Bildung, Wissenschaft und Geschlecht

Wobbe, Theresa (Hrsg.): Frauen in Akademie und Wissenschaft. Arbeitsorte und Forschungspraktiken 1700–2000. Berlin 2002 : Akademie Verlag, ISBN 3-05-003639-7 237 S. € 49,80

Geißel, Brigitte; Seemann, Birgit (Hrsg.): Bildungspolitik und Geschlecht. Ein europäischer Vergleich. Opladen 2001 : Leske + Budrich Verlag, ISBN 3-8100-3084-8 203 S. € 15,50

: Ich stehe in der Sonne und fühle, wie meine Flügel wachsen.... Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität von 1900 bis in die Gegenwart. Königstein/Ts. 2002 : Ulrike Helmer Verlag, ISBN 3-89741-117-2 384 S., 90 Abb. € 28,00

: Akademikerinnen in der Nachkriegszeit. Ein Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Frankfurt am Main 2002 : Campus Verlag, ISBN 3-593-37131-6 427 S. € 49,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sigrid Dauks, Institut für Geschichte, Universität Bremen

1. Frauen in Akademie und Wissenschaft

Vor drei Jahren feierte die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften ihr 300-jähriges Bestehen. Dieses Jubiläum nahm der Arbeitskreis „Frauen in Akademie und Wissenschaft“ zum Anlass, ein Forschungsprojekt zum Thema „Wandel von Wissenschaft und Geschlechterordnung“ durchzuführen. Erstmalig sollte die Geschichte der Akademie in ihrer geschlechtergeschichtlichen Perspektive reflektiert werden, mit dem Ziel, „die ungleiche und ungleichzeitige Einbeziehung der Geschlechter in das Wissenschaftssystem zum Ausgangspunkt“ (S. VII) zu nehmen. Damit verbunden war die weitergehende zentrale Frage, „in welchem Wechselverhältnis Veränderungen der Wissenschaft und Verschiebungen in der Geschlechterordnung zu einander stehen“ (S. 4). Den gemeinsamen Bezugsrahmen für die Einzelstudien des Forschungsprojektes bildete die Praxis wissenschaftlichen Arbeitens; das heißt Arbeitsorte, Arbeitsorganisation und Arbeitsweisen von Wissenschaft wurden in den Blick genommen und hinsichtlich der Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen untersucht. Die äußerst spannenden Ergebnisse dieser Forschungen wurden im vergangenen Jahr publiziert.

Die sechs Autorinnen nähern sich dem Arbeitsfeld Wissenschaft von unterschiedlichen historischen Zeitpunkten aus, die zwischen dem 17. und 21. Jahrhundert liegen. Es handelt sich dabei um Sequenzen des Übergangs, an denen sich, so die Herausgeberin Theresa Wobbe, besonders gut Wechsel und Umbrüche im Wissenschaftssystem und in der Geschlechterordnung ausmachen lassen. Gleichzeitig erlaube der Zeitraum von 300 Jahren, langfristige gesellschaftliche Veränderungen in den Blick zu nehmen. Das Projekt orientiere sich daher konzeptionell an der Beschreibungsebene der longue durée, die es ermögliche, nach Kontinuitäten und Wandel in der Organisation wissenschaftlichen Arbeitens und der Integration der Geschlechter in die Wissenschaft zu fragen.

Das Buch beginnt mit vier Studien zur Organisation des wissenschaftlichen Arbeitens an der Berliner bzw. später Preußischen Akademie der Wissenschaften zwischen 1700 und 1945. Die Autorinnen führen die LeserInnen an verschiedene Orten des Forschens und Wissens in Berlin: den frühneuzeitlichen Gelehrtenhaushalt der Astronomenfamilie Kirch (Monika Mommertz), das „offene Haus“ der Philologen Jacob und Wilhelm Grimm (Ina Lelke) und die Akademie der Wissenschaften und ihre Unternehmungen (Petra Hoffmann, Gerdien Jonker). Bei diesem Streifzug gerät natürlich auch die Friedrich-Wilhelms-Universität in den Blick.

Im zweiten Teil des Buches werden die Berufs- und Karrierechancen von Frauen im Fach Chemie am Beispiel der Laborassistenz zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Britta Görs), sowie im Fach Biologie seit 1945 (Annemarie Lüchauer) verfolgt.

1.1 Orte des Wissens und Arbeitens

Monika Mommertz untersucht in ihrem Beitrag „Schattenökonomie der Wissenschaft“ die Veränderungen in der Geschlechterordnung und in den Arbeitssystemen in der Astronomie im 18. Jahrhundert. Am Beispiel der Berliner Astronomenfamilie Kirch stellt sie die Arbeitsorganisation in einem frühneuzeitlichen Gelehrtenhaushalt als komplexe Lebens-, Arbeits-, Wirtschaftsform dar, und zeichnet Veränderungen nach, die sich durch die Verlegung der Observation an die Akademie der Wissenschaft um 1706/1711 ergaben. Dabei gilt ihr Hauptaugenmerk den Aufgaben, Funktionen und Leistungen der Frauen dieser Familie in den verschiedenen Arbeitszusammenhängen, und sie fragt nach deren Bedeutung für die Ökonomie der Wissenschaft. Mommertz knüpft damit an Forschungen der Historikerin Londa Schiebinger über die Astronomin Maria Winkelmann-Kirch an 1, und geht gleichzeitig über sie hinaus, indem sie die Lebens- und Arbeitswege der Töchter Christine und Marie Kirch weiterverfolgt. Außerdem stellt sie dem „Wendepunktmodell“ von Schiebinger ein „Phasenmodell“ gegenüber, das es erlaube, Veränderungen in „der Zusammenarbeit in den verschiedenen Haushaltstypen der Familie Winkelmann-Kirch vor und während ihrer Anbindung an die Berliner Akademie“ herauszuarbeiten“ (S. 34).

Durch dieses Vorgehen wird deutlich, dass die Verlagerung der Observation aus dem Familienverband an die Akademie keine abrupte Trennung vom Gelehrtenhaushalt zur Folge hatte und der Ausschluss von Frauen nur allmählich erfolgte. Die Berliner Akademie konnte aus ökonomischen Gründen auf die Leistungen der Kirch-Frauen, vor allem der Töchter Christine und Maria, lange nicht verzichten. Sie unterstützten zuerst gemeinsam mit der Mutter den Vater, Gottfried Kirch, und anschließend den Bruder, Christfried Kirch, in deren Amt als königliche Observatoren, und ab 1740 führten sie diese Aufgabe sogar über viele Jahre selbständig und erfolgreich aus. Der Haushalt der Kirch-Familie und die Akademie der Wissenschaften bildeten, so Mommertz’ Fazit, fast während des gesamten 18. Jahrhunderts zwei getrennte, aber eng miteinander verwobene Arbeitssysteme. Allerdings versuchte die Akademie, die Mitarbeit der Frauen und ihren Einfluss auf die wissenschaftliche Arbeit zu negieren und für die Öffentlichkeit unsichtbar zu machen. Hierin liegt ihres Erachtens auch die Besonderheit der wissenschaftlichen Tätigkeit von Frauen im Übergang vom Haushalt zur Akademie: „Es handelt sich hier um Formen der Einbeziehung der Frauen trotz Ausgrenzung, um Formen der Mitarbeit der Frauen, die an Ausschluss gekoppelt sind.“ (S. 58) Mit ihren Forschungsergebnissen modifiziert Mommertz das bisherige Bild über den Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft durch Institutionalisierung (Schiebinger) und fordert zu weiteren komperativen Forschungen auf.

Auch Ina Lelke weist in ihrem Aufsatz über “Die Berliner Akademie der Wissenschaften und die ‚arbeitende Geselligkeit’“ nach, dass es noch weitere außerinstitutionelle Arbeits- und Lernorte gab, die für die Arbeitsökonomie von Akademie und Universität von großer Bedeutung waren, und an denen auch Frauen aktiv mitwirkten. Am Beispiel des Netzwerkes von sprach- und literaturwissenschaftlich interessierten und arbeitenden Männern und Frauen um das Philologenpaar Jacob und Wilhelm Grimm, stellt sie Formen des „geselligen Arbeitens“ im häuslichen Bereich vor, die in der Entstehungsphase der Disziplin Germanistik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr wichtig waren.

