1. Forschungsfelder
Seit der Institutionalisierung der Historischen Friedensforschung in der Bundesrepublik Deutschland als Teil der Geschichtswissenschaft zu Beginn der 1970er-Jahre lässt sie sich nicht auf bestimmte Forschungsfelder und Forschungsmethoden festlegen oder verengen. Trends, Schwerpunkte, friedensrelevante Gegenstände lassen sich freilich sehr wohl ausmachen; sie unterliegen aber zugleich bestimmten Konjunkturen und gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Bedürfnissen. Der „Arbeitskreis Historische Friedensforschung“, dem auch der Autor dieses Forschungsberichtes angehört, weiß sich dem interdisziplinären Austausch verpflichtet; der Arbeitskreis, der wesentliche Forschungen anstößt, bündelt und aufnimmt, führt Historiker, Sozial-, Erziehungs- und Kunstwissenschaftler ebenso zusammen wie Juristen, Philosophen, Pädagogen und andere, kooperiert eng mit benachbarten wissenschaftlichen Vereinen und stellt entsprechende Forschungsergebnisse in seinen Jahrbüchern der Öffentlichkeit vor. Diese Jahrbücher, bis zum Band 9 im Lit-Verlag (Münster) erschienen, dann ab 2002 unter dem Reihentitel „Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung“ im Klartext-Verlag (Essen) – bald neben der Print-Ausgabe auch als E-Books –, vermitteln einen vielgestaltigen Einblick in die Arbeitsfelder und Diskussionen unter denjenigen, die sich im Kerngebiet mit Historischer Friedensforschung beschäftigen. Bereits die Nennung einiger Titel verdeutlicht die Breite der Diskussionen: Mentalitätswandel in Deutschland seit 1945 von der Kriegs- zur Friedenskultur; Genozid in der modernen Geschichte; Gewalt und Gewaltfreiheit im 19. und 20. Jahrhundert; Kriegsbereitschaft und Friedensordnung; der Kalte Krieg; rüstungsbestimmte Geschichte und Probleme der Konversion; Frieden – Gewalt – Geschlecht; Deeskalation von Konflikten; religiöse Semantiken und Friedenskonzepte; Friedensbewegungen in vergleichender Perspektive; Alternativen zur Wiederbewaffnung in Westdeutschland; Frieden durch Demokratie; Bilder und Vorstellungen vom Frieden. Hinzu kommt, dass der „Arbeitskreis Historische Friedensforschung“ nicht nur internationale Kontakte pflegt und Personen organisiert, die an europäischen und nordamerikanischen Hochschulen forschen und lehren, sondern auch mit der „Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung“, dem „Arbeitskreis Militärgeschichte“ und dem „Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit“ kooperiert, so dass sich auch und gerade durch die Vernetzung einzelner Mitglieder in diesen Vereinen Kooperationsprojekte mit je spezifischen Schwerpunkten ergeben.
In dieser Literaturübersicht kann es nicht darum gehen, die inzwischen umfangreiche Reihe des „Arbeitskreises Historische Friedensforschung“ detailliert vorzustellen, zumal ausführliche Besprechungen fast aller Jahresbände zum Beispiel auf der Internetplattform H-Soz-u-Kult greifbar sind. Es sollen auch nicht wissenschaftliche Ergebnisse der letzten Jahrzehnte noch einmal ausgiebig diskutiert werden.1 Sowohl die Forschungserträge des Arbeitskreises sollen in diese Besprechung einbezogen werden, als auch der Blick gelenkt werden auf ausgewählte aktuelle Veröffentlichungen, die das Feld historischer Friedensforschung abstecken. Friedensideen, Friedensschlüsse, staatliche wie nicht-staatliche Friedensinitiativen, das Verhältnis von Frieden und Gewalt in der Staatenwelt2, Friedensfähigkeit wie Gewaltförmigkeit in der Gesellschaftswelt, Friedens- wie Gewalterwartungen von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren, Frieden und Zivilität, die Wirkung von Feindbildern, die Rolle von Protestbewegungen für wie gegen kriegerische Gewalt gehören ebenso selbstverständlich zum Feld historischer Friedensforschung wie die Untersuchung von gesellschaftlichen Gruppen, Männern wie Frauen, die inner- wie zwischenstaatliche Gewalt gefördert, gemindert oder verhindert haben.
Es verwundert nicht, dass die Absicht, verschüttete Traditionen in der deutschen wie europäischen Geschichte auszumachen, dazu führte, dass am Anfang der historischen Friedensforschung die Geschichte pazifistischer Organisationen untersucht wurde3, zugleich die Leistungen von Einzelnen für die Sache des Friedens4, die zu Monographien wie zu beachtlichen biographischen Lexika führte.5 Geschichte historischer Friedensbewegungen, des bürgerlichen Pazifismus und der sozialistischen Arbeiterbewegung einerseits, historischer Biografien andererseits sind nach wie vor Felder historischer Friedensforschung geblieben, zugleich wurde aber dabei auch der Friedensbegriff ausgeschärft6; so wird beispielsweise gefragt: Wie verhalten sich Herrschaftssysteme und die Friedensfähigkeit einer Gesellschaft zueinander? Wie ist der Zusammenhang zwischen innerer Verfasstheit eines Staates und seinem außenpolitischen Konfliktverhalten? Hängt Friedensfähigkeit vom Grad der Demokratisierung eines Staates ab?7 Wie ist Frieden in der politischen Kultur einer Gesellschaft verankert? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Friedenssicherung und Gewaltfreiheit? Wie lassen sich innergesellschaftliche wie internationale Konflikte so transformieren, dass sie gewaltfrei zu einer Lösung gebracht werden? Welche Funktion nehmen hierbei zivilgesellschaftliche Akteure ein?8 Welchen Beitrag leistet die Geschlechterforschung zur Konfliktforschung? Wie wird Männlichkeit und wie Weiblichkeit in den verschiedenen Epochen jeweils definiert? In welcher Weise hängt diese Definition mit geschlechtsspezifischen Klischees zusammen (hier Gewaltförmigkeit, Wehrhaftigkeit, dort Verletzlichkeit, Schutzbedürftigkeit, Friedensbewahrung)?9 Welche Vorstellungen von Frieden oder Krieg haben uns in den letzten Jahrhunderten geprägt?10 Was leisten Bilder, Fotos, Postkarten, Graphiken für die kollektive Sinngebung eines Krieges? Und was leisten sie zu seiner Entheroisierung?11
Friedensforschung war zugleich Militärkritik; unter deutscher Perspektive heißt dies Kritik am Sonderweg des preußisch-deutschen Militarismus12, seinen Ausformungen, Exponenten, Ursachen, Wirkungen und Folgen, aber auch die Klärung, weshalb die Konstituierung einer bürgerlichen Gesellschaft im 19. Jahrhundert mit einer zunehmenden und nachhaltigen Militarisierung des Bürgertums einherging.13 Zugleich gehört in dieses Forschungsfeld die Analyse der Entstehung von Kriegen, die Bestimmung des Charakters von Kriegen, ihren Förderern, Helfern und Helfershelfern, die Rolle der Wehrmachtsjustiz, die Motivation von Deserteuren, den „anderen Soldaten“14, sich einem genozidalen Krieg zu entziehen; außerdem das Ausloten von widerständigem Verhalten und Widerstand gegen totalitäre Tyrannei.
Mit der Kritik am Militarismus einher ging die historische Kriegsursachenforschung, die Forschung über Kriegsideologien, Kriegsbilder, Feindbilder und Mentalitäten von Bevölkerungsgruppen, über die Konstruktion von Männlichkeit im Zeichen der allgemeinen Wehrpflicht.15 Die Ausprägungen zwischenstaatlicher Konflikte gerieten ebenso in den Fokus wie die Untersuchung innergesellschaftlicher Konflikte mit dem Ziel, die Gewaltförmigkeit oder die Friedensfähigkeit von Systemen zu analysieren und Bedingungen zu eruieren, die zur Minderung von Gewalt beitragen können und für eine gerechtere, friedlichere Gesellschaftsordnung unabdingbar sind.
