Faust antwortete Gretchen auf die Frage, wie er es mit der Religion habe, ausweichend. Mit den Worten: „Lass‘ das mein Kind!“, versuchte der Mephisto-Jünger sich des Themas zu entledigen. Auch Gretchens beharrlichen Nachfragen bezüglich seines Glaubens an Gott und seiner Haltung zu Kirchbesuch und Beichte wich er aus. Die deutsche Zeitgeschichte verhält sich ähnlich geschickt. Zwar hat sie sich immer wieder religiösen Themen angenähert, sei es der Erforschung religiöser Milieus oder der Rolle der Kirchen zur Zeit des Nationalsozialismus. Doch für die Aufarbeitung der Geschichte nach 1945 sind die Studien nur rar gesät. Auch eine methodisch und theoretisch fundierte Auseinandersetzung, wie es sie um den Milieubegriff oder die Religionsgeschichte des 19. Jahrhunderts gegeben hat, fehlt bisher für die Religionsgeschichte, welche die Zeit nach 1945 in den Blick nimmt. Liegt das an einem zunehmenden Verschwinden der Religion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das auch die Beschäftigung mit religiösen Thematiken überflüssig werden lässt?
Tatsächlich hat die Auseinandersetzung mit Religion und ihrem Verhältnis zu Staat und Welt in jüngster Zeit jedoch eine neue zeithistorische Dimension angenommen.1 Nicht zufällig wurde zeitgleich in Deutschland eine rege intellektuelle Debatte über die so genannte „Rückkehr der Religion“ geführt. Renommierte Philosophen und Soziologen wie Jürgen Habermas2 und Hans Joas3 begannen, begleitet von einem breiten öffentlichen Interesse, sich mit dem Verhältnis von Religion und Staat, der Bedeutung von religiösem Pluralismus und dem Funktionieren säkularer Gesellschaftsordnungen auseinanderzusetzen. Der Kopftuchstreit, die Diskussion um einen christlichen Bezug in der EU-Verfassung und die Verrechtlichung homosexueller Partnerschaften führten Religion auch im säkularen Deutschland in die öffentlichen politischen Debatten zurück.
Ein wichtiger Referenzpunkt in dieser Debatte waren von Beginn an die USA. Dies lag nicht nur an der Unterstützung der religiösen Rechten für George W. Bush, an der religiösen Rhetorik, die den Krieg gegen den Terrorismus begleitete, und an einer neuentflammten Debatte um Abtreibung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Stammzellenforschung. Sondern es lag vielmehr daran, dass die Lebendigkeit der amerikanischen Religiosität, die Alexis de Tocqueville bereits im 19. Jahrhundert so sehr fasziniert hatte, in einem deutlichen Gegensatz zu einem lange als selbstverständlich angenommenen Zusammenspiel von Säkularisierung und Moderne steht.
Der Begriff der Säkularisierung ist zentral für das Verständnis von Religion und Politik. Dabei handelt es sich jedoch um ein Konzept, das ebenso deskriptiv wie normativ ist und daher in die Kritik geraten ist. Der Grundgedanke geht auf Max Weber und Emile Durkheim zurück, die davon ausgingen, dass Rationalisierung bzw. Individualisierung als Katalysatoren der Moderne zu einem Niedergang der Bedeutung der Religion führen würden. Säkularisierung beschreibt zudem die Ausdifferenzierung der Bereiche Religion und Staat. Heute muss sich die Zeitgeschichte jedoch dem Phänomen stellen, dass die Moderne das Religiöse nicht verdrängt hat und dass die rechtliche Trennung von Staat und Kirche nichts über die Präsenz des Religiösen in der Politik aussagt.
Von wenigen wichtigen Ausnahmen abgesehen tut sich die deutsche Zeitgeschichte für die Zeit nach 1945 mit dem Religiösen und seiner Interaktion mit dem Politischen jedoch konzeptionell immer noch schwer.4 Der amerikanische Historiker Mark Ruff, hat sich in einem Forschungsüberblick zur deutschen Religionsgeschichte nach 1945, der gerade in Central European History erschienen ist, mit der Frage auseinandergesetzt, warum die Religion in der Forschung zur Geschichte der Bundesrepublik so wenig Beachtung findet.5 Ruff zeichnet mit dem scharfen Blick eines Außenstehenden zunächst die Entwicklung der kirchlichen Zeitgeschichte in Deutschland nach und kennzeichnet sie als teils hochpolitisiertes (besonders durch die Frage nach der Rolle der Kirchen im NS und dem Umgang mit dieser Vergangenheit), aber eben auch konfessionell fragmentiertes Feld. Zudem weist er darauf hin, dass es die disziplinäre Zuordnung der kirchlichen Zeitgeschichte an theologische Lehrstühle erschwert, Anschluss an die allgemeine Geschichtschreibung zu finden. Das erklärt auch, warum Religion in zeithistorischen Überblicksdarstellungen zur Geschichte Deutschlands nach 1945 nur am Rande auftaucht. Zudem brauchte die Disziplin länger als die generelle Zeitgeschichtsforschung, um politik- und institutionenhistorische Zugänge durch Methoden der Sozial- und jüngst auch der Kulturgeschichte zu erweitern.6
Eine Öffnung der Religionsgeschichte zur Kulturgeschichte kann jedoch zum einen helfen, die institutionengeschichtliche Fokussierung auf das Organisationsprinzip Kirche, Akademie und Verein oder den sozialhistorischen Blick auf Milieus aufzubrechen und stärker danach zu fragen, wie sich religiöses Selbstverständnis in Diskursen und Praktiken in unterschiedlichen Formen immer wieder neu konstituiert.7 Die Fragmentierung unserer Vorstellung dessen, was Religion ist, kann uns helfen, verschiedenartige religiöse Ausdrucksformen und religiöse Bewegungen analytisch zu fassen. Dadurch ergeben sich auch neue Einsichten in das Verhältnis von Religion und Politik: Nicht nur hohe Kirchenvertreter, Bischofskonferenzen und christliche Sozialverbände interagieren mit politischen Parteien und Regierungsvertretern, sondern Kirchentage, diverse religiöse Jugendgruppen und Protestbewegungen können ihre eigene politische Dynamik entfalten. Religiöse Diskurse verflechten sich mit Gesellschaftsdebatten um Feminismus, Verwissenschaftlichung und Globalisierung. So öffnet sich eine Kirchengeschichte hin zu einer Kulturgeschichte des Religiösen.
Diese Sicht korrespondiert mit neuen zeithistorischen Zugängen zum Politischen. Die aktuell diskutierte Kulturgeschichte des Politischen versucht die reduzierte Sicht auf politische Eliten und staatliche Entscheidungsprozesse zu überwinden und das Feld des Politischen stärker in seiner eigentlichen Genese und Konstituierung in den Blick zu nehmen.8 Dadurch öffnet sie das Feld für neue politische Akteure, zeigt die Bedeutung von Sprache, Symbolen, Diskursen und Inszenierungen bei der Komposition des Politischen, das sich in veränderten kulturellen Zusammensetzungen immer wieder neu bildet. Es wird immer wieder ausgehandelt, was das Politische ist. Dieser Zugang kann uns helfen zu fragen, wie das Religiöse seinen Weg in das Politische findet. So erstaunt es nicht, dass Frank Bösch und Norman Domeier in ihrem jüngst vorgelegten Sonderheft zur Kulturgeschichte des Politischen ein religiöses Thema, nämlich den Kopftuchstreit, zum Ausgangspunkt ihrer einleitenden Überlegungen machen.9
Wer das Verhältnis von Religion und Politik jedoch konzeptionell neu fassen will, der muss nicht nur das Politische neu konturieren, sondern auch die unterschiedlichen Formen definieren und ernst nehmen, in denen sich das Religiöse zeigt und niederschlägt. Auch das Säkulare als der Gegenentwurf des Religiösen verlangt danach, kritisch hinterfragt zu werden. Säkularisierungstheorien können nicht als dogmatischer Leitfaden einer zeithistorischen Auseinandersetzung mit Religion dienen. Denn auch was unter Säkularisierung verstanden wird, ob darunter Entkirchlichung, Verfall religiöser Deutungsmacht oder der Siegeszug der Aufklärung zu verstehen ist, wird immer wieder neu definiert. Somit sollte eine Zeitgeschichte der Religion Säkularisierung als normatives Konstrukt, das Teil unserer europäischen Selbstbeschreibung ist, hinterfragen.
Um dem vielseitigen Zusammenspiel von Religion und Politik im Hinblick auf religiöse Akteure, die Präsenz des Religiösen im öffentlichen Diskurs und zivilreligiöse Selbstentwürfe gerecht zu werden, müssen wir unsere bipolare Sicht auf vermeintlich ausdifferenzierte Gesellschaftsbereiche Religion und Politik überwinden. Das kann uns gleichzeitig dazu herausfordern, unsere Vorstellung von Moderne kritisch zu hinterfragen. Die Moderne hat nicht eindimensional zu Säkularisierung geführt. Vielmehr wandeln sich das Religiöse und das Politische in der Moderne, und eine Kulturgeschichte des Politischen kann uns helfen, beide Prozesse in ihrer Verschränkung zu betrachten.
Ich möchte im Folgenden zeigen, wie jüngste Publikationen aus der deutschen Amerikanistik, die aktuellen Debatten in der Religionssoziologie und die Ansätze einer Kulturgeschichte des Politischen der Zeitgeschichte helfen können, Religionsgeschichte nach 1945 als ein eigenes Feld zu definieren, das über die Kirchengeschichte hinausweist. Der Umweg über die USA mag zunächst verblüffen, vielleicht sogar diejenigen irritieren, die sich eine stärkere Herleitung der Argumentation aus aktuellen Debatten innerhalb der deutschen kirchlichen Zeitgeschichte und Religionswissenschaft gewünscht hätten. Tatsächlich wähle ich jedoch bewusst den Zugang über Arbeiten, denen zumeist eine transatlantische, vergleichende Perspektive innewohnt.
Denn die Auseinandersetzung mit Religion in den USA kann uns helfen, unseren Blick auf das Religiöse zu öffnen, der durch unsere eigene kulturelle Prägung verstellt sein kann. Die USA kennen keine Unterscheidung zwischen Kirche und Sekte, die Trennung von Kirche und Staat folgt anderen Grundüberzeugungen als in Deutschland, das Religiöse schreibt sich auf andere Art und Weise in nationale, staatsbürgerliche und moralische Diskurse ein. Das Feststellen dieser Unterschiede kann uns sensibel machen für die Stellen, an denen wir in unserer eigenen Gesellschaft und Geschichte nach dem Religiösen suchen können und an denen sich die Interkation des Politischen und des Religiösen zeigt.
