HT 2004: Geschichtsprojekte in Schule und Hochschule – Theoretische Überlegungen und praktische Beispiele

HT 2004: Geschichtsprojekte in Schule und Hochschule – Theoretische Überlegungen und praktische Beispiele

Organisatoren
Reinhard Mischke
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2004 - 15.09.2004
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Von
Bericht von Olaf Hartung (Kiel)

Mit Bedacht auf das offensichtliche Missverhältnis zwischen der großen Anzahl an theoretischen Reflexionen zum Projektlernen einerseits und der häufig schwierigen und seltenen Projektpraxis im Schulalltag anderseits, haben die Veranstalter dieser ersten von insgesamt fünf geschichtsdidaktischen Sektionen des 45. Deutschen Historikertags ihren Schwerpunkt ganz bewusst auf die Praxis des Projektunterrichts gelegt. Heute, wo zumindest projektorientierte Lernformen in den meisten schulischen Lehrplänen Einzug gehalten haben, sollte es vor allem darum gehen, die bisherigen Erfahrungen - im Guten wie im Schlechten - zu sammeln, zu systematisieren und zu bewerten. Zugleich waren die vorgestellten praktischen Beispiele dazu geeignet, anderen Lehrern Mut zu machen, sich gemeinsam mit ihren Schülern an die Durchführung eigener Projekte heranzuwagen. Zu Wort kamen in dieser vom Geschichtslehrerverband Schleswig-Holstein verantworteten Sektion aber nicht nur projekterfahrene Geschichts- und Hochschullehrer; ebenso berichteten zwei Schüler und ein Student aus der Teilnehmerperspektive über ihre Projekterlebnisse. Dass die Schule nicht der einzige Ort für Projektlernen sein muss, sondern Projekte auch einen wichtigen Beitrag zur Studienreform leisten können, zeigt das Beispiel "Historiker in der Praxis" - ein Studienreformprojekt am Historischen Seminar der Universität zu Kiel. Durchaus konstitutiv für den Projektgedanken ist, den sonst eher eng umgrenzten Kommunikationsrahmen für schulisches Lernen zu überschreiten. Projektgruppen dürfen und sollen für das selbstständige Forschen und Lernen ihre Klassen- oder Seminarräume verlassen und in andere, außerschulische "Kommunikationsräume" eintreten. Was aber liegt bei Geschichtsprojekten näher, als ein Besuch im Museum oder Archiv? Dass sich diese Institutionen heute mehr und mehr auch für junge, noch nicht professionelle Nutzer öffnen und zudem über eine reichhaltige pädagogische Angebotspalette verfügen, davon konnten sich die ca. 100 Besucher der Sektion zumindest an zwei Beispielen überzeugen: die Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh und das zwar fernab von Deutschland gelegene aber didaktisch überaus eindrucksvolle Modell eines "Living History Museums" in Plymouth/USA.

In Anbetracht des wissenschaftlichen Diskussionsstandes zum Projektlernen 1 konnte es nicht verwundern, dass unter den Beiträgern der Sektion kein ausgewiesener Gegner des Projektgedankens zu finden war. Andererseits redete aber auch keiner der Referenten einer unbedingten Bevorzugung der Projektmethode das Wort. Es überwogen vielmehr die vorsichtigen Stimmen, die einerseits zu Recht die schwierigen Rahmenbedingungen für Projekte im Schulalltag in Rechnung gestellt wissen wollten und zum anderen nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen dieser Lern- und Arbeitsform reflektierten. Bereits im Eröffnungsbericht wies der Vorsitzende des Geschichtslehrerverbandes in Schleswig-Holstein, Reinhard Mischke, darauf hin, dass selbst wenn Projekte momentan "in" seien, es nicht darum gehen könne, eine Methode zu verabsolutieren. Projekte seien nicht per se den anderen Lernmethoden überlegen. Angesichts fehlender empirischer Untersuchungen zur Lernprogression von Projekten ließe sich eine solche Aussage auch nicht seriös belegen.