Der zentrale Ort der Brüder Grimm für ihre philologischen Studien und Forschungen war ihr Privathaus. Hier empfingen sie Gelehrte, Mitarbeiter und Studenten, um mit ihnen die eigenen Forschungsprojekte zu diskutieren, zu planen und die Arbeiten aufzuteilen. Hier veranstalteten sie aber auch gesellige Zirkel, die ebenfalls dem wissenschaftlichen Austausch dienten. Zu diesen regelmäßigen Treffen waren auch die Töchter und Ehefrauen der männlichen Gäste sowie andere weibliche Bekannte geladen. Einige dieser Frauen beteiligten sich darüber hinaus an den Forschungsarbeiten der Grimms, z.B. als Exerptorinnen für das Deutsche Wörterbuch. Die Grimms führten ein sogenanntes „offenes Haus“, in dem die private und die öffentliche Sphäre miteinander verschmolzen, und Frauen, „sofern sie zum näheren Familien- und Freundeskreis zählten, in den kulturellen Zusammenhang Wissenschaft einbezogen waren.“ (S. 77)

Im Falle der Brüder Grimm war das Gelingen dieses Projekts der „lebendigen Teilnahme“ (Jacob Grimm) und des „geselligen Arbeitens“ sogar maßgeblich durch eine Frau bestimmt: der Schriftstellerin Bettina von Arnim. Lelke beschreibt anschaulich, wie von Arnim als Gönnerin und Förderin der beiden Philologen dazu beitrug, diese an die Berliner Universität zu holen, ihnen vielfältige gesellschaftliche und wissenschaftliche Kontakte vermittelte und auf diese Weise zu Anerkennung verhalf. Für Bettina von Arnim hatte dieses Engagement und die Kontakte zur „disziplinären Gemeinschaft“ den Vorteil, dass ihre Bücher von der „Germanistenzunft“ überhaupt rezipiert und in den literaturwissenschaftlichen Seminaren behandelt wurden. (S. 79)

In ihrer Untersuchung macht Lelke aber auch deutlich, dass sich im Verlauf der Genese der Deutschen Philologie zu einer eigenständigen Disziplin Abgrenzungsmechanismen entwickelten, die zur Herausbildung hierarchischer Arbeits-, Wissens- und Kommunikationsstrukturen zwischen den geschulten Fachgelehrten und ihren nun als „Dilettanten“ bezeichneten nicht geschulten Mitarbeitern und Zuarbeiterinnen führten. Die „arbeitende Geselligkeit“ stellte zwar weiterhin eine wichtige Ressource für die wissenschaftliche Produktivität des Gelehrten dar, hatte aber nur noch den Charakter einer Hilfsstruktur. Für die in der Privatheit des „offenen Hauses“ arbeitenden Frauen bedeutet diese „Grenzziehung“ (S. 87), dass ihre Leistungen immer weniger sichtbar waren und kaum noch Anerkennung erfuhren. Gleichzeitig blieb ihnen der Zugang zu den öffentlichen Orten des Wissens (Akademie und Universität) versperrt.

Monika Mommertz und Ina Lelke zeigen auf, wie sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Haus, Akademie und Universität verschieben. Sie legen dar, daß dieser Vorgang mit „einer symbolischen Verschränkung von Männlichkeit und Wissenschaft“ (S. 14) einherging. Der Wechsel der Arbeitsstätten und die Neuorganisation der Arbeitsabläufe und -zusammenhänge war also eng verbunden mit „kulturellen Umbrüchen“, in denen neue Polaritäten zwischen Frauen und Männern und zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich formuliert wurden.

Petra Hoffmann und Gerdien Jonker befassen sich ebenfalls mit einer Umbruchphase im Wissenschaftssystem, nämlich mit der Ausweitung und Differenzierung der Disziplinen um 1900, jener Zeit also, als Frauen wieder in die Wissensgemeinschaft aufgenommen wurden. Beide untersuchen diesen Prozess am Beispiel der Unternehmungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften (PAW) und richten ihren Blick dabei vor allem auf die beteiligten Frauen und deren Forschungsbeitrag. Bei den Unternehmungen handelt es sich um große Forschungsprojekte, die der Grundlagenforschung dienten. Sie stellten eine neue Arbeitsform dar, denn an die Stelle bisheriger Einzelleistungen, die durch Veröffentlichungen und Vorträge dokumentiert wurden, trat die Teamarbeit. Die anvisierten Forschungsprojekte waren zu groß, als dass sie noch von einer einzigen Person bewältigt werden konnten und zeichneten sich durch Forschungsplanung, Arbeitsteilung und funktionale Spezialisierung aus.

Petra Hoffmann befasst sich in ihrem Beitrag mit den Frauen, die zwischen 1890 und 1945 als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Hilfskräfte, Bibliotheksangestellte und Bürokräfte sowie als Donatorinnen in den Unternehmungen der PAW tätig waren. Damit bietet sie erstmals „Innenansichten der Forschungsarbeit an der Akademie“ – so auch der Titel ihres Aufsatzes.

Die Studie beginnt mit einer kurzen Vorstellung der rund 80 Unternehmungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Anschließend erläutert Hoffmann die Mitarbeiterstruktur und schildert detailliert für drei Gruppen von Mitarbeiterinnen (Familienangehörige, mittlere Angestellte sowie Studentinnen und Wissenschaftlerinnen), wie diese Frauen für die Arbeit gewonnen wurden, über welche Qualifikationen sie verfügten, welche Tätigkeiten sie ausübten und welche Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten sich ihnen an der Akademie boten.

Frauen haben an der PAW im Sekretariat, der Bibliothek oder im Archiv gearbeitet, und dort je nach formaler und informaler Qualifikation unterschiedliche Funktionen eingenommen. Hierbei handelte es sich überwiegend um temporäre nichtwissenschaftliche Hilfs- bzw. Dienstleistungstätigkeiten, die oft aus dem bisherigen Zuständigkeitsbereich der Wissenschaftler herausgelöst und an die neuen Mitarbeiterinnen vergeben wurden, z.B. zeitaufwendige und eintönige Zettelsortierarbeiten. Diese Tätigkeiten eröffneten in der Regel keine Aufstiegs- und Entwicklungschancen.

Für die Wissenschaftlerinnen in den Unternehmungen stellt Hoffmann fest, dass sie keine neuen oder anderen Arbeiten als ihre männlichen Kollegen ausübten. „Aber die Mitarbeiterinnen [...] waren häufiger, länger oder ausschließlich mit wenig angesehenen, zumeist nichtselbständigen und schlechter bezahlten Tätigkeiten beschäftigt, wie Bibliographier- und Ordnungsarbeiten.“ (120) Derartige „Anfängerarbeiten“ wurden auch von Männern ausgeführt, diese begannen aber schneller selbständig wissenschaftlich zu arbeiten, z.B. Wörterbuchartikel zu verfassen. Außerdem erhielten und nutzten sie häufiger und schneller als die weiblichen Mitarbeiter die Chance, auf qualifiziertere und besser dotierte Positionen innerhalb eines Akademieprojektes aufzusteigen. Auch die Möglichkeit zu habilitieren und an die Hochschulen zu wechseln, stellte einen Karriereweg dar, der Frauen vor 1945 kaum offen stand.

Die Studie von Petra Hoffmann macht deutlich, dass die Einstellung von Frauen an der PAW eine Folge von Modernisierung und Verberuflichung war, die mit der zunehmenden Differenzierung und Spezialisierung im Wissenschaftssystem einherging. Nach der Jahrhundertwende waren sowohl in den wissenschaftlichen Unternehmungen als auch im Bereich der Verwaltung „klar definierte Berufspositionen entstanden, die mit ausgebildeten und durch (staatlich anerkannte) Abschlüsse ausgewiesenem Fachpersonal besetzt wurden.“ (S. 119) Frauen nahmen dabei zumeist die am unteren Ende der Arbeitshierarchie angesiedelten Posten ein.