Daher werde ich nun zunächst vorstellen, wie jüngere deutsche Arbeiten zur amerikanischen Religionsentwicklung das Verhältnis von Religion, Politik und Nation thematisieren und deutlich machen, was diese Arbeiten methodisch und theoretisch zur Erforschung des Verhältnisses von Religion und Politik beitragen. Im Anschluss daran werden ausgewählte religionssoziologische und anthropologische Arbeiten zur Kultur des Religiösen und Säkularen vorgestellt und diese an einen zeithistorischen Zugang zur Religion rückgebunden. In einem abschließenden Teil werde ich auf der Basis transatlantisch vergleichender Smamelbände zeigen, dass neben dem Interesse an der amerikanischen Religion auch ein lebendiges Forschungsfeld bezüglich des Verhältnisses von Religion und Politik in der Bundesrepublik entstanden ist. Ich schließe mit einem Ausblick darauf, wie uns die aktuellen Debatten um eine Kulturgeschichte des Politischen helfen können, neue zeithistorische Forschungsfragen an das Verhältnis von Religion und Politik zu stellen.
1. Die Faszination des Fremden: Religion in den USA
Europäische Intellektuelle schauen häufig irritiert auf das dynamische religiöse Leben der USA, das der verbreiteten und weitgehend unhinterfragten Annahme, dass eine moderne Gesellschaft sich durch ihre Säkularität auszeichnet und an ihr erkennen lässt, diametral gegenübersteht. Das religiöse Leben der USA entfaltet sich zudem zwischen scheinbaren Widersprüchlichkeiten: Der erste Verfassungszusatz legt zwar eine strikte Trennung von Staat und Kirche fest, Religion ist jedoch in öffentlichen, politischen Diskussionen äußert präsent. Die Nationen- und Gemeinschaftsbildung in den USA verläuft zudem entlang zweier verschiedener Grundtendenzen: Sie erfolgt zum einen pluralistisch-konfessionell an der Basis von Kirchengemeinden, zum anderen gibt es aber auch einen zivilreligiösen Konsens, der unterschiedlichste Wertvorstellungen und Rituale zu einem Glauben an Amerika vereint, für den der Soziologe Robert Bellah den Begriff „Civil Religion“ geprägt hat.10 Alexis de Tocqueville hat das Phänomen schon vor mehr als 170 Jahren wie folgt benannt: „Religion in America takes no direct part in the government of society, but it must be regarded as the first of their political institutions.“11
Die blühende Religionslandschaft der USA, in der Modernität und Religiosität eben keine Widersprüche zu sein scheinen, hat die deutsche Geschichtsforschung, Politikwissenschaft und Soziologie immer wieder dazu herausgefordert, auch die Verflechtung von religiösem und politischem Leben zu thematisieren. Ein intellektuell anregender Begleiter dieses Prozesses, wenn auch zu Beginn mit starkem Fokus auf die fundamentalistische Strömung des Protestantismus, ist seit den 1980er-Jahren der heute an der University of Chicago lehrende Religionssoziologe Martin Riesebrodt. In seiner Habilitationsschrift „Fundamentalismus als patriarchale Protestbewegung“ verglich er den Aufstieg des amerikanischen protestantischen Fundamentalismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem der iranischen Schiiten seit den 1960er-Jahren.12 Riesebrodts Arbeit war deshalb so wichtig, da er die Untersuchung des Fundamentalismus von Beginn an mit weiterführenden theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Religion und Moderne sowie Politik und Gesellschaft verband. Er beschreibt in seiner Arbeit die Genese beider fundamentalistischer Bewegungen und zeigt, welche sozialen Veränderungen dazu führten, dass sich religiöse Gruppierungen gesellschaftlich engagieren, um so gegen ihre eigene Marginalisierung zu kämpfen. Diese Gruppen sind durch ihr neuentwickeltes politisches Engagement jedoch nicht nur Gegner der Moderne, sondern sie verändern sich eben auch in ihr.13
Zeitgleich legte Riesebrodt erste programmatische Aufsätze vor, die zeigten, dass es ihm darum ging, über die Auseinandersetzung mit dem Fundamentalismus zu generellen Schlüssen über die Politisierung von Religion zu kommen. Seiner Definition nach handelte es sich bei der Politisierung von Religion um „eine Politisierung von Heilsinteressen oder genauer, um die Deutung politischen Geschehens im Sinne heilsgeschichtlicher Szenarien sowie um ein darauf basierendes aktives Eingreifen in politische Prozesse.“14 Er regte an, die Glaubensinhalte zu analysieren, in denen sich die Politisierung von Religion ausdrückt und nach der Genese einer Trägerschaft zu fragen, für die eine solche heilsgeschichtliche Dramatisierung plausibel ist. Sein Fokus lag dabei besonders auf dem Krisenbewältigungspotential der Religion.
Riesebrodt rückte damit die religiösen Akteure in den Untersuchungsfokus. Er fragte nicht nach der Indienstnahme der Religion durch die Politik oder nach dem politischen Engagement als etwas religiösen Gruppen Fremdes, sondern er erklärte, wie religiöse Gruppen sich durch ihre Glaubensvorstellungen in politische Akteure verwandelten. Gleichzeitig öffnete er den Blick für die Gesamtgesellschaft, indem er das Entstehen und Handeln religiöser Akteure zum „Seismograph zur Aufzeichnung und Diagnose gesellschaftlicher Erschütterungen und Verschiebungen“15 erklärte.
Riesebrodts theoretische Vorarbeiten beeinflussten die deutsche Aufarbeitung des besonderen Verhältnisses von Religion und Politik in den USA jedoch kaum. Hier dominierte zunächst der politikwissenschaftliche Blick auf den Einfluss von religiösen Gruppen auf das Feld der Politik. Im Zentrum der Analyse stand dabei die religiöse Rechte als der politische Arm der Religion.16 Politisches Engagement ist jedoch nicht gleich Politisierung, die als Terminus viel stärker den Wandel in Selbstverständnis, Glaubenssätzen und Ausdrucksformen religiöser Gruppen beschreibt. Zudem wurde zwar der Einflussversuch religiöser Gruppen auf die aktuelle Politik nachgezeichnet, jedoch nicht gefragt, wie dieses Engagement auch das Politische verändert. Politische Deutungsmacht von Religion manifestiert sich nämlich nicht nur in der Formierung einer religiösen, politischen Bewegung, sondern religiöse Wertvorstellungen gehen auf vielfältige Art und Weise in den öffentlichen Diskurs ein. Christliche Werte finden sich in Debatten um Staatsbürgerschaft und Nation, Religionen bringen eigene politische Protestformen hervor – Abtreibungsgegner knien vor Kliniken – und die öffentliche Beichte von Politikern nach sexuellen Fehltritten erinnert nicht selten an religiöse Bekenntnisrituale.
Das deutsche Interesse an der amerikanischen Religion hat jedoch in den letzten Jahren im Schatten der allgemeinen Debatten um die Terroranschläge vom 11. September 2001 und die religiöse Ausrichtung der Regierungen unter George W. Bush noch einmal zugenommen.17 Nun liegen erste Studien vor, welche die Fokussierung auf den rechten Rand überwinden und auch die Geschichte von gemäßigten, so genannten Mainline-Protestanten und anderen Glaubensgruppen wie Katholiken, Juden und Muslimen ernst nehmen. Sie zeichnen das faszinierende Bild einer Gesellschaft, in der religiöser Pluralismus und – überspitzt gesagt – theokratische Tendenzen im ständigen Widerstreit miteinander stehen. Es war das Verdienst des Soziologen Rainer Prätorius, schon im Jahr 2003 eine analytisch klare Überblicksdarstellung über das Verhältnis von Religion, Nation und Politik in den USA vorzulegen. Darin hob er den amerikanischen religiösen Pluralismus hervor und skizzierte das zivilgesellschaftliche Aktionsfeld der unterschiedlichen religiösen Gruppen, das durch die strikte Trennung von Staat und Kirche entsteht.18
Erst jüngst folgten ihm zwei historische Studien zur amerikanischen Religionsentwicklung.19 Eine davon verfasste der am Heidelberg Center for American Studies angesiedelte amerikanische Theologieprofessor Robert Jewett zusammen mit Ole Wangerin. Beide haben unter dem Titel „Mission und Verführung“ ein überzeugendes und anregendes Überblickswerk über 400 Jahre amerikanische Religionsgeschichte vorgelegt.20 Mit fast essayistischer Leichtigkeit zeichnen sie die positiven wie negativen Verflechtungen von Religion und Nation in der amerikanischen Politik und Zivilreligion nach. Ihre Grundthese – die sie stringent durch die gesamte Darstellung verfolgen – lautet, dass „zwei entgegengesetzte Traditionen biblischer Herkunft“ die nationale Identität der USA prägen: Auf der einen Seite ein fast blinder, missionarisch-eifernder Nationalismus, der auf der Überzeugung der Amerikaner basiert, ein erwähltes Volk mit göttlichem Sendungsauftrag zu sein, der der jungen Nation bereits von den Puritanern in die Wiege gelegt worden sei. Dem steht auf der anderen Seite der prophetische Realismus gegenüber, der zwar auch von einem starken Erlösungsglauben inspiriert ist, jedoch den Grundprinzipien Pazifismus und Toleranz folgt.21
Weite Teile der Darstellung dokumentieren den festen Glauben beider Autoren an die positive Rolle, die Religion in der politischen Geschichte einnehmen kann, wenn sie durch Anhänger der realistischen Prophetie wie Abraham Lincoln oder Martin Luther King vertreten wird. Die Religion steht im Zentrum der Betrachtung, und das ist erfrischend neu in einer Forschungslandschaft, die bisher zwar den Einfluss religiöser Gruppen auf die amerikanische Politik analysiert hat – sei es im Kontext der Bürgerrechtbewegung oder der religiösen Rechten –, sich jedoch viel weniger mit dem Innenleben und der Veränderung religiöser Gruppen durch ihr politisches Engagement befasst hat.22 Hier erhalten nun amerikanische Prediger, Theologen und religiöse Sozialreformer in Kurzbiographien ein Gesicht. Die Autoren schenken ebenso gewandelten religiösen Ausdrucksformen, neuen Rhetoriken, Versammlungsorten und Inszenierungen Aufmerksamkeit. Biblischen Begründungszusammenhängen wird auf der Basis der Bibel nachgegangen und theologische Diskussionen finden Erwähnung.