Der Kieler Hochschullehrer für Geschichtsdidaktik Karl Heinrich Pohl widmet sich in seinem Beitrag der Bedeutung und Leistungsfähigkeit von Projekten für die Disziplin Geschichte. Idealtypisch gesehen bedeutet die Anwendung der Projektmethode, dass die Gegenwartsfragen der Lernenden in den Mittelpunkt des Unterrichts gestellt und mit einem fächerübergreifenden Ansatz bearbeitet werden. Wesentliche Merkmale von Projekten seien aber nicht nur die Schülerorientierung und der interdisziplinäre Ansatz, sondern besonders auch die Steuerung des Lernens durch die Lernenden selbst. Die Arbeit an selbst gewählten Themen und die Mitbestimmung bei der Organisation des eigenen Lernprozesses können den Schülern nicht nur deutlich mehr Lernspaß als im herkömmlichen Unterricht bereiten, sondern darüber hinaus auch ihre Leistungsbereitschaft fördern. Ferner ziele der praktische Gebrauchswert eines Projekts auf eine - wenn auch zumeist nur kleine - Veränderung der gesellschaftlichen Praxis, so dass einem ‚richtigen' Projekt auch immer eine gewisse Ernsthaftigkeit innewohne. An dieser Stelle kann Pohl direkt überleiten zu den spezifischen Möglichkeiten der Projektmethode für das Fach Geschichte. Wer nämlich Geschichte nicht als Selbstzweck, sondern auch zur Orientierung in der Gegenwart und für die Verbesserung der Zukunft betreiben will, wer also den Gegenwartsbezug von Geschichte ernst nimmt, der findet im Projekt mit seinem "interessenbezogenen, auf Ernsthaftigkeit und gesellschaftliche Relevanz abzielenden Ansatz, sowie einer auf Demokratisierung von Schule und Gesellschaft abzielenden Intention" eine besonders geeignete Form für historisches Lernen. Auch die Einübung von spezifisch historischen Denkakten und Verfahrensweisen durch die selbstständige historische "Beantwortung" der eigenen Gegenwartsfragen führe die Schüler direkt ins Zentrum geschichtswissenschaftlicher Arbeit. Was ist aber zu tun, wenn die Schüler und Studenten noch nicht über die notwendigen Kompetenzen zum selbstbestimmten Lernen verfügen und ihnen mangels Motivation ihr Interesse erst verordnet werden muss? In solchen Fällen möchte Pohl nicht völlig auf die Steuerung durch den Lehrer verzichten. Da ein idealtypischer Projektunterricht zudem die heutige Normalform von Unterricht und Schule grundsätzlich infrage stellen würde, plädiert Pohl für einen modifizierten - man könnte auch sagen: abgeschwächten - Projektgedanken. In einem solchen Unterricht tragen die Lehrenden weiterhin die Verantwortung für eine "vernünftige" Selbstplanung der Lernenden, bleibt die Freiheit der Themenwahl begrenzt und gilt das Projektlernen nicht als die einzige Lernform.

Das von dem Kieler Dozenten Thomas Hill und dem Studenten Ole Hagemann vorgestellte Studienreformprojekt "Historiker in der Praxis" (HIP) - angesiedelt an der Professur für Geschichtsdidaktik II von Pohl - kann als Beispiel für die Umsetzung eines solchen modifizierten Projektgedankens angesehen werden. Ziel von HIP ist ein stärkerer berufspraktischer Bezug des Geschichtsstudiums und eine Verbesserung der Chancen der Studierenden auf dem Arbeitsmarkt. Studierende führen mit Unterstützung von HIP für und mit außeruniversitären Partnern aus den Bereichen Kultur, Bildung, Tourismus, Journalismus und Wirtschaft die unterschiedlichsten Projekte durch, an deren Ende stets die Anfertigung eines Produktes steht. Hierbei lernen sie vor allem eine berufsbezogene Anwendung bzw. Umsetzung ihres historischen Fachwissens, aber besonders auch das zielorientierte Arbeiten in einem Projektteam. Herausgekommen sind bereits eine stattliche Zahl von kleinen eigenen Ausstellungen und die Betreuung von Wanderausstellungen. Weitere Projektarbeiten waren die Erstellung von Ortschroniken und Klostergeschichten, die touristische Erschließung eines alten, geschichtlich bedeutsamen Weges, die Erstellung mehrerer Internetportale sowie die Anfertigung einer Art historischer Collage zu den olympischen Segelwettkämpfen 1936 in Kiel. Ole Hagemann, der am letztgenannten Projekt mitgearbeitet hat, berichtet von der hohen Motivation der Projektteilnehmer, die sich zum Ziel gesetzt hatten, der Öffentlichkeit einen zeitgenössischen Film zusammen mit einem Vortrag zum historischen Entstehungskontext zu präsentieren. Die zur Realisierung dieses Ziels notwendigen Schritte von der Informationsbeschaffung bis zur zielgruppenorientierten Präsentation haben mindestens so viel Arbeitszeit in Anspruch genommen, wie für die Abfassung einer herkömmlichen Hausarbeit notwendig gewesen wäre; jedoch war die selbst gewählte Zielsetzung derart motivierend, dass das Lernen solcher Dinge wie Archivarbeit, didaktische Konzeptualisierung und die Anwendung von Präsentationstechniken quasi im ‚Vorbeigehen' erfolgte. Zudem zeige die Zusammenarbeit mit Verlagen, Museen und Tourismusunternehmen, dass die projektorientierte Methode nicht selten der in diesen Berufsfeldern vorherrschenden Arbeitsweise entspricht. Auch aus diesem Grund leisten die HIP-Projekte einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung der Studierenden auf die spätere Berufspraxis.