Früh ergab sich mithin eine Kooperation zwischen Wissenschaftlern, die sich auf die Geschichte der Friedensbewegungen konzentrierten, und solchen, die sich als Vertreter einer kritischen Militärgeschichtsschreibung verstanden. Rüstung und Abrüstung, die Einflussnahme militärkritischer Öffentlichkeit auf rüstungspolitische Entscheidungen von Regierungen wie Parlamenten gehörten damit wie selbstverständlich zu Forschungsfeldern.16
Als typisch für die ersten zwanzig Jahre deutscher historischer Friedensforschung macht Wolfram Wette fünf Forschungsschwerpunkte aus: historische Kriegsursachenforschung, die Erforschung historischer Friedensbewegungen, die Erforschung innergesellschaftlicher Konflikte, kritische Militärgeschichtsforschung und die Erforschung von Rüstung und Abrüstung.17 Weitere Schwerpunkte sind inzwischen hinzugekommen, zum Beispiel der diachrone Vergleich von Gewaltförmigkeit, die sozialen Voraussetzungen von Friedensfähigkeit und Gewaltbereitschaft, Mittel zur Einhegung von Gewalt, die Verarbeitung von Krieg und Gewalt (auch in der Literatur), die Untersuchung des Friedensbegriffs und seine Instrumentalisierung für gewaltfreien Widerstand wie für die Führung von Angriffskriegen, das Verhältnis von Täter und Opfer in kriegsförmigen Situationen, Rettungswiderstand in der Zeit des Nationalsozialismus, der Niederschlag von Forschungsergebnissen in der Friedenspädagogik und -erziehung sowie in Schulbüchern und geschichtsdidaktischen Zeitschriften. Hinzu kommt auch die Berücksichtigung der gender-Perspektive bei Friedensfragen.18 Kernidee aller historischen Friedensforschung sei freilich, „dass die Zukunft sich gestalten lässt, wenn man die Grundwerte der Kultur verbessert“, wie Jeffrey Verhey bilanziert.19
Auch die Militärgeschichte, die sich im Wesentlichen längst nicht mehr als Kriegs- oder Wehrgeschichte versteht, war beachtlichen methodischen wie konzeptionellen Wandlungen unterworfen, hat sich der Alltags- und Geschlechtergeschichte ebenso geöffnet wie den Ansätzen historischer Friedensforschung, sei es bei der Untersuchung wie Kriege entstehen und geführt werden, oder wie sie in einem tragfähigen oder brüchigen Friedensschluss münden.20 Die moderne Militärgeschichte sei „der kritischen Aufklärung verpflichtet, der Aufklärung über die strukturellen Ursachen und Voraussetzungen der kriegerischen Geschichte“, so wertet Wolfram Wette.21
2. Neue biographische und organisationsgeschichtliche Zugänge
Aus Anlass des 150. Geburtstages Ludwig Quiddes fand 2008 im Bremer Rathaus eine Konferenz über „Wege zur Friedenssicherung und Versöhnung: Deutsche Friedensnobelpreisträger als Leitfiguren für die heutige Friedenspolitik“ statt, die sich dem Wirken der vier deutschen Friedensnobelpreisträger widmete und zugleich danach fragte, wie friedenspolitisches Handeln vor dem Hintergrund regionaler wie globaler Konflikte heute aussehen könnte. Der auf dieser Grundlage entstandene Band, dem Nestor der Historischen Friedensforschung Karl Holl zum 80. Geburtstag gewidmet, vereint grundlegende wissenschaftliche Beiträge, die den je spezifischen Einsatz von Quidde, Stresemann, Ossietzky und Brandt für den Frieden würdigen und die Nobelpreisreden abdrucken, bzw. im Fall Ossietzkys, Presseartikel. Der handliche Band schreibt ein längst vergriffenes Werk aus dem Berlin-Verlag aus dem Jahr 1971 fort und bietet, geschrieben von ausgewiesenen Sachkennern, einen ausgezeichneten Einstieg in die je unterschiedliche Vorstellungswelt der Geehrten, wie Frieden erreicht oder gesichert werden kann. Überraschend ein kleines bemerkenswertes Detail: ein wenig bekanntes Porträt Ludwig Quiddes, gemalt 1937 von dem in die Schweiz gelangten russischen Emigranten Joseph Beilin (1888-1983), der zeitweilig mit Charlotte Kleinschmidt, einer Tochter Quiddes verlobt war, wurde für die Illustrierung des Buches ausgewählt.22
Der Linksliberale Ludwig Quidde vertrat den so genannten „demokratischen Pazifismus“, sein innerpazifistischer Konkurrent Alfred Hermann Fried (1864-1921), Friedensnobelpreisträger des Jahres 1911, den so genannten „revolutionären“ oder „ursächlichen“ Pazifismus. Fried ist noch weit weniger als Quidde im historischen Bewusstsein, bislang stand er auch nicht im Brennpunkt historischen Interesses. Insofern ist es verdienstvoll und anerkennenswert, dass maßgeblich Guido Grünewald (Köln) aus Anlass der hundertjährigen Wiederkehr der Nobelpreisverleihung im November 2011 in Potsdam ein Symposium über Fried organisiert hat, dessen Ergebnisse demnächst im Donat-Verlag (Bremen) publiziert werden sollen. Auf dieser Tagung referierte auch Petra Schönemann-Behrens, die jüngst eine erste umfassende Biographie Frieds vorgelegt hat.23 Auf der Basis der im Völkerbundarchiv Genf lagernden Fried/Suttner-Papiere, weiteren archivalischen Quellen und Literatur liegt hier eine einfühlsame, verstehende Biographie vor. Zweifellos ist die Recherche angemessen gründlich, das Buch gut lesbar. Die Schilderung kann als konventionell bezeichnet werden, sie zeugt von recht geringer analytischer Distanz zu Fried selbst, reflektiert nur ansatzweise die Schwächen seines theoretischen Ansatzes, den überzogenen Optimismus seiner Friedenserwartungen, den Optimismus über die Friedensfähigkeit und Friedensbereitschaft gerade des vom preußischen Militarismus überformten deutschen Herrschaftssystems. Fried stammte aus einer verarmten jüdisch-ungarischen Familie, die sich weitgehend erfolgreich um Assimilation im christlichen Umfeld der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie bemüht hatte. Als Gymnasiast gescheitert, wurde Fried Buchhändler mit ungesichertem sozialen Status, dann Friedensjournalist. Er wurde enger Weggefährte der Schriftstellerin Bertha von Suttner, Herausgeber der pazifistischen Zeitschriften „Die Waffen nieder“ und „Die Friedens-Warte“. Fried war ein wichtiger Praktiker und Theoretiker des Vorkriegspazifismus, ein ausgesprochenes Organisationstalent, ein Humanist und Visionär von einem geeinten friedlichen Europa, der sich aber auch Illusionen über die Friedensschalmeien des deutschen Kaisers Wilhelm II. machte; ein Ethiker, dessen privater Lebenswandel vielfach nicht seinen selbst gesteckten hohen ethischen Prinzipien entsprach. Schönemann-Behrens bettet Fried in seine Zeit ein, schildert einprägsam sein Erweckungserlebnis beim Besuch einer Ausstellung von Gemälden über den Krimkrieg des russischen Malers Wassili Wassiljewitsch Wereschagin (1881), ordnet ihn dem Organisationsgeflecht des Vorkriegspazifismus in Österreich und dem Deutschen Reich zu, zeichnet seine emsigen journalistischen Aufklärungsarbeiten nach, seinen Anteil an der Gründung und Konsolidierung einer deutschen Friedensgesellschaft, aber auch seine gesellschaftliche Ausgrenzung während des Ersten Weltkrieges, den er als Emigrant in der Schweiz zubringen musste.
Eine der wesentlichen Leistungen Frieds ist gewiss das „Handbuch der Friedensbewegung“, das in einer aktuellen, sauber gedruckten Reprintausgabe vorliegt.24 Das Wissen über die „Grundbegriffe der Friedensbewegung“, über Schiedsgerichtsbarkeit, die Haager Konferenzen, die Geschichte der Friedensbewegung im 19. Jahrhundert, über Organisationen, Personen und Ideen, fasste Fried in seinem fast fünfhundertseitigen Handbuch zusammen. Wünschenswert, eigentlich zwingend erforderlich wäre es gewesen, wenn der Verlag wenigstens eine erklärende Einleitung aufgenommen hätte. Der Reprint ist demzufolge sicherlich in der Hauptsache für Bibliotheken interessant; Erläuterungen muss sich der interessierte Leser an anderer Stelle besorgen. Im Kontrast zu dieser Neuausgabe bietet die vor einigen Jahren neu publizierte Auswahl aus den Kriegstagebüchern Frieds sehr viel mehr: neben einem informativen knappen Vorwort vor allem sehr umfangreiche und hilfreiche Erläuterungen in den Anmerkungen. Das macht gerade dieses Buch zu einer nützlichen Edition.25
Weniger über Alfred Herrmann Fried als über Bertha von Suttner liefen die Kontakte zwischen österreichischer und ungarischer Friedensbewegung. Maßgeblich aufgrund der Sprachbarriere hat die Historische Friedensforschung den Pazifismus in Ungarn nahezu ausgeblendet. Henriett Kovàcs, wissenschaftliche Assistentin an der Andrássy Universität Budapest, gewährt in ihrer Darstellung einen Überblick über die Schriftstellerkontakte zwischen Bertha von Suttner und Mór Jókai (1825-1904), die Verschränkungen von europäischen Friedens- und interparlamentarischen Kongressen um 1900 aufdecken. Auf der Basis eines schmalen Briefaustauschs zwischen Suttner und Jókai, einigen weiteren archivalischen Quellen und Literatur aus den Bibliotheken in Wien und Budapest ist eine Organisationsgeschichte entstanden, die erzählt und dabei rein empirisch vorgeht.26
Alfred Hermann Fried, Begründer eines modernen Völkerrechts, wollte den Krieg abschaffen; das Rote Kreuz wollte ihn hingegen nur mildern. Als der erste Friedensnobelpreis neben Frédéric Passy auch dem Gründer des Roten Kreuzes Henri Dunant zuerkannt wurde, zeigten sich Fried und seine Mentorin Bertha von Suttner bitter enttäuscht. Suttner war gar davon überzeugt, dass der Auf- und Ausbau der Verwundetenpflege den Krieg erleichtert habe. Auf die dringende Bitte Suttners, Dunant möge sich öffentlich als „Träger der weißen Fahne“ beweisen, bekannte sich dieser zwar zur „Völkerverbrüderung“, ohne sich freilich von der humanitären Fürsorge im Krieg zu distanzieren. Nach schrecklichen Erlebnissen auf dem Schlachtfeld von Solferino 1859, der Grausamkeiten und der Hilflosigkeit der verwundeten, verstümmelten Soldaten war Henry Dunant aus christlich-humanitären Beweggründen und missionarischem Eifer zum Begründer des Roten Kreuzes geworden, das sich aus menschlicher Solidarität der Hilfe für verwundete Soldaten ohne Unterschied in der Nationalität verschrieb. Henry Dunant gab den entscheidenden Impuls für die internationale Genfer Konvention von 1864, die die „Linderung des Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen“ regelte und damit einen Schutz für jene bot, die durch Kampfhandlungen verletzt worden waren. Dieter Riesenberger, ein ausgewiesener Spezialist für die Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes27 wie der deutschen Friedensbewegung, hat zusammen mit seiner Frau eine ansprechend gestaltete, detailreiche, sehr informative, profund recherchierte und gut lesbare Biografie dieses Initiators vieler humanitärer Vereine und Initiativen vorgelegt. Leistungen ebenso wie schwere ökonomische Misserfolge, gesellschaftliche Ausgrenzung, späte Würdigungen und seine zaghafte Annäherung an pazifistische Ideen werden geschildert. Mit dieser weltläufigen Persönlichkeit werden dabei zugleich allgemeingültige Einblicke in die mitunter riskanten Geschäfte eines bürgerlichen selfmademans und nach Anerkennung strebenden christlichen Missionars gewährt.28
Ein Weltenbummler ganz anderer Prägung, dessen Abenteuer- und Kolportageromane meist Kopfgeburten waren und erst in seiner letzten Lebensphase auf konkreten eigenen Eindrücken von Orientreisen beruhten, ist der vielgelesene Karl May, bei dem man auf den ersten Blick keine Beziehung zum organisierten Pazifismus vermutet und auch keine Rezeption bei den Pazifisten selbst. Und dennoch gibt es hier eine kleine Entdeckung. Es gab tatsächlich einen Briefwechsel zwischen Karl May und Bertha von Suttner. In seinem Todesjahr 1912 bekannte sich Karl May in einer Rede in Wien öffentlich zu pazifistischen Ideen. Einige Passagen in seinen Romanen (Ardistan und Dschinnistan; Old Shatterhand) lassen sich im Frieden fördernden Sinn lesen. Dennoch: seine Vorstellungen vom „Edelmenschentum“ ließen sich wesentlich schlüssiger von den Nationalsozialisten für die Militarisierung von Jugendlichen instrumentalisieren. Eine „gewissermaßen klandestine Wahrnehmung Karl Mays in pazifistischen Milieus“ macht Karl Holl aus und zählt ihn gar zu den Pazifisten, von dem sich allerdings „die meisten erklärten Pazifisten wünschten, er werde sich nicht zu ihnen bekennen“, denn sein Abenteurertum und seine teilweise kriminelle Karriere passten keineswegs in das Bild einer seriösen bürgerlich-pazifistischen Organisation.29
Der protestantische Seelsorger Ernst Böhme war ein Pazifist aus der dritten Reihe der Deutschen Friedensgesellschaft vor 1914. Einen Quellenband über den Pfarrer aus der kleinen thüringischen Gemeinde Kunitz bei Jena hat Karlheinz Lipp zusammengestellt, der über dessen Militarismuskritik, seine zeitgenössischen Kommentierungen zu Kirchen- und Friedensfragen sowie seine friedenspädagogischen Vorstellungen zuverlässig informiert.30 Die Reichweite dieses Friedenspfarrers, der sich von der Mehrheit seiner militaristischen Brüder wohltuend abhob, blieb freilich sehr begrenzt.