Gegenüber den ersten beiden Teilen fällt der dritte Teil jedoch entschieden ab. Die Autoren widmen sich hier den Sündenfällen der amerikanischen Religion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem Entstehen kommerzieller Megachurches und der neuartigen religiösen Aufladung und Militarisierung der amerikanischen Zivilreligion in den 1950er-Jahren. Die neuentstandene Liaison zwischen Zivilreligion, Nationalismus und Antikommunismus machte es möglich, auf der Basis christlichen Glaubens für die Militäreinsätze in Korea und Vietnam und später für die Nachrüstung der 1980er-Jahre einzutreten. Der jüngste Krieg im Irak wirft einen langen Schatten auf diesen Teil, der den Blick auf den linken, sozial engagierten und den entstehenden ökologisch engagierten Teil des evangelikalen Lagers völlig verdunkelt.23
Das evangelikale Lager folgt nicht geschlossen Prozessen der Konformierung und Kommerzialisierung. Der religiöse Pluralismus lebt auch innerhalb der Denominationen fort und wird häufig von einer Forschungstradition übersehen, die zu stark auf den konservativen Flügel der religiösen Bewegungen in den USA ausgerichtet ist. Zudem darf, wer Religion wirklich ernst nimmt, sich nicht den Blick durch die Megachurches verstellen lassen, sondern muss auch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf traditionelle Formen des Gemeindelebens blicken. Hier werden Gemeinschaftsvorstellungen gelebt und soziale Beziehungen gepflegt. Hier entwickelt Religion eine bemerkenswerte Integrationskraft, die ein fester Bestandteil der Gesellschaftsgeschichte der USA ist. Die Analyse dieser religiösen Gemeinschaftsbildung öffnet den Blick auf kulturelle Trends und Umbrüche in der sozialen Verfasstheit der USA im 20. Jahrhundert.
Zu solchen Fragestellungen regt der äußerst stimulierende Essay von Michael Hochgeschwender „Amerikanische Religion“ an.24 Wie Jewett und Wangerin begleitet er seine Leser/innen durch 400 Jahre amerikanische Religionsgeschichte. Ihm geht es dabei darum, die Genese des amerikanischen Protestantismus im Spannungsfeld von gesellschaftlichen Transformationskrisen, nationaler Identitätsbildung und marktwirtschaftlicher Selbstkommodifizierung im Kontext der Moderne nachzuzeichnen. Er zeigt, wie protestantische Strömungen sich ständig zum Wandel politischen Denkens, zur Veränderung wirtschaftlicher Dynamiken und kulturellen Strömungen positionieren. Dabei verhalten sie sich zwar weitgehend system- und marktkonform, bringen aber auch eigene Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung und politischer Partizipation hervor und gestalten somit Gesellschaft und Moderne mit.25 Hochgeschwenders Buch stellt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Verhältnisses von Religion und Politik dar, da sein Fokus auf die Verbindung von religiösem und politischem Selbstverständnis in Glaubensinhalten und Glaubenserfahrung eine bipolare Sicht auf die beiden Gesellschaftsbereiche überwindet.
Tatsächlich führt der wohl vielversprechendste Weg, das politische Engagement religiöser Gruppen in der Moderne zu erklären, über die Analyse der religiösen Basis. Hier müssen wir fragen, welche Bedürfnisse, Ängste und Erwartungen vorherrschen und wie diese sich politisieren und politisieren lassen, welche Praktiken gewählt werden, nicht nur um mit höheren Mächten zu kommunizieren, sondern auch um sich politisch zu artikulieren. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei den einzelnen religiösen Akteurinnen und Akteuren zu. In seiner oder ihrer Person verflechten sich religiöse und politische Überzeugungen. Wer das Verhältnis von Religion und Politik nicht nur strukturell erfassen und beschreiben will, muss die politische Identität und die sich daraus ableitenden Praktiken des einzelnen religiösen Akteurs ernst nehmen. Man muss es wagen, die Kultur des Religiösen auf individueller Ebene zu entflechten.26 Oder wie Friedrich Wilhelm Graf, der scharfsinnige Begleiter der Debatten um das Verhältnis von Religion und Moderne, jüngst zugespitzt fragte: „Doch lässt sich Religionsgeschichte schreiben, wenn das genuin Religiöse in der Religion, Emotionen und Passionen, Höllenängste und Erlösungshoffnungen, außen vor bleiben?“27
2. Der Reiz des Religiösen und das Problem der Säkularisierung
Eine theoretische Perspektive darauf, wie wir methodisch zu diesem genuin Religiösen vordringen können, hat nun Martin Riesebrodt – und hier schließt sich der Kreis der Forschungsentwicklung der letzten beiden Jahrzehnte – in einem faszinierenden Buch vorgelegt.28 Es geht ihm darin darum, einen für die Forschung praktikablen Religionsbegriff zu entwickeln, der dem Religiösen gerecht wird. Er versucht herauszufinden, ob es eine generelle Essenz des Religiösen gibt und welche Erwartungen, Erfahrungen und Praktiken Religion – ob mono-oder polytheistisch – komponieren. Das soll unterschiedliche Religionen vergleichbar machen und die Erforschung der Religionen zudem von normativem Ballast befreien. Was Religion ist, definieren die religiösen Akteure, nicht der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin.
Die Kernaussage von Riesebrodts Religionstheorie ist, „daß Religion auf der Kommunikation mit übermenschlichen Mächten beruht und sich mit der Abkehr von Unheil, der Bewältigung von Krisen und Sinnstiftung von Heil befaßt (…).“29 Diese Kommunikation findet ihren Niederschlag in einem System von Praktiken, die für Riesebrodt Momentaufnahmen sind und die er aus dem Kontext religiöser Traditionen herauszuschälen versucht. Ihn interessiert „die konkrete Realität von Religionen mit all ihren Überlagerungen, Synkretismen und lokalen Eigenheiten.“ Diese Schwerpunktsetzung lässt es schlüssig erscheinen, dass Riesebrodt den Kultus in den Mittelpunkt seiner Theorie rückt. Mit seinem Blick auf Regeln und Riten verbannt er die Theologie in den Hintergrund – mit einer Schärfe, die unnötig ist.
Riesebrodts Studie beginnt mit der Vorstellung unterschiedlicher Religionsbegriffe und -diskurse. Er sensibilisiert seine Leserschaft dafür, darüber zu reflektieren, dass das, was wir Religion nennen, diskursiv erzeugt wird und oftmals mit normativen Zuschreibungen wie liberal, anti-modern, aufgeklärt verbunden ist und uns somit den Blick auf die Analyse von Religionen, die uns fremdartig erscheinen, verstellt.
Riesebrodt entwickelt seine eigene Theorie der Religionen anhand der Aspekte des Definierens, Verstehens und Erklärens von Religion. Ihm geht es darum, die Innenperspektive der Religion zu abstrahieren und zu systematisieren; dazu analysiert er religiöse institutionalisierte Praktiken auf ihren Sinngehalt hin. Er distanziert sich von einem funktionalen Religionsbegriff, der danach fragt, was Religion tut, sondern fragt handlungstheoretisch orientiert danach, was Religion ist und kommt zu folgender pragmatischer Aussage: Religion ist eine Anordnung sinnstiftender kultureller Praktiken zur Kontaktaufnahme mit übermenschlichen Mächten oder ganz praktisch formuliert: Opfer, Gebete und Gesänge, verbunden mit Orten, Objekten und Repräsentationen.
Riesebrodts Studie schließt mit einem Kapitel, das sich mit der zukünftigen Erforschung der Religion befasst. Er hat einen Religionsbegriff vorgelegt, der Religionen vergleichend analysierbar macht. Ihn gilt es anzuwenden und in ähnlichem Maße normativ überformte Begriffe wie Säkularisierung, Entzauberung und Entkirchlichung zu dekonstruieren. Wenn es uns zudem gelingt, von der Religion auf die Moderne zu blicken statt umgekehrt, dann liegt ein völlig neues Forschungsfeld vor uns, in dem die Religion dahingehend untersucht wird, wie sie die Moderne und unsere Vorstellung von ihr mitprägt und nicht nur als Reflektionsfläche für unsere Erwartungen an eine entzauberte Welt dient. Auch dafür hat Riesebrodt den theoretischen Grundstein gelegt, ganz unaufgeregt, aber gerade dadurch fulminant.
Riesebrodts implizite Kritik an der bisherigen Erforschung der Religion teilt in den USA der Religionwissenschaftler Jon Butler.30 In einem programmatischen Aufsatz in „History and Theory“ stellte er im Dezember 2006 fest, dass bisher kaum Studien vorlägen, die das Faszinosum erklären, dass Religion auch am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur das persönliche Leben in den USA prägt, sondern eben auch die Politik.31 Butler schlägt zwei theoretische Wege vor, dieses Faszinosum in Zukunft nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu analysieren. Erstens fordert er uns auf, unseren Säkularisierungsbegriff kritisch zu hinterfragen. Ist mit Säkularisierung tatsächlich Religionslosigkeit gemeint, oder müssen wir nicht viel sensibler für das Phänomen werden, dass Religion gerade in einem säkularen Umfeld hervorragend prosperieren kann? Um dies zu klären, schlägt Butler zweitens vor, zu fragen, welche Synkretismen religiöses Leben durch die Interaktion mit seinem säkularen und populärkulturellen Umfeld eingeht.32 Durch solche Fragestellungen – und da geht Butler mit Riesebrodt konform – könne man durch die Religion etwas über eine Moderne lernen, die eben nicht als säkular definiert sein muss.
Butlers Forderung, in unserer Auseinandersetzung mit der Religion auch unsere Vorstellung von Moderne und Säkularisierung zu überdenken, kann auf den Studien aufbauen, die in den 1990er-Jahren begannen, den Begriff der Säkularisierung zu definieren, zu modifizieren und teilweise zu verwerfen. Bereits in den 1960er-Jahren hatte die Religionssoziologie damit begonnen, durch eine Neudefinition des Religionsbegriffs zu zeigen, dass die Moderne nicht per se zu einem Rückgang der Religion, wohl aber zu deren Wandel führt. Neue religiöse Bewegungen und neue religiöse Organisationsformen schienen Protagonisten wie Thomas Luckmann und Peter L. Berger recht zu geben. Die Religion war in der modernen Gesellschaft noch da, sie war aber „unsichtbar“.33 Damit bezeichnete Luckmann das Phänomen, dass Religion zwar ihre traditionellen Funktionen sukzessive einbüßte, im Privaten aber fortbestand.
Die Beobachtung, dass sich Religion seit den 1980er-Jahren auch wieder zunehmend im öffentlichen Raum positionierte, hat den Soziologen José Casanova dazu herausgefordert, im Jahr 1994 eine Modifizierung – nicht die Aufgabe – der Säkularisierungstheorie zu fordern. Seine Studie macht deutlich, wie eng die Frage nach Säkularisierung mit der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik verknüpft ist.34 Casanova spricht von einer Deprivatisierung der Religion, die gleichzeitig auch wieder zu stärkerem gesellschaftlichem Einfluss religiöser Gruppen führt. Dennoch sieht er die moderne Ausdifferenzierung der Bereiche Religion und Staat gewahrt, solange Religion ausschließlich im zivilgesellschaftlichen Bereich wirkt.
