HT 2008: Arenen der Ungleichheit. Sport, Ethnizität und Geschlecht in modernen Gesellschaften

HT 2008: Arenen der Ungleichheit. Sport, Ethnizität und Geschlecht in modernen Gesellschaften

Organisatoren
Jürgen Martschukat, Universität Erfurt; Stefanie Schüler-Springorum, Universität Hamburg; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.09.2008 - 03.10.2008
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Von
Miriam Rürup, Göttingen

Sportgeschichte als Kulturgeschichte des Körpers zu schreiben – so naheliegend das scheinen mag, so selten wurde es bislang doch unternommen. Und dabei ging die Entwicklung der verschiedenen Sportarten in der Moderne immer auch mit Konzepten von Körperlichkeit einher – seien es die kollektiven Körpervorstellungen der frühen Turnbewegung, die individuelle Muskelkraft mit einem gemeinschaftlichen Nationalprojekt verbanden, oder seien es die heroischen Körper der naturverbundenen und jugendbewegten Jahrzehnte des frühen 20. Jahrhunderts oder die bekannten sportlichen, mit Riefenstahls rassistisch geprägter Bebilderung gekoppelten Sportlerkörper der Olympiade 1936, oder seien es schließlich die Körpervorstellungen des gesunden Individuums, das, den Jahren des Wirtschaftswunders entwachsen, auf Trimm-Dich-Pfaden auf die eigene Leistungssteigerung hintrainiert: Individuelle Körper und Kollektivkörper gehen hier nahtlos ineinander über und immer ist die Geschichte des Sports auch die Geschichte des ersehnten Körpers – der nicht zuletzt ethnische und geschlechtliche Differenzen markiert.

Auf der mit „Arenen der Ungleichheit“ betitelten Sektion von Jürgen Martschukat und Stefanie Schüler-Springorum wurde der Versuch unternommen, Körpergeschichte und Sportgeschichte zusammenzubringen und mit Hilfe der jeweiligen methodischen und konzeptionellen Perspektiven den Blick auf die Herstellung wie auch versuchte Überwindung von Ungleichheiten zu lenken.

In seinem einleitenden Beitrag umriß OLAF STIEGLITZ (Universität zu Köln) das Konzept der Sektion und des damit verbundenen Antrages für ein Forschungsprojekt zu einer Sportgeschichte als Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Moderne. Es ging ihm dabei weniger um Fragen nach Vereinsgeschichten, Sportlerbiographien oder der Rekonstruktion großer Sportereignisse. Vielmehr sollen die mit dem Sport verbundenen kulturellen Narrative ergründet werden. Sehr anschaulich verdeutlichte Stieglitz dies eingangs mit dem Beispiel des sagenumwobenen Alick Wickham, der zum Erfinder der modernen – australisch-national etikettierten – Kraulschwimmtechnik mutierte. Sein Hauptansatz ist, wie er betonte, Sport und Sportereignisse als Texte zu lesen. Nur so könne es gelingen, Fragen des Verhältnisses von Sport und Identitätsbildung, von der Herstellung von ethnischen oder geschlechtlichen Differenzen im Sport auf die Spur zu kommen. Sportereignisse werden hierbei als die Foren schlechthin angesehen, in denen „doing gender“ gleichermaßen wie „doing race“ stattfindet. Indem darüber auch ausgehandelt wird, wer an einer Gesellschaft partizipieren kann und wer von ihr ausgeschlossen bleibt, wird eine solcherart gewendete Sportgeschichte zugleich zu einer Kulturgeschichte des Politischen. Diese Kulturgeschichte muß sich über die reine Betrachtung des Sportes hinaus auch damit befassen, welche Koalition mit wissenschaftlicher Leistungssteigerung der vermeintlich „natürlichen“ Sportlichkeit jede Sportpraxis eingeht, wie sich also Wissenschaftlichkeit und Natürlichkeit im Sportkörper verbinden.

Wie eine Nationalbewegung Körperlichkeit und Körperkraft verband, um das ersehnte nationale Projekt umsetzen zu können, stellte YOTAM HOTAM (Hebrew University Jerusalem) am Beispiel der zionistischen Sportbewegung dar. Die zionistischen Sportvereine, die Ende des 19. Jahrhunderts in Europa entstanden, bezweckten die körperliche „Regeneration“ der europäischen Juden. Das jüdisch-nationale Konzept des „Muskeljudentums“ ist jedoch nicht das eigentliche Interesse von Hotam – er möchte vielmehr darüber hinausgehen, indem er danach fragt, welche Körperlichkeit die europäischen Zionisten anstrebten. Wie sehr diese Vorstellungen vom Orientalismusdiskurs der Jahrhundertwende geprägt waren, zeigte Hotam anhand der Sorge der zionistischen Sportler, im erstrebten, noch zu begründenden „Heimatland“ nicht anerkannt zu werden. Die zionistische Körpervorstellung sei demnach eine aus mythischen und biblischen Quellen gespeiste Suche nach einer Ursprünglichkeit gewesen. Diese Ursprünglichkeitsidee führte dazu, daß sich die zionistischen Sportler gewissermassen als „zurückgekehrte Eingeborene“ in Palästina phantasierten und unter anderem die dort ansässigen Beduinen als „Brudervolk“ betrachteten. Ob diese ehrgeizige These zu halten sein wird, möchte Hotam anhand von Bildmaterial zionistischer Künstler genauso wie anhand des in jüdischen Publikationen geführten Intellektuellendiskurses herausarbeiten. Letztlich könnte dieses Bemühen der zionistischen Sportler auch als Versuch gesehen werden, wenigstens in Palästina als „Ihresgleichen“ und nicht als „Eindringlinge“ angesehen zu werden – ein Bemühen, an dem die nichtzionistische jüdische Turnbewegung in Deutschland und Europa letztlich scheiterte.