Mit Erwin Eckert, dem streitbaren Mannheimer Stadtpfarrer der Trinitatisgemeinde (1927-1931), hat sich Friedrich Martin Balzer seit seiner Dissertation im Jahr 197331 in zahlreichen Publikationen beschäftigt und dabei, aus einem Pfarrhaus der Bekennenden Kirche stammend, seine Sympathie für den sozialistischen Pastor nicht verhehlt. Jüngst hat er ein Kompendium über den Berufsverbotsfall aus der Zeit der Transformation des demokratischen in einen autoritären Staat vorgelegt, das nicht nur ein eindrucksvolles Psychogramm des redegewandten Volkstribunen Eckert liefert und seine Vorstellungen von christlicher sozialer Verantwortung zeigt, sondern auch ein bezeichnendes Licht wirft auf die Nähe protestantischer Würdenträger zu antidemokratischen, nationalsozialistischen Ideen – und dies ausgerechnet von einer Landeskirche, die sich ihrer liberalen Traditionen seit dem 19. Jahrhundert rühmte.32 Eckert, wichtiger Exponent des „Bundes Religiöser Sozialisten“33, oft kompromisslos und unerbittlich in Denken wie Handeln, war ein Grenzgänger zwischen pazifistisch-humanistischen und kommunistischen Ideen, eine Provokation geradezu für die Badische Landeskirche, die ihn unter Verlust sämtlicher Dienstbezüge aus dem kirchlichen Dienst entfernte, noch bevor die Nationalsozialisten die Herrschaft im Reich übernahmen. Die voluminöse Quellensammlung liefert Einblicke in die politische Vorstellungswelt eines Pfarrers, der den sozialen Auftrag des Christentums ernst nahm und sich in scharfem Ton von reaktionären und faschistischen Tendenzen abgrenzte; sie dokumentiert minutiös die Auseinandersetzungen zwischen dem kirchlichen Außenseiter Eckert und seinen Vorgesetzten, lässt Gesinnungsfreunde (zum Beispiel Wolfgang Abendroth) ebenso zu Wort kommen wie unerbittliche Gegner. Die politische Sympathie Balzers für Eckert hat dessen Recherchearbeit offensichtlich wesentlich beflügelt. Der Band ist eine Fundgrube für all jene, die exemplarisch die Nähe protestantischer Kirchenleitungen zum Nationalsozialismus bezeugt sehen wollen. Erst 1999 wurde Eckert offiziell von der Badischen Kirchenleitung rehabilitiert, das Disziplinarverfahren gegen ihn wurde dabei als unverhältnismäßig, überzogen und politisch einseitig eingestuft. Trotz aller Materialfülle klärt Balzer nicht eindeutig, weshalb der Protestantismus in seiner Mehrheit für antidemokratisches Denken empfänglich war und weshalb „rote Pfarrer“ wie Erwin Eckert, Emil Fuchs und Georg Fritze34 innerhalb der Kirche isoliert blieben. Nicht in der historischen Analyse, sondern in der Darbietung zahlreicher Quellen liegt die Stärke dieses Bandes.
Wesentlich breiter als die Arbeit von Balzer ist ein Sammelband mit chronologisch geordneten historischen Fallstudien über religiöse Semantiken des Friedens und der Gewalt angelegt, der sehr differenziert belegt und bewertet, wie Religion sowohl für friedliche Zwecke als auch für die Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt instrumentalisiert worden ist. Maßgeblich wird das Verhältnis zwischen Christentum und Politik ausgeleuchtet. Ein wichtiger Befund des Bandes ist, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt nicht auszumachen ist, allerdings könnten „innerhalb einzelner Religionen Elemente identifiziert werden, die Gewalt schüren oder einhegen.“35
Unbestritten weltläufig und humanitär inspiriert war der inzwischen fast vergessene, von den Nationalsozialisten verbrannte und in die Emigration getriebene expressionistische Dichter Armin T. Wegner, der neben dem Orientalisten und Theologen Johannes Lepsius als Erster den Genozid an den Armeniern dokumentierte und einen flammenden Appell an die Weltöffentlichkeit richtete, dieses unter dem Schutz entgrenzter kriegerischer Gewalt verübte Verbrechen zu stoppen und strafrechtlich zu ahnden. Sein beeindruckender Augenzeugenbericht, ab Oktober 1919 mehrfach, unterstützt mit Lichtbildern, vorgetragen, wurde, es ist kaum zu glauben, erstmals jetzt ediert – und dies in vorzüglicher Weise mit einem kritischen Apparat.36 Die Veröffentlichung passt in die Zeit, in der die türkische Regierung im In- und Ausland immer noch den Völkermord an den Armeniern abstreitet und politischen Druck ausübt, um seine Aufklärung zu torpedieren.
Ganz im Gegensatz zu Lepsius, dem nationalistische, antidemokratische und antisemitische Ausfälle nicht fremd blieben, war Armin T. Wegner ein aufrechter Demokrat, überzeugter Pazifist und Kriegsdienstverweigerer, ein mutiger Antifaschist und exzellenter, brillanter expressionistischer Stilist. Seine zeitweilige Sekretärin hat einen analytisch bestechenden, aber durchaus auch persönlich gefärbten Sammelband herausgegeben.37 Wegners beide Ehefrauen, seine Kinder und Menschen, die ihm begegnet sind, kommen darin ebenso zu Wort wie profunde Kenner seines Oeuvres in klaren Detailstudien. Wegner, als deutscher Sanitätsoffizier Beobachter und literarischer Ankläger des Genozids an den Armeniern, dem ersten systematischen Völkermord des 20. Jahrhunderts, war 1918 Mitglied im kurzlebigen „Rat geistiger Arbeiter“, Mitbegründer des „Bundes der Kriegsdienstgegner“, Ende der zwanziger Jahre Kommunist, ein Weltenbummler und bedeutender Reiseschriftsteller, der wegen seiner radikalpazifistischen Gesinnung und der Ehe mit einer Jüdin bei den Nationalsozialisten früh als potentieller Feind stigmatisiert, im Konzentrationslager gefoltert und dann zur Emigration gezwungen wurde. Er geriet so gründlich in Vergessenheit, dass er auf dem deutschen Schriftstellerkongress 1947 gar fälschlich für tot erklärt wurde. Verfemt, verbrannt, vergessen, nach 1933 in einer dauerhaften Kreativitätskrise, gelang es ihm als Emigrant nicht mehr, an seine zeitweiligen literarischen Erfolge in der Weimarer Republik anzuknüpfen. Aber es lohnt sich aus literarisch-stilistischen wie historisch aufklärerischen Gründen Armin T. Wegner wieder zu entdecken. Der Göttinger Wallstein-Verlag leistet hierfür einen sehr anerkennenswerten Beitrag.
Dem von Bockel Verlag wiederum kommt das Verdienst zu, einen Programmschwerpunkt dem expressionistischen Schriftsteller, Essayisten, Philosophen, politisch streitbaren Publizisten und Juristen Kurt Hiller zu widmen. Unlängst hat er Hillers wissenschaftliches Erstlingswerk, eine rechtsphilosophische Studie, sein Manifest eines selbstbestimmten Lebens, nachgedruckt und kommentierend eingeleitet38 sowie gesammelte Aufsätze von Wolfgang Beutin über unterschiedliche Lebensstationen Hillers herausgebracht.39 Dank der kleinen, aber rührigen Kurt-Hiller-Gesellschaft, die einen wesentlichen Teil seines Nachlasses hütet, sind immer wieder kleine Neuentdeckungen möglich.40
Dem streitbaren, streitsüchtigen, invektivenreichen, produktiven, avantgardistischen Exzentriker Kurt Hiller können sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen nähern. Auf zwei literaturwissenschaftliche Publikationen sei in diesem Zusammenhang hingewiesen.
In der Düsseldorfer Dissertation von Brigitte Laube41 wird danach gefragt, unter welchen soziologischen Bedingungen sich Hiller von seiner jüdischen Herkunft distanzierte und in welchem Maße das autobiographische Erinnern in dessen Logos-Band bestimmt wird durch die Rekonstruktion von Vergangenheit, inwiefern es jüdische Denktraditionen enthält, wie weit sich biographische Selbsthistorisierung und Selbstpositionierung von verifizierbarer Realität entfernt und sich in seinen Texten spiegelt. Dies sind sicherlich Themenschwerpunkte, die für die Historische Friedensforschung eher marginal erscheinen; dennoch kann ihnen eine bedeutsame Facette des einflussreichen Pazifisten Hiller abgewonnen werden. Hiller beharrte Zeit seines Lebens auf seinem Anderssein, auf einem Leben gegen die Zeit; und dieses Anderssein bedurfte immer wieder einer neuen Positionierung, selbst wenn bestimmte Grundüberzeugungen, so sein Pazifismus und Antimilitarismus seit seiner Desertion aus dem bayerischen Militärdienst 1908, zu einer wesentlichen Konstante in seinem sonst so bewegten Leben zählten. Laube verortet Hiller, die „zentrale Randfigur der deutschen Literaturgeschichte“ (Georg Fülberth) in den Strukturen seiner Zeit, untersucht sein Changieren zwischen Assimilation und dem Beharren auf Anderssein, zwischen Annahme und Ablehnung jüdischer Denktraditionen. Hiller blieb in vielfältiger Weise ein Ideen gebender Außenseiter besonderer Prägung, ein Querdenker, Provokateur, Anti-Kommunist wie Anti-Faschist. Die Arbeit liefert Bausteine für ein Psychogramm, die für nachfolgende Forschungen über Hiller nutzbar gemacht werden können.
Eine besonders eindrückliche Facette seines Lebens im Exil liefert der fast vollständig erhaltene Briefwechsel zwischen Kurt Hiller und Klaus Mann aus den Jahren 1933 bis 1948.42 Vorzüglich ediert zeigen die Briefe Kurt Hiller im Exil immer noch als kampfeslustig, integer und elitär zugleich, der trotz oder wegen seiner bedrückenden politischen wie ökonomischen Situation seine Lust an scharfer öffentlicher Zuspitzung von Konfliktlinien nicht verlernt hatte. Wir erhalten Einblicke in die materiellen und psychischen Nöte von Exilierten, erfahren, dass beide Briefpartner auch unter widrigen Umständen immer noch von Schriftstellern erwarteten, in die Politik einzugreifen, reale Utopien zu formulieren und selbst in Zeiten nationalsozialistischer Bedrohung an pazifistischen Grundüberzeugungen festzuhalten, sie aber zugleich an die Realisierungsmöglichkeiten der Zeit anzupassen.
Einblicke in die politische Arbeit von ausgewählten Frauen im Exil, deren Engagement nicht zwingend hinter das ihrer Männer zurücktrat, bietet ein weiterer Band aus der Reihe „text + kritik“, ohne allerdings mit wirklich neuen Forschungen aufzuwarten.43 Für die Historische Friedensforschung dürfte in diesem Band insbesondere der Beitrag über Ruth Seydewitz Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Deren politische Arbeit war über Jahrzehnte in der Öffentlichkeit nicht erkennbar, weil sie im Schatten ihres als linken Sozialisten weithin bekannten Mannes Max stand. Die biographische Skizze über die Pazifistin Charlotte Leonhard (1892-1987) ist leider nur ein Zusammenschnitt von dem, was bisher schon über sie bekannt war, fördert keine neuartigen Aspekte ihres Wirkens hervor, ja fußt nahezu ausschließlich auf dem, was in einer 1984 im Donat-Verlag erschienenen Broschüre nachzulesen ist.