Casanova erkennt nur das politische Engagement von religiösen Akteuren an, das demokratische Regierungen und Willensbildungsprozesse akzeptiert. Wenn Religion Zivilgesellschaft konstituiert (wie beispielsweise im polnischen Widerstand gegen das kommunistische Regime) und an öffentlichen Debatten um freiheitliche Werte wie in den USA partizipiert, ist die Trennung von Staat und Religion gewahrt, obwohl bzw. während Religionen am politischen Prozess teilnehmen. Religiöse Gruppen, die jedoch individuelle Freiheiten oder zivilgesellschaftliche Prinzipien untergraben und versuchen, Einfluss auf den Regierungsprozess zu nehmen, verstoßen gegen die Grundprinzipien der Moderne und die Werte der Aufklärung, so Casanovas normative Feststellung.
Kritisch setzte sich der Anthropologe Talal Asad in seinem Beitrag zur Säkularisierungsdebatte 2006 mit der Normativität der Säkularisierungsthese auseinander.35 Die Idee des Säkularen ist für ihn ein historisch gewachsenes Konzept, das eine bestimmte Aufgabe erfüllte, nämlich die Trennung des Religiösen und des Politischen sowie die Delegierung des Religiösen in den privaten Raum festzuschreiben. Er zeigt, dass allein die rechtliche Trennung von Staat und Religion noch lange nichts über das eigentliche Überlappen religiöser und politischer Identitäten in Akteuren, Symbolen und Diskursen aussagen muss. Für Asad steht fest, dass „the experience of religion in the ’private’ spaces of home and school is crucial to the formation of subjects who will eventually inhabit a particular public culture. It determines not only the ’background‘ by which shared principles of that culture are interpreted, but also what is to count as interpretive ’background‘ as against ’foreground‘ political principles.”36 Religiöse Akteure konstituieren den säkularen Raum mit, denn religiöse „(…) objects, sites, practices, words, representations – even the minds and bodies of worshipers – cannot be confined within the exclusive space of what secularists name ’religion’.”37
Asads anthropologischer Zugang rückt die religiöse Identität – basierend auf Erfahrungen, Praktiken und Vorstellungen – des modernen Staatbürgers in den Fokus der Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Politik. Damit öffnet er eine reizvolle Forschungsperspektive, denn seine religiösen Subjekte liegen an der Schnittstelle zwischen politischem Engagement, rechtlicher Rahmensetzung und religiösem Handeln. In ihrer Person können bürgerliche und religiöse Identitäten in Konflikt geraten. Katholiken, die selbst aus moralischen Gründen Abtreibung ablehnen, können dennoch aus Achtung vor der säkularen Gesellschaftsordnung die Legalisierung der Abtreibungsfrage unterstützen, da der Staat eben nicht nur die Lebensverhältnisse von Katholiken verrechtlicht, sondern auch die von Bürgern und Bürgerinnen, die den Beginn menschlichen Lebens eben nicht auf die Zeugung datieren.
Den heutigen Diskussionstand zur Säkularisierungsthese fasst ein deutscher Sammelband zusammen, der auf die Beiträge einer öffentlichen Vortragsreihe an der Humboldt-Universität zu Berlin zurückgeht.38 Der Band nimmt eine vergleichende Perspektive auf die religiöse Landschaft in Deutschland, den USA und in Russland sowie auf den Buddhismus, den Islam und das Judentum ein und überwindet somit eine eurozentrische Perspektive. Denn Europa ist, wenn es um Säkularisierung geht, die Ausnahme und nicht die Regel. Tatsächlich verstellte jedoch die europäische Selbstbeschreibung des Kontinents als modern und säkular den Blick darauf, dass Religionen weltweit boomen, gerade auch in den „modernen“ Gesellschaften USA und Japan.
Die Stärke des Bandes ist, dass er Säkularisierung auch als „eine Kategorie europäischer Selbstdeutung“39 thematisiert. Europäische Intellektuelle neigen dazu, „säkular“ mit aufgeklärt und modern gleichzusetzen. Dass sich jedoch das implizite Verständnis von religiöser Dynamik als anti-aufklärerisch bzw. antimodern verbietet, erhellen auch in diesem Band die Beiträge zur religiösen Entwicklung der USA.40 Der Nachteil des Bandes sind seine Disparatheit sowie seine Redundanzen; dennoch ist die Mehrheit der oftmals sehr essayistisch verfassten Aufsätze durchaus inspirierend. Der einleitende Beitrag von Johannes Zachhuber, der einen ausgezeichneten Einblick in die Forschung zur und die Debatten um die Säkularisierung in Theologie und Philosophie liefert, sticht deutlich heraus.41 Zachhuber stellt die Argumente der Verteidiger der Säkularisierungthese wie Steve Bruce42 und Detlef Pollack43, die der Modifizierer wie José Casanova und ihrer Gegner wie Peter Berger44 vor. Zachhuber geht zudem auf die öffentliche Dimension der Debatte ein, ausgelöst durch die Rede, die Jürgen Habermas am 14. Oktober 2001 zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels gehalten hat.45 Darin forderte Habermas, dass sich die Fronten zwischen dem säkularen und dem religiösen Lager und dessen Streit um ein moralisches Deutungsmonopol nicht verhärten dürften. Religiösen Argumenten käme in einer sich sukzessive kapitalisierenden und globalisierenden Welt ein Wert zu, der sich nicht einfach durch säkulare Rhetorik ersticken ließe. Habermas redete einem demokratisch aufgeklärten Commonsense das Wort, der anerkennen müsse, dass vielen seiner zentralen Anliegen eine religiöse Tradition innewohnt und auch in der Gesellschaft, die sich gerne selbst als säkular beschreibt, von religiösen Gruppen vorgetragen wird. Durch die Auseinandersetzung und Anerkennung dieser Tradition ließe sich ein kultureller Krieg zwischen dem säkularen und religiösen Lager, wie er sich gerade in den Terroranschlägen vom 11. September manifestiert hatte, abwenden.
Wer verstehen will, wie Europa zum weltweiten Sonderweg der Säkularisierung (inklusive der von Habermas explizit benannten Höhen und Tiefen dieses Weges) werden konnte, der sollte jedoch nicht nur den Blick auf die Theorie, sondern auch auf die Geschichte werfen. Ein aufmerksamer Begleiter dieses Prozesses ist für die deutsche Geschichtswissenschaft der Göttinger Historiker Hartmut Lehmann.46 Im anglo-amerikanischen Raum hat gerade der Philosoph Charles Taylor sein beeindruckendes Lebenswerk in einem Band mit dem simplen Titel „A Secular Age“ zusammengefasst. Seine Studie nimmt ihren Ausgangspunkt in einer ebenso simpel formulierten Frage: “Why was it virtually impossible not to believe in God in, say 1500 in our Western society, while in 2000 many of us find this not only easy, but even inescapable?“47 Taylor spürt der Geistesgeschichte der Moderne nach und versucht zu erklären, wie der Glaube an Gott zu einem Glauben neben vielen anderen werden konnte. Der Aufstieg des Humanismus als quasi religiösem Denkschema nimmt in dieser Entwicklung einen besonderen Stellenwert ein. Religion wird nicht durch die Wissenschaft verdrängt, sondern der Glaube an Wissenschaft wird zur Alternative zum Glauben an Gott. Die Menge der Fakten und Ideen, mit denen Taylor seine Leserinnen und Leser konfrontiert, erschlägt, und dennoch setzt sich vor dem eigenen Auge ein neues Bild einer komplexen Moderne zusammen, in der die unterschiedlichsten Glaubensformen in Konkurrenz zueinander stehen, in der religiöse Gruppen an sozialen Veränderungen partizipieren oder diese ablehnen, mit Rückzug, Gewalt oder Anpassung reagieren.
Braucht es tatsächlich soviel theoretische Reflektion, um das Verhältnis von Religion und Politik in der Moderne zu verstehen? Ja, denn Vorstellungen des Religiösen und des Säkularen, Ängste und Hoffnungen, die sich mit Säkularisierung und Modernisierung verbinden, prägen die religiösen Akteure und beeinflussen oder motivieren sogar erst ihr politisches Handeln. Die säkulare Gesellschaftsordnung ist der Raum, in dem religiöse Akteure agieren und zu dem sie sich positionieren müssen. Dieser Handlungsraum ist ein ideologischer Bezugspunkt, er ist aber auch durch bestimmte rechtliche Regelungen konstituiert.48 Vorstellungen von Säkularisierung prägen zudem auch die Art, wie wir selbst Religionsgeschichte schreiben.
Wir müssen definieren, was das Religiöse und das Säkulare sind. Das wird uns auch helfen, die Rolle der Religion in der deutschen Zeitgeschichte klarer zu bestimmen. Denn nachdem wir lange entgeistert auf die religiöse Dynamik der USA geblickt haben, ist die Religion mit Verve auch in den bundesdeutschen Diskurs zurückgekehrt. Oder war sie etwa nie weg?
3. Der geschärfte Blick auf Europa: das Unbehagen am Eigenen
Es war faszinierend mit anzusehen, dass das Interesse an der amerikanischen Religion plötzlich auch von einem Interesse an der deutschen bzw. europäischen religiösen Verfasstheit begleitet wurde. Impulse gaben dabei Untersuchungen, die bewusst vergleichend angelegt waren. Im Jahr 2006 legte Hartmut Lehmann einen Band zur transatlantischen Religionsgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts vor, der nicht nur vergleichend auf den unterschiedlichen Ort des Religiösen in beiden Gesellschaften blickte, sondern auch nach der wechselseitigen Beeinflussung der europäischen und amerikanischen religiösen Kulturen fragte.49 Wilhelm Damberg und Antonius Liedhegener haben in den letzten Jahren insbesondere die vergleichende Geschichte des Katholizismus in den USA und in Deutschland vorangetrieben. Schon in einem gemeinsam herausgegebenen Sammelband zeigten sie das Spannungsfeld zwischen Politik und Religion in beiden Gesellschaften bezüglich des politischen Engagements, der wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung und der Friedensethik der katholischen Kirche auf beiden Seiten des Atlantiks auf.50 Das Buch lebt nicht nur von den ausgewiesenen deutschen und amerikanischen Autoren und Autorinnen, sondern auch davon, dass Fragen der Kirchlichkeit, der religiösen Praxis, des Gemeindelebens, der Seelsorge und Erziehung mit in die Analyse einbezogen sind.