Das erste schulische Praxisbeispiel kommt aus der Realschule Lübeck-Moisling. Dort haben Schüler unter der Leitung von Michael Kiss in einem Projekt zu technischen Kulturdenkmälern gearbeitet. Ziel dieses im Rahmen von "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" durchgeführten Projekts war die Erforschung der Geschichte der Brücken über den Elbe-Lübeck-Kanal und deren Präsentation in Form von Plakaten, "PowerPoint"-Folien und eines kleinen Reiseführers. Kiss geht es in seinem Beitrag vor allem um eine Systematisierung der bei Durchführung von Schülerprojekten zu berücksichtigenden Ablauforganisation sowie um die Warnung vor möglichen Stolpersteinen. Im Stadium der Projektvorbereitung seien besonders die Zeitplanung, Budgetkontrolle und Leistungskontrolle von entscheidender Bedeutung, wohingegen in der Phase der Projektdurchführung die zumeist nachlassende Motivation der Schüler, das Erlernen neuer für das Projekt notwendiger Kompetenzen und die gruppendynamischen Prozesse als besondere Problemfelder zu berücksichtigen seien. So hatten die Schüler beispielsweise nicht nur Schwierigkeiten, ihre Leistungen angemessen zu beurteilen, sondern waren auch bei der Quellenarbeit häufig nicht in der Lage, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. Das größte Problem ergab sich aber im Hinblick auf den bereits von Pohl angeführten Aspekt des selbsttätigen bzw. mitbestimmten Lernens. Es gelang hier kaum, die Schüler zu einem über den Unterricht hinaus gehenden Engagement zu motivieren. Schlimmer noch: Projektteilnehmer, die nur dabei waren, weil sie nichts Besseres gefunden hatten, erwiesen sich sogar als "Bremser" und ließen "die Durchführung zu einem einzigen Hindernislauf werden". Auch wenn das Projekt am Ende dank der enormen Kraftanstrengung des Lehrers durchaus beeindruckende Ergebnisse gezeitigt hatte, zeigte sich hier doch, dass es ohne freiwilliges Engagement der Schüler kaum geht.

Das zweite Praxisbeispiel aus der Schule wurde von Ralf-Gunnar Rathlau, Lehrer am Carl-Maria-von-Weber-Gymnasium in Eutin, und zwei seiner ehemaligen Schüler, Sarah Scheffer und Malte Kröger, vorgestellt. Der Titel des von Schülern eines Leistungskurses der 13. Jahrgangsstufe im letzten Schuljahr bearbeiteten Geschichtsprojekts lautete "Bismarck als Mythos" und verweist auf den rezeptionsgeschichtlichen Ansatz des Themas. Da die Schüler bereits in der Unterprima intensiv zur Ära Bismarcks gearbeitet hatten, waren sie zu Beginn des Projekts bereits gut auf die gestellte Aufgabe vorbereitet. Um nun den Bismarck-Kult zu untersuchen, unterteilten die Schüler das Thema in insgesamt neun verschiedene Bereiche, wie beispielsweise die "Dropping the Pilot"-Adaption, die Bismarck-Denkmäler, die Bismarck-Historiografie oder die Bismarck-Postkarten. Die Arbeit in den einzelnen Projektphasen bereitete dann je nach Aufgabenstellung ganz unterschiedliche Schwierigkeiten. Die Materialrecherche stellte sich Dank der Unterstützung durch die Bismarckstiftung in Friedrichsruh als eine leichter zu lösende Aufgabe dar. Größere Schwierigkeiten bereitete hingegen die schriftliche Ausarbeitung der Ergebnisse, die vor allem in der Freizeit geleistet wurde. Auch der Umgang mit PowerPoint wurde keineswegs schon vor dem Projekt von allen Schülern beherrscht, so dass für die Präsentation auch diese Kompetenzen erst noch erlernt werden mussten. Die Zusammenführung aller Gruppenergebnisse auf einer CD-ROM konnten schließlich nur noch zwei "Spezialisten" leisten. Rückblickend kann Sarah Scheffer nicht mehr genau sagen, ob sie sich auch für die Projektarbeit entschieden hätte, wenn sie die Wahl gehabt hätte. Trotz der großen Freizeitopfer und mancher Motivationstiefs ist sie aber heute froh über ihre Teilnahme. Schließlich hat sie nicht nur gelernt, sich forschend mit historischen Quellen auseinanderzusetzen und die Ergebnisse in einer größeren schriftlichen Arbeit darzustellen, sondern auch größere Sicherheit in Bezug auf ihre Studienwahl gewonnen. Sarah studiert heute u. a. Geschichte für das Lehramt an Gymnasien.