Die vielfältigen Anregungen der marxistisch orientierten Reformpädagogin Anna Siemsen (1882-1951) blieben im Nachkriegsdeutschland zwar weitgehend verschüttet; die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihrem Werk ist aber nie ganz ausgeblieben. Nicht nur, aber auch dank des Engagements des inzwischen emeritierten Paderborner Erziehungswissenschaftlers Wolfgang Keim ist gerade in den letzten Jahren die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser bedeutenden sozialistischen Schulreformerin neu aufgenommen und intensiviert worden. Verschiedene Arbeiten beschäftigen sich mit Aspekten ihres Werks, sind bereits erschienen oder stehen unmittelbar vor ihrem Abschluss.44 Die für Literatur- und Erziehungswissenschaftler sowie Historiker interessante Arbeit von Christoph Sänger45 geht der Frage nach, „inwiefern sich aus den Schriften Anna Siemsens eine Bildungstheorie und Bildungspraxis rekonstruieren lässt, in der Literatur eine zentrale Bedeutung zugewiesen wird.“ (S. 12) In seiner Wuppertaler Dissertation skizziert er den Lebenslauf Siemsens unter Berücksichtigung ihres pädagogischen und literarischen Werks, arbeitet zentrale Leitgedanken und Begrifflichkeiten ihres Oeuvres heraus ebenso wie ihr Literatur- und Bildungsverständnis, insbesondere auch ihre kritische Auseinandersetzung mit Schulbüchern, vergleicht sie mit anderen erziehungswissenschaftlichen, bildungstheoretischen und literaturpädagogischen Positionen und fragt nach der bleibenden Bedeutung Siemsens. Die in vielen pazifistischen und sozialistischen Verbänden engagierte46 und publizistisch rührige Anna Siemsen war davon überzeugt, dass Literatur eine bedeutsame Rolle bei der Humanisierung der Gesellschaft leisten kann, setzte alles daran, dass der literarische Blick über die Nationalitätsgrenzen hinausreichte, konzipierte Jugendbücher, die mit Völker versöhnender, pazifistischer und emanzipatorischer Tendenz bewusst als Alternativen zur herkömmlichen, vielfach nationalistisch verengten, Autoritarismus, Militarismus fördernden Jugendliteratur konzipiert wurden. Ihr Grundanliegen war, eine enge nationalistische Perspektive in der Literatur zu überwinden; sie beschäftigte sich mit einem europäischen Schulbuch und verfasste Reisebücher, die allerdings gegen Ende der Weimarer Republik nur einen begrenzten Leserkreis erreichten. Ihre umfassende humanistische Bildung, ihre umfangreichen Kenntnisse der europäischen Literatur vom Mittelalter bis zur Moderne gab sie in ihren Büchern, Anthologien, Aufsätzen sowie ihrer Tätigkeit als Lehrerin und Hochschuldozentin weiter. Es wäre zu wünschen, wenn die Renaissance der wissenschaftlichen Beschäftigung mit ihr auch dazu führen könnte, zumindest einen Querschnitt aus ihren Arbeiten als Reprints auf dem aktuellen Buchmarkt zu finden.
Manuela Jungbluth leitet in ihrer Dissertation aus den prägenden sozialisatorischen Erfahrungen ab, wie Anna Siemsens zu einer herausragenden Vertreterin einer sozialkritischen, demokratisch-sozialistischen Reformpädagogin werden konnte. Auf der Basis einer gründlichen systematischen Bearbeitung ihres umfangreichen Schrifttums leuchtet Jungbluth das Verhältnis von Freiheit und sozialer Verantwortung aus und erschließt Anna Siemsen als kritisch-emanzipatorische, historisch-materialistisch denkende Pädagogin mit klarer Verankerung im organisierten Pazifismus und der Sozialdemokratie.47
Gespannt sein darf man auch auf eine Paderborner Dissertation von Michael Bien über Siegfried Kawerau (1886-1936), der als entschiedener Schulreformer, Publizist, Berliner Schulleiter und Schulrat sich vor allem einen Namen machte in seinem Bemühen, den Verfassungsauftrag einer Erziehung zur Völkerversöhnung zu erfüllen und eine grundlegende Reform des Geschichtsunterrichts durchzusetzen. Dadurch zog er bei der politischen Rechten und insonderheit den Nationalsozialisten Hass auf sich. 1933 aus dem Schuldienst entfernt, wurde er über Monate derart gefoltert, dass er an den Spätfolgen 1936 frühzeitig verstarb.
Ein Pädagoge besonderen Stils wird in der an der Universität Amsterdam entstandenen Dissertation von Daniela Hooghiemstra48 auf der Basis von Quellen aus dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis vorgestellt: Kees Boeke, Mitbegründer der War Resisters’ International und der Reformschule Werkplaats Kindergemeenshap in Bilthoven bei Utrecht. Diese reformpädagogisch geführte Schule genoss ein derart hohes Ansehen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Kinder des niederländischen Königshauses diese Anstalt besuchten. Der aus Deutschland vertriebene pazifistische Lehrer Hein Herbers49 war Mentor der Kronprinzessin Beatrix.
Soeben erschienen, nach jahrelanger Vorarbeit, ist das zweibändige Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland, in dem – und das ist für unseren Zusammenhang bedeutsam – das Zusammenspiel von Arbeiter-, Friedens-, Frauen- und Jugendbewegung im Sinne einer Reformpädagogik umfassend auf der Basis bislang erschlossener Darstellungen und Quellen vorgestellt wird.50
Zwischen sozialistischen Antimilitaristen und bürgerlichen Pazifisten kam es vor dem Ersten Weltkrieg kaum zu gemeinsamem politischen Handeln, in der Zwischenkriegszeit dann immerhin punktuell, nachdem sich eine stattliche Anzahl von Exponenten der Friedensbewegung auch zu sozialistischen Ideen und Kampfesmethoden bekannt hatte. Ein Sammelband, maßgeblich organisationsgeschichtlich ausgerichtet, sucht in den zentralen Beiträgen von Wolfgang Uellenberg-van Dawen und Guido Grünewald nach Gemeinsamkeiten zwischen antimilitaristischen und pazifistischen Ansätzen; er analysiert darüber hinaus die Handlungsbedingungen der sozialistischen Jugendinternationale in der Zeit der Blockkonfrontation nach 1945.51
3. Widerständiges Verhalten
In seinem letzten umfassenden Buch über „Rettungswiderstand“ hat der im Mai 2012 88jährig verstorbene Frankfurter Historiker Arno Lustiger jenen „gewöhnlichen“ Menschen aus dem von der deutschen Wehrmacht besetzten Europa ein Denkmal gesetzt, die dort, wo Selbsthilfe nicht griff52, aus uneigennützigen Motiven heraus geholfen haben, Juden vor der sicheren Vernichtung durch die Nationalsozialisten zu retten.53 Den Begriff „Rettungswiderstand“ hat Lustiger selbst geprägt, als er an einem Forschungsprojekt über Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht mitarbeitete.54 Nachdem er als Überlebender des Holocaust diesen Begriff auch in seiner stark beachteten Rede am 27. Januar 2005, dem 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, im Deutschen Bundestag verwendet hatte, wurde dieser Terminus allgemein in der Widerstandsforschung übernommen. Mit vielfältigen, sehr eindrücklichen, berührenden, aufrührenden Beispielen belegt Arno Lustiger das uneigennützige, aber zupackend-humanitäre Handeln einer kleinen Minderheit „stiller Helden“, die den Nachgeborenen beweisen, dass es selbst im totalitären faschistischen System Handlungsspielräume für Rettungstaten gegeben hat. Dem Widerstand war es zwar zu keiner Zeit gelungen, die nationalsozialistische Diktatur zu stürzen; aber die Retter zeigten sehr wohl, dass es einen demokratischen, humanitär inspirierten Selbstbehauptungswillen oft einfacher anständiger Menschen gegeben hat, die solidarisch, mitunter situationsbedingt oder reaktiv, jüdischen Menschen Unterschlupf gewährt und sie vor der sicheren Vernichtung bewahrt haben. Rettungstaten in über dreißig Ländern werden beschrieben, mit biografischem Zugriff werden über 200 Retter und Netzwerke vorgestellt, so dass dieses Buch Zeugnis ablegt von risikobereiter Zivilcourage, vom Widerstand des „kleinen Mannes“, von vielfältigen Motiven der Helfer. Die Retter, so Lustiger, bildeten „das unbezahlbar teure Kapital des deutschen Volkes, mit dem aber sträflich nachlässig umgegangen wird“ (S. 84 f.). Insofern erfüllt das Werk die Funktion eines Gedenk- und Mahnbuchs, es lässt sich als Lexikon widerständigen Verhaltens lesen, ohne auf Vollständigkeit abzielen zu wollen. Zum Teil werden einzelne Retter herausgehoben und mit einem biographisch orientierten Beitrag gewürdigt, wie das im „Lexikon der Gerechten unter den Völkern“ durchgängig geschieht.55 Die vielen kleinen „Schindler“, die aus allen Schichten der Bevölkerung kamen, sich weder konfessionell noch politisch in ein Raster pressen lassen, werden hauptsächlich in Länderkapiteln vorgestellt. Sie alle haben in der Regel von ihren Rettungstaten kein Aufhebens gemacht. Zum Zeitpunkt der Rettungstat war Schweigen geradezu die Bedingung für Erfolg. Als Überlebender des Holocaust sympathisiert Arno Lustiger unmissverständlich mit denjenigen, die Juden vor dem sicheren Tod bewahrt haben; aber dennoch bleibt seine Darstellung analytisch nüchtern und zugleich ergreifend. Das Buch muss nicht von Anfang bis Ende gelesen werden, sondern der Rezipient kann sich unter den vielen kurzen Einzelgeschichten diejenigen aussuchen, die ihn besonders beeindrucken. So schreibt sich Arno Lustiger in unsere Köpfe und Herzen ein, über den Tod dieses liebenswürdigen Menschen hinaus. Eine Würdigung der vielen kleinen Helden, die in überwiegender Mehrheit auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg von ihren Rettungstaten keinen Aufwand für ihre Anerkennung als Retter betrieben – dieses Buch als sein letztes Vermächtnis vervollständigt seine Forschungen über widerständiges Verhalten, auch entgegen aller Klischees und wissenschaftlichen Vernachlässigungen das von Juden.