Damit, wenn dies auch theoretisch nicht explizit gemacht wird, entsteht ein Gesamtbild des Werdegangs und der Sozialisation der politischen Akteure, wie Asad sie beschrieben hat. Wer das politische Engagement religiöser Bürger und Bürgerinnen entschlüsseln will, muss deren religiöse Prägung ernstnehmen. Dass eine Geschichte der Verflechtung von Religion und Politik, die allein auf die Interaktion institutionalisierter Akteure blickt, ansonsten recht leblos wirken kann, ist ein Eindruck, dessen sich die Leserin beim Blick in Antonius Liedhegeners Habilitationsschrift kaum erwehren kann.51
Der Politikwissenschaftler untersucht in vergleichender Perspektive, wie der Katholizismus in der Bundesrepublik und den USA seit 1960 im politischen Feld agiert. Ausgehend von der Beobachtung, dass „die Frage nach dem Wechselverhältnis von Religion und Politik, von Kirche und Staat, von religiösen Gruppeninteressen und gesellschaftlich bindenden Normen und Gesetzen eine bleibende ist und mit wechselnder Dringlichkeit im Verlauf der Geschichte immer wieder konkrete Antworten im Verfassungsrecht, in der politischen Praxis und in der politischen Kultur eines Landes erfordert“, untersucht Lindenheger das politische Lobbying der katholischen Kirche in den USA und der Bundesrepublik seit dem Zweiten Vatikanum. Aus seiner Studie heraus entwickelt er ein eigenes Modell zur Erklärung politischen Erfolgs von religiösen Gruppierungen.
Antonius Liedhegener hat ein wichtiges Buch geschrieben, in dem er den amerikanischen Katholizismus in seiner Vielfalt als politische pressure group ernstnimmt und somit die gängige deutsche Forschungsperspektive auf die religiöse Rechte ergänzt. Es gelingt ihm zudem zu zeigen, dass der bundesdeutsche Katholizismus ebenso wie sein Gegenpart jenseits des Atlantiks als dezidierter politischer Akteur auftritt. Liedhegeners Buch krankt jedoch an seinem engen Politikbegriff. Politik beschränkt sich für den Autor auf staatliche Strukturen, Gesetzesvorgaben und politische Parteien. Die zentralen religiösen Akteure seiner Studie sind die beiden Bischofskonferenzen in Deutschland und den USA. Politische Einflussnahme untersucht Liedhegener fast ausschließlich unter dem Aspekt der Elitenkooperation sowie der öffentlichen Verlautbarungen beider Kirchen. Die so wichtige Frage nach dem Spannungsfeld politischer und religiöser Identität in der Welt des einzelnen Gläubigen bzw. von Gemeinden kann in einer so eng angelegten Studie keine Berücksichtigung finden. Liedhegener streift das Problem lediglich am Rande, wenn er die Konflikte zwischen den amerikanischen Bischöfen und dem demokratischen Gouverneur von New York, Mario Cuomo, und der damaligen Kandidatin der Demokraten für das Amt der Vizepräsidentin, Geraldine Ferraro, im Wahlkampf 1984 analysiert. Beide Kandidaten sprachen sich trotz ihrer bekannten Zugehörigkeit zur katholischen Kirche für den Fortbestand der Legalität der Abtreibung aus, wie sie der Supreme Court in seiner Entscheidung Roe versus Wade im Jahr 1973 festgeschrieben hatte. Sie forderten damit den scharfen Widerspruch der Bischöfe heraus, die in Cuomos Fall sogar bis zur Forderung der Exkommunikation gingen. Beide verkörperten aber vorbildlich die Trennung von öffentlichem Amt und persönlicher Glaubensüberzeugung.
In seinem Fazit setzt sich Liedhegener schließlich mit dem Konzept José Casanovas auseinander, der in seiner Studie zur öffentlichen Religion die katholische Kirche in den USA (abgesehen von einigen Grenzüberschreitungen im Umfeld der Abtreibungsfrage) als idealen zivilgesellschaftlichen Akteur beschrieben hat, der eben nicht versucht, Einfluss auf den parlamentarischen Entscheidungsprozess zu nehmen. Liedhegeners Studie widerspricht dieser „normativen Position“, indem er zeigt, dass die katholische Kirche in den USA und Deutschland in ihren öffentlichen Erklärungen nicht nur ein Diskutant neben anderen im öffentlichen Meinungsbildungsprozess sein will, sondern gerade bei ethisch relevanten Entscheidungen deutlich als politischer Akteur in Erscheinung tritt, „mit dem Politiker rechnen können bzw. müssen“.52 Der Autor begrüßt dies und verfällt somit ebenfalls in den normativen Tonfall, den er Casanova vorwirft.
Liedenhegener gelingt es jedoch zu zeigen, dass Casanovas scharfe Trennung eines politischen und zivilgesellschaftlichen Sektors nicht zu halten ist, da die Kanäle kirchlichen Einflusses auf politische Meinungsbildungsprozesse wesentlich disparater sind. Zudem schärft sein Buch den Blick für die Gemeinsamkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks und macht das Fremde so ein wenig vertrauter.
Diesem Vorsatz folgt auch der Sammelband von Dagmar Pruin, Rolf Schieder und Johannes Zachhuber, der nicht nur auf traditionelle Differenzen, sondern auch auf gemeinsame Herausforderungen für das zukünftige Zusammenspiel von Religion und Politik in den USA und in Deutschland blickt.53 Der Band untersucht das Ineinandergreifen von Religion und Politik bezüglich der religiösen Affiliation politischer Eliten und den politischen Einfluss religiöser Eliten, der Konstruktion nationaler und religiöser Identität sowie die unterschiedlichen rechtlichen, historischen und ethischen Voraussetzungen für die Rolle der Religion im öffentlichen Erziehungssektor. Das Buch behandelt Fragen der religiösen Minderheiten und der Zivilreligion und streift auch das jüdische Leben in den USA und Deutschland.
Den Herausgebern geht es darum, Missverständnisse zwischen beiden religiösen Kulturen aufzulösen. Sie erklären daher noch einmal die Differenz zwischen einer zivilreligiösen politischen Rhetorik in den USA, die inklusiv ist, und des politischen Agierens einzelner Glaubensgruppen, das eben auf Exklusion angelegt ist. Deshalb darf – überspitzt gesagt – der Präsident über Gott sprechen, einzelne Kirchen aber möglichst nicht mit dem Präsidenten. Zudem weisen sie auf einen weiteren Unterschied im Verhältnis zwischen Staat und Kirche in beiden Gesellschaften hin: Basierend auf unterschiedlichen historischen Erfahrungen – die der europäischen Religionskriege auf der einen und die Auswanderung religiös verfolgter Gruppen in die USA auf der anderen Seite – schützt die amerikanische Verfassung die Kirchen vor dem Eingriff des Staates, während in Deutschland der Staat vor dem Einfluss der Kirche geschützt werden soll.
Für beide Länder stellt sich jedoch die Frage, inwieweit Religion den Wertekodex einer Gesellschaft fundiert oder fundieren sollte. Die Herausgeber geben auf diese Frage in der Einleitung eine normative, aber aufrichtige Antwort: „Societies lacking people with strong convictions and stable value systems become spiritually and morally poor, however economically rich they might be. The need for such people is increasingly being felt in Germany and elsewhere.”54 So sehr hier wiederum der deutsche Philosoph Habermas durchklingen mag, so macht diese Überzeugung doch auch das Herzstück der amerikanischen Haltung zur Religion aus. Hier könnte die zukünftige gemeinsame Basis beider Religionskulturen liegen.
Die Beiträge sind teilweise recht deskriptiv, scheuen sich aber nicht davor, Vorurteile beim Namen zu nennen: Es wird beispielsweise auf amerikanischer Seite befürchtet, dass die mangelnde Integration deutscher Muslime zu Fundamentalisierung und wachsender Gewaltbereitschaft führt. Die Deutschen fürchten umgekehrt den Einfluss konservativer christlicher Gruppen auf die US-Außenpolitik.
Welche weiteren Anregungen der transatlantische Vergleich für die deutsche Zeitgeschichtsforschung geben kann, fasst auf inspirierende Weise ein von Tobias Mörschel herausgegebener Sammelband zusammen.55 Der Band problematisiert die Säkularisierungsthese, kritisiert sie als „Bestandteil des westlichen Modernisierungsmythos“ und fragt nach der Transformation des Religiösen in der Moderne und deren politischen Konsequenzen im transatlantischen Vergleich. Die Themenbreite des Vergleichs besticht. Die Autoren (denn Frauen sind in dem Band nicht vertreten) analysieren das unterschiedliche Verhältnis von Staat und Kirche und kontrastieren die strikte Trennung von Staat und Kirche in den USA mit der gewollten „Zivilisierung der Religion“56 in Deutschland. Sie gehen auch der Bedeutung von Migration bei der Entstehung der religiösen Landschaft in den USA und bei der Veränderung des religiösen Sektors in Deutschland nach. Die religiöse Vielfalt bleibt in den USA im Schatten der Zivilreligion gewahrt, während in Deutschland christliche Symboliken und auch ein christliches Selbstverständnis der Gesellschaft dominieren, wie es sich beispielsweise in den politischen Debatten um den Beitritt der Türkei zur EU niederschlägt.
Die stärker theoretischen Einführungsessays klären Grundbegriffe und führen in die Fachdebatten ein: Sie analysieren die Diskussion um den Säkularisierungsbegriff, geben einen Überblick über religionssoziologische Modelle, streifen Fragen der Religionsästhetik und Resakralisierung des Öffentlichen. Sie definieren grundlegende Begriffe wie den der Zivilreligion, schlagen Methoden vor, wie religiöse Transformationsprozesse in der Moderne analysiert werden können, und stellen die Akteure vor, die das Verhältnis von Religion und Moderne beeinflussen wie beispielsweise die Medien.
Die Aufsätze des Bandes bestechen durch ihr hohes intellektuelles Niveau. Abgesehen davon bezieht das Buch seinen Wert daraus, dass die USA – überspitzt ausgedrückt – nicht als ein zurückgebliebenes, fundamentalistische Feindesland dargestellt werden, über das gerade linke europäische Intellektuelle zu Zeiten der Bush-Regierung gerne die Nase rümpften. Ohne Probleme wie die politische Deutungsmacht der religiösen Rechten oder die Instrumentalisierbarkeit der amerikanischen Zivilreligion zu vernachlässigen, zeigt der Band deutlich auf, dass die Deutschen von der verfassungsrechtlich klaren Trennung von Staat und Kirche in den USA, deren Bekenntnis zum religiösem Pluralismus und der Dynamik ihrer unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften lernen können – und sollten.57
Der Band inspiriert gleich mehrere Fragekomplexe für die deutsche Zeitgeschichtsforschung: Wo liegen die Anfänge eines christlich codierten Europabildes? Lassen sich amerikanische zivilreligiöse Konzepte auf Deutschland und Europa anwenden? Wodurch gelangt Religion auch in Deutschland wieder verstärkt in den politischen Diskurs wie beispielsweise während des Kopftuchstreits? Wie verlaufen die Konfliktlinien in einer multireligiösen Gesellschaft, die Deutschland ist – wenn auch vielleicht nicht sein will? Und erlaubt diese Konfliktposition amerikanische religionswissenschaftliche Konkurrenzmodelle in Abwandlung auf Deutschland anzuwenden (Konkurrenz hier nicht zwischen einzelnen Denominationen, sondern zwischen zwei Konfessionen und dem Islam)?
