Stellungnahme zur geplanten Umwidmung der Professur für Geschlechterforschung (Univ. Hannover)

Von
Markus Brunner

Stellungnahme zur neuen Entwicklungsplanung der Philosophischen Fakultät

Die jüngsten Beschlüsse in der Entwicklungsplanung der Philosophischen Fakultät an der Leibniz Universität Hannover haben heftige Irritationen ausgelöst und sind auch für uns nicht nachvollziehbar. Das betrifft zum einen die Umwidmung der Professur für Geschlechterforschung, was einer Auflösung des Studien- und Forschungsschwerpunktes „Gender Studies“ gleich kommt, zum anderen das nun endgültige Auslaufen des Schwerpunktes „Politische Psychologie“, der in einer psychoanalytischen Sozialpsychologie verankert ist.
Eine Hochschulpolitik, die zwei in der bundesrepublikanischen Universitätslandschaft exzeptionelle Profilbildungen abschafft, erscheint uns kurzschlüssig. Eine Sozialwissenschaft, die weder nach der Gefährdung von Individuationsprozessen, noch nach neuen Dynamiken in Gruppenbildungen fragt, ist nicht auf der Höhe der Zeit. Angesichts sich gegenwärtig vollziehender sozialer Umbrüche ist es eine wissenschaftliche Herausforderung, deren psycho-soziale Auswirkungen zu untersuchen: Die Verbreitung von Existenzängsten und sozialer Unsicherheit zieht Aggressivität, Feindseligkeit und psychische Entdifferenzierung nach sich. In diesem Rahmen beschäftigt sich die Hannoversche Sozialpsychologie bislang noch mit so brisanten Themen wie Rechtsextremismus, sozialer Gewalt, Vorurteilsbildung oder den Folgewirkungen des Nationalsozialismus und des zweiten Weltkrieges in der deutschen Gesellschaft. Angesichts derartiger Phänomene wird die Dringlichkeit einer subjekttheoretischen Perspektive offenkundig, die – wie die psychoanalytisch orientierte – auf solche Problemstellungen ausgerichtet ist und als zentrales Moment in einer kritischen sozialwissenschaftlichen Forschung ihren Platz hat. Was es zu fördern und abzusichern gälte, wird in Hannover augenblicklich „abgewickelt“.
Dass zu den genannten Fragestellungen die gleichermaßen sozialpsychologisch wie soziologisch fundierte Geschlechterforschung in Hannover Entscheidendes beigetragen hat, wird durch die hohe Beachtung und Anerkennung bestätigt, die sie im In- und Ausland genießt. Zum einen zeigt sie, wie sowohl die Ausbildung von Subjektivität als auch intersubjektive Beziehungen durch den Faktor „Gender“ geprägt ist. Zum anderen wirft sie ein Licht darauf, in welcher Weise Frauendiskriminierung und Männerprivilegierung sowie die Hinnahme von geschlechtlicher Ungleichheit Rückhalt in Verhaltenspotenzialen findet, die durch zwanghafte Abgrenzung, Fremd- und Feindbilder gekennzeichnet sind. Überdies hat die Hannoversche Geschlechterforschung Brücken zur Gesellschaftstheorie und Sozialkritik geschlagen. Ihre Themen reichen von Körperpolitiken, die in Leiblichkeit und sexuelle Selbstdefinitionen eingreifen, bis hin zu Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Formen sozialer Ungleichheit oder auch geschlechtsspezifischen Vorurteils- und Gewaltdynamiken. Den Studien- und Forschungsschwerpunkt „Gender Studies“ zu eliminieren, bedeutet nicht nur eine theoretisch und empirisch produktive wissenschaftliche Einrichtung fallen zu lassen. Es werden auch Kooperationsbeziehungen auf regionaler und überregionaler Ebene zerstört, die mit viel Einsatz und Fachwissen aufgebaut worden sind. Diese Kooperationen kamen nicht nur neuen Forschungsinitiativen zugute („Relations of Difference - Dynamics of Conflict“), sondern auch der Lehre, die sich u.a. durch regelmäßige Gastvorträge von international namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Rahmen des Forschungskolloquium der „Gender Studies“ auszeichnet.
Die „Gender Studies“ in ihrer Kombination mit der Sozialpsychologie wie auch die psychoanalytisch fundierte Politische Psychologie haben als einzigartige Ausrichtungen maßgeblich zur Attraktivität der Sozialwissenschaften in Hannover beigetragen. Disziplinenübergreifende Profile dieser Art sollten erhalten und weiterentwickelt werden, damit die Leibniz Universität unter den Bedingungen eines zunehmenden Wettbewerbs zwischen Hochschulen auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften eigenständige und hoch aktuelle Akzente setzten kann.

Prof. Dr. Aleida Assmann (Konstanz),
Prof. Dr. Regina Becker-Schmidt (Hannover),
Prof. Dr. Christina von Braun (Berlin),
Prof. Dr. Micha Brumlik (Frankfurt/M),
Prof. Dr. Detlev Claussen (Hannover),
Prof. Dr. Alfred Krovoza (Hannover),
Prof. Dr. Oskar Negt (Hannover),
Prof. Dr. Joachim Perels (Hannover),
Prof. Dr. Moshe Zuckermann (Tel Aviv)

aus: <http://www.sozialpsychologie-hannover.de/> (03.11.2008)

Zitation
Stellungnahme zur geplanten Umwidmung der Professur für Geschlechterforschung (Univ. Hannover), In: H-Soz-Kult, 13.11.2008, <www.hsozkult.de/text/id/texte-1045>.
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