Die Rettung des polnischen Pianisten Wladyslaw Szpilman in der Endphase des Zweiten Weltkriegs durch Hauptmann Wilm Hosenfeld ist in den Erinnerungen des bedeutenden Musikers gewürdigt und aufgrund der Verfilmung durch Roman Polanski (2002) weltweit bekannt geworden. Das Leben Hosenfelds, eines reformpädagogisch inspirierten Volksschullehrers aus der osthessischen Provinz, wurde vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt ausführlich dokumentiert und unter anderem von Dirk Heinrichs nachdrücklich geschildert.56 Aus seinen Tagebüchern wurde auch das Bild der deutschen Wehrmacht aus der Sicht dieses regimekritischen Mannes herausgefiltert.57
Die Journalistin Katharina Stegelmann kann ebenfalls mit ihrer Darstellung des Judenretters Heinz Drossel an die Ergebnisse der Forschungsgruppe um Wolfram Wette anknüpfen; sie schildert, keineswegs auf ein rein akademisches Publikum fixiert, die Rettungstaten dieses Oberleutnants in Berlin kurz vor Kriegsende und leistet damit zugleich einen Beitrag zur Vergangenheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland.58
4. Die Verbrechen der Wehrmachtsjustiz und der Wehrmacht
Handlungsspielräume für humanitäres Handeln waren auch im totalitären Staat und innerhalb seiner Organisationen vorhanden; sie wurden nur von den meisten nicht genutzt. Die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Taten war nicht alternativlos. Individuell risikoreiches Handeln lässt sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen nachweisen: zwischen Nonkonformität einerseits, Verschwörung, Attentat und Umsturzversuch andererseits gibt es eine breite Palette von Widerstandsformen. Widerständiges Verhalten durch die Rettung von politischen oder rassischen Verfolgten gehört ebenso dazu wie die Verweigerung der Beteiligung an Kriegen durch die Desertion „gewöhnlicher Soldaten“59 und eben nicht nur das Widerstandshandeln mit dem eindeutig erklärten Ziel der Beseitigung eines menschenverachtenden Regimes. Und selbst Richtern im Nationalsozialismus verblieben Ermessensspielräume, die sie aber aus ideologischen, Karriere- oder anderen Gründen meist nicht nutzten. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident und NS-Marinerichter Hans Filbinger60 hat gar sein Handeln auf eine empörende Rechtfertigungsformel ohne jedes Unrechtsbewusstsein gebracht: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“ „Mit reinem Gewissen“61, so ist denn auch ein Sammelband betitelt, der auf die empörende Diskrepanz hinweist, dass Opfer der NS-Militärjustiz oft jahrzehntelang um ihre Rehabilitierung kämpfen mussten, während ehemalige angeblich „saubere“ Wehrmachtjuristen bereits in der frühen Bundesrepublik mit einer zweiten Karriere starten konnten. Historiker und Juristen haben auf einem Symposium in Hannover 2010 („Der Kampf um die Vergangenheit. Das Wirken ehemaliger Wehrmachtjuristen im demokratischen Rechtsstaat aus der Sicht der Opfer“) die Folgen der personellen Kontinuitäten juristischer Funktionseliten für den demokratischen Rechtsstaat ins Bewusstsein gehoben. Sie haben eindeutig aufgearbeitet, dass Juristen an der Normierung antisemitischer Gesetze beteiligt waren, an den Drangsalierungen politisch Andersdenkender und der terroristischen Anwendung des politischen Strafrechts gegen politisch Missliebige. Die Wiederverwendung von Wehrmachtjuristen, angeblich „ganz normalen Richtern“, führte dazu, dass die Opfer ihrer Rechtsprechung weiter als Verbrecher (Wehrkraftzersetzer, Kriegsverräter, Deserteure) galten und lange Zeit keine Entschädigungszahlungen erhielten. Durch Netzwerke miteinander verknüpft, huldigten die ehemaligen Wehrmachtrichter einem apologetischen Veteranenkult, schmiedeten Karrieren und trugen durch eine geschickte Geschichtspolitik wesentlich dazu bei, dass ihre Handlungen auch in der Rückschau als völlig rechtmäßig erschienen. Vernebelt wurde, dass die Wehrmachtjustiz willig den politischen Vorgaben des NS-Regimes folgte. Gängige apologetische Deutung war, dass sie nicht mit Vorsatz Recht gebeugt hätten, denn als vom Nationalsozialismus überzeugte Richter hätten sie mit ihrer gesetzlich festgelegten Rolle vollständig übereingestimmt. Die Gegenargumentation des Frankfurter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer62, dass die Frage der Rechtsbeugung nach rechtsstaatlichen Kriterien und nicht nach den Maßstäben des Systems planmäßiger Willkür zu beurteilen sei und folglich Rechtsblindheit Vorsatz nicht ausschließe, spielte bei Verfahren gegen NS-Richter und Staatsanwälte praktisch keine Rolle. Dass es sehr wohl „gesetzliches Unrecht“ (Gustav Radbruch) gibt, wurde verschleiert. Der Bruch mit der nationalsozialistischen Justiz sei, so die Autoren des Bandes, nach 1945 gründlich misslungen; eine eigene Verantwortung der NS-Justiz für die Rolle im Hitler-Regime sei bestritten worden. Ja, es wurde gar die Legende verbreitet, die Justiz sei bis zum Ende des Weltkrieges ernsthaft bemüht gewesen, objektiv und unbeeinflussbar Recht zu sprechen. Aber welch ein Recht? Im Dienste des nationalsozialistischen Terrors kam es zu einer exzessiven Todesstrafenpraxis. Von circa 30.000 Todesurteilen wurden rund 20.000 gegen Fahnenflüchtige, Wehrkraftzersetzer, Kriegsverräter, Kriegsdienstverweigerer vollstreckt. In schreiendem Gegensatz zu den aus politischen und moralischen Gründen Widerständigen gegen den NS-Terror steht die viel zu späte Rehabilitierung der Opfer der NS-Justiz durch die Politik. Die wegen Kriegsverrat verurteilten Soldaten wurden erst 2009 pauschal vom Bundestag rehabilitiert.63 In einer Reihe von Publikationen wurde nun nicht nur antidemokratisches Denken und antidemokratische Praxen als solche demaskiert, sondern auch eine klare geschichtspolitische Absicht verfolgt, sei es, die moralische Rehabilitierung und wenigstens symbolische Entschädigung von Opfer der Unrechtsjustiz zu erreichen, sei es, eine neue Militärjustiz und damit eine mögliche strafrechtliche Privilegierung von Soldaten trotz schlimmster Erfahrungen der Vergangenheit zu installieren, zu torpedieren.64 1961 wurde das Grundgesetz dahingehend geändert, dass der Bund Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte als Bundesgerichte einrichten kann, die die Strafgerichtsbarkeit aber nur im Verteidigungsfall über Angehörige der Streitkräfte ausüben können, die in das Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind, ohne dass jedoch von dieser Ermächtigung bislang Gebrauch gemacht wurde.
Die Rehabilitierung der Opfer der Wehrmachtsjustiz in Österreich ließ gar noch etwas länger als in Deutschland auf sich warten. Stieß der Fall Filbinger in Deutschland die Forschung über Wehrmachtsjustiz an, so tat dies die Causa Kurt Waldheim in Österreich. Auch und gerade unter Berücksichtigung einer internationalen Perspektive wurde im Oktober 2009 ein Symposium zur Geschichte der Wehrmachtsjustiz vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien veranstaltet65, das die Wehrmachtsjustiz als Abschreckungsjustiz zur Erzwingung von Gefolgschaft, Disziplin und Leistungsbereitschaft im militärischen Sinn zeigt, viele Beispiele für verfolgte Delikte gibt, die ideologischen Dispositionen der meist nicht in der NSDAP organisierten Richter für ihre von fehlendem Unrechtsbewusstsein geprägten unermesslichen harten Urteile analysiert und die sich stetig verschärfenden Normen des Militärstrafrechts dokumentiert. Zugleich werden Einblicke in die Urteilspraxis gewährt, die von Kameradschafts- und Veteranenverbänden flankierte Nachkriegskarriere der „schrecklichen Juristen“ nach 1945 belegt, ebenso die Rolle von Denunzianten im System unbarmherziger Verfolgung mit den Mitteln des positiven Rechts. Der Band ist insgesamt breiter angelegt als der von Perels und Wette: Ein Beitrag gibt gar einen Überblick über die Entwicklung der Militärgerichtsbarkeit seit der römischen Antike, ein anderer berücksichtigt die gender-Perspektive, indem er männliche Selbstbilder und Geschlechtsidentität von Deserteuren im Kontext des militärischen Männlichkeitsdiskurses untersucht; andere stellen Vergleiche zwischen deutscher sowie britischer66 und US-amerikanischer Militärgerichtsbarkeit an. Die Intentionen der Symposien in Wien und Hannover sind freilich identisch: Es geht um die eindeutige Demaskierung der nationalsozialistischen Wehrmachtsjustiz als terroristische Maßnahme zur Stabilisierung der „inneren Front“, um die Aufdeckung der Kontinuität im Justizapparat vor wie nach 1945, um die politische Rehabilitierung der Opfer der Wehrmachtsjustiz, um einen Akt historischer Aufklärung im besten Sinn.
Die wahrscheinlich bekannteste zivil-militärische, ökumenische Widerstandsgruppe dürfte die „Weiße Rose“ sein; ihre Flugblätter sind längst Gegenstand des Geschichtsunterrichts geworden, die zum Teil spektakulären Verfilmungen ihres Widerstands hat sie gerade bei Jugendlichen populär gemacht. Trotz des hohen Bekanntheitsgrades dieser Gruppe gibt es durchaus sehr lesenswerte neue Ausschärfungen, die die überschaubare Personengruppe der „Weißen Rose“ und ihre gesinnungs- wie verantwortungsethische Motivation beim Kampf gegen staatliche Willkür, für ein demokratisches und rechtsstaatliches Deutschland in einem friedlichen Europa, ihre religiösen Mentoren, ihre ethischen Überzeugungen, ihr Wirkungen und die Nachwirkungen ihres vorbildhaften Handels in Einzelstudien untersuchen. Die geistes- und ideengeschichtlichen Grundlagen für ihren Antifaschismus sind so schwerpunktmäßig und intensiv noch nicht analysiert worden.67
5. Gewalt erleben - Gewalt erzeugen - Gewaltlos handeln
Eine eher ungewöhnliche Pionierarbeit im Bereich des Holocaustgedenkens aus den unmittelbaren Nachkriegsjahren, ein fast vergessener Vorläufer der 1994 gegründeten Steven Spielberg Foundation, ist erst jetzt in einer Auswahl in deutscher Übersetzung erschienen. Der amerikanische Psychologe David P. Boder, ein Spezialist für Traumaforschung, interviewte 1946 circa 130 Überlebende des Holocaust in Europa mit einem Drahttongerät, einem Vorläufer des Kassettenrecorders, um möglichst authentisch Erinnerungen von Zeitzeugen aus der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft festzuhalten. Zwischen 1946 und 1958 brachte Boder seine eigene Bibliothek des Unglücks heraus, insgesamt sechzehn Bände mit Transkriptionen seiner Interviews, Teil eines großangelegten Projekts, das nie abgeschlossen wurde. Der jetzt erschienene Band bietet einen Einblick in Boders Gesamtprojekt und damit auch Einblick in eine breite Palette von Erlebtem: von materiellem Elend, Verfolgung, spontaner Hilfe, Zivilcourage, Hoffnung, Lebenswillen, Überlebensstrategien, Deportation, Entmenschlichung, aber auch Sprachlosigkeit wie Sprachverlust. Worte mussten gefunden werden für mitunter unvorstellbare Schicksale, für eigentlich Unaussprechliches.68
In dem von Christa Hämmerle herausgegebenen Band mit Erinnerungen österreichischer Rekruten sprechen „des Kaisers Knechte“ ebenfalls selbst: von Dressur, Schindereien, Härte, Zwang, Erniedrigung, aber auch Kameraderie, Frivolität, ausgelassenen Späßen unter Männern. Der zweijährige Präsenzwehrdienst wirkte auf die meisten Betroffenen so nachhaltig, dass sie noch Jahre und Jahrzehnte später über ihre mitunter ambivalenten Erfahrungen sprechen und schreiben wollten. Die in Auswahl präsentierten meist unveröffentlichten Texte zeugen von unreflektierter Identifikation wie harscher kritischer Distanz zur Institution Militär, geben Eindrücke davon, wie Gewalt erlitten, aber auch wie sie ausgeübt wurde. Alle dienten sie in der „Schule der Männlichkeit“ – mitunter murrend, widerstrebend, widerspenstig, aber nie grundlegend widersetzlich, zugleich aber auch nicht auf Harmonisierung des Erlebten in der Rückschau bedacht.69
Häufig religiös, in jedem Fall humanistisch motiviert sind Formen des zivilen Ungehorsams, die durch das bewusste Übertreten von Gesetzen oder Gehorsamsverweigerung staatliches Unrecht anprangern und beseitigen wollen. In einem von Reiner Steinweg und Ulrike Laubenthal herausgegebenen Sammelband70 werden zwar hauptsächlich anhand aktueller praktischer Beispiele in unterschiedlichen Situationen und Ländern gewaltfreie Aktionen vorgestellt; der Band richtet sich maßgeblich an Aktivisten heute, aber auf die historischen Wurzeln gewaltfreien Handelns wird in verschiedenen Passagen ebenso eingegangen (Kampf der Quäker um Religionsfreiheit im 17. Jahrhundert, Kampf gegen Sklaverei, Widerstand Gandhis gegen koloniale Unterdrückung, Aktionen gegen die Rassentrennung in den USA und anderes) wie auf die theoretischen Begründungen zivilen Ungehorsams (zum Beispiel durch Thoreau, Tolstoi, Gandhi, Wichmann aber auch Goss-Mayr und Ebert) und den Anspruch, durch Gewaltfreiheit prinzipiell gesellschaftsverändernd zu wirken.