Das dritte und letzte schulische Praxisbeispiel ist ein Projekt zur Schifffahrt der Hanse und wurde von einer siebten Klasse des Ellensee-Gymnasiums in Quickborn erarbeitet. Unter der Leitung von Martin Krotz sollten die Schüler in einem fächerübergreifenden Unterricht eine große Wandkarte zu den Schifffahrtsrouten der Hanse erstellen. Im Geschichtsunterricht erforschten die Schüler anhand vorgegebener Medien (schriftliche Quellen, Film, Fachbücher, Zeitschriften, Bilder) die Daten zu den einzelnen Handelswegen, in Erdkunde überlegten sie, wie die Ergebnisse in Form einer Karte umgesetzt werden können, und im Kunstunterricht wurde die Karte schließlich gemalt. Dies geschah in insgesamt vier Projektgruppen, die die Bereiche Städte, Waren und Kontore, Kartenlegende sowie Handelswege und Navigation bearbeiteten. Probleme bei der Durchführung des Projekts ergaben sich aus mehreren Gründen. So ließ sich das Arbeitspensum in den einzelnen Gruppen nicht gleichmäßig verteilen oder es entstand Leerlauf bei den Gruppen, die auf die Ergebnisse anderer Gruppen warten mussten. Auch die "Informationsüberflutung" zum Thema durch das Internet und z. T. durch andere Kollegen behinderte die in der Karte angestrebte didaktische Reduktion. Zuletzt hatte beinahe auch noch ein unvorhergesehener Unterrichtsausfall im Fach Kunst den Abschluss des gesamten Projekts gefährdet. Die gewollte Kooperation der Fächer scheint hier nicht nur hinsichtlich der Koordination der Lernziele Schwierigkeiten zu bereiten, sondern auch noch das Risiko des Scheiterns zu vergrößern.

