HT 2010: Historische Epochengrenzen und Periodisierungssysteme im globalen Vergleich

HT 2010: Historische Epochengrenzen und Periodisierungssysteme im globalen Vergleich

Organisatoren
Christoph Marx, Universität Duisburg-Essen; Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.09.2010 - 01.10.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer, Historisches Institut, Fernuniversität in Hagen

Diese Sektion ging dem Fragenkomplex nach, welchen Einfluss europäische Periodisierungssysteme und Epochengrenzen auf die Geschichtsschreibung in außereuropäischen Kulturen hatte und ob deren historiographische Traditionen auf Europa zurückwirkten oder jedenfalls alternative Modelle des geschichtlichen Verlaufs bereithielten. Im Sinne der postkolonialen Globalisierungsdebatte gefragt: Ist es heute möglich, Nationalgeschichte oder Weltgeschichte zu schreiben, ohne sich der notorischen Periodisierung in Altertum, Mittelalter und Neuzeit bzw. deren Binnengliederungen mit all ihren Implikationen zu bedienen und sich damit dem Vorwurf des Eurozentrismus auszusetzen? Auf der Folie eines einleitenden Vortrags zum Bild der Geschichte im „europäischen Narrativ“ wurden in den folgenden drei Beiträgen die Historiographie Chinas, Indiens und der islamischen Welt beleuchtet. Gemeinsam ist diesen vier Kulturkreisen, dass sie nicht nur über eine alte, schriftgestützte Geschichtskultur verfügen, sondern trotz aller politischen Zersplitterung jeweils eine eigene Oikumene bildeten, die sich zumindest in sprachlicher und religiöser Hinsicht zur Geltung brachte: das christliche Lateineuropa, die muslimische umma, das konfuzianische China und die Sanskrit cosmopolis in Indien. Während sich jedoch Europa in nachrömischer Zeit und die islamische Welt nach den Umayyaden (661-750) in zahlreiche Reichsbildungen und später Nationalstaaten aufgliederten, entwickelten sich China und Indien im 20. Jahrhundert zu großen, regional sehr heterogenen Nationalstaaten. In allen vier historiographischen Traditionen stellte und stellt sich damit die Frage nach dem Verhältnis von universalhistorischen bzw. globalgeschichtlichen Entwürfen zu national- oder regionalgeschichtlichen Periodisierungssystemen.

CHRISTOPH MARX (Universität Duisburg-Essen) fragte in seinen einleitenden Bemerkungen zur Sektion, welche Bedeutung für das Geschichtsbewusstsein der europäischen Expansion und der kolonialen Zäsur zukam, die diese drei außereuropäischen Kulturen im 19. Jahrhundert erlitten hatten und sie mit der Modernisierungsfrage konfrontierten. Obwohl die islamische Welt seit jeher mit Europa in einer konfliktreichen Auseinandersetzung gestanden hatte, während Indien und vor allem China – von Handelsbeziehungen abgesehen – kaum mit der europäischen Welt konfrontiert waren und sich weitgehend autonom entwickelten, wirkte der imperialistische Zugriff im 19. Jahrhundert in allen drei Kulturen traumatisch: Wie die drei Vorträge deutlich machten, wurden die napoleonische Eroberung Ägyptens (1798), der Opiumkrieg (1839-1842) und die britische Annexion Indiens (1858) als Zäsuren erfahren, die eine histori(ographi)sche Neuorientierung erzwangen. Die nun einsetzende Rezeption europäischer Geschichtsbetrachtung, seit Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem der marxistischen Geschichtsauffassung, stellte die eigenen Geschichtstraditionen in Frage und modifizierte diese erheblich. Christoph Marx erinnerte auch daran, dass die gegenseitigen Rezeptionsbedingungen höchst ungleich waren: Im Zeichen des Kolonialismus wurde die europäische Historiographie rezipiert, während die islamische und die chinesische Geschichtsschreibung – anders als die auf Englisch verfasste indische – in Europa erst spät zur Kenntnis genommen worden ist.