Eine völlig konträre Perspektive bietet der Sammelband über „Soldatinnen“ vom Mittelalter bis zur Gegenwart, der Forschungen aus verschiedenen Disziplinen der Humanwissenschaften bündelt.71 Die dort vorgestellten Frauen sind der Kontrapunkt zum postulierten natürlichen Pazifismus und zu vermeintlicher natürlicher Weiblichkeit. Der voluminöse Band informiert in 19 Detailstudien und mit einer sehr ausführlichen, informativen, methodologisch wie terminologisch anspruchsvollen Einleitung über die „women warriors“, ihre Mobilisierung für den Krieg, den Einsatz im Krieg, sei es in gemischtgeschlechtlichen oder exklusiv weiblichen Kampfverbänden, sei es als Tötungsassistentinnen oder aktive Kombattantinnen, sowie über die Verarbeitung von Kriegstraumata nach den Schlachten, über euphorische wie erzwungene Freiwilligkeit von Frauen. Von den mittelalterlichen Ritterkriegen über das Söldnerwesen in der frühen Neuzeit, die stehenden Heere im 17. und 18. Jahrhundert, Kriege im Zeichen der Nationalstaatsentwicklung im 19. Jahrhundert, die totalen Kriege im 20. Jahrhundert bis zu den asymmetrischen Kriegen der Gegenwart reicht das zeitliche Spektrum. Der Sammelband stellt unterschiedliche Frauentypen vor, zum Beispiel solche, die der männlichen Camouflage bedurften, um überhaupt kämpfen zu dürfen (so genannte cross-dresser, Frauen, die in männlicher Soldatenkluft kämpften), Frauen, die zu Heldinnen stilisiert wurden (Jeanne d’Arc), die Imagination von Amazonen, Partisaninnen, Frauen in regulären Armeen der Gegenwart. Der Band vereint militär- und geschlechterspezifische Forschungsansätze, greift feministische wie antimilitaristische Positionen auf, bricht den Dualismus von männlichem Schutz und weiblicher Schutzbedürftigkeit auf und stellt die idealtypische Trennung von weiblichem Friedens- und männlichem Kriegsraum in Frage. Die Einbeziehung von Frauen in die Kampfzone von Kriegen veränderte die konkrete Kriegspraxis nicht wesentlich, zwang aber zur Neudefinition der Geschlechterverhältnisse, wirkte auf Gewalterfahrungen von Frauen ein. Mit dem kruden Satz „Soldatinnen prägen das Bild der Armeen heute entscheidend mit, vollkommen gleichberechtigt sind sie aber noch lange nicht“ (S. 484), schließt der Band und lässt, trotz der guten Einführung und vieler informativer Beiträge doch einen schalen Beigeschmack zumindest bei jenen zurück, die sich Frauenemanzipation nicht gerade durch auf Befehl und Gehorsam beruhende Heere erhoffen und eine Entwicklung jenseits kriegerischer Gewalt anstreben.
Im November 2001 wählte der „Arbeitskreis Historische Friedensforschung“ auf seiner Loccumer Tagung einen interdisziplinären Zugang, um maßgeblich aus der Perspektive von Tätern das Töten in Kriegen und Genoziden des 20. Jahrhunderts zu untersuchen. Historiker, Politologen, Soziologen, Psychologen, Juristen, Literaturwissenschaftler und Journalisten suchten nach Täterprofilen, politischen und militärischen Bedingungen sowie psychischen und gesellschaftlichen Dispositionen für massenhaftes, mitunter kollektives Töten in Zeiten entgrenzter Gewalt.72 Angestoßen von kritischen, mit dem Arbeitskreis in Verbindung stehenden Militärhistorikern waren zur gleichen Zeit an Fallbeispielen Völkermorde untersucht worden.73
Militärische oder paramilitärische Formationen können durchaus eine innergesellschaftliche Integrationswirkung erreichen und zugleich einen Beitrag zur Konfliktverminderung wie zur internationalen Verständigung leisten. Julia Eichenberg beschäftigt sich in ihrer Tübinger Dissertation mit den polnischen Kameradennetzwerken in der Zwischenkriegszeit, deren zentrales Anliegen es war, neben der materiellen Absicherung ehemaliger Soldaten durch internationale Kontakte zur Verhinderung eines erneuten Krieges, zu Abrüstung und internationaler Streitschlichtung durch den Völkerbund einzutreten.74 Die Situation ehemaliger polnischer Soldaten war allein dadurch etwas Besonders, dass Polen im Ersten Weltkrieg in fremder Uniform für die polnischen Teilungsmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland, zum Teil auch für die Entente an unterschiedlichen Fronten, gelegentlich sogar gegeneinander, gekämpft haben, und dass ein Teil der Polen nach 1918 an den Grenzkriegen gegen Russland beteiligt war, die in der öffentlichen Erinnerungskultur als Nationsbildungskriege gelten. Julia Eichenberg interpretiert die polnische international vernetzte Veteranenbewegung als ein Beispiel für die „fortlaufende Internationalisierung sozialer Bewegungen“ nach 1918 und als einen Zusammenschluss, der einen wehrhaften, pragmatischen Pazifismus vertrat, der die Anwendung von Waffengewalt in einem Verteidigungskrieg prinzipiell akzeptierte, aber eindringlich vor den Gefahren eines neuen Krieges warnte. Aus dem Fokus der Veteranenverbände wird ein Stück polnischer Sozial- und Außenpolitik mit beleuchtet.
Militärgeschichte als Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte ist Thema eines Sammelbandes, der das konfliktbeladene deutsch-französische Verhältnis seit 1870 untersucht. Die wechselseitige Aneignung des Modells der allgemeinen Wehrpflicht wie seine Abschaffung in der Phase des Umbaus der Armeen zu effektiven internationalen Eingreiftruppen, die Interaktion militärischer Akteure, die wechselseitige Wahrnehmung der anderen Nation, die rüstungswirtschaftliche Kooperation, die Anpassung militärischer Regularien werden diskutiert. Insofern wird ein erster Beitrag zur Entnationalisierung der Militärgeschichte geleistet.75
In einer Broschüre, die nicht primär an ein wissenschaftliches Publikum gerichtet ist, sondern wissenschaftliche Erträge popularisiert, überprüft Benjamin Ziemann die Wirkungsmächtigkeit des Reichsbanners für die Stabilisierung der demokratischen Weimarer Republik, einer Organisation von meist aus dem Arbeitermilieu stammenden Veteranen des Ersten Weltkrieges mit anfangs großem Mobilisierungserfolg.76 Die Erinnerungen an den Fronteinsatz setzten die meist mit der SPD sympathisierenden Anhänger im pro-republikanischen Sinn ein. Ohne den Saal- und Demonstrationsschutz des Reichsbanners wären gerade in der Endphase Weimars viele republikanische Manifestationen gar nicht möglich gewesen. Dennoch: Die Beurteilung des Reichsbanners muss zwiespältig bleiben. Die Geschichte dieses republikanischen Männerbundes lässt sich nicht als Erfolgsgeschichte schreiben. Benjamin Ziemann weist überdies auf unübersehbare Ambivalenzen hin: auf die vordergründige Orientierung hin auf eine Ausgestaltung einer demokratischen Zukunft bei gleichzeitiger gedanklicher Rückbesinnung und Verankerung in der lebensgeschichtlich geteilten Zeit des Weltkrieges, auf die männerbündische Organisation, die eigentlich den progressiven emanzipatorischen Absichten der Sozialdemokratie widersprach, und auf das antimilitaristische Selbstverständnis, das durch ihr militärisches Auftreten konterkariert zu werden schien.
Den Krieg überwinden77 – das ist eine der wesentlichen Perspektiven Historischer Friedensforschung. Die Forschungsfelder hierfür sind – wie für den Zeitraum zwischen 1850 und 1945 nachgewiesen – vielfältig; sie bedürfen immer wieder der Neujustierung und interdisziplinärer Kooperationen. Der „Arbeitskreis Historische Friedensforschung“ ist dabei einer der wesentlichen Motoren, der auf seinen Tagungen und mit seinen regelmäßigen Veröffentlichungen Forschungslücken zu schließen versucht – und das bis in die Gegenwart hinein. An der Zeit wäre es allerdings, die umfangreichen bislang vorliegenden Detailstudien in einem Überblickswerk zu bündeln, das möglicherweise im Sinne des bahnbrechenden Pazifismus-Bandes von Karl Holl aus dem Jahr 1988 Forschungsergebnisse kompiliert, sortiert, interpretiert und dabei das 19. und 20. Jahrhundert als zeitliches Spektrum wählt. Gewichtige Vorstudien hierfür gibt es. Mindestens für den deutschen Sprachraum müsste ein solches Projekt über die Friedensbewegungen und ihre Kontrahenten inzwischen gelingen, vielleicht sogar für den Bereich Europa und Nordamerika. Der Blick über die nationalen Grenzen hinweg ist in den Friedensbewegungen per se angelegt. Diese Tatsache sollte in absehbarer Zeit auch in einer kompakten Darstellung aufgenommen werden.