Gerdien Jonker beschäftigt sich unter der Überschrift „Gelehrte Damen, Ehefrauen, Wissenschaftlerinnen“ mit den Mitarbeiterinnen in einer speziellen Abteilung der Preußischen Akademie der Wissenschaften, und zwar in der 1912 eingerichteten Orientalischen Kommission. In einem zweiten Schritt vergleicht sie die Berufschancen von Frauen in der Ägyptologie in Deutschland mit jenen in England und Großbritannien. Mit dieser Fragestellung verfolgt sie als einzige Autorin des Buches einen komparativen Ansatz.

Jonker beschreibt zunächst beispielhaft anhand des Wörterbuchs der Ägyptischen Sprache (WÄS) die Arbeitsorganisation und Arbeitsweise der historisch-philologischen Unternehmungen dieser Kommission, um anschließend die Tätigkeiten von Frauen in den Forschungsprojekten genauer zu betrachten und in das Arbeitssystem einzuordnen. Dieses zeichnete sich durch eine klare geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aus, die auch im Zuge der Spezialisierung und Professionalisierung der historischen Philologie aufrechterhalten und immer wieder neu hergestellt wurde: „Die Männer entdeckten, während die mechanischen Tätigkeiten der Ordnung, die später nicht mehr in der Form der Autorschaft repräsentiert werden, in der Regel von Frauen durchgeführt wurden.“ (S. 127)

Jonker unterscheidet die Zu- und Hilfsarbeiterinnen entsprechend ihrer Ausbildung, ihres Honorars und ihrer Tätigkeiten in vier Typen: die bibliografisch geschulten Damen, die gelehrten ‚Dilettantinnen’, die Ehefrau und die Studentinnen. Für jeden Typus stellt sie beispielhaft den beruflichen Werdegang mindestens einer Mitarbeiterin vor. Dabei wird erkennbar, dass auch bei der Orientalischen Kommission die Mitarbeit weiblicher Familienangehöriger bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine wesentliche Rolle bei der Durchführung der Unternehmungen spielte. Die Gruppe der Wissenschaftlerinnen wurde in dieser Kommission bis 1945 nur durch eine einzige Frau vertreten, Dr. Annemarie von Gabain. Ihr gelang es, aufgrund ihrer Spezialkenntnisse der chinesischen und türkischen Sprachen an der PAW Karriere zu machen.

Als ein Ergebnis hält Jonker unter anderem fest, „daß die Mitarbeit von Frauen, die Anerkennung ihrer Leistung, der Verbleib oder gar der Aufstieg im Unternehmen von der Spezialisierung und Professionalisierung der einzelnen Philologie abhängig war“ (S. 149).

Im zweiten Teil ihres Aufsatzes arbeitet sie zunächst die Unterschiede im Wissenschafts- und Berufsverständnis der deutschen und englischen Ägyptologen vor allem hinsichtlich der vorgenommenen Differenzierung in Dilettanten und Spezialisten heraus. Anschließend stellt sie die Berufsbiografien zweier englischer und einer US-amerikanische Philologin vor: Margaret Murray, Bertha Porter und Caroline Louise Williams, und zeigt auf, das deren Mitarbeit am WÄS wesentlich engere Grenzen gesetzt waren als in vergleichbaren Projekten in ihren Herkunftsländern. Jonker führt dies vor allem auf „kulturelle Unterschiede im Wissenschaftsverständnis zurück“ (S. 162).

1.2. Disziplinen als Arbeitskontexte

Im Mittelpunkt des zweiten Teils des Buches steht nicht mehr die wissenschaftliche Arbeit von Frauen in der Akademie bzw. in ihrem Umfeld, sondern in zwei naturwissenschaftlichen Disziplinen: der Chemie und der Biologie.

Britta Görs untersucht in ihrem Beitrag mit dem Titel „Die chemisch-technische Assistenz“ die Entstehung neuer Berufsfelder im Fach Chemie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In dieser Disziplin fand ähnlich wie in den anderen Natur- und Technikwissenschaften ein inner- und außeruniversitärer Prozess der Differenzierung und Spezialisierung statt, der neue berufliche Möglichkeiten für Frauen schuf. In der Chemie veränderten sich vor allem die anwendungs- und industriebezogenen Bereiche stetig. Görs zeichnet diesen Prozess nach und stellt den neu entstehenden Beruf der Laborassistentin bzw. Chemotechnikerin vor, der den Labordiener ablöste und neben die promovierte Chemikerin trat. Ihr Augenmerk liegt dabei auf der Ausbildung der chemisch-technischen Hilfskräfte. Diese erfolgte nicht an der Universität, sondern an eigens dafür eingerichteten Lehranstalten, die mit einem Mittelschulabschluss besucht werden konnten. Görs stellt verschiedene Chemieschulen vor und arbeitet Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Organisation und den Inhalten der Ausbildung sowie der Anerkennung der erworbenen Abschlüsse heraus. Dabei wird auch deutlich, dass sich je nach Berufsziel unterschiedliche Ausbildungswege und -orte herausbildeten, die an das Geschlecht der Auszubildenden gekoppelt waren. „Männer und Frauen erhielten vielleicht die gleiche bzw. eine vergleichbare Qualifikation, aber sie wurden in unterschiedlichen Kontexten ausgebildet.“ (S. 190) Die geschlechtsspezifisch regulierten Zugangsmöglichkeiten von Frauen und Männern zu den chemisch-technischen Berufen weisen darüber hinaus auf einen geschlechtlich segmentierten Arbeitsmarkt hin.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die Berufs- und Karrierebedingungen für Frauen in der Wissenschaft aufgrund der Bildungsexpansion und des Ausbaus der Universitäten erneut gewandelt. Annemarie Lüchauer untersucht in ihrem Beitrag Arbeitssysteme im Fach Biologie hinsichtlich der Karrieremöglichkeiten von Frauen. Dabei interessiert es sie vor allem, welche Erfahrungen der beruflichen Integration Biologinnen seit 1945 gemacht haben. Sie hat daher mit Wissenschaftlerinnen unterschiedlichen Alters aus vier Subdisziplinen (Genetik, Molekularbiologie, Ökologie und Botanik) Interviews über Karriereverlauf, individuelle Aufstiegschancen und den Karrieremustern des jeweiligen Fachgebiets geführt. Für den vorliegenden Beitrag hat sie diese Gespräche hinsichtlich der Kriterien Publikationen, Berufspositionen (Zugang, Netzwerke, Kooperation und Konkurrenz) sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgewertet. Bevor Lüchauer die Erfahrungen und Erlebnisse der Biologinnen darstellt, führt sie kurz in die Spezifik von Wissenschaftskarrieren ein.

Aus der Fülle der Ergebnisse möchte ich zumindest eines nennen. Als wesentlichen Karrierefaktor haben die Wissenschaftlerinnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf genannt. „Die Gleichzeitigkeit und Langwierigkeit von Qualifikation und Berufsausübung bis zur Professur, die Mobilitätsanforderung und das Erfordernis der Anpassung an die so genannte männliche Normalbiographie belasten Frauen bzw. Mütter mehr als Väter.“ (S. 223) Im Gegensatz zu den älteren Biologinnen (vor 1945 geborenen) sind die jüngeren Wissenschaftlerinnen heute nicht mehr bereit, auf Kinder zu verzichten. Das Vereinbarkeitsproblem versuchen sie individuell zu lösen, denn von Seiten der Institutionen des Wissenschaftssystems fehlt zumindest in Deutschland in diesem Punkt jegliche Unterstützung. Lüchauer weist in diesem Zusammenhang noch auf eine weitere Dimension familiärer Arbeit hin, die bislang wenig berücksichtigt wurde, nämlich die Betreuung pflegebedürftiger Eltern.