JUSTUS COBET (Universität Duisburg-Essen) rekonstruierte zunächst das „europäische Narrativ“, in dem bis zum 18. Jahrhundert die Vorstellung einer Abfolge von Weltreichen dominierte, bevor sich die im Humanismus entstandene Epochentrias von Altertum, Mittelalter und Neuzeit durchsetzte. Sowohl das seit Herodot fassbare, im 1. Jahrhundert v. Chr. kanonisierte und im 5. Jahrhundert n. Chr. christlich-eschatologisch gedeutete Vier-Reiche-Schema (Assyrer/Babylonier – Meder/Perser – Makedonen – Römer) – es wurde in der mittelalterlichen Weltchronistik von christlichen Weltaltermodellen überlagert – als auch die Epochentrias waren auf die Universalhistorie bezogen. Diese umfasste bis zum späten 16. Jahrhundert den durch die Griechen und Römer sowie die Bibel erschlossenen Raum und Zeithorizont, während die im Rahmen der europäische Expansion ‚entdeckten‘ „neuen Welten“ allmählich in die Universalhistorie der Neuzeit integriert wurden. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erweiterte man das Drei-Perioden-Schema unter dem Eindruck der französischen und industriellen „Doppelrevolution“ um eine Neueste Zeit sowie im Zeichen der empirischen Befunde aus Geologie und Prähistorie um eine Vorgeschichte, womit der christliche Rahmen der Weltgeschichte zwischen Schöpfung und Jüngstem Gericht endgültig zugunsten einer Vorstellung gesprengt worden war, nach der die Vergangenheit und die Zukunft nun prinzipiell offen sind. Wie Cobet darlegte, ist dieses universalhistorisch begründete Periodenschema, das auch auf die nationalgeschichtliche Betrachtungsweise angewendet wurde, untrennbar mit dem Fortschrittsgedanken verknüpft und – gerade auch in Verbindung mit der sich formierenden geschichtswissenschaftlichen Methodik – ganz und gar eurozentrisch verankert. Die vieldiskutierte Frage, ob man das europäische Narrativ deshalb über Bord werfen müsse, verneinte Cobet einerseits mit dem Hinweis auf dessen Bedeutung für das nicht-professionelle Geschichtsbewusstsein und als Verständigungskonvention, andererseits aus methodischen Erwägungen, weil auf der Folie dieses Narrativs, das längst selbst historisiert und damit relativiert worden ist, außereuropäische Geschichtskulturen erst ihr eigenes Profil gewönnen. Diesen Aspekt überließ Cobet den folgenden Beiträgen und gab stattdessen einen Überblick über alternative Modelle von Weltgeschichtsschreibung seit dem 18. Jahrhundert. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem von Adam Ferguson 1767 entwickelten Drei-Perioden-Schema Wildheit – Barbarei – Zivilisation zu, das aus der Erfahrung der Gleichzeitigkeit ungleich entwickelter Kulturen die Menschheitsgeschichte als Zivilisationsfortschritt beschrieb, wobei die außereuropäischen Kulturen auf einer früheren Entwicklungsstufe angesiedelt wurden. Die modernen globalgeschichtlichen Versuche seien dagegen von dem vergeblichen Bemühen gekennzeichnet, das europäische Narrativ zu vermeiden. Sowohl die von der UNESCO initiierte History of Mankind (1963-1966) und deren Nachfolger History of Humanity (1994-2008), als auch die Ansätze einer Big History, die die Menschheitsgeschichte in eine Geschichte der Erde einbettet, entkommen diesem Dilemma nicht; sie alle gliedern – ebenso wie etwa Gordon Childe (neolithische, urbane und industrielle Revolution) oder die postkolonialen area studies mit ihrer Devise provincializing Europe – mittels der Struktur des europäischen Narrativs. Cobet sah keine Möglichkeit mehr, im Zeichen einer globalisierten Welt eine ‚politisch korrekte‘ Weltgeschichte zu schreiben, die nicht dem europäischen Narrativ verpflichtet ist und vermutete, dass diese in eine Vielfalt von Erinnerungskollektiven zerfallen könnte, die sich jeweils ihrer eigenen Geschichte vergewissern.

