Amours, guerres et sexualité 1914-1945

Amours, guerres et sexualité 1914-1945

Veranstalter
Musée d'histoire contemporaine-BDIC, Musée de l’Armée im l’Hôtel national des Invalides, 129 rue de Grenelle, F-75007 Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
20.09.2007 - 31.12.2007

Publikation(en)

Rouquet, François; Virgili, Fabrice; Voldmann Danièle (Hrsg.): Amours, guerres et sexualité 1914-1945. . Paris 2007 : Édition Gallimard, ISBN 978-2-07-0778960 175 € 23,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Gorgus, Frankfurt am Main

Wie wird Liebe und Sexualität in der Ausnahmesituation Krieg gelebt? Wie wird mit sexuellen Sehnsüchten umgegangen? Wie versuchen die Krieg führenden Nationen, die sentimentalen Gefühle der Bevölkerung zu steuern? Das sind Fragen, mit denen sich eine eindrucksvolle Schau im Hôtel national des Invalides in Paris beschäftigt. Unter dem Titel „Amours, Guerres et Sexualité 1914-1945“ haben das Musée de l’Armée und das Musée d’Histoire contemporaine-BDIC gemeinsam mit den HistorikerInnen François Rouquet, Fabrice Virgili und Danièle Voldmann über 480 Exponate, darunter Andenken, Plakate, Briefe und Fotografien, aus verschiedenen Ländern zusammengetragen. Der Zugang ist spannend, da in sechs Kapiteln aus mehreren Blickwinkeln zugleich thematisch und nicht chronologisch oder national argumentiert wird.

Eros und Thanatos sind stets zugegen
Im ersten Kapitel, „Mobilmachung“, wird auf Plakaten männlicher Stolz und weibliche Unterwürfigkeit thematisiert. Die nationale Propaganda zielt mit vielerlei Druckerzeugnissen darauf ab, Angstgefühle nicht zu zulassen. Während er als Soldat in den Krieg zieht, kümmert sie sich um Haus und Kinder. Dass diese Stereotypen nicht nur von der französischen Regierung eingesetzt wurden, um die Stimmung im Lande aufrecht zu halten, zeigen Beispiele aus Deutschland und Amerika. Die starke männliche Sexualität steht zugleich für eine starke Nation. Rüstungsarbeiterinnen, so Foto-Beispiele aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aus England, werden gerne mit Granaten abgebildet, die ganz unzweideutig an riesige Phalli erinnern. Wie Frauen und Männer mit der Trennung, mit Ungewissheit, Trauer und Angst umgehen, machen Andenken, Briefe und Zeichnungen für den oder die Liebste(n) sichtbar, in denen der Wunsch nach einem baldigen Wiedersehen vorherrscht.

Besonders in Krisenzeiten, so erfährt man im zweiten Kapitel der Ausstellung, „Getrennt“, werden viele Briefe und kleine, oftmals selbst angefertigte Geschenke getauscht, wie etwa Zeichnungen, Broschen oder Ringe. Und während zu Hause in Frankreich die Schutzräume zu Orten von heimlichen sexuellen Begegnungen werden können, wovon zahlreiche Lieder und Postkarten aus dem Zweiten Weltkrieg zeugen, schwingt in der Truppe unterschwellig das Thema Homosexualität mit. An der Front vergewissert sich der Soldat seiner unterdrückten Sexualität über Ersatzhandlungen. Sie reichen von künstlerisch ambitionierten Pin-up-Zeichnungen auf dem Atlantikwall, gezeichnet von deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, bis zu weiblichen Skulpturen aus Sand oder aus Schnee, geschaffen von französischen und amerikanischen Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Kabinett widmet sich der Musik, dem Theater und dem Film, ergänzt um Musikinstrumente, die in Gefangenschaft von Soldaten angefertigt wurden. Da die Dauer der Trennung von der oder dem Liebsten ungewiss ist, spielt Musik eine wichtige Rolle, um je nach dem die Stimmung anzuheizen oder zu besänftigen.

Sexualität und Kontrolle
Mit „kontrollierter Sexualität“ beschäftigt sich der dritte Abschnitt. Die Krieg führenden Nationen sind bestrebt, zu Hause ein gewisses Maß an Moral aufrecht zu erhalten. Zensur und Propaganda arbeiten eifrig am Bild der (für den Staat, nicht für den Mann) gefährlichen Frau, die geschwätzig und unvorsichtig dem Feind in die Hände spielt. Auf den Plakaten ist die Spionage weiblich personifiziert. An der Front sollen Bordelle die Soldaten bei Laune halten; das französische Militär beschloss 1918, Bordelle einzurichten. Geregelte sexuelle Kontakte sollen die sexuelle Frustration der Soldaten verringern, aber auch die Truppe einsatzbereit halten. Die Prostitution soll vor allem wegen der möglichen Übertragung von Geschlechtskrankheiten überwacht verlaufen. Dieses Problem allerdings bekommen die Militärs auch durch das Verteilen von Kondomen, in der Ausstellung mit Kondomen der amerikanischen Firma „Gold Ray“ von 1916 vertreten, nicht in den Griff. Der Aufklärung dienende Filmaufnahmen aus Frankreich von 1940 zeigen geschädigte Geschlechtsorgane erkrankter Soldaten. Aquarelle aus den 1940er-Jahren machen anschaulich, was dem Soldat im Bordell wichtig ist: in jeder Hinsicht seinen Durst löschen und den Sold verprassen. Der Übergang von der Krankenschwester zur Prostituierten erscheint dabei fließend, die Pflegerin erscheint auf Gemälden und Plakaten wahlweise als Verführerin oder Beschützerin.