Anmerkungen:
1 Es sei verwiesen auf einige Literaturberichte, die zu diesem Themenfeld bislang erschienen sind. Vgl. z.B. Reinhold Lütgemeier-Davin: Neuere Forschungen zur Geschichte der Friedensbewegung im deutschsprachigen Raum in der Zwischenkriegszeit, in: Andreas Gestrich / Gottfried Niedhart / Bernd Ulrich (Hrsg.), Gewaltfreiheit, Münster 1996, S. 207-223; Wilfried von Bredow, Historische Friedensforschung. Die Erträge eines wissenschaftlichen Arbeitskreises, in: Archiv für Sozialgeschichte 36 (1996), S. 523-528; Benjamin Ziemann, Historische Friedensforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 4 (April 2005), S. 266-281.
2 Vgl. hier z.B. Jost Dülffer, Im Zeichen der Gewalt. Frieden und Krieg im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2003; ders., Frieden stiften. Deeskalations- und Friedenspolitik im 20. Jahrhundert, Köln 2008; Detlef Bald / Wolfram Wette (Hrsg.), Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges 1945-1955 (= Frieden und Krieg, Bd. 17), Essen 2010.
3 Auf folgende wegweisende zentrale Veröffentlichungen sei hingewiesen: Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, Frankfurt am Main 1988; Dieter Riesenberger, Die Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985.
4 Reinhold Lütgemeier-Davin, Der biographische Zugriff - ein Trend in der Historischen Friedensforschung, in: Detlef Bald (Hrsg.), Rüstungsbestimmte Geschichte und das Problem der Konversion in Deutschland im 20. Jahrhundert (= Jahrbuch für historische Friedensforschung, Bd. 1), Münster 1993, S. 167-181; ders., Flucht, Ausbürgerung und Integration am Beispiel der Familie Mönch aus Friedberg / Hessen 1932-1956, in: Wetterauer Geschichtsblätter 59 (2012), S. 17-78.
5 Helmut Donat / Karl Holl (Hrsg.), Die Friedensbewegung. Organisierter Pazifismus in Deutschland, Österreich und in der Schweiz (= Hermes Handlexikon), Düsseldorf 1983; Harold Josephson (Hrsg.), Biographical Dictionary of Modern Peace Leaders, Westport 1984; Manfred Asendorf / Rolf von Bockel (Hrsg.), Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten. Ein Lexikon, Stuttgart 1997; Manfred Asendorf (Hrsg.), Wegbereiter der Demokratie, Stuttgart 2006.
6 Vgl. hier das Vorwort mit weiterführender Literatur: Karlheinz Lipp / Reinhold Lütgemeier-Davin / Holger Nehring (Hrsg.), Frieden und Friedensbewegungen in Deutschland 1892-1992. Ein Lesebuch (= Frieden und Krieg, Bd. 16), Essen 2010; vgl. auch Detlef Bald (Hrsg.), Schwellen überschreiten. Friedensarbeit und Friedensforschung. Festschrift für Dirk Heinrichs (= Frieden und Krieg, Bd. 4), Essen 2005.
7 Jost Dülffer / Gottfried Niedhart (Hrsg.), Frieden durch Demokratie? Genese, Wirkung und Kritik eines Deutungsmusters (= Frieden und Krieg, Bd. 15), Essen 2011.
8 Corinna Hauswedell (Hrsg.), Deeskalation von Gewaltkonflikten seit 1945 (= Frieden und Krieg, Bd. 7), Essen 2006.
9 Jennifer A. Davy / Karen Hagemann / Ute Kätzel (Hrsg.), Frieden – Gewalt – Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung (= Frieden und Krieg, Bd. 5), Essen 2005; Jost Dülffer / Robert Frank (Hrsg.), Peace, War and Gender from Antiquity to the Present (= Frieden und Krieg, Bd. 14), Essen 2009.
10 Thomas Kater (Hrsg.), „Der Friede ist keine leere Idee...“. Bilder und Vorstellungen vom Frieden am Beginn der politischen Moderne (= Frieden und Krieg, Bd. 6), Essen 2006.
11 Christine Brocks, Die bunte Welt des Krieges. Bildpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg 1914-1918 (= Frieden und Krieg, Bd. 10), Essen 2008.
12 Volker R. Berghahn, Militarismus. Die Geschichte einer internationalen Debatte, Hamburg 1986; Ute Frevert, Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001; Wolfram Wette, Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur, Frankfurt am Main 2010.
13 Christian Jansen (Hrsg.), Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert: ein internationaler Vergleich (= Frieden und Krieg, Bd. 3), Essen 2004.
14 Norbert Haase / Gerhard Paul (Hrsg.), Die anderen Soldaten. Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt am Main 1995.
15 Thomas Kühne (Hrsg.), Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt am Main 1996.
16 Reinhold Lütgemeier-Davin, „Wiederwehrhaftmachung“ oder „Abrüstung“. Die militärische Sicherheitspolitik der Weimarer Republik im Licht pazifistischer Öffentlichkeit, in: Reiner Steinweg (Hrsg.), Lehren aus der Geschichte? Historische Friedensforschung, Frankfurt am Main 1990, S. 186-231.
17 Wolfram Wette, Friedensforschung, Militärgeschichtsforschung, Geschichtswissenschaft. Aspekte einer Kooperation, in: Manfred Funke (Hrsg.), Friedensforschung – Entscheidungshilfe gegen Gewalt, Bonn 1975, S. 133-166; ders., Militarismus und Pazifismus. Auseinandersetzung mit den deutschen Kriegen, Bremen 1991, S. 242-258; ders., Geschichte und Frieden. Aufgaben historischer Friedensforschung, in: Reiner Steinweg (Hrsg.), Lehren aus der Geschichte?, S. 14-60.
18 Vgl. Benjamin Ziemann (Hrsg.), Perspektiven der Historischen Friedensforschung (= Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung, Bd. 1), Essen 2002; ders., Historische Friedensforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 4 (April 2005), S. 266-281.
19 Jeffrey Verhey, Die Geschichtsschreibung des Pazifismus und die Friedensbewegung, in: Benjamin Ziemann (Hrsg.), Perspektiven der Historischen Friedensforschung, S. 272-285, hier S. 285.
20 Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte? (= Krieg in der Geschichte, Bd. 6), Paderborn 2000; das ausführliche und sehr informative Vorwort zu diesem Sammelband (S. 9-46) ist auch im Internet abrufbar: <http://www.zeitgeschichte-online.de/zol/_zf/documents/pdf/kuehne_ziemann_mge.pdf> (03.04.2013).
21 Wolfram Wette, Militärgeschichte zwischen Wissenschaft und Politik, in: Thomas Kühne / Benjamin Ziemann (Hrsg.), Was ist Militärgeschichte?, S. 49-71, hier S. 71.
22 Hans Kloft (Hrsg.), Friedenspolitik und Friedensforschung. Die Friedensnobelpreisträger aus Deutschland, Berlin 2011. – Beschwerlich ist es allerdings, die Leistung des weitgehend vergessenen Friedensnobelpreisträgers Ludwig Quidde ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Im Februar 2013 immerhin besuchte erstmals ein deutscher Bundespräsident das Grab Quiddes auf dem Cimetière des Rois in Genf am Rande einer Visite beim UN-Menschenrechtsrats; Arnold Harttung (Hrsg.), Der Friedens-Nobelpreis. Stiftung und Verleihung. Die Reden der vier deutschen Preisträger Gustav Stresemann, Ludwig Quidde, Carl von Ossietzky, Willy Brandt, Berlin 1971. Zu Quidde auch Karl Holl, Ludwig Quidde (1858-1941). Eine Biografie, Düsseldorf 2007.
23 Petra Schönemann-Behrens, Alfred H. Fried. Friedensaktivist – Nobelpreisträger, Zürich 2011. Vgl. auch Walter Göhring, Bruder Europa: Alfred Hermann Fried (1864-1921). Wanderer zwischen den Zeiten, Wien 2011.
24 Alfred Hermann Fried, Handbuch der Friedensbewegung, Bremen 2011 (Reprint von 1905).
25 Alfred Hermann Fried, Mein Kriegstagebuch. 7. August 1914 bis 30. Juni 1919. Hrsg., eingeleitet und ausgewählt von Gisela und Dieter Riesenberger, Bremen 2005.
26 Henriett Kovács, Die Friedensbewegung in Österreich-Ungarn an der Wende zum 20. Jahrhundert (= Mitteleuropäische Studien II), Herne 2009. Vgl. auch Marcus G. Patka, Freimaurerei und Sozialreform. Der Kampf für Menschenrechte, Pazifismus und Zivilgesellschaft in Österreich 1869-1938, Wien 2011.
27 Dieter Riesenberger, Das Deutsche Rote Kreuz. Eine Geschichte 1864-1990, Paderborn 2002. – In diesem Zusammenhang sei auf eine ältere Aufsatzsammlung verwiesen, die in beachtlicher Breite das Engagement von Ärzten und Ärzteorganisationen gegen den Krieg analysiert: Thomas M. Ruprecht / Christian Jenssen (Hrsg.), Äskulap oder Mars? Ärzte gegen den Krieg (= Geschichte & Frieden, Bd. 4), Bremen 1991.
28 Dieter Riesenberger / Gisela Riesenberger, Rotes Kreuz und Weiße Fahne. Henry Dunant 1828-1910. Der Mensch hinter seinem Werk (= Geschichte & Frieden, Bd. 17), Bremen 2011.
29 Wolfram Pyta (Hrsg.), Karl May: Brückenbauer zwischen den Kulturen (= Kultur und Technik, Bd. 17), Berlin 2010; Zitat: S. 195.
30 Karlheinz Lipp, Der Thüringer Friedenspfarrer Ernst Böhme (1862-1941). Ein Lesebuch, Nordhausen 2010.
31 Friedrich-Martin Balzer, Klassengegensätze in der Kirche. Erwin Eckert und der Bund der Religiösen Sozialisten Deutschlands, Köln 1973.
32 Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.), Protestantismus und Antifaschismus vor 1933. Der Fall des Pfarrers Erwin Eckert, Köln 2011; vgl. auch die Darstellung: Friedrich-Martin Balzer / Karl Ulrich Schnell, Der Fall Erwin Eckert. Zum Verhältnis von Protestantismus und Faschismus am Ende der Weimarer Republik, Köln 1987.
33 Grundlegend hierzu: Renate Breipohl, Religiöser Sozialismus und bürgerliches Geschichtsbewusstsein zur Zeit der Weimarer Republik (= Studien zur Dogmengeschichte und systematischen Theologie, Bd. 32), Zürich 1971.
34 Hans Prolingheuer, Der Rote Pfarrer. Leben und Kampf des Georg Fritze (1874-1939). 2. Auflage, Köln 1989.
35 Helke Stadtland (Hrsg.), „Friede auf Erden“. Religiöse Semantiken und Konzepte des Friedens im 20. Jahrhundert (= Frieden und Krieg, Bd. 12), Essen 2009; Zitat: S. 59.