HELWIG SCHMIDT-GLINTZER (Universität Göttingen/Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel) hob in seinem Vortrag zur chinesischen Historiographie einleitend hervor, dass die Vorstellung einer Dreiteilung der chinesischen Geschichte, in der man sich von einem Altertum der (konfuzianischen) Klassiker als Quelle aller chinesischen Kultur durch eine „mittlere Zeit“ getrennt sah, längst vor dem Einfluss der europäischen Geschichtsschreibung vor allem im buddhistischen Kontext verbreitet war. Die chinesische Geschichtsschreibung selbst, die heute über eine lückenlose Chronographie für den Zeitraum seit 841 v. Chr. verfügt und in Sima Qian (ca. 145-90 v. Chr.) ihren ersten Universalhistoriker fand, war dagegen bis zur Gründung der Republik 1911 überwiegend dynastische Geschichtsschreibung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gliederten dann chinesische und japanische Historiker die Geschichte Chinas am europäischen Modell in ein Altertum bis zur Reichseinigung unter der Qin-Dynastie (221 v.-206 n. Chr.), ein Mittelalter, das etwa bis zur „Bürokratisierung“ der kaiserlichen Herrschaft im 11. Jahrhundert unter der Song-Dynastie (960-1279) dauerte, sowie eine damit einsetzende (Frühe) Neuzeit. Zu keinem dauerhaften Konsens ist die marxistische Geschichtsdeutung der chinesischen Geschichte gelangt, vor allem, weil die vorkapitalistische, feudale Formation einen Zeitraum von knapp 3000 Jahren umspannt (1046 v.-1911 n. Chr.). Schmidt-Glintzer betonte, dass die historiographische Perspektive sich nicht nur zwischen der japanischen und der amerikanischen bzw. europäischen Chinaforschung unterscheidet, sondern auch innerhalb der chinesischen Historikerschulen. Den Schwerpunkt seiner Ausführungen legte Schmidt-Glintzer aber nicht auf die Rekonstruktion chinesischer Periodisierungssysteme. Vielmehr kritisierte er aus einer globalhistorischen Perspektive das Bild, das die europäische Aufklärung von den außereuropäischen Kulturen entworfen hatte, indem sie diese als zivilisatorisch rückständig verortete, und verwies auf die historischen Bedingungen, die erst den Aufstieg Europas in der Frühen Neuzeit möglich gemacht hätten: Die Mongolenherrschaft habe zunächst zu einer Intensivierung des Fernhandels und Kulturaustausches zwischen Ost und West geführt; schon für diese Zeit könne man daher von einer Globalisierung sprechen. Durch die Pest und den Zusammenbruch der Mongolenherrschaft Mitte des 14. Jahrhunderts seien diese Verbindungen dann abgebrochen und hätten die „Westorientierung“ Europas, das im späten 14. und 15. Jahrhundert von außen nicht mehr behelligt wurde, ermöglicht. Abschließend hob Schmidt-Glintzer die Bedeutung der Song-Zeit (960-1279) als Übergang vom „chinesischen Mittelalter“ zur Frühneuzeit mittels der Parameter der europäischen Frühneuzeitforschung hervor: die Durchsetzung bürokratischer Verwaltung und formalisierter Beamtenrekrutierung, die zunehmende Urbanisierung und Marktwirtschaft, die Verbreitung des Buchdrucks und der Manufakturproduktion. Weshalb die chinesische Frühneuzeit anders als die europäische anschließend nicht zu einem Take-off geführt hatte, konnte er mit dem Hinweis auf unterschiedliche politische Machtkonstellationen nur noch andeuten.