Unter dem doch zunächst ob seiner Breite etwas irreführenden Titel „Fußball und Maskulinität in Afrika“ führte SUSANN BALLER (Universität Basel) vor, wie am Beispiel von Fußball-Nachbarschaftsvereinen im kolonialen und postkolonialen Senegal die erzieherische Rolle des Sportes zu einer Institution werden konnte, in der idealisierte Vorstellungen von Männlichkeit und den damit verbundenen Tugenden herausgebildet wurden. In den lokal entstandenen Fußballvereinen, die sich von einem reinen Freizeitvertreib ausgehend zu einem ernsthaft betriebenen Wettbewerbssport entwickelten, sollte das „nationale Subjekt“ entstehen – es ging mithin nicht nur darum, Männlichkeit einzuüben, sondern darüber hinaus um Staatsbürgerlichkeit. Sowohl die Vorstellungen von Männlichkeit als auch diejenigen von Staatsbürgertum entfalteten sich in dem Spannungsfeld zwischen offiziellem kolonialem wie postkolonialem Regierungsdiskurs und den in den Vereinen selbst herrschenden und sich entfaltenden Bildern von Männlichkeit. Bereits in diesem hochinteressanten Beitrag zeigte sich das Problem, in einer Sektion verschiedene Ansätze mit einem roten Faden zu bündeln. Denn Baller betrachtet die erzieherische Funktion des Sports weniger bezüglich ihrer Körperlichkeit, als vielmehr hinsichtlich der mit Männlichkeit verknüpften „Tugenden“ wie Disziplin, Pünktlichkeit und Teamgeist, die in der sozialen Praxis des Fußballspiels eingeübt werden sollten.

Besonders deutlich wurde der unterschiedliche Zugang zur „Sportgeschichte“ im Beitrag von THORALF KLEIN (Universität Erfurt), der sich dem Bemühen Chinas zuwandte, einen Platz in der Weltgeschichte des Sports zu erringen. Dabei setzte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Interesse des nationalen Kollektivs das Prinzip der individuellen Leistungssteigerung durch. Um 1920 wurde mit Blick auf den erstrebten internationalen Weltruhm eine Synthese der Kampfkünste als „authentisch“ chinesischer Sport und zugleich als unter dem Namen „Kung Fu“ bekanntes Exportprodukt geschaffen. Wie unterschiedlich gleichermaßen beeindruckende Ansätze in der Sportgeschichtsschreibung sein können, zeigte sich in diesem Beitrag beispielhaft daran, daß Klein die vermeintlich naheliegenden Anschlußmöglichkeiten zu einer Körpergeschichte des chinesischen Sportes nicht nutzte und so die angesichts der Olympiade 2008 von ihm angesprochene aktuelle Debatte um das Alter der Turnerinnen nicht auf Fragen der Körperlichkeit rückbezog. Es ging Klein hingegen mehr um die Überwindung nationaler Ungleichheiten mittels sportlicher Rekorde bei internationalen Wettkämpfen. Zugleich jedoch fand sich in seinem Beitrag ein Anküpfungspunkt zur bereits bei Stieglitz angesprochenen Verbindung von „Natürlichkeit“ des Sportes und seiner wissenschaftlichen Überformung – so, wenn die Leitung der chinesischen Mannschaft einen erfolgversprechenden Hürdenläufer bei der Olympiade in Berlin 1936 wegen „schlechter Technik“ von der weiteren Teilnahme an den Spielen ausschloß.

In seinem die allgemeine Diskussion öffnenden Kommentar führte ALF LÜDTKE (Universität Erfurt) eine Vielzahl von Punkten an. Ein bereits beim ersten Beitrag von Olaf Stieglitz diskutierter Aspekt betraf die Vorstellung von Moderne, die zugleich Gefahr laufen könne, Körper als ahistorisch zu begreifen. Dieses Problem kann auch dann entstehen, wenn man Sport als Text liest und dabei von der Grundannahme ausgeht, alles, was als Sport begriffen wird, sei ein mit dem gleichen methodisch-theoretischen Instrumentarium gleich historisierbarer Gegenstand – dabei müssen auch, um im Bild zu bleiben, die „Grammatiken der Texte“ hinterfragt werden. Vielleicht allerdings gibt es Gesellschaften, die sich diesen Historisierungspunkten sperren, gab er zu bedenken und verwies dabei auf Dipesh Chakrabartys Kritik an der westlichen Geschichtsschreibung.