Diese Fragen können ebenso stärker auf die religiöse Lebenswelt zugeschnitten werden: Wie verändert sich die Art, wie sich religiöse Gruppen im bundesdeutschen Diskurs nach 1945 (auch politisch) artikulieren? Welche Rolle spielt dabei die zunehmende Medialisierung der deutschen Gesellschaft, und wie verändert sie die Ästhetik religiöser Ausdrucksformen? Auch die Frage danach, ob sich in der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung eine eigene Zivilreligion ausbreitet – worauf der Berliner Professor für evangelische Theologie Rolf Schieder immer wieder überzeugend hingewiesen hat – ist mit der Frage der medialen Verbreitung von Religion verbunden.58
Während sich in der deutschen Zeitgeschichte gerade Frank Bösch und Lucian Hölscher der Frage nach dem Verhältnis von Religion, Medien und Öffentlichkeit in Deutschland angenommen haben59, sind die Vorreiter dieser Thematik in den USA Steward M. Hoover und Lynn Schofield Clark, die beide Journalismus an der University of Colorado at Boulder lehren. Ihre Arbeiten sind nicht nur wegen ihrer beachtlichen Bandbreite bemerkenswert. Ein von beiden im Jahr 2002 publizierter Sammelband behandelt die Frage des Gebrauchs der Medien und der Instrumentalisierung der Populärkultur durch einzelne religiöse Gruppen wie die Heilsarmee, die Kritik an den Medien beispielsweise durch das Magazin Christian Century, die Präsenz von religiösen Akteuren in den Medien und die Entstehung neuer religiöser Vergemeinschaftungsformen im World Wide Web.60 Der Band berücksichtigt unterschiedliche nationale und ethnische Kontexte und befasst sich in seinem stärksten Teil mit der Schärfung des religiösen Ritualbegriffs in der Medienkultur.61
Beiden Herausgebern geht es darüber hinaus um eine theoretische Neubestimmung des Forschungsfeldes Medien und Religion. Hoovers Einführung zeigt, dass auch die seit den 1970er-Jahren in der Forschung dominante Vorstellung, dass Medien und Religion zwei getrennte Gesellschaftsbereiche seien, den Blick auf das eigentliche Phänomen verstellt, dass nämlich beide Bereiche in der Alltagserfahrung und Praxis des einzelnen religiösen Akteurs auf das Engste verflochten sind.62 Religion und Medien überwinden beide die Trennung von privat und öffentlich, denn sie werden zwar privat konsumiert, wirken aber auch in die Öffentlichkeit zurück.
Solche Überlegungen können uns auch helfen, die Trennungslinie zwischen dem Öffentlichen und Privaten im Hinblick auf das Verhältnis von Religion und Politik zu überdenken. Es bietet sich für die Zeit nach 1945 mit der Explosion des Mediensektors eine stärkere Berücksichtigung der politischen Dimension der Hybride an, die Medien- und Populärkultur und Religion hervorbringen: Beispielsweise entstand in den USA seit den 1950er-Jahren mit dem Beginn des Fernsehpredigertums nicht nur eine neue religiöse Vergemeinschaftungsform, sondern es verändert sich auch die Artikulationsfähigkeit religiöser Gruppen. Wie jedoch ist die Wirkung religiöser Filme und Fernsehprogramme in der Bundesrepublik? Die „Benedetto-Rufe“ auf dem Kölner Weltjugendtag sollten uns dafür sensibilisiert haben, dass sich durch die Medialisierung auch das Papstamt verändert hat. René Schlott hat jüngst am Beispiel der medialen Verarbeitung des Papsttodes gezeigt, dass dieser Entwicklung auch eine politische Dimension inhärent ist.63 Politische Gesten während der Trauerfeierlichkeiten werden erst durch die mediale Verarbeitung sichtbar gemacht.
Wer jedoch an der Schnittstelle von Religion und Populärkultur arbeitet, der muss eine präzise Definition für das Religiöse haben. Denn viele Dinge mögen in der Medienberichterstattung vielleicht einen sakralen Charakter annehmen wie Fußballgötter und charismatische Popsternchen, doch wenn alles zur Religion wird, dann verlieren wir uns leicht in spiritueller Beliebigkeit. Oder wie Martin Riesebrodt jüngst kritisch anmerkte: „Wenn Fußballspiele religiöse Phänomene darstellen, das Rezitieren buddistischer Sutras aber nicht, ist offensichtlich etwas schiefgelaufen.“64
Im Hinblick auf die Erforschung des Verhältnisses von Religion und Politik bedarf es zudem einer genauen begrifflichen Bestimmung dessen, was politisierte Religion, politische Religion und Religionspolitik sind. Ein von Gerhard Besier und Hermann Lübbe im Jahr 2005 herausgegebener Band führt vorbildlich die unterschiedlichen Forschungsperspektiven vor, die mit diesen Begriffen verbunden sind.65 Die Bandbreite der Themen reicht von den „großen“ politischen Religionen Marxismus-Leninismus und Nationalsozialismus, über die Bedeutung des Religionsrechts in den religiös pluralistischen USA, dem laizistischen Frankreich und in Deutschland, mit seinem Kooperationsmodell zwischen Staat und Kirche. Die politisierte Religion wird insbesondere am Beispiel des Islam analysiert. Der Band gibt einen ausgezeichneten Einblick in die aktuellen Herausforderungen der Religionspolitik im Spannungsfeld von Religionsfreiheit und säkularer Gesellschaftsordnung.
Dem Umfeld dieser Schule entstammt auch eine für Gerhard Besier herausgegebene Festschrift. Die immense Fülle von Beiträgen, die auf fast 900 Seiten versammelt sind, versucht nicht nur die Bandbreite der Forschungsinteressen des Jubilars abzudecken, sondern zeigt auch die Breite des Feldes der kirchlichen Zeitgeschichte in ihrer globalen und politischen Dimension auf.66 Es sei kritisch angemerkt, dass beiden Sammelbänden eine problemorientierte Einleitung fehlt. So erfahren wir in der Einleitung der Festschrift, welche nur die gesammelten Artikel zusammenfasst, zwar, dass Besier „die neueste Kirchengeschichte aus den ‚methodisch eher unterentwickelten Randdisziplinen‘ der Theologie befreit“ habe, eine genaue Begriffsbestimmung der Kirchlichen Zeitgeschichte im Gegensatz zu einer Zeitgeschichte der Religionen oder der Religion in der Zeitgeschichte erfolgt jedoch nicht. Ebenso wird nicht problematisiert, dass es natürlich perspektivisch einen Unterschied macht, ob ein Kenner der amerikanischen Außenpolitik wie Detlef Junker auf religiöse Strömungen und Metaphorik in den USA schaut oder ob der Religionswissenschaftler Charles H. Lippy die religiöse Komposition des „christlichen“ Amerikas analysiert.67
Die bisher nicht gelöste Beziehung zwischen Religion und Politik verlangt, ein neues zeithistorisches Konzept für die Analyse des Religiösen und des Politischen zu entwickeln. Impulse dafür, die verschiedenen Pole zwischen den rechtlichen und strukturellen Facetten der Religionspolitik, der Verflechtung von religiösem und politischem Diskurs in Zivilreligion und öffentlichen Debatten um nationale Identität und moralischen Konsens, dem religiösen Engagement politischer Parteien und dem politischen Aktionismus religiöser Gruppen zu fassen, geben die aktuellen Debatten um eine Kulturgeschichte des Politischen. Denn wer das Verhältnis von Religion und Politik bestimmen will, muss nicht nur definieren, was Religion ist, sondern auch, was Politik ist.
4. „Laß das, mein Kind!“? – ein Ausblick
Faust konnte sich eine beschwichtigende Antwort auf die berühmte Gretchenfrage leisten, doch die Zeitgeschichte muss sich dem Religiösen zukünftig in seiner thematischen, methodischen und theoretischen Breite stellen. Für eine zeithistorische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Religion und Politik bieten sich dabei drei Fragekomplexe an:
Die Definition des Politischen und des Religiösen als zwei getrennte Gesellschaftsbereiche verstellt den Blick auf die enge Verflechtung religiöser und politischer Identitäten und Vorstellungen. Im juristischen Bereich und im Bereich der Religionspolitik lassen sich zwar künstliche Grenzen einziehen, doch auch diese reflektieren das Selbstverständnis des Gemeinwesens und sind beeinflusst durch die religiöse Prägung der Akteure. Nur so erklärt es sich, dass die Kopftücher muslimischer Lehrerinnen aus deutschen Schulen verbannt sind, christliche Symbole aber nicht. Politische und religiöse Identität bilden in jedem einzelnen Akteur ein permanentes Spannungsfeld: Katholische „pro choice“-Aktivistinnen sind Teil einer politischen Bewegung, sind aber gleichzeitig auch religiöse Akteurinnen, welche Dogmatik und Hierarchie ihrer eigenen Kirche herausfordern. Vize Präsident Joe Biden ist zwar als bekennender Katholik ein moralischer Gegner der Abtreibung, akzeptiert jedoch in seinem politischen Amt die gültige Rechtslage in den USA, die Abtreibung eben zulässt. Unser Blick sollte also in Zukunft von Institutionen hin zu Akteuren wandern.
Zweitens muss es uns darum gehen, die diskursive Deutungsmacht von Konzepten zu hinterfragen, die unsere bipolare Sicht auf das Politische und das Religiöse konstituieren, und dies betrifft insbesondere die Säkularisierungsthese. Aber auch gängige religiöse Tropen des politischen Diskurses verlangen danach, kritisch hinterfragt zu werden: Die Ideen eines „christlichen Europa“ oder eines „christlichen Amerika“ werden konstruiert, sie erklären sich nicht nur aus ihrem Entstehungskontext, sondern sie passen sich in den Bedeutungen, die sie transportieren, immer wieder veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an. Die Vorstellung dessen, was „one nation under God“ ist, war in den 1950er-Jahren eine ganz andere als 2009. Zudem hat die Kulturgeschichte es uns ermöglicht, einen geschärften Blick auf die Etablierung und politische Relevanz innergesellschaftlicher Machtstrukturen zu entwickeln. Unsere Vorstellung dessen, was Mann, Frau und Familie sind, sind selbstverständlich auch von religiösen Konzepten beeinflusst, deren Ursprung sich meist bis in das erste Buch der Bibel zurückverfolgen lässt. Diese Erkenntnis sollte uns herausfordern, uns nicht nur der Frage zu stellen, wie solche religiösen Überzeugungen bis heute der Moderne getrotzt haben und wie sie sich ihr angepasst haben, sondern sie sollten uns auch anhalten, unsere Modernekonzeptionen – insbesondere hinsichtlich ihres säkularen Gehalts – selbst noch einmal kritisch zu überdenken. An die Basis der Transformation von Religion in der Moderne stößt die Zeitgeschichte jedoch nur über eine breitere methodische Bandbreite vor. Dazu bieten sich Ansätze aus den Religionswissenschaften wie beispielsweise die Religionsästhetik, aber auch die Anthropologie an. Auch die in der Geschichtswissenschaft gerade populären Performanz- und Medientheorien bieten vielseitige Ansatzpunkte.