ANGELIKA MALINAR (Universität Zürich) befasste sich mit der Periodisierung der Vergangenheit in altindischen Texten und der modernen Geschichtsschreibung, wobei sie die britische Kolonialgeschichtsschreibung als radikalen Bruch mit der indigenen hinduistischen Vorstellung vom Zeitverlauf betrachtete (die indo-persische Historiographie des Delhi-Sultanats und der Mogulzeit blieben dabei außer Betracht). Die traditionelle, hinduistische ‚Geschichtsauffassung‘ legte sie am Beispiel der purāṇas (der „alten Geschichten“) dar, einem Korpus von Sanskrit-Texten, die überwiegend zwischen dem 5. und 12. Jahrhundert verfasst wurden. Der Zeitverlauf ist hier (ähnlich wie bei Hesiod) in vier Weltalter mit absteigender Güte gegliedert, wonach das letzte Zeitalter, das des größten Verfalls, 3102 v. Chr. begonnen hat. Verbunden mit dieser kosmologisch verankerten Geschichtsdeutung ist die Zukunftserwartung einer besseren Zeit, einer „neuen Epoche“. Darüber hinaus bieten die purānas historisch ‚verwertbares‘ Material, da sie neben Kosmologien auch Heroengeschichten, dynastische Genealogien, geographische Repräsentationen, juristische und wissenschaftliche Traktate sowie Ritualbeschreibungen enthalten. Auf dem Hintergrund dieses traditionalen Geschichtsverständnisses, das für die konkrete Zeitrechnung durch eine Chronologie der herrschenden Dynastien ergänzt wurde, wirkte die britische Kolonialgeschichtsschreibung über Indien, die mit James Mills maßgebender ‚History of British India‘ 1817 einsetzte, als Zäsur. Sie lieferte nicht nur eine völlig neue Deutung der ‚indischen Geschichte‘, sondern brachte diese zuallererst hervor. Wie Malinar darlegte, gliederte Mill die indische Geschichte in ein vedisch-arisches Hindu-Altertum (ca. 1500 v.-1200 n. Chr.), ein islamisches Mittelalter (1206-1758) und eine kolonialbritische Neuzeit, wobei jeweils Invasionen und religiöse Distinktionen die Epochenschwellen markieren: die arische Einwanderung, die muslimische Eroberung und die koloniale Landnahme der Briten. Verbunden damit war die in der Aufklärung formulierte Vorstellung von der Geschichtslosigkeit Indiens, einer Erstarrung und Stagnation, die durch das „Kastenwesen“ und die „orientalische Despotie“ verursacht worden sei. Erst die britische Eroberung habe Bewegung in die Verhältnisse und Fortschritt gebracht. An diesem kolonialen Paradigma arbeitet sich die indische Geschichtsschreibung bis heute ab. Zwar setzte sie, wie Malinar ausführte, im Zeichen des (Hindu-)Nationalismus neue Akzente, indem etwa das indische Altertum verklärt wurde und man nach dem Ende der Gupta-Dynastie (320-510 n. Chr.) ein „finsteres“ Mittelalter zunächst von Regionalreichen, dann der muslimischen „Fremdherrschaft“ ansetzte, oder im Zeichen des bis heute wirksamen Marxismus den Feudalismus gleichfalls mit dem Ende der Gupta-Dynastie beginnen ließ, die britische Kolonialherrschaft aber als Übergang zum Kapitalismus begrüßte, doch blieb man dabei der europäischen Epochenvorstellung treu. Als Reaktion auf die hindu-nationalistische und die marxistische Historiographie kam es zu einer Neubewertung des „indischen Mittelalters“ und einer Diskussion um den Beginn der (Frühen) Neuzeit: Sowohl die politische Zersplitterung unter den Hindu-Reichen im „früheren Mittelalter“ (500-1200) als auch die muslimischen Groß- und Regionalreiche unter dem Delhi-Sultanat (1206-1526) bzw. der Mogul-Herrschaft (1526-1756/1858) im „späteren Mittelalter“ bzw. in der „Frühen Neuzeit“ untersuchte man nun unter dem Gesichtspunkt der Regionalisierung und Staatsbildung, wobei das Mogulreich zunehmend als Beginn der indischen Frühen Neuzeit betrachtet wurde. Malinar resümierte, dass zwar in der gesamten postkolonialen Historiographie die Epochentrias und ihre Binnengliederungen sowie das Konzept der Moderne beibehalten, doch diese zugleich für die Rekonstruktion einer vorkolonialen indischen Geschichtsdynamik fruchtbar gemacht worden sind.

