Last Minute. Eine Ausstellung zu Sterben und Tod

Last Minute. Eine Ausstellung zu Sterben und Tod

Veranstalter
Museum für Sepulkralkultur Kassel (13668)
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13668
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.10.2000 - 28.02.2001

Publikation(en)

Stapferhaus Lenzburg Schweiz (Hrsg.): Last minute. Ein Buch zu Sterben und Tod. 2000 : hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, ISBN 3-906419-22-3 304 S.; 104 s/w Abb. 58 DM
Günter Riederer,

"Der Tod" - so Karl Rahner - "ist ein Vorkommnis, das den ganzen Menschen betrifft." Der beruehmte Theologe meinte das vermutlich nicht so simpel, wie es sich auf den ersten Blick liest. Angesichts der unvermeidlichen Endlichkeit des menschlichen Daseins verwundert jedoch immer wieder die mangelnde Bereitschaft, sich mit Tod und Sterben schon zu Lebzeiten auseinanderzusetzen. Diese Weigerung hat eine lange Tradition: Unter dem Einfluss aufklaererischer Ideen zerbrach die jahrhundertelange raeumliche Eintracht von Lebenden und Toten. War der Kirchhof und damit auch der Friedhof im Mittelalter noch ein bevorzugter Ort fuer oeffentliche Versammlungen und Rechtsgeschaefte aller Art, erfolgte im 18. Jahrhundert die Vertreibung der Toten aus den Staedten. Damit einher ging ein Epochenwandel im Umgang mit dem Tod, der aus dem Leben weitgehend verdraengt wurde.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts nun scheint das Pendel zurueckzuschlagen und die Schleier, die das Bild vom "Bruder des Schlafes" ueber die Endgueltigkeit des Sterbens gelegt hat, werden wieder geluepft. Der Tod soll in die Mitte der Gesellschaft zurueckkehren und dort den ihm eigenen Platz einnehmen. Die bewusste Auseinandersetzung mit den letzten Dingen ist auch das zentrale Thema der Ausstellung "Last minute", die derzeit im Museum fuer Sepulkralkultur in Kassel zu sehen ist. Die Umsetzung dieses Anliegens ist - um es gleich vorwegzunehmen - auf beeindruckende Weise gelungen: "Last minute" behandelt nicht nur ein Thema von zeitloser Aktualitaet sondern praesentiert ihre Thesen auch in einem modernen und ansprechenden Design.

Verantwortlich fuer die Konzeption der Ausstellung zeichnet das Stapferhaus in Lenzburg, eine Einrichtung fuer Erwachsenenbildung und Kulturarbeit. In den Jahren 1998/1999 war "Last minute" bereits in der Schweiz zu sehen und dort ein ueberwaeltigender Erfolg. Urspruenglich in einer alten Fabrikhalle untergebracht, mussten die Bauten der kleineren Ausstellungsflaeche im Museum fuer Sepulkralkultur angepasst werden. Trotzdem gelingt eine ueberzeugende Verknuepfung von Inhalt und Inszenierung, die den Ausstellungsbesuch auch in Kassel zu einem echten Erlebnis werden laesst. Auf den verschiedenen Etagen des Museums sind insgesamt zehn Rauminstallationen zu sehen, die sich den jeweiligen Themenbereichen widmen. Beeilen, arbeiten, zuschauen, sterben, verabschieden, wissen, leben, abgrenzen, nachfragen, abreisen - so lauten die einzelnen Stationen des Rundgangs.

"Beim naechsten Ton ist es..." - ein Piepston und eine monotone Stimme irritieren am Eingang vor dem Museum. Dort ist ein Lautsprecher montiert, der die Zeitansage einspielt und damit plakativ auf den Titel der Ausstellung verweist. "Last minute" ist eine genial-einfache Chiffre fuer die Spass- und Dienstleistungsgesellschaft, in der wir heute leben: Schnelles Reisen, schnelles Geniessen und wohl auch schnelles Sterben bestimmen den Lebensrhythmus des postmodernen Menschen. Der Geschwindigkeitsrausch hat dabei in einer Art medialem Overkill das einstmals romantisch verklaerte "letzte Stuendlein" zur "letzten Minute" verdichtet.

Zunaechst betritt man den ersten groesseren Ausstellungsbereich mit dem Titel "arbeiten". Insgesamt neun "Hoerkuben" geben Einblick in den Arbeitsalltag von Personen, die sich professionell mit Sterben und Tod auseinandersetzen. Per Knopfdruck laesst sich im Inneren des schwarzen Kubus eine Art Miniatur-Hoerbild abrufen, das den jeweiligen Berufsstand vorstellt. Ein Nachrichtenredakteur, eine Krankenschwester, ein Kremateur, ein Pfarrer, ein Bestatter, ein Pathologe, eine Trauerseminarleiterin und ein Mortalitaetsstatistiker geben Auskunft ueber ihre Art des Umgangs mit dem Tod. Ihre Taetigkeit wird am Eingang jedes Kubus mit einem bestimmten Gegenstand visualisiert - der Bestatter mit seinem Koerperduftoel, die Trauerseminarleiterin mit ihren Flusssteinen, der Nachrichtenredakteur mit seinem Videoband. Zudem hat jeder Kubus einen spezifischen Bodenbelag: So stehen im Bestatter-Kubus die Zuhoerenden auf Planken aus Tannenholz, im Pathologen-Kubus auf weissen Laborfliesen. Man wolle damit - so schreibt Beat Haechler, der Organisator der Ausstellung, in seinem Katalogbeitrag - die eigene Bilderproduktion anregen und auf assoziative Weise eine "Visualisierung ohne Bilder" erreichen.