Zugleich müsse das skizzierte Forschungsvorhaben immer die begrenzte Reichweite der Einzelprojektstücke mit reflektieren. Dazu gehört dann auch die Frage, wer jeweils agiert – welche Bedeutung haben folglich reale Bilder für die Wahrnehmung nicht nur von Sport sondern auch von Körperlichkeit. Und welche Rolle spielt das Publikum, an das sich Sport ja schließlich auch richtet? Diese Frage stellt sich sowohl bei der Anwesenheit wie auch bei der Abwesenheit von Publikum wie auch Medien während des praktizierten Sports.

Dazu gehört dann auch der ästhetisierende Blick auf Sport als Bewegungskultur, der unter anderem im Beitrag von Yotam Hotam angesprochen war: welche Bilder von Körperlichkeit im Sport existieren tatsächlich und was transportieren sie? Hieran schließt sich unweigerlich die Frage an, die dann auch in der Diskussion mehrfach aufgegriffen wurde: wo sind die nicht zum Stereotyp passenden Körper bzw. Körpervorstellungen – zum Beispiel die versehrten Körper – und welche Bedeutung haben sie für die soziale Praxis? Bereits bei Susann Ballers Beitrag war diskutiert worden, ob eine Herabsetzung des Gegners durch Effeminisierung stattgefunden habe, über die dann im Gegenzug das Projekt der Männlichkeit propagiert werden konnte. Schließlich kam Lüdtke auf die Frage der „Natürlichkeit“ des Sports zu sprechen und verwies dabei auf die Verbindung dessen, was körperlich erreichbar ist und dem, was wissenschaftlich und vor allem technisch daraus entstehen kann – wie am Beispiel des südafrikanischen Sprinters mit technisch perfekt entworfener und ihn zu außerordentlicher Laufleistung befähigender Prothese.

Kaum eine Sportart vermag den Zusammenhang von Körperkonzepten, Körperlichkeit vereint mit durchgestylter Technisierung der Sportgeräte und Sportbekleidung so aufzuzeigen, wie das Skispringen, das alljährlich um die Jahreswende an prominenter Stelle im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird. Junge, meist sehr untergewichtige Männer springen dabei in figurbetonten und zugleich technisch die sportliche Höchstleistung unterstützenden Ganzkörperanzügen von Schanzen, um die dem menschlichen Körper fremde Erfahrung des Fliegens zumindest einige Dutzend Meter weit zu demonstrieren, bevor sie in möglichst synchroner Weise am Ende der Schanze aufkommen. Begleitet wird das Ereignis von Publikum und medialer Aufmerksamkeit sowie allgegenwärtigen Debatten über die angenommene Magersucht der Athleten, der Beschaffenheit des Schnees und der technischen Perfektion der Schanzen wie auch der sonstigen Sportgeräte.

In dieser Sektion wurde ein Forschungsprojekt skizziert, das sich den Zusammenhängen von Sport und Körperdiskursen, der Frage, welche Körperkonzepte durch den Sport beeinflusst werden wie auch der Frage, wie sich verändernde, womöglich neue Sportarten vorhandene Vorstellungen vom Körper modifizieren, zuwenden möchte. Den Schwierigkeiten, unterschiedliche Einzelprojekte in einem solchen Ansatz zu bündeln, ließe sich – so schlug Stefanie Schüler-Springorum in der Diskussion abschließend vor – gerade durch Betrachtungen der Thematik von ihren „Rändern“ bzw. den Grenzen der ersehnten Körperlichkeit her begegnen. Gerade wenn also die im Sport Marginalisierten – je nach Kontext die Frauen, die Verletzten, die Kolonisierten, die religiösen Aussenseiter oder andere – ins analytische Blickfeld geschoben würden, so zum Beispiel mithilfe von Egodokumenten, wie Martin Dinges in diesem Zusammenhang vorschlug, kann man sich den Zuschreibungen von Ethnizität und Geschlecht im modernen Sport womöglich am besten nähern.

Sektionsübersicht:

Jürgen Martschukat (Erfurt) / Stefanie Schüler-Springorum (Hamburg): Einleitung und Moderation

Olaf Stieglitz (Köln): Sport, Körper und Subjekt: Sportgeschichte als Kultur- und Gesellschaftsgeschichte der Moderne

Yotam Hotam (Jerusalem): Being an Arab Jew: Zionist Fantasies of Body, Masculinity and Ethnicity

Susann Baller (Basel): Fußball und Maskulinität in Afrika: Stadt, Jugend und Moderne im modernen Senegal

Thoralf Klein (Erfurt): Die Verkörperung der Nation: Sport, Gesellschaft und Politik im China des 20. Jahrhunderts


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