Die Schwierigkeit, Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren, hat Londa Schiebinger als „Zusammenstoß der Kulturen“ 2 bezeichnet. Aus der Perspektive der longue durée betrachtet, lässt sich nach Theresa Wobbe an diesem „Zusammenstoß“ erkennen, wie sehr sich sowohl die moderne Wissenschaft als auch die Geschlechterbeziehungen in den vergangenen drei Jahrhunderten ausdifferenziert haben. „Die Wissenschaft hat sich als eigenes, selbstbezügliches und in unterschiedliche Disziplinen mit verschiedenen Kulturen und Methoden untergliedertes Teilsystem der Gesellschaft entwickelt. Am Beispiel der Astronomie im 18. Jahrhundert lernen wir hingegen ein Arbeitssystem kennen, das aus allen Mitgliedern des frühneuzeitlichen Haushaltes besteht und das Ausbildungs- und Forschungskontext zugleich ist. In der Gegenwart sind Wissenschaft und Lebenswelt dagegen klar voneinander getrennt.“ (S. 23)

2. Akademikerinnen in der Nachkriegszeit

„Zum Zweiten fehlten historische Studien vor allem über studierende und studierte Frauen für die frühe Bundesrepublik“, stellte im vergangenen Jahr Friederike-Gunilla Budde in einem Literaturbericht zum Thema „Frauen an Universitäten“ für die „Feministische Studien“ fest. 3 Ein erster Beitrag diese Lücke zu schließen, ist die Studie über „Akademikerinnen in der Nachkriegszeit“ von Bärbel Maul. In ihrer an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz angenommenen Dissertation untersucht sie die Bedingungen, unter denen Frauen an den Universitäten der BRD und DDR zwischen 1945 und 1965 studieren und arbeiten konnten. Sie vergleicht die rechtlichen, ökonomischen, und sozialen Voraussetzungen für Studium und Beruf, fragt nach den Zielen und Aktivitäten der jeweiligen Interessensvertretungen und analysiert den vorherrschenden Diskurs über „Weiblichkeit und Wissenschaft“. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie in diesem Zeitraum „angesichts der Entwicklung des Frauenstudiums zur gesellschaftlichen (Schein-)Normalität der grundsätzliche Anspruch der Frauen auf akademische Ausbildung und Beruf, formuliert, zurückgewiesen und reformuliert wurde“ (S. 12).

Maul hat gedrucktes und ungedrucktes Material von Behörden, Institutionen, Verbänden und einer Partei, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) herangezogen. Außerdem wertete sie verschiedene zeitgenössische Tages- und Wochenzeitungen sowie Hochschul- und Frauenzeitschriften aus. Eingeflossen sind auch einige Erfahrungsberichte von Akademikerinnen vor allem aus Westdeutschland. Insgesamt nimmt das individuelle Erleben in dieser Studie aber wenig Raum ein.

Die Untersuchung ist zweigeteilt. Zuerst behandelt Maul die Entwicklung in der BRD und anschließend in der DDR. Den Abschluss bildet ein vergleichendes Resümee, in dem sie ihr Augenmerk besonders auf die Strategien legt, die Frauen entwickelten, um ihr Vordringen in die Wissenschaft und die akademischen Berufe und Positionen zu gestalten. Zu einigen der frauen- und bildungspolitischen aktiven Protagonistinnen finden sich im Anhang des Buches Kurzbiografien.

Jeder Teil beginnt mit einer Skizze der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unter denen Frauen in Ost- und Westdeutschland in der Nachkriegszeit und den fünfziger und sechziger Jahren studieren und arbeiten konnten. Hierbei fällt als eine Gemeinsamkeit auf, dass in beiden Ländern die Gleichheit der Frauen an den Hochschulen aufgrund des in der jeweiligen Verfassung festgeschriebenen Rechts als Faktum postuliert wurde, und somit der Eindruck entstand, als bestünde kein weiterer politischer Handlungsbedarf zur Herstellung der Geschlechtergleichheit. Tatsächlich war die Anwesenheit von Frauen an den Universitäten weder in der BRD noch in der DDR „normal“. In der BRD waren die Studentinnen laut Maul „geduldete Gäste und ein zivilisierendes Ornament zur Ausbildung der männlichen Bildungselite“ (S. 142). Wie schon ihre Vorgängerinnen 50 Jahre zuvor mussten sie sich ihres Rechts auf Hochschulbildung durch besondere Fähigkeiten und Leistungen würdig erweisen. Erst in den sechziger Jahren setzten in der BRD Überlegungen ein, wie angesichts des wachsenden Bedarfs an qualifiziert ausgebildeten Arbeitskräften auch das Studium von Frauen stärker berufsvorbereitend auszurichten sei. Gleichzeitig wurden die ersten empirischen Untersuchungen über die Lage der weiblichen Studierenden und Akademikerinnen angestellt, die Diskriminierung und Marginalisierung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb belegten.

In der DDR bemühte sich die Regierung schneller, das Bildungswesen und den Arbeitsmarkt an den Gleichbehandlungsgrundsatz anzupassen. Entsprechend des sozialistischen Bildungskonzeptes und des Bedarfs an weiblichen Arbeitskräften wurde schon frühzeitig versucht, die geringe Studentinnenquote durch Werbe- und Umlenkungsmaßnahmen zu heben, und Maßnahmen zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen umzusetzen. Im Vergleich zur BRD studierten hier im Untersuchungszeitraum mehr Frauen und sie waren häufiger in Berufen anzutreffen, die normalerweise Männern vorbehalten waren. Diese Chancen waren jedoch nicht „umsonst“ zu bekommen. In der DDR wurden die Hochschulabsolventinnen ebenso wie ihre Kommilitonen mit der Erwartung konfrontiert, dass, wer studieren darf, dies anschließend dem Kollektiv durch Berufstätigkeit und Loyalität zum Staat zurückgibt. Frauen oblag darüber hinaus auch die Verantwortung für Kindererziehung und Haushaltsführung. Dieser dreifachen Form der Vergesellschaftung versuchten sich viele Akademikerinnen zumindest phasenweise zu entziehen.

Im zweiten Schritt wendet sich Maul den Interessensvertretungen von Akademikerinnen in Ost und West zu. Während in der DDR die SED generell keine unabhängigen Interessensvertretungen zuließ, und die „Akademikerinnenfrage“ im Demokratischen Frauenbund Deutschlands nur eine marginale Rolle spielte, konstituierten sich in der BRD zu Beginn der fünfziger Jahre die alten Berufsverbände und -vereine von Akademikerinnen neu, die bereits in der Weimarer Republik bestanden. Maul konzentriert sich in ihrer Analyse auf die Aktivitäten des Deutschen Akademikerinnenbundes (DAB) und arbeitet sowohl personelle und inhaltliche Kontinuitäten als auch Veränderungen heraus. Dazu gehört zum Beispiel, dass der DAB zunächst an das von Helene Lange entwickelte Konzept der „geistigen Mütterlichkeit“ anknüpfte, um den Anspruch von Frauen auf eine qualifizierte Ausbildung und Berufstätigkeit zu legitimieren, zu Beginn der fünfziger Jahre jedoch in der Auseinandersetzung über das Werk der Pädagogin Mathilde Vaerting die historisch-kulturelle Konstruktion der Geschlechtscharaktere diskutiert. In der Folge wurde eine „Arbeitshypothese zum kulturellen Kontext der Geschlechterdifferenz“ entworfen, die beiden Theorien Raum bot und somit „die nötige Offenheit bot, um sowohl das Vordringen von Frauen in allen Professionen und jenseits der Suche nach dem spezifisch Weiblichen im Beruf, als auch den besonderen weiblichen Kulturauftrag argumentativ zu begründen“ (S. 188).

Damit ging auch ein größere Offenheit gegenüber der Doppelorientierung der Frau auf Familie und Beruf und gegenüber verschiedenen biografischen Modellen einher. Das Primat von Ehe wurde zwar nicht in Frage gestellt, hinsichtlich der Vereinbarkeit wurden aber verschiedene individuelle Lösungen diskutiert, die von der Entlastung durch Hausangestellte über Teilzeitarbeit und das „Drei-Phasen-Modell“ bis zur „Gelehrtenehe“ reichten. Als Alternative zur Ehe blieb allerdings nach wie vor nur die zölibatäre Lebensweise als „vergeistigte Einsiedlerin“ oder gesellschaftlich und (frauen)politisch aktive „Netzwerkerin“ (S. 379).

