HT 2004: Wege als Medium der Kommunikation zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean in der Antike

HT 2004: Wege als Medium der Kommunikation zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean in der Antike

Organisatoren
Andreas Luther
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.09.2004 - 16.09.2004
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Von
Udo Hartmann, Berlin

Der Raum zwischen dem Mittelmeer, dem Iran und Indien wurde im Altertum durch die Strukturen altorientalischer Großreiche, durch das Aufeinandertreffen von griechisch-römischer Zivilisation und iranischen Reichen sowie durch eine Vielfalt unterschiedlicher Kulturen im Fruchtbaren Halbmond zwischen Levante und Mesopotamien geprägt, die sich gegenseitig beeinflußten und vermischten. Die Sektion "Wege als Medium der Kommunikation zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean in der Antike" am 16. September 2004 stellte diese einzigartige Kontaktzone antiker Kulturen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Nahe Osten bietet dabei exzellente Voraussetzungen für eine Untersuchung des Themenkomplexes "Kommunikation und Raum" in der Antike. Zum einen charakterisiert diesen Großraum das Neben- und Miteinander verschiedenster Ethnien und Kulturen, Kleinstaaten und Großreiche über Jahrtausende, so daß sich hier sehr komplexe Möglichkeiten für einen kommunikativen Austausch ergaben. Zum anderen sind die Bedingungen für die Erforschung dieser Kontakte überaus günstig, da die alten Kulturen in Syrien, Mesopotamien und im Iran reiche schriftliche und archäologische Quellen hinterlassen haben.

In seinen einleitenden Worten skizzierte der Leiter der Sektion, Andreas Luther (FU Berlin), die übergreifende Zielstellung der Vorträge: eine exemplarische Untersuchung von Formen der Kommunikation und der Überwindung von Räumen im antiken Nahen Osten. Die Analyse der unterschiedlichen Formen der Kontakte und der Vielfalt der gegenseitigen Einflußnahme zwischen den Kulturen des Nahen Ostens und der griechisch-römischen Welt sollte in dieser Sektion an Hand einzelner Fallbeispiele erfolgen. Die Referenten, sämtlich Mitglieder der 1999 vom Kieler Althistoriker Josef Wiesehöfer ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe "Orient und Okzident", griffen dabei zwei Problemkomplexe heraus: zum einen die konkreten Wege, auf denen der Austausch sowohl innerhalb eines Großreiches als auch zwischen den Großreichen erfolgte, zum anderen den Informationsfluß und den Wissenstransfer zwischen der Mittelmeerwelt und dem Orient sowie die im Zuge dieser Kontakte entstandenen Bilder und Stereotypen über die Orientalen. Mit den Referaten sollte zugleich ein Einblick in die Arbeit der Gruppe "Orient und Okzident" gegeben werden, die durch eine fächerübergreifende Zusammenarbeit zwischen Althistorikern, Iranisten, Altorientalisten, Semitisten und Archäologen zu einem besseren Verständnis der Kulturkontakte im antiken Orient beitragen und zugleich die Bedeutung der östlichen Peripherie der Alten Welt verstärkt ins Bewußtsein der traditionell auf Griechenland und Rom konzentrierten Altertumswissenschaft rücken will.