STEFAN REICHMUTH (Universität Bochum) setzte sich in seinem Beitrag zur islamischen Welt nicht mit Periodisierungsvorstellungen muslimischer oder europäischer Provenienz auseinander, sondern erprobte das Konzept der Frühen Neuzeit an der Geschichte der muslimischen Staaten, wobei er die Parameter der europäischen Modernediskussion zugrundelegte. Anders als für die chinesische oder indische Geschichte lassen sich demnach bei der kulturübergreifenden Anwendung dieses Konzeptes sowohl epochale Gleichzeitigkeit als auch analoge Rahmenbedingungen erkennen. Reichmuth verwies auf die Reichsbildungen der türkischen Osmanen, der persischen Safawiden und der indo-persischen Moguln, die analog zur europäischen Frühneuzeit zwischen 1450 und 1750/1850 eine dominante Position innerhalb der „islamischen Oikumene“ eingenommen hätten und dabei mit ähnlichen Entwicklungsproblemen konfrontiert gewesen seien wie die frühneuzeitlichen Staaten Europas, was er an fünf zentralen Bereichen verdeutlichte: Die herrschaftliche Organisation dieser Großreiche sei mit ihren bürokratischen Formen der Verwaltung und einer auf dem Kern eines stehenden Heeres beruhenden Militärverfassung mit frühneuzeitlichen europäischen Staaten durchaus vergleichbar; die Tendenz zur Ausbildung regionaler Herrschaften neben und innerhalb der Großreiche hätten nicht nur zur Verbreitung des Islam geführt, sondern auch zur Kommerzialisierung der Landwirtschaft und einem Wachstum der Städte, und zwar auch an der Peripherie der islamischen Welt. Als Analogon zur Entwicklung des europäischen Bürgertums betrachtete Reichmuth die Ausbildung und Ausweitung urbaner Gesellschaften aus lokalen Herrschaftsträgern, religiösen Gelehrten sowie kommerziellen und gewerblichen Eliten, die häufig eine korporative Organisation aufwiesen und sprach in diesem Zusammenhang von „urbanem Korporatismus“. Vergleichbar mit der Konfessionalisierung in den frühneuzeitlichen europäischen Staaten sei die politische und dogmatische Etablierung schiitischer, sunnitischer und ḫāriğitischer Observanzen nicht nur bei den Safawiden und Osmanen, sondern auch in einigen islamischen Regionalstaaten (Marokko, Jemen, Oman, Buchara) gewesen, die nicht selten mit verschärften sunnitisch-schiitischen Gegensätzen einherging. Die wichtige Rolle, die das sich seit dem 15. Jahrhundert formierende sufische Bruderschaftswesen mit seiner Prophetenfrömmigkeit für die Integration heterogener Anhängerschaften in soziale Netzwerke oberhalb von Familie und Clan spielte, lasse sich durchaus mit frühneuzeitlichen europäischen Frömmigkeitsbewegungen wie dem Pietismus oder katholischen Vereinigungen im Umfeld der Jesuiten vergleichen. Die Verbreitung des Persischen als beherrschender Verwaltungs- und Literatursprache der östlichen islamischen Welt, ebenso die Ausbildung und Verbreitung weiterer Reichs- und Regionalsprachen (Osmanisch, Tatarisch, Urdu, Malaiisch, Swahili, Haussa), die die Rolle des Arabischen vielfach einschränkten, laufe schließlich parallel zur Etablierung der europäischen Nationalsprachen neben und unterhalb des Lateins, die auch in Europa neue sprachliche Hegemonien hervorbrachte und mit einer politischen und kulturellen Regionalisierung einherging. Als Differenz zum europäischen Modernisierungsprozess betrachtete Reichmuth hingegen die unterschiedliche Konstellation von Staat und religiösen Institutionen, die für eine Entsprechung zur europäischen Trennung von Staat und Kirche kaum Ansatzpunkte bot. Als Hypothek für die Modernisierung stelle sich ihre obrigkeitliche Durchsetzung durch Militär und Bürokratie seit dem 19. Jahrhundert dar, die die Zivilgesellschaft und ihre Institutionen nachhaltig schwächte.

Als Fazit der Vorträge und der anschließenden lebhaften Diskussion kann festgehalten werden, dass globalgeschichtliche wie regionalgeschichtliche Perspektiven in der europäischen wie außereuropäischen Historiographie vor allem am Konzept der (Frühen) Neuzeit bzw. der (Früh-)Moderne und insofern an der zum Fünf-Perioden-Schema erweiterten Epochentrias offenbar nicht vorbeikommen. Alternativen sind durch einen Rückgriff auf indigene Geschichtstraditionen nicht zu gewinnen, da alle außereuropäischen Kulturen durch die frühneuzeitliche wirtschaftliche Globalisierung und die späteren imperialen und kolonialen Verflechtungen unwiderruflich mit Europa und Amerika verbunden und somit „modernisiert“ wurden. Die diesem Prozess inhärenten Wechselwirkungen sind jedoch nicht zu unterschätzen. Gerade die universal verbreitete und weitgehend akzeptierte geschichtswissenschaftliche Methodik europäischer Provenienz einerseits sowie die heuristische Verwendung des inzwischen historisierten „europäischen Narrativs“ entkräften dieses Narrativ selbst: Das Konzept der (Früh-)Moderne gestattet es nicht nur, Globalisierungsprozesse vor der kolonialen Expansion Europas zum Gegenstand der Forschung zu machen, sondern auch den westlichen Weg der Modernisierung als Referenzpunkt und Wertmaßstab in Frage zu stellen. In diesem Zusammenhang verwiesen alle Referenten zur außereuropäischen Geschichtsforschung auf das Potential von Shmuel N. Eisenstadts Konzept der multiple modernities, das zwar nicht auf den Gedanken des Fortschritts verzichtet, aber doch auch andere Entwicklungs- und Rationalitätskriterien anerkennt als die des europäischen Wegs zur Moderne.

Sektionsübersicht:

Christoph Marx (Duisburg/Essen): Einleitung und Leitung der Sektion

Justus Cobet (Duisburg/Essen): Zur Periodisierung des europäischen Narrativs

Angelika Malinar (Zuerich): Repräsentation historischen Wandels in indischen Quellen und die moderne Geschichtsschreibung

Stefan Reichmuth (Bochum): Die Frühe Neuzeit als kulturübergreifendes Konzept: die islamische Welt

Helwig Schmidt-Glintzer (Göttingen/Wolfenbüttel): Vergegenwärtigung der Geschichte oder Versorgung der Vergangenheit: Periodisierungsdebatten in China