.musee-armee.fr/au-programme/expositions/detail/france-allemagnes-1870-1871-la-guerre-la-commune-les-memoires.html> (25.10.2020).
4 Vgl. Gerhard Bauer / Katja Protte / Armin Wagner / Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (Hrsg.), Krieg Macht Nation. Wie das deutsche Kaiserreich entstand (Ausstellungskatalog), Dresden 2020, S. 13.

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