Im ersten Vortrag veranschaulichte Reinhold Bichler (Innsbruck) am Beispiel des Topos vom "orientalischen Despotismus", wie sich in der griechischen Historiographie und Ethnographie die Vorstellungen vom Orient herausbildeten und festigten ("Der 'Orient' im Wechselspiel von Imagination und Erfahrung: Zum Typus der 'orientalischen Despotie'"). Minutiös zeichnete er dabei die schrittweise Ausprägung und Weiterentwicklung des Orientalen-Bildes von der archaischen Literatur bis in den Hellenismus und die frühe Kaiserzeit nach. Das Klischee vom orientalischen Despoten blieb, nachdem es einmal geprägt worden war, mit seinen einzelnen Aspekten (orientalischer Luxus, Dekadenz und Verweichlichung, Hof mit Haremswirtschaft, Brutalität des Königs usw.) trotz veränderter politischer Situation und intensiveren Kontakten zwischen der griechischen Welt und dem Orient konstant erhalten und bestimmte den Blick der Griechen nach Osten, wie Bichler dann auch in Diskussion noch einmal betonte. Durch die Kontakte mit dem Lyderreich in Kleinasien und die Eingliederung Ioniens in das persische Reich bildeten sich erste Formen eines Orientalen- und Perserbildes heraus. So findet sich in der archaischen Literatur bereits die Distanzierung vom orientalischen Luxus. Der Untergang des Lyderreiches wurde als einschneidende historische Zäsur empfunden. Im Zuge der Perserkriege entstand dann ein festgefügtes Bild des orientalischen Despoten. Ausführlich stellte Bichler die Aspekte dieses Bildes bei Aischylos und Herodot vor. Herodots Topoi über den persischen Hof gestaltete Ktesias in seinen Persika weiter aus. Sein Perserbild prägte die weitere griechische Literatur. Auch Isokrates und Platon strichen die Dekadenz und Schwäche der despotischen Monarchie heraus. Selbst Xenophon, der den Reichsgründer Kyros in seinem "Staatsroman" als Ideal-Herrscher stilisierte, mußte dem Klischee von der Dekadenz im Perserreich seiner Zeit Tribut zollen Die Alexanderhistoriker betonten die Gefahr des Sittenverfalls durch den Kontakt Alexanders und seines Heeres mit dem Orient. Nach dem Untergang des Achämenidenreiches blieben die Bilder vom orientalischen Despoten und vom dekadenten, verweichlichten Orient erhalten, sie wurden in angepaßter Form auf die Parther übertragen.

Die nächsten beiden Vorträge befaßten sich mit den konkreten Wegen, dem Straßennetz und der Handelsinfrastruktur im Orient. Hilmar Klinkott (Tübingen) untersuchte die Reichsstraßen der Perser ("Der 'Oberste Anweiser der Straße des Pharao Xerxes' und die Verwaltung der königlichen Reichsstraßen im Achaimenidenreich"). Einleitend hob Klinkott die große Bedeutung des staatlich organisierten Straßennetzes der Achämeniden für die Verwaltung und den Zusammenhalt des Großreiches hervor, weil dadurch weite Distanzen schnell überwunden werden konnten. Durch Boten wurde ein regelmäßiger Austausch zwischen den Königsresidenzen und den Satrapien gewährleistet. Während die griechischen Autoren über den Verlauf, den Ausbau und die Verwaltung der Straßen berichten, informieren die Tontafelarchive aus Persepolis in erster Linie über den Botenverkehr und das Nachrichtenwesen der Achämeniden. Zur Organisation und Instandhaltung dieser Kommunikationswege wußte man aber bislang nur wenig. Klinkotts Neulesung eines ägyptischen Stelenfragments aus der Achämenidenzeit, dessen detaillierte Analyse dann im Zentrum des Vortrages stand, erlaubt nun genauere Aussagen über die Organisation und bestätigt eine Nachricht über die persische Straßenaufsicht bei Herodot. Auf dem Stein findet sich neben schlecht erhaltenen altpersischen, babylonischen und elamischen Passagen auch ein Hieroglyphentext, für den Klinkott folgende Lesung vorschlägt: "der Chithravahush, der Oberste Anweiser, d.h. der oberste Chef, der Straßen des Pharao Xerxes." Dieser "Oberste Anweiser der Straße des Pharao Xerxes" war als zentraler Beamter in Ägypten für die Organisation des Nachrichtenwesens und für die Instandhaltung des Straßennetzes zuständig. Klinkott zeigte das hohe Maß an zentraler Organisation der Kommunikationswege im Achämenidenreich auf. In der Diskussion wurden aber auch die Grenzen unserer Kenntnis zu den Reichsstraßen deutlich: Weder über die Nutzung der Straßen für den Fernhandel noch über eine Pflasterung als monumentalisierte Repräsentation des Reiches können sichere Aussagen gemacht werden.