Ganz anders - naemlich mit einer Flut von Bildern - operiert der zweite Themenbereich mit dem Titel "zuschauen". An der Decke des Saales haengen neun Bildschirme, die in schneller Abfolge ausgewaehlte Filmtode zeigen. Auf faszinierende Weise macht dieser Zusammenschnitt deutlich, dass das Filmsterben tatsaechlich ganz tiefgreifend unsere Wahrnehmung vom Tod praegt. Ohne grossen Kommentar bringen das Sterben Winnetous oder das langsame Hinscheiden Mozarts in den gezeigten Ausschnitten ihre Botschaft auf den Punkt: Es besteht eine unueberbrueckbare Diskrepanz zwischen kuenstlichem Filmtod und wirklichem Sterben.

Die Mitteletage widmet sich dem sensibelsten Thema der Ausstellung. Ein Raum, dessen Ausgestaltung mit weissen Stoffen an Laken, Kissen, Nachthemden und Leichentuecher erinnert, setzt das "Sterben" in Szene. Drei konzentrische Kreise fuehren behutsam an das Thema heran. Zunaechst lassen sich auf Krankenhausbeistelltischen mit CD-Playern unterschiedliche "Sterbeerfahrungen" hoeren. Pflegende berichten ueber ihre persoenlichen Erlebnisse mit dem Sterben zu Hause, dem Sterben in Hospiz und Pflegeheim sowie dem Tod im Krankenhaus. Hinter einer Wand liegen in einem zweiten Ring Zeichnungen von sterbenden Kindern bzw. Kindern, deren Mutter oder Vater im Sterben lag. Im innersten Bereich folgt dann der beeindruckendste (und wohl auch umstrittenste) Beitrag zur Ausstellung. Zu sehen ist der Kurzfilm "Tante Rosy 1901-1998" von Joseph Scheidegger, der nicht nur Szenen aus dem Leben seiner Tante, sondern auch ihr Ende zeigt. Der Zuericher Filmemacher reklamiert fuer sich, dass er dem Tod gewissermassen ins Auge schauen wollte. Ob es ihm dabei tatsaechlich gelungen ist, die Wuerde der sterbenden Tante zu wahren oder ob ihm der Film zur "Pornografie des Blicks" entgleitet wird zu lebhaften Diskussionen Anlass geben.

Auf dem zweiten Stockwerk befindet sich zunaechst der Themenbereich "verabschieden", der den langen und beschwerlichen Weg vom Totenschein bis zum Begraebnis nachzeichnet. Im Bereich "wissen" zeigen zwei Computerterminals Mortaliaetsstatistiken, zudem gibt es die Moeglichkeit, seine eigene Todesanzeige zu gestalten und auszudrucken. "Leben" widmet sich der schwierigen Thematik Suizid, waehrend sich der Bereich "abgrenzen" aktuellen Themen wie Organtransplantation, Hirntod und Sterbehilfe zuwendet. Im Untergeschoss befinden sich der Bereich "nachfragen", der auf einem Leuchtschriftband Auszuege aus dem Tagebuch von Max Frisch zu Sterben und Tod einspielt. Abgeschlossen wird der Rundgang durch eine Installation, die auf eine von einem Wasserbassin umflossene Insel fuehrt. Zum sanften Plaetschern des Wassers lassen sich Texte von Schuelerinnen und Schuelern ueber ihre Vorstellungen von Tod und Jenseits lesen.

"Last minute" verfolgt eine ueberzeugende Strategie: Die Bildersprache der Ausstellung setzt Assoziationen frei und bindet Besucherinnen und Besucher auf subtile Weise ein. Wissensunabhaengig werden - wie beispielsweise beim Verfassen der eigenen Todesanzeige - Erlebnisse produziert, die zu einer weiteren Beschaeftigung mit der Thematik anregen. Pietaetlos, unsensibel, makaber - das sind die Schlagworte, die bei der Vorbereitung der Ausstellung die Runde machten. Bedenkt man die Fallen und Gefahren, die ein derart sensibles Thema aufweist, so hat das Ausstellungsteam die Aufgabe auf bravouroese Weise geloest. "Last minute" ist ein ebenso intellektuelles wie visuelles Vergnuegen, ihr Besuch laesst fuer eine Weile Zeit und Raum vergessen - und was kann man von einer Ausstellung zum Thema "Sterben und Tod" schoeneres erwarten.

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