Stellungnahme zur BKM Gedenkstättenkonzeption

Von
Hans-Hermann Hertle

Öffentliche Stellungnahme von Prof. Dr. Martin Sabrow zum Entwurf einer neuen Gedenkstättenkonzeption des Bundes durch den BKM am 22. Juni 2007

1. Der Entwurf markiert einen wichtigen Schritt hin zu einer zukunftsfähigen gesamtstaatlichen Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Er nimmt die Empfehlungen der von der Vorgängerregierung eingesetzten Expertenkommission zur DDR-Aufarbeitung weitgehend auf. Hervorzuheben ist besonders, dass das vom BKM vorgelegte Papier die geschichtspolitische Balance in der öffentlichen Auseinandersetzung mit den beiden deutschen Diktaturen wahrt, indem es die institutionelle Förderung der NS-Aufarbeitung stärkt und gleichzeitig die Voraussetzungen für die Bildung eines DDR-bezogenen Geschichtsverbundes schafft. Dies gilt insbesondere für die endlich erreichte Aufnahme der KZ-Gedenkstätten Dachau, Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg in die institutionelle Bundesförderung und für das Bemühen um eine systematische Ordnung und Vernetzung der in den vergangenen 17 Jahren geschaffenen Einrichtungen zur DDR-Aufarbeitung im Bereich von Archiven, Ausstellungen und Bildungsinstitutionen. Mit dem vorliegenden Entwurf liegt nun eine tragfähige Grundlage vor, um die öffentliche Auseinandersetzung mit den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts auf ein Niveau zu bringen, das dem Stand der Fachwissenschaft und der öffentlichen Gedenkkultur in Deutschland angemessen ist. Gerade mit Blick auf den zwanzigsten Jahrestag der friedlichen Revolution 2009 sollte diese Chance politisch rasch genutzt werden.
Ungeachtet dieses insgesamt überzeugenden Ansatzes weist der vorliegende Entwurf zugleich aber noch deutliche Schwächen auf, die in der weiteren öffentlichen und politischen Erörterung behoben zu werden verdienen.

2. Dies gilt besonders für eine Reihe von Institutionalisierungsvorschlägen. So bleibt der Entwurf im Themenbereich „Überwachung und Verfolgung“ mit dem Vorschlag einer Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten Hohenschönhausen und Normannenstraße auf halbem Weg stehen. Damit wird die Chance vergeben, die erarbeitete Kompetenz der BStU nach einer zukünftigen Umstrukturierung zu nutzen, um die angestrebte Zusammenarbeit der Gedenkstätten Hohenschönhausen und Normannenstraße voranzutreiben und zu einem Ausstellungs- und Bildungszentrum von europäischer Ausstrahlung zu entwickeln. Im Themenbereich „Teilung und Grenze“ greift der Vorschlag einer Landesstiftung „Berliner Mauer“ zu kurz. Er ist geeignet, die Sorge vor einer Berlin-Zentrierung der öffentlichen Diktaturaufarbeitung zu verstärken. Vor allem die Bedeutung der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn legt es nahe, auch hier mutiger zu sein und die geplante Institutionalisierung zu erweitern. Sie sollte vielmehr als Länderstiftung „Innerdeutsche Grenze Berliner Mauer“ für weitere Bundesländer geöffnet werden.

3. Ein zentraler Mangel des Entwurfs liegt weiterhin darin, dass er die Rolle und die Eigenständigkeit der Zeithistorie als Fachwissenschaft nicht angemessen aufnimmt. Die Trennung von wissenschaftlicher Erkenntnis und geschichtspolitischem Bekenntnis wird zwar eingangs unterstrichen, in der Folge aber nicht durchgehalten und sogar mit dem Ziel einer „erinnerungspolitischen Aufarbeitung“ wieder zusammengeführt. Ebenso verwischt der Entwurf die für die Selbstständigkeit der wissenschaftlichen Zeithistorie grundlegende Trennung zwischen Forschung und Forschungsförderung, wenn er der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur neben der begrüßenswerten Ausweitung ihrer Förderungsmöglichkeiten in Zukunft eigene Forschungsaufgaben zuschreibt. Das Papier setzt auf diese Weise einen Trend zur weiteren Verlagerung der zeithistorischen Forschung von den Universitäten hin zur öffentlichen Aufarbeitung fort, der nicht ohne Folgen für die fachhistorische Grundlagenforschung bleiben wird und in der Konsequenz die Eigenständigkeit der Zeithistorie gegenüber staatlicher Geschichtspolitik und öffentlicher Geschichtskultur in Frage stellt. Auch um dem entgegenzuwirken, sollte die geplante „Ständige Konferenz der Leiter der Berliner NS-Gedenkorte“ um die Position eines Universitätsvertreters ergänzt werden, der den Stellenwert dieser Konferenz über die Schlichtung von Interessenkonflikten hinaus zu heben in der Lage ist. Auffällig ist schließlich das Ungleichgewicht des Beratungsgremiums, das der BKM für geschichtspolitische Fragen einrichten will. Dass in ihm unter den großen zeitgeschichtlichen Instituten zwar das Institut für Zeitgeschichte München, nicht aber das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam vertreten sein soll, erneuert nur mit umgekehrtem Vorzeichen einen Missgriff, der bereits der Expertenkommission entgegengehalten worden war.

4. Den Entwurf kennzeichnet des Weiteren eine strukturelle Reduzierung der beiden Diktatursysteme des 20. Jahrhunderts auf ihr Gewalt- und Bedrohungspotential. Er fällt damit hinter den Stand der Forschung zurück. Im ungewollten Ergebnis droht die Gedenkstättenkonzeption damit der nächsten Generation ein verzerrtes Bild der Wirkungsmacht undemokratischer Herrschaft zu überliefern, die im einen Fall eben nicht allein „NS-Terrorherrschaft“ und im anderen nicht allein „SED-Unrecht“ war, sondern in beiden Fällen auf erschreckende Weise auch Normalität produzierte. Dies wird am deutlichsten dort, wo der Entwurf die „vermeintlichen“ und in Anführungsstriche gesetzten „Bindungskräfte“ des SED-Staats auf das „Angst-Anpassungssyndrom des Alltags“ reduziert. Eine solche Vereinfachung wird weder dem Phänomen moderner Mobilisierungsdiktaturen gerecht noch der Debatte um das Votum der Expertenkommission. Sie verfehlt mit dieser dichotomischen Auflösung einer vielschichtigen ostdeutschen Erfahrungswelt schon im Ansatz die explizit formulierte Absicht, jeder Ostalgie entgegenzuwirken.

5. Folgerichtig ordnet der Entwurf dem Komplex „Herrschaft Gesellschaft Alltag“ in der kommunistischen Diktatur keinen eigenen Ort zu und lässt auch die alltagsgeschichtliche Sammlung in Eisenhüttenstadt unberücksichtigt. Entsprechende Themen sollen stattdessen im ehemaligen „Tränenpalast“ untergebracht werden, der thematisch aber vor allem dem Thema „Grenze und Grenzverkehr“ gewidmet ist. Die Bedeutung der Parteiherrschaft und die in der DDR-Forschung wie in zahlreichen Ausstellungen so mühsam herausgearbeitete Interaktion von Herrschaft und Gesellschaft bliebe auf diese Weise auch in Zukunft unterbelichtet.

Zitation
Stellungnahme zur BKM Gedenkstättenkonzeption, In: H-Soz-Kult, 16.07.2007, <www.hsozkult.de/text/id/texte-910>.
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