Unter dem Oberbegriff „Sich lieben“ wirft die Ausstellung im vierten Kapitel einen alltagsgeschichtlichen Blick auf Paare in Kriegszeiten. Zahlreiche Fotografien zeigen ihn in Uniform, sie im schicken Kleid. Die Exponate verdeutlichen vor allem die Bedeutung der Heimfahrten als kriegswichtiger Faktor. Der Fronturlaub, in der französischen Truppe unter „la perm“ (von permission, Erlaubnis) bekannt, wird als Strategie eingesetzt, um die Stimmung der Soldaten positiv zu beeinflussen. Zugleich wird gezeigt, dass der Krieg auch als Katalysator für Begegnungen wirkt, die in Friedenszeiten nicht denkbar gewesen wären.

Gewalt und Tod
„Sexuelle Gewalt“, das vorletzte Kapitel, ist mit das wichtigste Thema der Ausstellung. Zumeist sind Frauen Opfer von Vergewaltigungen und Folter, Verbrechen, die individuell verübt oder kollektiv als militärische Strategie eingesetzt werden. Der offiziellen Leugnung der sexuellen Gewalt der eigenen Truppen steht die auf Plakaten propagierte Gewalt des Anderen, des Feindes, gegenüber. Erschütternd ist ein Fotoalbum von einem deutschen Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem dieser Bilder von der Vergewaltigung einer Frau eingeklebt hat. Hier haben sich die AusstellungsmacherInnen zu Recht dafür entschieden, nur ein Bruchteil davon sichtbar zu machen, die Fotos sind mit dem für Fotoalben typischen Trennpapier bedeckt.

Gewalt und Tod begleiten unterschwellig die gesamte Ausstellung. Immer wieder sind es kleine Zeichnungen und Aquarelle, zum Teil in deutschen Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern angefertigt, die daran erinnern, dass Liebe und Tod, Eros und Thanatos, nahe beieinander liegen. Auch die in der Ausstellung eingesetzten Farben sollen darauf verweisen: das warme Rot steht für die Liebe, aber auch für Blut, Weiß soll an die Abwesenheit erinnern, das Grau an Krieg und Gewalt. Der Tod als eigenes Thema taucht jedoch erst im sechsten und letzten Kapitel „Kriegsende“ auf. Während sich die einen freuen, warten die anderen vergebens auf Nachricht von Angehörigen. Das populärste Motiv auf Zeichnungen und Gemälden bleibt hierbei der Soldat, der der Ehefrau des toten Kameraden einen Brief oder ein persönliches Andenken übergibt. Erinnerungsstücke wie eine französische Grabplakette aus dem Ersten Weltkrieg zeigen, wie auch der Tod noch instrumentalisiert wird: Da die Krankenschwester auf dem Foto neben dem Leichnam zu freundlich lächelt, lässt die Gesundheitsabteilung der Armee das Foto aus der Plakette entfernen.
Die Schau wird beschlossen von einem kleinen Kinosaal, in dem Filmausschnitte zu sehen sind.

Die Ausstellung ist komplex sowie vielschichtig und argumentiert mit einer Fülle von zumeist originalen Objekten. „Amours, Guerres, Sexualité“ räumt nicht zuletzt mit der romantischen Vorstellung auf, dass in Kriegszeiten Liebesglück privat bleiben könnte. Auch wenn trotz Grauen, Angst und Trauer Liebe und sexuelle Kontakte Rückzugsmöglichkeiten bieten, das Glück bleibt ephemer und wird zuletzt zur Staatsangelegenheit. Ob es sich um privat aufgenommene Fotos von Französinnen mit deutschen Soldaten oder den Liebesbrief eines deutschen Soldaten an seine französische Freundin handelt, nach der Befreiung Frankreichs sahen die Säuberungskommissionen auch in den vermeintlich intimen Objekten nur noch Beweisstücke für die Kollaboration.

Die Ausstellung ist auf keinen Fall leicht verdaulich; die angenehme Inszenierung erleichtert aber den Zugang. Der ambitionierte Spannungsbogen kann allerdings nicht bis zum Ende durchgehalten werden. Grund dafür ist vor allem die räumliche Zweiteilung der Ausstellung. Die ersten beiden Kapitel befinden sich im Musée de l’Armée, die anderen vier im Musée d'histoire contemporaine-BDIC. Der Weg zwischen beiden Ausstellungsteilen im Kolonnadengang des Ehrenhofes vom Hôtel des Invalides wird zwar mit Fotografien von vergrößerten Objekten erleichtert, doch ist es auffällig, dass im zweiten Teil der Ausstellung so gut wie keine BesucherInnen zu finden sind. Das ist schade, denn die Ausstellung verdient insgesamt große Aufmerksamkeit, ergänzt sie doch die Militärgeschichte um eine wichtige, oft vernachlässigte alltagsgeschichtliche Perspektive. Empfehlenswert ist auch der gut illustrierte Katalog, in dem einzelne Themenbereiche nochmals vertieft werden. Allerdings, und das gilt für Ausstellung und Katalog, sollte man des Französischen mächtig sein.

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