36 Armin T. Wegner, Die Austreibung des armenischen Volkes in die Wüste. Hrsg. von Andreas Meier, Göttingen 2011.
37 Johanna Wernicke-Rothmayer (Hrsg.), Armin T. Wegner. Schriftsteller – Reisender – Menschenrechtsaktivist, Göttingen 2011; Martin Rooney, Leben und Werk Armin T. Wegners (1886-1978) im Kontext der sozio-politischen und kulturellen Entwicklungen in Deutschland, Frankfurt am Main 1984.
38 Kurt Hiller, Das Recht über sich selbst. Nachdruck der strafrechtsphilosophischen Studie aus dem Jahre 1908. Hrsg. v. Rolf von Bockel, Neumünster 2010; Rolf von Bockel, Kurt Hiller und die Gruppe Revolutionärer Pazifisten (1926-1933). Ein Beitrag zur Geschichte der Friedensbewegung und der Szene linker Intellektueller in der Weimarer Republik, Hamburg 1990.
39 Wolfgang Beutin, Hilleriana. Studien zum Leben und Werk Kurt Hillers (1885-1972), Neumünster 2010.
40 Geschöpft aus einem Briefwechsel mit Alfred Falk ist im August 2012 eine Studie von mir erschienen: Reinhold Lütgemeier-Davin: „nichts Reales mehr zu bieten“. Alfred Falk (1896-1951) in langer französischer Emigration, in: Exil 2 (2011), S. 42-56.
41 Brigitte Laube, „Dennoch glaube ich an den messianischen Geist“. Kurt Hiller (1885-1972). Aspekte einer deutsch-jüdischen Identität, Essen 2011.
42 Rüdiger Schütt (Hrsg.), „Ich glaube, wir verstehn uns“. Klaus Mann und Kurt Hiller – Weggefährten im Exil. Briefwechsel 1933-1948, München 2011.
43 Hiltrud Häntzschel / Inge Hansen-Schaberg (Hrsg.), Politik – Parteiarbeit – Pazifismus in der Emigration. Frauen handeln, München 2010; zu Leonhard: Helmut Donat, Charlotte Leonhard. Lebensbild einer deutschen Pazifistin, Bremen 1984.
44 Francesca Lacaita, Anna Siemsen. Per una nuova Europa. Scritti dall’esilio svizzero, Mailand 2010. Folgende Arbeiten sollen in der von Wolfgang Keim herausgegebenen Reihe „Studien zur Bildungsreform” demnächst erscheinen: 1. eine Hamburger Dissertation von Alexandra Bauer mit feministischer Akzentuierung; außerdem 2. eine Dissertation von Marleen von Bargen, die sich politikwissenschaftlich und ideengeschichtlich dem europäischen Einigungsgedanken aus der Sicht Siemsens nähert. Vorstudien hierzu: Marleen von Bargen, Europa nach dem Exil. Zu den Europavorstellungen der Sozialdemokratin Anna Siemsen, in: Themenportal Europäische Geschichte <http://www.europa.clio-online.de/site/lang__de/ItemID__395/mid__11428/40208214/default.aspx> (03.04.2013); dies., Anna Siemsen – eine Europäerin der „ersten Stunde“. Zur Marginalisierung der Europa-Politikerin und ihrer Konzepte, in: Ann-Kristin Düber / Falko Schnicke (Hrsg.), Perspektive – Medium – Macht. Zur kulturellen Codierung neuzeitlicher Geschlechterdispositionen, Würzburg 2010, S. 65-83.
45 Christoph Sänger, Anna Siemsen – Bildung und Literatur (= Arbeit, Bildung & Gesellschaft, Bd. 22), Frankfurt am Main 2011.
46 In folgenden Vereinen war Anna Siemsen Mitglied: Bund „Neues Vaterland“ / „Deutsche Liga für Menschenrechte“, „Bund Entschiedener Schulreformer“, „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“, „Verband sozialistischer Lehrer und Lehrerinnen“, „Sozialistische Arbeiterjugend“, Kinderfreunde; zunächst war sie in der USPD, dann in der SPD, schließlich in der SAPD.
47 Manuela Jungbluth, Anna Siemsen – eine demokratisch-sozialistische Reformpädagogin (= Studien zur Bildungsreform, Bd. 51), Frankfurt am Main 2012.
48 Daniela Hooghiemstra, De geest in dit huis is liefderijk. Het leven en De Werkplaats van Kees Boeke (1884-1966), Utrecht 2013.
49 Reinhold Lütgemeier-Davin, Hakenkreuz und Friedenstaube. „Der Fall Hein Herbers“ (1895-1968), Frankfurt am Main 1988.
50 Wolfgang Keim / Ulrich Schwerdt (Hrsg.), Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland (1890-1933). 2 Bde., Frankfurt am Main 2013.
51 Alexander Schwitanski (Hrsg.), „Nie wieder Krieg!“ Antimilitarismus und Frieden in der Geschichte der Sozialistischen Jugendinternationale (= Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Schriftenreihe Band 21), Essen 2012.
52 Bob Moore, Survivors. Jewish Self-Help and Rescue in Nazi-Occupied Western Europe, Oxford 2010. Sehr umfassend und eindrucksvoll schildert der britische Experte für den europäischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf der Basis eines gründlichen Literatur- und Quellenstudiums die Selbsthilfe von Juden sowie die Rolle der jüdischen Netzwerke bei der Sicherung des Überlebens von aus rassischen Gründen Verfolgten in ganz Europa.
53 Arno Lustiger, Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, Göttingen 2011.
54 Wolfram Wette (Hrsg.), Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, Frankfurt am Main 2002; ders. (Hrsg.), Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS, Frankfurt am Main 2003.
55 Daniel Fraenkel / Jakob Borut (Hrsg.), Lexikon der Gerechten unter den Völkern. Deutsche und Österreicher, Göttingen 2005.
56 Wladyslaw Szpilman, Das wunderbare Überleben. Warschauer Erinnerungen, München 1998; Wilm Hosenfeld, „Ich versuche jeden zu retten“. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Hrsg. von Thomas Vogel (Militärgeschichtliches Forschungsamt), München 2004; Dirk Heinrichs, Hauptmann d. R. Wilm Hosenfeld - Retter in Warschau, in: Wolfram Wette (Hrsg.), Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht, Frankfurt am Main 2002, S. 69-88; ders., Was besagt Vergessen und Erinnern des Guten, Bremen 2007.
57 Thomas Vogel, Das Bild der Wehrmacht in den Augen eines deutschen Reserveoffiziers, 1939-1944/45, in: Jörg Echternkamp / Stefan Martens (Hrsg.), Militär in Deutschland und Frankreich 1870-2010. Vergleich, Verflechtung und Wahrnehmung zwischen Konflikt und Kooperation, Paderborn 2012, S. 81-89.
58 Katharina Stegelmann, Bleib immer ein Mensch. Heinz Drossel. Ein stiller Held 1916-2008, Berlin 2013.
59 So die Begriffsverwendung von Christoph Jahr, Gewöhnliche Soldaten. Desertion und Deserteure im deutschen und britischen Heer 1918-1918 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 123), Göttingen 1998.
60 Vgl. die ausgezeichnete Aufarbeitung dieses spektakulären Falles von Wehrmachtsjustiz und seine Aufarbeitung in der Bundesrepublik: Wolfram Wette (Hrsg.), Filbinger – eine deutsche Karriere, Springe 2005.
61 Joachim Perels / Wolfram Wette (Hrsg.), Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer, Berlin 2011.
62 Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie, München 2009 (broschiert: 2011) hat die erste umfassende Biographie dieses aufrechten Juristen vorgelegt, der ganz entscheidend als hessischer Generalstaatsanwalt dazu beigetragen hat, dass die Epoche machenden Auschwitz-Prozesse durchgeführt werden konnten.
63 Wolfram Wette / Detlef Vogel (Hrsg.), Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat, Berlin 2007.
64 Vgl. hierzu: Helmut Kramer, Kriegsjustiz durch die Hintertür, in: FriedensForum 2-3 (2012), S. 29-30.
65 Peter Pirker / Florian Wenninger (Hrsg.), Wehrmachtsjustiz. Kontext, Praxis, Nachwirkungen, Wien 2011.
66 Allerdings ohne dass die exzellente Studie von Jahr (siehe Anm. 59) einbezogen wird.
67 Detlef Bald / Jakob Knab (Hrsg.), Die Stärkeren im Geiste. Zum christlichen Widerstand der Weißen Rose, Essen 2012; zentrale Überblicksanalyse: Detlef Bald, Die „Weiße Rose“. Von der Front in den Widerstand, Berlin 2003 (2. Aufl. 2009). Vgl. auch: Hans Mommsen, Der Kampf gegen die Heraufkunft des Antichrist. Die „Weiße Rose“ im Widerstand gegen Hitler, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 63, 11/12 (2012), S. 720-726.
68 David P. Boder, Die Toten habe ich nicht befragt. Deutsche Erstausgabe hrsg. von Julia Faisst / Alan Rosen / Werner Sollors, Heidelberg 2011.
69 Christa Hämmerle (Hrsg.), Des Kaisers Knechte. Erinnerungen an die Rekrutenzeit im k. (u.) k. Heer 1868 bis 1914 (= Damit es nicht verlorengeht..., Bd. 66), Wien 2012; vgl. auch den Sammelband mit einer Fülle historischer Analysen: Laurence Cole / Christa Hämmerle / Martin Scheutz (Hrsg.), Glanz – Gewalt – Gehorsam. Militär und Gesellschaft in der Habsburgermonarchie (1800 bis 1918) (= Frieden und Krieg, Bd. 18), Essen 2011.
70 Reiner Steinweg / Ulrike Laubenthal (Hrsg.), Gewaltfreie Aktion. Erfahrungen und Analysen, Frankfurt am Main 2011.
71 Klaus Latzel / Franka Maubach / Silke Satjukow (Hrsg.), Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute (= Krieg in der Geschichte, Bd. 60), Paderborn 2011.
72 Peter Gleichmann / Thomas Kühne (Hrsg.), Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert (= Frieden und Krieg, Bd.2), Essen 2004.
73 Wolfram Wette / Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2001.
74 Julia Eichenberg, Kämpfen für Frieden und Fürsorge. Polnische Veteranen des Ersten Weltkriegs und ihre internationalen Kontakte, 1918-1939 (= Studien zur Internationalen Geschichte, Bd. 27), München 2011; vgl. hierzu auch die ausführliche Besprechung von Natali Stegmann in H-Soz-u-Kult, 22.03.2012 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2012-1-206> (03.04.2013).
75 Jörg Echternkamp / Stefan Martens (Hrsg.), Militär in Deutschland und Frankreich 1870-2010.
76 Benjamin Ziemann, Die Zukunft der Republik? Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 1924-1933 (= Gesprächskreis Geschichte, Heft 91), Bonn 2011; auch im Internet abrufbar: <http://library.fes.de/pdf-files/historiker/08736.pdf> (03.04.2013).
77 So der Titel eines Bandes von Dieter Riesenberger, Den Krieg überwinden. Geschichtsschreibung im Dienste des Friedens und der Aufklärung (= Geschichte & Frieden, Bd. 14), Bremen 2008, in dem wichtige kürzere Aufsätze des Autors gesammelt sind.