Zu den Kontinuitäten gehört auch der bereits in den 1920er Jahren bestehende Generationenkonflikt zwischen den berufstätigen Akademikerinnen und den Studentinnen, der sich zum einen an der Frage nach der Leistungsbereitschaft und dem „richtigen“ Habitus der (angehenden) Wissenschaftlerinnen entzündete, zum anderen an der Frage, ob reine Frauenorganisationen und öffentliche Aktivitäten überhaupt notwendig, zeitgemäß und „weiblich“ seien. Die Mehrheit der Studentinnen lehnte nicht nur die Zusammenarbeit mit den „alten Frauenrechtlerinnen“, sondern jegliche Zusammenschlüsse von Frauen ab. „Die jungen Frauen vermieden [...] alles, was Distanzierung oder Isolierung von den männlichen Partnern an den Universitäten bedeutet hätte.“ (S. 95) Dabei, so macht Maul in ihrer Analyse der Lage der Studentinnen deutlich, bestand angesichts der schwierigen Bedingungen an den Universitäten und den widersprüchlichen gesellschaftlichen Erwartungen an die Frauen bei vielen Studentinnen der Wunsch nach Orientierung und Beratung, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten waren.

In einem weiteren Schritt betrachtet Maul die Berufs- und Karrieremöglichkeiten von Akademikerinnen in Ost und West und stellt Frauenförderkonzepte vor. In beiden Ländern trafen die Hochschulabsolventinnen auf einen vertikal und horizontal geschlechtsspezifisch segmentierten Arbeitsmarkt. Aber nur in der DDR entwickelte die Partei- und Staatsführung eine Reihe von Förderungsmaßnahme, die Frauen den Zugang vor allem zu „männerdominierten“ Studienfächern und Berufen als auch zu Leitungsfunktionen erleichtern sollten. Laut Maul waren dieses Vorgehen nur bedingt erfolgreich und erschöpften sich schnell in einem „sinnentleerten Routinehandeln“ (S. 371). Als Gründe nennt sie unter anderem mangelhafte Koordination und Absprachen zwischen den verschiedenen Trägern der Förderungsmaßnahmen, fehlende flankierende staatliche Maßnahmen, das Beharrlichkeit von Vorurteilen über die geringe Leistungs- und Einsatzfähigkeit von Frauen in Industriebetrieben und Universitäten, oder auch die Weigerung von Frauen, sich auf bestimmte Berufe oder Karriereanforderungen einzulassen.

Die Analyse der zeitgenössischen Vorstellungen über den weiblichen Geschlechtscharakter und das Verhältnis von Weiblichkeit und Wissenschaft durchzieht die gesamte Arbeit von Bärbel Maul. Am Beispiel der Debatte über die Berufstätigkeit der Akademikerinnen führt sie am Ende jedes Länderkapitels noch einmal vor, wie die jeweiligen Akteurinnen und Akteure an der Konstruktion der Geschlechterdifferenz und der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mitwirkten. In beiden Ländern wurden konträre Strategien verfolgt, die hier nur in Stichworten charakterisiert werden können: Während in der BRD vor allem von Seiten der Akademikerinnen die „Dethematisierung der Differenz“ (S. 196) favorisiert und „gelebte ‚Normalisierung’“ (S. 196) praktiziert wurde, wurde in der DDR die „radikale Thematisierung der Differenz“ (S. 372) geübt und durch kompensatorische Regelungen zur Erhöhung des Frauenanteils in Studium und Beruf begleitet. Trotz dieser unterschiedlichen Strategien lässt sich feststellen, dass in beiden Ländern in den 1950er/60er Jahren die Doppelrolle der Frau vorbereitet wurde, ohne dass das Primat der Familie und die Alleinzuständigkeit der Frau für den häuslichen Bereich in Frage gestellt wurden. Allerdings wurden unterschiedliche Wege beschritten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Während in der BRD individuelle Lösungen gesucht werden mussten, stellte in der DDR der Staat kollektive Lösungen zur Verfügung. Dieses Ergebnis unterstützt die Einschätzung anderer Historikerinnen und Soziologinnen, „daß von einer generell weiter fortgeschrittenen Gleichberechtigung von Frauen in der DDR keine Rede sein kann“, sondern „eher eine Reihe von Kontinuitäten und deutsch-deutschen Ähnlichkeiten“ festzustellen sind. 4

Die Studie von Bärbel Maul bietet erstmalig einen fundierten Überblick über die Situation von Studentinnen und Akademikerinnen in Ost- und Westdeutschland nach 1945 und kann für den Einstieg in dieses Thema sehr empfohlen werden.

3. Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität

Die Situation von Studentinnen nach 1945 schildert auch Ute Scherb in ihrer Studie zur Geschichte des Frauenstudiums an der Freiburger Universität. Ebenso wie Maul konstatiert sie für die Albert-Ludwigs-Universität in den fünfziger Jahren einen „gigantischen Rollback“ (S. 365), der sich unter anderen durch abnehmende Studentinnenzahlen, diskriminierenden Äußerungen seitens der männlichen Studierenden, die Akzeptanz des wiederbelebten „Leitbildes der Hausfrau und Mutter“ (S. 365) auch unter den Studentinnen und deren Desinteresse an frauenpolitischen Themen ausdrückte. Hier schienen die Frauen ebenfalls der Auffassung zu sein, dass mit der Festschreibung der Gleichberechtigung der Frau im Grundgesetz deren Realisierung nur noch eine Frage der Zeit sei.

An der Freiburger Universität gab es aber – anders als von Maul beschrieben – sehr wohl rein weibliche Vereinigungen. Die 1949/50 ins Leben gerufene „Katholische Jungakademikerinnengruppe Herrad“ knüpfte an eine vor dem 1. Weltkrieg gegründete Freiburger Studentinnenverbindung selbigen Namens an und stand in enger Verbindung zum Katholischen Akademikerinnenbund. Über diesen hatten sie auch Kontakt zum Deutschen Akademikerinnenbund. Die Korporation bot Studentinnen Gelegenheit zum Austausch über Studienfragen, organisierte Vorträge und Diskussionen über wissenschaftliche Themen und veranstaltete diverse Geselligkeiten sowohl im internen Kreis als auch gemeinsam mit den männlichen Mitgliedern der katholischen Korporationen in Freiburg. Letzteres scheint allerdings auch im „Herrad“ auf größeres Interesse gestoßen zu sein, als die Diskussion über frauenpolitische Fragen. (S. 267)

Eine weitere Studentinnenvereinigung in Freiburg war der „Heliand-Studentinnenkreis“, der sich 1954 gründete. Er war wie der „Herrad“ katholisch ausgerichtet, verstand sich aber als Teil der katholischen Studentengemeinde und fühlte sich nicht den katholischen Korporationen zugehörig. Die Studentinnen des „Heliand“ engagierten sich sowohl auf religiösem als auch auf politischem Gebiet, z.B. in Bildungsfragen. Allerdings geht aus Scherbs Darstellung nicht deutlich hervor, ob diese Aktivitäten erst in den 1960er Jahren einsetzten. (S. 268) Unklar bleibt auch, welchen Zulauf diese beiden Gruppen hatten, und ob ihnen durch den Bezug auf eine katholische Tradition weniger der Ruf anhaftete „frauenrechtlerisch“ zu sein.

Anlass für die Studie von Ute Scherb über Studentinnen und Wissenschaftlerinnen an der Freiburger Universität war - wie so häufig - ein Jubiläum. Im Februar 1900 erhielten hier Frauen auf Erlass des badischen Kultusministeriums erstmalig das Recht, sich als ‚ordentliche’ Studentinnen einzuschreiben. Zeitgleich mussten auch die Universität in Heidelberg und die Technische Hochschule in Karlsruhe den Frauen ihre Tore öffnen. Da die Freiburger Universität die betreffenden Studentinnen jedoch rückwirkend für das Wintersemester 1899/1900 immatrikulierte, weil sie seitdem als Gasthörerinnen eingeschrieben waren, gilt sie als die erste Universität an der in Deutschland Frauen regulär studieren durften. Angesichts dieser „Vorreiterinnenrolle“ war eine gründliche Untersuchung der Geschichte des Frauenstudiums an der Albert-Ludwigs-Universität dringend wünschenswert.