Der dritte Vortrag wandte sich dem Problem des Fernhandels zwischen dem Römischen Reich, Parthien und Indien zu. Andreas Luther ("Von Syrien nach Indien: Das Problem der Überwindung von Raum im Spiegel der palmyrenischen Karawaneninschriften") strich dabei die einzigartige Bedeutung der Inschriften aus der syrischen Oasenstadt Palmyra für die Kenntnis des römischen Fernhandels heraus. Kaufleute aus Palmyra waren zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert maßgeblich an der Organisation des Handels nach Parthien und Indien beteiligt. Über ihre Aktivitäten informieren knapp 40 Inschriften aus den Jahren 19 bis 264/66 n.Chr., zumeist Ehrungen für Fernhändler und Karawanenführer in palmyrenischer und griechischer Sprache, die von Kaufleuten aus Dank für die erwiesene Hilfe, etwa beim Schutz der Karawane gegen Überfälle von Räubern, gesetzt wurden. Luther stellte die Handelswege, die Organisation des Handels und die palmyrenischen Kontore in Parthien sowie die Seewege nach Indien vor. Besondere Aufmerksamkeit fanden die Aktivitäten der in Palmyra mit Inschriften geehrten "Auslandspalmyrener", die als Händler im Partherreich tätig waren, hier aber auch Funktionen in der Verwaltung einzelner Städte oder Vasallenkönigreiche wahrnahmen. Luther hob dabei vor allem die engen Kontakte zwischen Palmyra und den "Auslandspalmyrenern" hervor. Skeptisch beurteilte Luther die Möglichkeit, aus der Anzahl der Karawaneninschriften auf die Entwicklung des Handelsaufkommens zu schließen. So müsse das Fehlen von Inschriften nicht bedeuten, daß der Handel unterbrochen war. Lägen wie in der Zeit von 161 bis 193 oder zwischen 211 und 247 markante Lücken in der epigraphischen Überlieferung vor, könne dies auch heißen, daß der Handel reibungslos ablief und das Setzen von Inschriften als Danksagung für erwiesene Hilfe bei Gefahr nicht notwendig war. Ein Zusammenhang zwischen politischen Veränderungen an der Grenze (Partherkrieg unter Marc Aurel, Aufstieg der Sasaniden usw.) und Abbruch der Inschriften könne bestehen, lasse sich aber nicht sicher erweisen. In der Diskussion wurden vor allem Fragen zum Ablauf und zur Häufigkeit von Karawanenzügen besprochen.