Die vergleichenden Studien zur religiösen Entwicklung in den USA und in Deutschland haben drittens gezeigt, dass der Frage nach der Transformation der Religion eine globale Dimension innewohnt, da nationale Religionskulturen durch gemeinsame übernationale Herausforderungen wie beispielsweise Einwanderung oder fundamentalistischen Terrorismus konfrontiert sind. Auch religiöse Trends wie die Medialisierung von Religion oder die Fundamentalisierung überwinden nationale Grenzen. Die katholische Kirche ist zudem einer der ältesten religiösen und auch politischen „global players“, die weltweit rasant wachsende Pfingstbewegung ist einer der jüngsten. Aber auch den lokalen Brechungen kirchlicher Dogmatik wie durch die südamerikanische Befreiungstheologie ist Beachtung zu zollen. Dies bedeutet aber erneut, dass wir zunächst akzeptieren, dass sich Religiosität außerhalb des per Selbstzuschreibung säkularen Europas äußerster Lebendigkeit erfreut und eine teilweise bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit an die Moderne zeigt.
Die Frage danach, was Religion im öffentlichen Raum darf, soll oder muss, ob ihr Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen oder an der Konstruktion nationaler Zugehörigkeiten zusteht, ist eine normative. Deshalb sollte uns die Frage, inwieweit Religion Vorstellungen von staatsbürgerlicher Identität beeinflusst und selbst als zivilgesellschaftlicher Akteur agiert, zukünftig nicht nur dazu herausfordern, über unsere Konzepte des Religiösen und des Politischen nachzudenken. Vielmehr fordert sie uns dazu heraus, über unser Ideal einer säkularen Gesellschaftsordnung und nicht zuletzt unsere eigene säkularisierte intellektuelle Identität zu reflektieren.
Anmerkungen:
1 Die Fülle von Forschungen zu Religion und Politik, die gerade in den letzten Jahren erschienen sind, machte es nötig, eine Auswahl zu treffen. Leider konnte ich gerade die Arbeiten von Kollegen und Kolleginnen aus den Nachbardisziplinen Religionssoziologie und Religionswissenschaft nicht umfassend berücksichtigen. Ich möchte jedoch an dieser Stelle dem Religionssoziologen Hubert Knoblauch (Berlin) und der Religionswissenschaftlerin Inken Prohl (Heidelberg) danken, die mein Verständnis dessen, was Religion ist, verändert haben. Zudem hat dieser Text sehr durch die kritische Lektüre durch Felix Krämer, Jürgen Martschukat, Thomas Mittmann, Jan Palmowski und Corinna Unger gewonnen. Ich danke ihnen für andauernde, anregende Diskussionen. Zudem sei angemerkt, dass es meinen eigenen Forschungsinteressen geschuldet ist, dass ich den Fokus auf christliche Religion und Zeitgeschichte gelegt habe.
2 Jürgen Habermas, Die Dialektik der Säkularisierung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 48,4 (2008), S. 33-46. Darin legt Habermas einige Grundgedanken aus ders., Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt am Main 2005 dar.
3 Hans Joas / Klaus Wiegand (Hrsg.), Säkularisierung und die Weltreligionen, Frankfurt am Main 2007.
4 Dennoch sei an dieser Stelle auf einige der führenden Protagonisten der deutschen Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts Olaf Blaschke (Trier), Klaus Große Kracht (Münster), Lucian Hölscher (Bochum) und Benjamin Ziemann (Sheffield) hingewiesen. Wichtige Ergebnisse werden in naher Zukunft aus den zahlreichen interdisziplinären Projekten der DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne. Religion und Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ an der Ruhr-Universität Bochum (<http://dbs-lin.ruhr-uni-bochum.de/fg-religion/index.php?article_id=1> [28.09.2009]) und dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (<http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/> [28.09.2009]) hervorgehen.
5 Mark Edward Ruff, Review Essay. Integrating Religion into the Historical Mainstream: Recent Literature on Religion in the Federal Republic of Germany, in: Central European History 42 (2009), S. 307-337, hier S. 309. Siehe dort auch in den Fußnoten Hinweise auf die erstaunlich hohe Zahl von Arbeiten, die sich mit der Rolle der Kirchen in der DDR befassen. Ruff selbst legte 2005 eine wichtige Studie zur katholischen Jugendbewegung in der Bundesrepublik vor: ders., The Wayward Flock. Catholic Youth in Postwar West Germany, 1945-1965, Chapel Hill 2005.
6 Zur Entwicklung der kirchlichen Zeitgeschichte siehe: Martin Greschat, Kirchliche Zeitgeschichte. Versuch einer Orientierung, Leipzig 2005.
7 Für einen kulturwissenschaftlich inspirierten Zugang zur Religionsgeschichte siehe die Arbeiten: Benjamin Ziemann, Katholische Kirche und Sozialwissenschaften 1945-1975, Göttingen 2007 und Christian Schmidtmann, Katholische Studierende 1945-1973. Ein Beitrag zur Kultur- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Paderborn 2006. Jüngst auch: Benjamin Ziemann, Sozialgeschichte der Religion: Von der Reformation bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2009.
8 Grundlegend zur Kulturgeschichte der Politik bzw. des Politischen immer noch: Thomas Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574-606; Achim Landwehr, Diskurs – Macht – Wissen. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85,1 (2003), S. 71-117 sowie Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 35), Berlin 2005.
9 Frank Bösch / Norman Domeier, Cultural history of politics: concepts and debates, in: European Review of History 15,6 (2008), S. 577-586.
10 Robert Bellah, Civil Religion in America, in: Daedalus 96,1 (1967), S.1-21.
11 Alexis de Tocqueville, Democracy in America, vol 1, New York 1976, S. 308.
12 Martin Riesebrodt, Fundamentalismus als patriarchale Protestbewegung. Amerikanische Protestanten (1910-28) und iranische Schiiten (1961-79) im Vergleich, Tübingen 1990; zum Thema Politik und Religion in den USA siehe für diese Zeit auch: Klaus-Michael Kodalle (Hrsg.), Gott und Politik in den USA. Über den Einfluß des Religiösen, eine Bestandaufnahme, Frankfurt am Main 1988.
13 Weiterführend zum protestantischen Fundamentalismus in den USA: George Marsden, Fundamentalism and American Culture. The Shaping of Twentieth-Century Evangelicalism, 1870-1925, New York 1980.
14 Martin Riesebrodt, Zur Politisierung von Religion. Überlegungen am Beispiel von fundamentalistischen Bewegungen, in: Otto Kallscheuer (Hrsg.), Das Europa der Religionen. Ein Kontinent zwischen Säkularisation und Fundamentalismus, Frankfurt am Main 1996, S. 247-276, hier S. 250.
15 Martin Riesebrodt, Fundamentalismus, Säkularisierung und die Risiken der Moderne, in: Heinrich Bielefeld / Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion. Ursachen und Erscheinungsformen des modernen Fundamentalismus, Frankfurt am Main 1998, S. 67-90, hier S. 88. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt William McLaughlin bei der Analyse der amerikanischen Awakenings, die aus seiner Sicht das Produkt religiöser Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen sind. Damit gelingt es ihm vorbildlich, Religionsgeschichte an die amerikanische Sozial- und Kulturgeschichte rückzubinden. Siehe: ders., Revivals, Awakenings, and Reform, Chicago 1978.
16 Beispielsweise: Eleonore Pieh, Fight like David – run like Lincoln: die politischen Einwirkungen des protestantischen Fundamentalismus in den USA, Münster 1998; Manfred Brocker, Protest – Anpassung – Etablierung. Die Christliche Rechte im politischen System der USA, Frankfurt am Main 2004; Hajo Funke, Gott Macht Amerika. Ideologie. Religion und Politik der US-amerikanischen Rechten, Berlin 2006. Zur religiösen Rechten siehe auch, Clyde Wilcox, Onward Christian Soldiers. The Religious Right in American Politics, Boulder 1996.
17 Diese Feststellung teilt auch: Manfred Brocker, Die „Nation mit der Seele einer Kirche“. Neuere deutschsprachige Publikationen zum Thema Politik und Religion in den USA, in: Neue Politische Literatur 52,1 (2007), 221-231, hier S. 221. So nimmt auch der Unterpunkt „Die amerikanischen Religionen“ im von der Bundeszentrale für Politischen Bildung herausgegebenen Länderbericht USA (Band 2) in der Auflage von 1998 lediglich 40 Seiten ein. Ihm fällt damit kein besonderes Gewicht zu.
18 Rainer Prätorius, In God We Trust. Religion und Politik in den USA, München 2003.
19 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle auch auf den informativen Sammelband Manfred Brocker (Hrsg.), „God bless America“ – Politik und Religion in den USA, Darmstadt 2005 hingewiesen.
20 Robert Jewett / Ole Wangerin, Mission und Verführung. Amerikas religiöser Weg in vier Jahrhunderten, Göttingen 2008.
21 Ebd., S. 21
22 Als Ausnahmen sei hier für den deutschen Forschungskontext ausdrücklich genannt: Michael Hochgeschwender, Wahrheit, Einheit, Ordnung: die Sklavenfrage und der amerikanische Katholizismus 1835-1870, Paderborn 2006. Die amerikanische Forschung zum Evangelikalismus tut es sich ebenfalls leichter damit, die Transformation von Religion durch die Konfrontation mit einer boomenden Medien- und Populärkultur aufzuarbeiten, als dass sie dezidiert zeigt, wie politische Debatten um Nation und Staatsbürgerschaft das religiöse Selbstverständnis und die Selbstinszenierung der Gruppen in der Öffentlichkeit verändert. Diese Kritik an der Forschung zum amerikanischen Evangelikalismus ist implizit in: Uta Andrea Balbier, Billy Graham’s Crusades in the 1950s: Neo-Evangelicalism between Civil Religion, Media, and Consumerism, in: Bulletin of the German Historical Institute Washington DC 44 (2009), S. 71-80. Auch amerikanische Forschungsberichte zur Religionsgeschichte thematisieren immer wieder das Phänomen, dass Fragen der Interaktion mit dem Politischen generell zu kurz kommen. Siehe dazu: Jon Butler, Theory and God in Gotham, in: History and Theory, Theme Issue 45 (2006), S. 47-61, hier S. 53. Darin griff Butler seine eigene Kritik auf, die er bereits zwei Jahre zuvor in einem Forschungsbericht zur Rolle der Religion in der amerikanischen Geschichtsschreibung geäußert hatte. Dort beklagte Butler, dass in den USA zwar viele Studien zu einzelnen religiösen Gruppen und Denominationen entstehen, jedoch nur selten nach deren politischer Relevanz, ihrer Rolle im säkularen Staat und vor allem ihrer tiefer liegenden Bedeutung für das Funktionieren der amerikanischen Gesellschaft gefragt wird. Siehe: Jon Butler, Jack-in-the-Box Faith: The Religion Problem in Modern American History, in: Journal of American History 90 (2004), S. 1357-1378.