Die Arbeit von Scherb unterscheidet sich von anderen Universitätschroniken über das Frauenstudium in zweierlei Hinsicht: Zum einen handelt es sich nicht um einen Katalog oder Begleitband zu einer Ausstellung 5, sondern um eine umfassende Monographie, zum anderen reicht der untersuchte Zeitraum von der „Vorgeschichte“ bis in die Gegenwart, während andere „Lokalstudien“, wie sie zum Beispiel für die Universitäten Tübingen und Würzburg vorliegen, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten beziehungsweise dem Beginn des 2. Weltkrieges enden.6 Als Langzeitstudie bietet sie damit die von der historischen Frauen- und Geschlechterforschung immer wieder geforderte Gelegenheit, Kontinuitäten und Brüche in den Blick zu nehmen.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Studentinnen und weniger die im Untertitel des Buches genannten Wissenschaftlerinnen. Die Berufs- und Karrieremöglichkeiten von Frauen an der Freiburger Universität skizziert Scherb lediglich an einzelnen Biografien sowie an dem „Kampf“ um das Habilitationsrecht. Stattdessen werden der Studien- und Universitätsalltag von Frauen in all seinen Facetten und Veränderungen beschrieben: angefangen bei der sozialen Herkunft der Studentinnen, ihrer Vorbildung und ihren Studienmotiven, über Fächerwahl und Erfahrungen im Vorlesungsbetrieb sowie der Organisation in Studentinnenvereinen und Aktivitäten in politischen Hochschulgruppen bis hin zur Wohnungssuche und der Entwicklung „eigener“ Lebensstile (Mode, Freizeitgestaltung, Freundschaft und Liebe).

In ihrer Darstellung sind Scherb zwei Aspekte sehr wichtig: zum einen den Wandel der Beziehungen zwischen den Geschlechtern sowie unter den Frauen aufzuzeigen, zum anderen die Eigen- und Fremdwahrnehmung der Studentinnen als Gruppe herauszuarbeiten. Ihr Interesse gilt daher ebenso den Erfahrungen der Studentinnen mit den männlichen Kommilitonen und Professoren als auch dem Umgang der Studenten mit der weiblichen Konkurrenz. Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, war sie auf persönliche Schilderungen ehemaliger Studentinnen angewiesen, die unter Heranziehung des jeweiligen zeitgenössischen Frauenleitbildes betrachtet werden sollten. Aus diesem Grund hat Scherb eine Reihe von Interviews geführt und Fragebögen verschickt, deren Auswertung zusammen mit Auszügen aus Briefen und Tagebüchern, aber auch aus Presseartikeln und Behördenmitteilungen spannende Einblicke in das Studentinnenleben während der vergangenen hundert Jahren gewähren. Es sind nicht zuletzt diese in den Bericht eingestreuten Zitate, die das Buch zu einer informativen und unterhaltsamen Lektüre nicht nur für ein wissenschaftliches Publikum machen. Ergänzt um zahlreiche Fotos von lesenden, demonstrierenden, Schutt wegräumenden und faulenzenden Freiburger Studentinnen und Studenten vermitteln sie ein lebendiges Bild vom Alltag in der badischen Universitätsstadt.

Scherb verbleibt aber nicht im „Kleinklein des Freiburger Milieus“ (S. 20), sondern stellt die Geschichte des Frauenstudiums an der Albert-Ludwigs-Universität vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse sowie sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Veränderungen dar, und zieht Vergleiche zu anderen Universitäten.

In ihrem abschließenden Resümee geht Ute Scherb noch einmal ihrer Leitfrage nach, „inwiefern die Geschichte des Frauenstudiums als eine emanzipatorische Entwicklung (im Sinne Norbert Elias, S.D.) interpretiert werden kann.“ (S. 17) Dabei macht sie deutlich, dass sich die Freiburger Universität zwar generell aufgeschlossen gegenüber den Studienwünschen von Frauen verhielt (und verhält), aber ihnen bis heute wenig Berufs- und Karrierechancen bietet und die Förderung von Frauen und Geschlechtergleichheit hart erkämpft werden müssen. Als „zukunftsweisende Pflöcke“ für eine gleichberechtigtere Teilhabe von Frauen an hochschulpolitischen und wissenschaftlichen Diskussionen und Entscheidungen bezeichnet sie, die in den 1990er Jahren erfolgte „Etablierung der Frauenbeauftragten und des für Baden-Württemberg einmaligen Studiengangs ‚Gender Studies’“ im Sommer 2000.

Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass die Studentinnen durchaus nicht immer an einer Fortführung des Emanzipationsprozesses interessiert waren (und sind), sondern zum Beispiel gerade nach dem 2. Weltkrieg an der Fortschreibung traditioneller Geschlechterbilder mitgewirkt haben, und die Frage von Geschlechtergleichheit und -differenz(en) bis in die Gegenwart hinein nur phasenweise problematisieren.

Der Emanzipationsprozess – so ihr Ausblick – sei erst dann abgeschlossen, „wenn das Geschlecht keine Rolle mehr spiele – weder als Ablehnungs- noch als Einstellungs- bzw. Akzeptanzkriterium.“ Eine Utopie?

4. Bildung und Geschlecht im europäischen Vergleich

Mit der gegenwärtigen Situation von Frauen an den deutschen Universitäten und den Chancen und Risiken, die mit den seit den aktuellen Hochschulreformen für Studentinnen und Hochschullehrerinnen einhergehen (könnten), befassen sich auch zwei Autorinnen in dem letzten Buch, das ich im Rahmen dieser Sammelbesprechung vorstellen möchte. Es handelt sich um den bereits vor zwei Jahren erschienenen Sammelband „Bildungspolitik und Geschlecht. Ein europäischer Vergleich“, der von den Politikwissenschaftlerinnen Brigitte Geißel und Birgit Seemann konzipiert und herausgegeben wurde. Ihr Anliegen ist es, aus der Geschlechterperspektive einen Überblick über die gegenwärtigen bildungspolitischen Entwicklungen in Deutschland und Europa zu vermitteln. Diese Umstrukturierungspläne und -maßnahmen finden (nicht nur) in Deutschland unter der Maßgabe von „Neoliberalisierung und Anpassung an dynamische Marktentwicklungen“ (S. 9) statt und haben Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis. Sie bewirken sowohl die Aufrechterhaltung von Geschlechterungleichheit, beinhalten aber auch Potentiale für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Mit den in diesem Buch vorgestellten Bestandsaufnahmen, Analysen und Lösungsansätzen wollen die Herausgeberinnen darüber hinaus die Politikwissenschaft anstoßen, sich wieder intensiver mit der zum „Stiefkind“ gewordenen Bildungspolitik zu beschäftigen. Bildungspolitik sei Gesellschaftspolitik und schaffe einen Rahmen und Bedingungen für die Berufsorientierung und Lebensgestaltung von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern. Angesichts des hierzulande „,geschlechtsblind’ verlaufenden bildungspolitischen Mainstream-Diskurses“ (S. 11) halten sie daher feministisch-politikwissenschaftliche Analysen und Beiträge für dringend geboten.

Die sieben Autorinnen dieses Buches kommen aus verschiedenen Disziplinen und Arbeitszusammenhängen. In ihren Beiträgen untersuchen sie Bildungspolitik(en) und -praktiken in Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden unter der Fragestellung, inwiefern sie zu mehr Geschlechtergleichheit und Geschlechterdemokratie beitragen (können). Die verschiedenen Maßnahmen und Strategien werden einander vergleichend gegenübergestellt. Dahinter steht die Überlegung, besonders erfolgreiche oder Erfolg versprechende Ansätze für eine geschlechterdemokratische Bildungspolitik auszumachen und zu prüfen, ob und wie diese „best practice“ für die Bundesrepublik übernommen werden könnte.