Die Kulturkontakte zwischen dem spätantiken Römischen Reich und dem Sasanidenreich wurden von Udo Hartmann (HU Berlin) betrachtet ("Weg des Geistes. Formen des Gedankenaustauschs und der kulturellen Beeinflussung zwischen dem spätantiken Rom und dem Sasanidenreich"). Der Referent betonte eingangs, daß die Beziehungen zwischen Rom und Persien in erster Linie durch langwährende Konflikte gekennzeichnet waren. Am Beispiel des Perserexkurses des Ammianus Marcellinus zeigte er auf, daß das Bild der spätrömischen Eliten über die Sasaniden von jahrhundertealten Orientalentopoi geprägt war, sie also über kein tieferes Verständnis von Staat und Gesellschaft der Sasaniden verfügten. Dennoch stellte die römische Ostgrenze keinen "Eisernen Vorhang" des Wissens dar. Beide Großreiche waren vielmehr durch vielfältige diplomatische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen verbunden. Hartmann analysierte dann drei Bereiche der Kulturkontakte: den Transfer von Wissen über den gegnerischen Staat, von technischen Fertigkeiten sowie von religiösen und philosophischen Gedanken. Kenntnisse über die innere Verfaßtheit des Gegners gelangten vor allem durch Spione, Überläufer und Diplomaten an den Hof der anderen Macht. Neben diesen "hauptberuflichen" Informationsbeschaffern vermittelten auch politische und religiöse Flüchtlinge sowie Fernhändler Wissen über die Grenzen hinweg. Der Transfer handwerklicher und künstlerischer Fertigkeiten sowie technischer, medizinischer und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse blieb einseitig: Deportierte, Arbeitsmigranten und Ärzte brachten ihr Wissen nach Persien. In der Philosophie und der Religion gab es dagegen einen regen Gedankenaustausch in beiden Richtungen: Römische Rhetoren und Philosophen reisten nach Persien, Missionare religiöser Bewegungen überquerten die Grenzen in beiden Richtungen, Angehörige der Religionsgemeinschaften auf beiden Seiten der Grenze pflegten intensive Kontakte. Dennoch sei das Desinteresse und die Uninformiertheit der römischen Eliten erhalten geblieben, da diese Kontakte immer nur eine sehr kleine Minderheit betroffen hätten; die Mehrzahl der Römer hätten die Perser nur als Feinde kennengelernt. In der Diskussion wurden die teilweise recht regen Kontakte an den Grenzen in Friedenszeiten betont. Die spätantiken Autoren seien mit ihrer Darstellung, die auf die traditionelle Orientalentopik zurückgriff, der Erwartungshaltung der Leser entgegengekommen, die Römer hätten aber durchaus über umfangreiche Informationen verfügt. So wurde etwa das Detailwissen über das sasanidische Militär herausgestrichen. Hartmann blieb skeptisch, inwieweit die Quellen sichere Aussagen über das Rom-Bild der Sasaniden zulassen.

Abschließend wurden sowohl die intensive Kommunikation und der rege Austausch zwischen der Mittelmeerwelt und dem Orient unterstrichen, als auch die Konstanz der traditionellen stereotypen Bilder über den orientalischen Barbaren in der griechisch-römischen Welt von den Perserkriegen im 5. Jahrhundert v.Chr. bis zum Untergang des Sasanidenreiches im 7. Jahrhundert n.Chr. betont. Trotz der Kontakte bestimmten sie die Einstellung von Griechen und Römern zu den Nachbarn im Osten, die so letztlich immer Feinde und Barbaren blieben. In den Beiträgen wurde zudem die wichtige Rolle des Straßennetzes und der Handelsinfrastruktur für die Kommunikation innerhalb orientalischer Großreiche sowie zwischen der griechisch-römischen und der iranischen Welt hervorgehoben.

Die vier Vorträge konnten das Thema natürlich nicht erschöpfend behandeln. Ziel war es eher, Anregungen für weitere Überlegungen zu geben und Einzelstudien zu den Formen des Kontaktes und der Vielfalt der gegenseitigen Einflußnahme zwischen den Kulturen des Ostens und der griechisch-römischen Welt vorzustellen, um so diese in der althistorischen Forschung immer noch am Rande stehende Thematik stärker in den Blickpunkt des Interesses zu rücken. Wie wichtig diese Horizonterweiterung der Althistorie ist, zeigte sich auch in den Diskussion der Beiträge, die eher von sachlichen Nachfragen zu einzelnen Problemen als von kontroversen Auseinandersetzungen zu strittigen Themen gekennzeichnet waren. Die Beiträge der Sektion veranschaulichten die große Bedeutung der Untersuchung der Kontaktzonen zwischen Mittelmeerwelt und Orient für das Verständnis der griechisch-römischen Antike und den großen Gewinn, der aus der Analyse orientalischer Quellen gezogen werden kann. Sie zeigten auch die Notwendigkeit auf, die Genese und Persistenz stereotyper Bilder über den Orientalen zu analysieren, um so den Charakter der antiken Historiographie und Ethnographie besser zu erfassen. Die Geschichte der Griechen und Römer läßt sich letztlich nicht verstehen, ohne ihre Kommunikation und ihren Austausch mit der orientalischen Welt und den iranischen Reichen in den Blick zu nehmen.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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