23 Zu den Debatten um eine politische Neuorientierung auf dem evangelikalen Flügel siehe: Lindy Scott (Hrsg.), Christians, the Care of Creation and Global Climate Change, Eugene 2008; Ronald J. Sider, The Scandal of Evangelical Politics, Grand Rapids 2008; intellektuell sehr anregend: Mark Noll, The Scandal of the Evangelical Mind, Grand Rapids 1994.
24 Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt am Main 2007.
25 Siehe Uta Andrea Balbier, Rezension zu: Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt am Main 2007, in: H-Soz-u-Kult, 15.04.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-042> (29.09.2009).
26 Clifford Geertz, Religion As a Cultural System, in: ders., The Interpretation of Cultures: Selected Essays, New York 1973, S. 87-125. Diese Forderung deckt sich mit einem Trend in der amerikanischen Religionsgeschichte, der unter dem Schlagwort „New Religious History“ firmiert und die bisher stärker Institutionen und Diskurs bezogenen Studien zur amerikanischen Religion um eine stärker anthropologische Perspektive ergänzen möchte. Siehe dazu den umfassenden Forschungsbericht: Michael Hochgeschwender, Religion, Nationale Mythologie und Nationale Identität. Zu den methodischen und inhaltlichen Debatten in der amerikanischen ‚New Religious History’, in: Historisches Jahrbuch 124 (2004), S. 435-520. Dazu auch: Thomas A. Tweed (Hrsg.), Retelling U.S. Religious History, Berkley 1997.
27 Friedrich Wilhelm Graf, Von den Baustellen der Religionsgeschichte, in: Neue Politische Literatur 51 (2006), S. 5-10, hier S. 10. Graf legte unter anderem das Standardwerk ders., Die Wiederkehr der Götter, München 2004 vor. Einen methodischen Einblick in den analytischen Weg an die Basis der Religion gibt: ders., Religiöse Transformationsprozesse der Moderne deuten, in: Tobias Mörschel (Hrsg.), Macht Glaube Politik? Religion und Politik in Europa und Amerika, Göttingen 2006, S. 49-60.
28 Martin Riesebrodt, Cultus und Heilsversprechen. Eine Theorie der Religionen, München 2007.
29 Ebd., S. 12.
30 Butlers Buch, ders., Awash in a Sea of Faith: Christianizing the American People, Cambridge 1990, gilt mit Recht als eines der Standardwerke in der amerikanischen Religionsgeschichte.
31 Butler, Theory, S. 53.
32 Eine Auseinandersetzung mit dem religionswissenschaftlichen Synkretismusansatz würde hier zu weit führen. Es sei allein hingewiesen auf: Anita Maria Leopold / Jepe Sinding Jensen (Hrsg.), Syncretism in Religion: A Reader, New York 2005.
33 Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt am Main 1991 (englisches Original 1967).
34 José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994.
35 Talal Asad, Formations of the Secular. Christianity, Islam, Modernity, Stanford 2003. Zur jüngsten Auseinandersetzung mit seiner Arbeit siehe: Charles Hirschkind / David Scott (Hrsg.), Powers of the secular modern, Talal Asad and his interlocutors, Stanford 2006.
36 Ebd., S. 185.
37 Ebd., S. 200.
38 Christina von Braun u.a. (Hrsg.), Säkularisierung. Bilanz und Perspektiven einer umstrittenen These, Berlin 2007.
39 Richard Schroeder, Säkularisierung: Ursprung und Entwicklung eines umstrittenen Begriffs, ebd., S. 61-74, S. 72.
40 Siehe: Hermann Lübbe, Religion in kulturellen und politischen Modernisierungsprozessen – zur Aufklärung über die Aufklärung, ebd., S. 43-59; Rolf Schieder, USA: Säkularer Staat mit Zivilreligion, ebd., 97-107.
41 Johannes Zachhuber, Die Diskussion über Säkularisierung am Beginn des 21. Jahrhunderts, ebd., S. 11-42.
42 Steve Bruce, God is Dead. Secularization in the World, Oxford 2001. Bruces rhetorisch wie analytisch überzeugende Studie bietet einen exzellenten Einstieg für die Auseinandersetzung mit Fragen der Säkularisierung.
43 Detlef Pollack, Säkularisierung – ein modernen Mythos? Tübingen 2003. Pollacks Studie ist insbesondere für die deutsche Zeitgeschichte fruchtbar zu machen.
44 Peter L. Berger (Hrsg.), The Desecularization of the World. Resurgent Religion and World Politics, Grand Rapids 1999. Bergers Arbeiten sind interessant, da er in den 1960er-Jahren noch zu den glühenden Vertretern der Säkularisierungstheorie gehörte.
45 Zachhuber, Diskussion, S. 32-34.
46 Hartmut Lehmann, Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen 2004; ders. / Martin Geyer, Religion und Nation / Nation und Religion. Beiträge zu einer unbewältigten Geschichte, Göttingen 2003; ders., Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 1997. Zur Verortung im Forschungskontext siehe die Sammelbesprechung: Graf, Baustellen.
47 Charles Taylor, A Secular Age, Cambridge MA 2007.
48 Der Forschungsbericht kann hier die juristischen Säkularisierungsdebatten nicht behandeln. Zum Einlesen sei jedoch empfohlen: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, München 2007.
49 Hartmut Lehmann (Hrsg.), Transatlantische Religionsgeschichte. 18. bis 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, zur Zeitgeschichte darin besonders: Hugh McLeod, Religion in the United States and Europe. The 20th Century, ebd. 131-145.
50 Wilhelm Damberg / Antonius Liedhegener (Hrsg.), Katholiken in den USA und Deutschland. Kirche, Gesellschaft und Politik, Münster 2006.
51 Antonius Liedhegener, Macht, Moral und Mehrheiten. Der politische Katholizismus in der Bundesrepublik Deutschland und den USA seit 1960, Baden-Baden 2006.
52 Ebd., S. 437.
53 Dagmar Pruin u.a. (Hrsg.), Religion and Politics in the United States and Germany. Old Divisions and New Frontiers. Religion und Politik in den USA. Traditionelle Differenzen und neue Herausforderungen, Berlin 2007.
54 Ebd., S. 14.
55 Mörschel, Macht Glaube Politik.
56 Rolf Schieder, Das Verhältnis von Politik und Religion in der politischen Kultur Deutschlands. Ein Streifzug durch aktuelle religionspolitische Diskurse im Krisenland der Moderne, ebd., S. 115-133, S. 126.
57 Dazu jüngst: Michael Werz, Religion, Migration, and Confusion. Why Germany and the US are so different. Immigration Paper Series, March 2009, German Marshall Fund of the US. <http://www.gmfus.org//doc/GMF6788%20IM%20Migration%20Paper%200304%20complete.pdf> (28.09.2009); kritischer zum religiösen Pluralismus und der Religionsfreiheit in der USA: Winnifred Fallers Sullivan, The Impossibility of Religious Freedom, Princeton 2005. Sowie Derek H. Davis, Die Vielschichtigkeit von Religion und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika: Trennung, Integration, Akkommodation, in: Gerhard Besier / Hermann Lübbe (Hrsg.), Politische Religion und Religionspolitik. Zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit, Göttingen 2005, S. 167-183.
58 Rolf Schieder, Die zivilreligiöse Funktion des Amtes des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der Weihe der Dresdner Frauenkirche, in: Pruin u.a. (Hrsg.), Religion, S. 137-148.
59 Frank Bösch / Lucian Hölscher (Hrsg.), Kirche - Medien - Öffentlichkeit. Transformationen kirchlicher Selbst- und Fremddeutungen seit 1945, Göttingen 2009.
60 Steward M. Hoover / Lynn Schofield Clark (Hrsg.), Practicing Religion in the Age of the Media, New York 2002. Siehe auch: Steward M. Hoover, Religion in the Media Age, New York 2006.
61 Hier besonders der Text eines der führenden amerikanischen Experten zur Ritualtheorie: Ronald L. Grimes, Ritual and the Media, in: Hoover / Schofield Clark, Practicing Religion, S. 219-234.
62 Steward M. Hoover, Introduction: The Cultural Construction of Religion in the Media Age, in: ebd., S. 1-6, hier S. 2.
63 René Schlott, Papal Requiems as political events since the end of the papal state, in: European Review of History 15,6 (2008), S. 603-614.
64 Riesebrodt, Cultus, S. 11-12. Dies soll jedoch auf keinen Fall die anspruchsvollen Arbeiten zum Phänomen der Populärreligion abwerten, wie sie in Deutschland vor allem durch den Berliner Religionssoziologen und Luckmann-Schüler Hubert Knoblauch vorangetrieben werden. Siehe beispielsweise: Hubert Knoblauch, Transzendenzerfahrung, Kommunikation und populäre Religion, in: Ingolf U. Dalferth / Philipp Stoellger (Hrsg.), Hermeneutik der Religion, Tübingen 2007, S. 151-172. Knoblauch hat gerade ein neues Buch vorgelegt, das leider in diesem Bericht nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Ders., Populäre Religion: Auf dem Weg in eine spirituelle Gesellschaft, Frankfurt am Main 2009.
65 Besier / Lübbe, Politische Religion. Stellvertretend für die amerikanische Forschung zu populärer Religion siehe: Charles H. Lippy, Being Religious, American Style. A Historiography of Popular Religiosity in the United States, Westport, CT 1994.
66 Katarzyna Stoklosa / Andreas Strübind (Hrsg.), Glaube – Freiheit – Diktatur in Europa und den USA. Festschrift für Gerhard Besier zum 60. Geburtstag, Göttingen 2007. Siehe dazu auch Felix Krämer, Rezension zu: Stoklosa, Katarzyna; Strübind, Andrea (Hrsg.): Glaube - Freiheit - Diktatur in Europa und den USA. Festschrift für Gerhard Besier zum 60. Geburtstag. Göttingen 2007, in: H-Soz-u-Kult, 03.06.2008, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2008-2-150> (29.09.2009).
67 Charles H. Lippy, The minority religious experience in “Christian America”, ebd., S. 459-474; Detlef Junker, Der Fundamentalismus in den USA und die amerikanische Sendungsidee der Freiheit, ebd., S. 643-658.