Neben dem komparativen Ansatz war es den Herausgeberinnen auch wichtig, in diesem Buch die Reform-Debatten und Entwicklungen in allen drei „Säulen“ des Bildungswesens: Schule, Hochschule und berufliche Bildung zusammenzuführen, damit „die Geschlechterasymmetrie als eine im gesamten Bildungswesen durchgängige Struktur“ (S. 11) deutlich wird.

Jeder Bildungsbereich wird in mindestens zwei Beiträgen beleuchtet: Während eine Autorin das hiesige System beschreibt, stellt die andere die Situation in einem anderen europäischen Land bzw. im transeuropäischen Kontext vor.

Im ersten und zweiten Kapitel werden Reformen im Schulwesen (Christa Händel und Marita Kampshoff) sowie auf dem Gebiet der beruflichen Bildung (Helga Ostendorf und Suzanne Seeland) behandelt. Auf diese Beiträge möchte ich hier nicht weiter eingehen, sondern mich entsprechend der thematischen Ausrichtung der bislang besprochenen Bücher auf die Beiträge zur Reform des Hochschulwesens konzentrieren. Es handelt sich hierbei um eine Analyse der Partizipations- und Mitwirkungsmöglichkeiten von Frauen in einem veränderten Hochschulmanagement von Christine Färber. Mit der Studienstrukturreform befasst sich Heike Kahlert und Barbara Bagilhole legt eine Studie über das Geschlechterverhältnis im britischen und irischen Hochschulsystem vor. Da die Autorinnen den Stand der Hochschulreform bis zum Jahr 2000 reflektieren, findet die 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes, die gravierende Veränderungen in der wissenschaftlichen Qualifizierung durch die Abschaffung der Habilitation und die Einführung von Juniorprofessuren beinhaltet, keine Berücksichtigung. 7

Christine Färber befasst sich in ihrem Beitrag mit der Reform der Organisations- und Verwaltungsstrukturen an den Hochschulen. Sie geht der Frage nach, welche Bedeutung die geplanten bzw. bereits erfolgten Veränderungen im Hochschulmanagement für die Mitwirkungschancen von Frauen sowie für eine aktive Gleichstellungspolitik haben (werden). 8

Zunächst untersucht sie aus der geschlechterpolitischen Perspektive die Diskussion zur Hochschulreform hinsichtlich der Rolle der Staates im Transformationsprozess auf der einen und der Reformpotenziale einer ‚marktförmigen’ Umstrukturierung der Hochschulorganisation auf der anderen Seite. Den Selbstregulierungskapazitäten einer sich selbst überlassenen akademischen Gesellschaft steht sie hinsichtlich der Integration von gleichstellungspolitischen Inhalten und Zielen sehr skeptisch gegenüber, und plädiert stattdessen für mehr staatliche Steuerung in diesem Bereich. Färber bezieht sich hierbei vor allem auf die praktischen Erfahrungen und Erkenntnisse der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen zur Dezentralisierung von Verantwortung: „Die Hochschulen selbst und die in ihnen bestimmenden Männer hätten jedoch die Gleichstellungspolitik nicht zu ihrem Anliegen gemacht.“ (S. 140) Wenn die Entscheidung über die Mittelvergabe allein bei den Hochschulleitungen und Gremien läge, „würden [diese] Frauenpolitik nicht mit derselben Priorität betreiben wie die bisherigen steuernden Stellen, die Parlamente und Regierungen.“ (ebd.) Weiter macht Färber darauf aufmerksam, dass auch die institutionelle Verankerung von Frauenpolitik im Hochschulrahmengesetz in Form von Frauenbeauftragten sowie die Festschreibung von Frauenförderung als Kriterium bei leistungsbezogener Mittelvergabe und Evaluation nur auf Betreiben des Gesetzgebers erfolgt ist.

In einem zweiten Schritt analysiert Färber eingehend den Organisationsaufbau der Hochschulen, der sich in einem Spannungsfeld von Partizipation und Management bewegt. Hierbei bedient sie sich organisationstheoretischer Ansätze, die es ermöglichen Macht- und Kommunikationsverhältnisse an den Hochschulen zu erklären und Kategorien für frauenpolitisches Handeln abzuleiten.

Dazu gehören unter anderem Rechtsnormen zur Frauenförderung, die garantieren sollen, dass Frauen Zugang zu den Entscheidungs- und Leitungsstrukturen der Universität sowie zu „gleichberechtigten Positionen in der wissenschaftlichen Kommunikation“ erhalten. (S. 151) Damit ist wieder der Staat als Gesetz- und Geldgeber gefragt. Nach Ansicht von Christine Färber dürfen sich Regierungen und Parlamente nicht aus den Hochschulen zurückziehen, sondern sind gefordert, Strukturen zu schaffen, die sowohl ihre Einflussnahme als auch jene der gleichstellungspolitisch engagierten Mitglieder sichern.

Heike Kahlert geht in ihrer Studie der Frage nach, ob und auf welche Weise die aktuelle Studienstrukturreform zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit beitragen kann. 9 Hierfür skizziert sie zunächst die Ziele der geplanten bzw. teilweise schon erfolgten Neuorganisation von Lehre und Studium: zum einen sollen Studienzeiten gesenkt und das Studium insgesamt effektiver gestaltet werden, zum anderen soll ein „altes“ Problem der akademischen Ausbildung gelöst werden, nämlich dass Universitäten sowohl für die Wissenschaft als auch für den außeruniversitären Arbeitsmarkt ausbilden. Als Lösung dieses Widerspruchs wird ein zweiphasiges Studienmodell favorisiert, das aus einer berufsqualifizierenden Erstausbildung und einem wissenschaftlich ausgerichteten Graduiertenstudium besteht.

Anschließend stellt Kahlert Forderungen und Kriterien für Geschlechtergleichheit vor, welche in den vergangenen 20 bis 30 Jahren von Frauen an den Hochschulen entwickelt wurden und zum einen auf quantitative Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb (Frauenförderung), zum anderen auf qualitative Veränderungen in Forschung und Lehre (Förderung der Frauen- und Geschlechterforschung) zielen. Hierbei wird, wie schon in dem Beitrag von Färber deutlich, dass diese Bemühungen um die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb, auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, und weiterhin sein werden.

Im nächsten Schritt fragt sie danach, welche Bedeutung die „hochschulpolitischen Akteure“ der Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit beimessen. Hierzu zieht sie offizielle Stellungnahmen der Bund-Länderkommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, der Hochschulrektorenkonferenz und des Wissenschaftsrates aus den 1990er Jahren heran. Als Ergebnis dieser Analyse hält sie fest, dass Geschlechtergerechtigkeit zwar als normatives Ziel von allen Akteuren in die hochschulpolitischen Programme aufgenommen wurde, aber entgegen allen Beteuerungen weder als eine Querschnittsaufgabe „in allen hochschulpolitischen Fragen mitgedacht“ noch „entsprechend handlungspraktisch umgesetzt wird.“ (S. 170)

Anstatt über diese Defizite zu klagen, stellt Kahlert im dritten Teil ihres Beitrags verschiedene Projekte vor, die auf eine geschlechtergerechtere Gestaltung von Lehre und Studium abzielen. Es handelt sich dabei um Innovationen im Bereich der wissenschaftlichen Erst- und Graduiertenausbildung, die sowohl strukturelle und curriculare Veränderungen durch die Einrichtung von (Teil-)Studiengängen und Graduiertenkollegs zur Frauen- und Geschlechterforschung darstellen, als auch didaktische und methodische Maßnahmen zur Erhöhung der Studentinnenzahlen beinhalten. Kahlert sieht in diesen Ansätzen wesentliche Merkmale positiver Wissenschaftsreform erfüllt: Bei der Erstausbildung werden neben dem reinen Wissen auch Schlüsselqualifikationen wie gegenstands- und fächerübergreifendes Denken, Reflexivität und Teamfähigkeit vermittelt. Die Graduiertenausbildung ist inter- bzw. transdisziplinär, forschungs- und projektorientiert und seminaristisch-interaktiv angelegt, oft monoedukativ und weist institutionelle Formen der vernetzten Nachwuchsförderung statt persönlichem Mentoring auf. Als negative Merkmale nennt sie einen höheren Grad an Verschulung, die Kanonisierung von feministischen Themen und Erkenntniswelten sowie die Tendenz zur Elitenbildung. Der letztgenannte Aspekt ist ihres Erachtens ambivalent zu sehen, weil „die Eliteförderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen dazu beiträgt, Gleichheit und Gerechtigkeit in den Geschlechterverhältnissen zu verwirklichen“ (S. 180), zugleich führt sie aber zu größerer Differenzierung unter Frauen.