Die Referentin des letzten Beitrags der Sektion überschritt nicht nur die Grenzen des Lernorts Schule, sondern auch gleich die des Kontinents. Das Thema der zurzeit in Washington forschenden Historikerin Simone Lässig sind die rund 700 "Living History Museen" in Nordamerika, die sich dort auch bei Geschichtslehrern und Schülern großer Beliebtheit erfreuen. Am Beispiel der "Plimoth-Plantation" in Massachusetts, die das alltägliche Leben der einstigen "Pilgerväter" zu simulieren versucht, untersucht Lässig die Potenziale von "gelebter Geschichte" für ein forschungsorientiertes Lernen. Bieten "Living History Museen" tatsächlich eine Chance, Geschichte als Wissenschaft zu erleben oder handelt es sich hierbei doch nur um ein historisches Spektakel, einem Disneyland, wie auch ein in Deutschland häufig erhobener Vorwurf lautet? Die Rekonstruktion der 1620 von den ersten "Pilgervätern" gegründeten Siedlung erfolgte tatsächlich kaum nach fiktionalen Gesichtspunkten, sondern auf Grundlage der überlieferten sozial- und kulturgeschichtlichen Quellen. Dabei bildeten die Kuratoren aber nicht nur Häuser, Zäune und Felder nach, sondern zugleich auch den sozialen Kontext, angefangen bei der täglichen Arbeit, über den Nachbarschaftsstreit bis zur religiösen Praxis. Selbst die unangenehmen Seiten des Siedlungslebens, wie Schmutz und Gestank, wurden simuliert. Belebt wird diese Form der Geschichtsdarbietung durch so genannte "First-Person-Interpreter". Diese zeitgenössisch gekleideten und hervorragend ausgebildeten Bewohner der Siedlung schlüpfen in die Rollen historischer Personen und dienen den Besuchern als Informationsquelle. Doch nicht nur die "weiße" Perspektive kommt in Plimoth zur Sprache. Unweit des "colonial village" findet sich eine ebenfalls genau rekonstruierte Siedlung; diesmal aber mit den Menschen, die dort vor den "Pilgervätern" gelebt hatten. In "Hobbamock's homesite" lernen die Besucher eine Sicht kennen, die der sonst so vertrauten Deutung von den "Pilgrims" als fromme, tapfere und "moralisch integre Gründungsväter" in vielem widerspricht. Nicht zuletzt wegen dieses multiperspektivischen Zugriffs auf die Geschichte sieht Lässig in "Plimoth Plantation" ein gelungenes Beispiel für einen forschungsorientierten Geschichtslernort. Wesentliche Schlüsselbegriffe für ein projektorientiertes Lernen kämen hier zum Tragen: Kommunikation, Aktivität und Partizipation, Neugier, Experiment und Entdeckung, Multiperspektivität, Pluralität und Kontroversität. Selbst neuere Ansätze in der historischen Forschung, wie die zur Mentalitäts-, Familien- und Geschlechtergeschichte oder zur historischen Anthropologie und Umweltgeschichte, werden aufgegriffen. Des Weiteren seien die meisten "Living History Museen" hinsichtlich ihrer motivierenden Wirkung auf die Schüler kaum von anderen Formen der Geschichtsvermittlung zu übertreffen. Soweit zu den positiven Eigenschaften. Als problematisch sieht Lässig neben den hohen Kosten vor allem die Gefahr, dass der Grenzstreifen zwischen seriöser Geschichtsaneignung einerseits und Populismus, Trivialisierung und Kommerzialisierung von Geschichte andererseits bisweilen recht schmal ausfallen kann. Dort jedoch, wo es den Kuratoren gelingt, diese Grenze einzuhalten, böten die Museen die Möglichkeit zur aktiven und selbstbestimmten Auseinandersetzung mit Geschichte auf hohem Niveau, die weit über das hinausgeht, was klassische Ausstellungen oder Bücher sonst leisten können.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Projekte im Sinne der "reinen" Lehre nicht nur eine eher seltene Spezies zu sein scheinen, sondern von Seiten der meisten Pädagogen und Didaktiker auch gar nicht als die bessere Lehr-Lernform angesehen werden. Statt Projektunterricht dominieren projektorientierte Methoden oder eine Kombination aus Lehrgang und Projekt (Pohl) die Praxis. Auch resultieren die Themen der Projekte nicht unbedingt aus den Gegenwartsfragen der Schüler, sondern entstammen - was nicht überraschen kann - dem Lehrplan. Und in Punkto Selbstbestimmungsrechte der Schüler scheinen die Grenzen doch auch oft enger zu liegen, als dies in der Theorie für richtig gehalten wird. In den Diskussionsrunden stellte sich dann auch die Frage, wie denn der bei "Dienstprojekten" offensichtliche Widerspruch einer verordneten Freiwilligkeit aufzuheben sei. Hilft hier tatsächlich nur das "modifizierte" Projektmodell von Pohl weiter, oder wäre es nicht sinnvoller und notwendig, das Projektmethodenlernen selbst zu vertiefen? Weitgehende Zustimmung erhielt die im Publikum geäußerte Auffassung, dass die für eine erfolgreiche Durchführung von Projekten notwendige Motivation nur sichergestellt werden kann, wenn sich die Projektgruppen inhaltlich frei entscheiden dürfen. Eine Diskussion über die Potenziale des Projektlernens in Zusammenhang mit den aktuellen Schul- und Studienreformen wurde in dieser Sektion leider nicht mehr geführt.

Anmerkungen:

1 Vgl. die Beiträge in: Thomas Hill; Karl Heinrich Pohl (Hgg.), Projekte in Schule und Hochschule. Das Beispiel Geschichte, Bielefeld 2002.

http://www.historikertag.uni-kiel.de/
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