Abschließend wendet sich Kahlert noch einmal der Frage zu, welche Chancen und Risiken die Studienstrukturreform für Frauen bereithält. Da an den deutschen Universitäten Forschung und Lehre nach wie vor nicht geschlechtergerecht wahrgenommen werden, gehe es nun darum, das „Reformpotential von Frauen an den ‚richtigen’ Stellen einzubringen und die beginnende Umstrukturierung zu nutzen“. (S. 181) Möglichkeiten sich einzumischen ergeben sich ihres Erachtens dadurch, dass die Handlungs- und Entscheidungsprozesse in den neuen universitären Organisationsstrukturen transparenter werden und Verantwortlichkeiten klarer verteilt sein werden. Dazu gehört, dass der Staat verstärkt Kontrollfunktionen übernimmt, „die auch für Fraueninteressen genutzt werden können – wenn es gelingt, die entsprechenden Elemente einflußreich in den neuen Steuerungsmodellen zu verankern“ (S. 181). Dazu zählt sie z.B. Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Staat und Hochschule oder die Evaluation. Eine weitere Chance könnte die Professionalisierung der Hochschullehre sein. Diese beinhaltet zum einen eine größere Gewichtung und Anerkennung der hochschuldidaktischen Qualifikationen der HochschullehrerInnen, zum anderen Lehr- und Lernformen, die stärker auf Kommunikation und Interaktion und damit auf die Interessen von Frauen ausgerichtet sind.

Als Risiko stellt sich für Frauen laut Kahlert nach wie vor der Übergang von der Universität in den Arbeitsmarkt dar. Es gibt noch kein Konzept, das hier Verbesserungen vorsieht. Weder der außeruniversitäre Arbeitsmarkt hält ausreichend Stellen für die hochqualifizierten Frauen bereit, noch bestehen an den Universitäten gute Berufs- und Karrierechancen für Frauen. Zum einen werden hier wenig neue Stellen geschaffen (eher gestrichen), zum anderen sind die Entscheidungspositionen nach wie vor überwiegend von Männern besetzt, die sich bei der Verteilung von Mitteln, Macht und Stellen eher geschlechtersolidarisch als geschlechtergerecht verhalten. Ob und wie die neuen Steuerungsinstrumente in Form von leistungsbezogener Mittelvergabe oder Evaluation hier mehr Geschlechtergleichheit bringen werden, bleibt so Heike Kahlert, abzuwarten.

Den Abschluss des Buches bildet quasi als Ausblick der englischsprachige Beitrag von Barbara Bagilhole. 10 Sie untersucht die Aufstiegsmöglichkeiten von Frauen und Männern im britischen und irischen Hochschulsystem, und führt die vorherrschende Geschlechterasymmetrie sowohl auf strukturelle als auch kulturelle Faktoren zurück. So wirkt beispielsweise die Tatsache, dass Universitäten ursprünglich von Männern für Männer eingerichtet wurden und bis heute homosoziale Institutionen sind, als eine „formal strukturelle Barriere“ für Frauen. Eine ebenfalls nicht unbekannte „informelle kulturelle Barriere“, stellen die „Old-Boys-Networks“ dar, die das akademische Leben durch vielfältige gegenseitige Unterstützung und Förderung maßgeblich bestimmen. Zur Überwindung dieser Hürden sind in Großbritannien in den 1990er Jahren verschiedene nationale und lokale Gleichstellungs- und Frauenförderungsinitiativen gestartet worden, von denen Bagilhole einige vorstellt: z.B. ein Programm zur Karriereförderung von Frauen und ethnischen Minderheiten an Universitäten, oder die Einrichtung von „research fellowships“ für Berufs-Wiedereinsteigerinnen in den Natur- und Technikwissenschaften, die auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie beinhalten, oder Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Vernetzung von Frauen.

In ihrem anschließenden Resümee fragt sich Bagilhole jedoch, wie erfolgreich solche Maßnahmen für Frauen sein können, wenn der männliche, kontinuierlich arbeitende und an seiner Karriere feilende Wissenschaftler das favorisierte Ideal ist. Mit dieser Frage rücken auch die Kriterien in den Blick, nach denen die akademische Leistung (academic merits) gemessen wird, und die über Aufstiegschancen entscheiden: „The dominant definition of merit is based on the competitive, individualist, research output-oriented aspects of academic life and activity, which have been shown to historically privilege men. More co-operative, collective, process-oriented ways of working developed by women in the acedemy are therefore subordinated and less well rewarded at every stage of academic careers, through recruitment, appraisal and promotion.“ (S. 198)

Ihre Schlussfolgerung ist daher, die Position von Frauen an den Universitäten auch dadurch zur verbessern, indem die akademischen Schlüsselqualifikationen neu festgelegt und bewertet und damit die bisherige männliche Definition des „academic merit“ reformuliert wird.

Anmerkungen:
1 Schiebinger, Londa, Maria Winkelmann and the Berlin Academy. A Turning Point for Women in Sience, in: Isis (1987), S. 174-200.
2 Schiebinger, Londa, Frauen forschen anders. Wie weiblich ist die Wissenschaft? München 2000. Vgl. hierzu auch den Bericht von Ilse Costas über die Tagung „Gender in Science – Geschlechterverhältnisse in der Wissenschaft“ (Göttingen, 24./25.01.2003) in: H-Soz-u-Kult vom 09.04.2003. Im internationalen Vergleich wird immer wieder deutlich, dass die Familienpolitik ein wesentlicher Faktor für die gleichberechtigte Partizipation der Geschlechter an der Wissenschaft ist.
3 Budde, Gunilla-Friederike, Geglückte Eroberung? Frauen an Universitäten des 20. Jahrhunderts – Ein Forschungsüberblick, in: Feministische Studien 1 (2002), S. 107.
4 Ebd. S. 105.
5 Vgl. u.a. Bußmann, Hadumod (Hg.), Stieftöchter der Alma Mater? 90 Jahre Frauenstudium in Bayern – am Beispiel der Universität München. München 1993; Kuhn, Annette (Hg.), Hundert Jahre Frauenstudium an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Dortmund 1996; Lemberg, Margarete, Es begann vor 100 Jahren. Die ersten Frauen an der Universität Marburg und die Studentinnenvereinigungen bis zur „Gleichschaltung“ im Jahr 1934. Eine Ausstellung der Universitätsbibliothek Marburg. Marburg 1997 und Horn, Gisela: Die Töchter der Alma mater Jenensis. 90 Jahre Frauenstudium an der Universität Jena, Rudolstadt 1999.
6 Glaser, Edith, Hindernisse, Umwege, Sackgassen. Die Anfänge des Frauenstudiums in Tübingen (1904-1934), Weinheim 1992 und Hessenauer, Heike, Etappen des Frauenstudiums an der Universität Würzburg. Von den Anfängen bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. (1870-1939), Neustadt/Aisch 1996.
7 Die Novellierung hat u.a. gravierende Folgen für die derzeit Habilitierten, unter denen sich erstmals in der Wissenschaftsgeschichte vergleichsweise viele Frauen befinden. Vgl. hierzu Hausen, Karin, Juniorprofessuren als Allheilmittel. Ein zorniger Blick zurück auf das vermeintliche Vorwärts, in: Feministische Studien 1 (2002), S. 85-92.
8 Färber, Christine, Neue Organisationsstrukturen im Hochschulsystem – eine Chance für Frauen?, S. 135-154.
9 Kahlert, Heike, Geschlechtergerechtigkeit als Herausforderung der Studienstrukturrefom, S. 155-187.
10 Barbara Bagilhole, „Attempting to Break the Glass Ceiling”, S. 189-199.

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