Stephanie Zloch wagt sich mit ihrer Dresdner Habilitationsschrift zu Migration und Bildung in Deutschland an ein politisch kontrovers diskutiertes Themenfeld und leistet eine instruktive Vorgeschichte zu aktuellen Debatten. Die Autorin sucht nach Zusammenhängen, Kontinuitäten und Verschiebungen in der Frage, wie gesellschaftlich mit Einwanderung umgegangen wurde. Schule und Bildung dienen ihr als Fall, wobei ihre Analyse erfreulicherweise nicht beim normativ aufgeladenen Bildungsbegriff ansetzt, sondern mit dem Konzept des Wissens operiert. Einerseits wurde in Debatten über Schule und Bildung ausgehandelt, welches Wissen als das richtige zu gelten habe und somit zu erlernen sei. Andererseits eignet sich Migration als Themenfeld besonders gut, um Wissenszirkulationen sichtbar zu machen, wie andere Arbeiten der letzten Jahre bewiesen haben.1
Zloch verwendet einen relativ breiten Wissensbegriff, der die unterschiedlichen Ebenen der politischen Governance, der pädagogischen Expertise und des migrantischen Alltagswissens umfasst. Zugleich versteht sie Wissen dynamisch und analysiert nicht nur Wissensbestände, sondern auch Wissensorte und Wissenspraktiken. Sie konzentriert sich auf die divergierenden Entwicklungen in den vier heutigen Bundesländern Hamburg, Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen mit ihren jeweils sehr unterschiedlichen bildungspolitischen Ausrichtungen. Als Quellen dienen in erster Linie archivalische Bestände des Bundesarchivs und der jeweiligen Landesarchive, ergänzt durch Quellen aus migrantischer Autor:innenschaft, Ego-Dokumente von Kindern und Jugendlichen sowie vereinzelt auch Sekundäranalysen von Oral-History-Interviews, mit dem Anspruch, die Perspektive der Migrant:innen zu stärken.
Die Studie ist chronologisch aufgebaut und gliedert sich in zwei umfangreiche Hauptkapitel, die Zloch hierbei – Anselm Doering-Manteuffel folgend2 – als zwei ineinandergreifende „Zeitbögen“ (S. 42) konzipiert: zum einen die Hochphase von Kaltem Krieg und Systemkonkurrenz der 1950er- und 1960er-Jahre, zum anderen die verstärkte Orientierung gegen Süden der 1970er- und 1980er-Jahre aufgrund der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik. Diese breite Anlage ermöglicht es überzeugend, die unterschiedlichen Einwanderungskontexte aus dem Osten und aus dem Süden integral zu betrachten sowie Ähnlichkeiten und Interdependenzen herauszuarbeiten. Auch innerhalb der beiden Hauptkapitel zeichnet Zloch ein vielschichtiges, heterogenes Bild sowohl der migrantischen Akteur:innen und deren Wissen wie auch des deutschen Umgangs mit Migration im Bereich von Schule und Bildung. Wenngleich sich die Bundesrepublik selbst lange nicht als Einwanderungsgesellschaft begriffen hat, weist die Studie eindrücklich nach, wie zumindest im deutschen Bildungswesen mit einem Selbstverständnis auf migrationsbedingte Herausforderungen reagiert worden ist, das im Grunde dem Selbstverständnis einer Einwanderungsgesellschaft entspricht – wie es die Autorin im Titel ihrer Studie auch andeutet.
Der erste betrachtete Zeitbogen wird vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der sich verstärkenden Systemkonkurrenz aufgespannt. Besonders in den Blick kommen dabei zum einen Kinder und Jugendliche aus Griechenland und Korea in der DDR, zum anderen Übergesiedelte aus der DDR sowie Ausgesiedelte aus Mittel- und Osteuropa in der Bundesrepublik. Über diese sehr unterschiedlich gelagerten Fälle kann Zloch zentrale Strukturelemente der Beschulung eingewanderter Kinder und Jugendlicher betrachten, die sich um den Geltungsbereich der Schulpflicht, den Aspekt der Fremdsprachigkeit, die Frage nach gemeinsamem Unterricht mit deutschen Kindern oder separierter Beschulung, die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen in Heimen oder in der Familie sowie die Qualifikationsanforderungen an Lehrkräfte für migrantische Schüler:innen drehen. Dabei zeigt Zloch unter anderem, dass das notwendige Governance-Wissen nicht vorab schon existierte, sondern erst entlang der jeweiligen Erfahrungen produziert wurde – allerdings dann nur selten auf andere Migrationskontexte übertragen wurde.
Bei diesen unterschiedlichen Fällen wird deutlich, welches schulische Wissen die eingewanderten Kinder und Jugendlichen in Deutschland zu lernen hatten und wie selten dabei an vorgängig erworbene Wissensbestände angeknüpft wurde. Beispielsweise wurde das aus der DDR mitgebrachte Schulwissen der in die Bundesrepublik übergesiedelten Jugendlichen in den Gymnasien oft nicht anerkannt, wie eine der wenigen Passagen belegt, die auf der Analyse von Ego-Dokumenten beruhen. Entscheidend war die Anerkennung der Sprachkenntnisse, insbesondere bei ausgesiedelten Kindern und Jugendlichen aus Mittel- und Osteuropa, für die Deutsch in den 1950er-Jahren noch als Muttersprache galt, bevor in den 1960er-Jahren zunehmend offensichtlich wurde, dass Deutsch als Fremdsprache neu erlernt werden musste. In diesem Zusammenhang stieg auch der Stellenwert der Erstsprache und des Herkunftswissens; es entstanden Diasporen. In einem Unterkapitel widmet sich Zloch der bundesdeutschen „Ostkunde“ als ideologisierter und völkisch geprägter Erinnerungskultur. Sie zeichnet ein vielschichtiges Bild der Praxis dieses Unterrichts – als Ort, an dem aufgrund fehlender didaktischer Richtlinien auch divergierendes migrantisches Wissen Eingang in den Unterricht fand.
Die Darstellung des zweiten Zeitbogens mit schwerpunktmäßiger Betrachtung der Arbeitsmigration ab Mitte der 1960er-Jahre ist geprägt vom Spannungsfeld zwischen Integration und Rückkehrförderung, was bereits 1971 in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz als Doppelaufgabe von Schule und Bildung formuliert wurde. Im Zentrum der Analyse stehen unter anderem die heterogene Organisation und die Anerkennung des muttersprachlichen Unterrichts. Daran zeigt Zloch Parallelen zwischen den Bildungsbemühungen von Arbeitsmigrant:innen und Spätausgesiedelten, die sich unter anderem in den Anforderungen an die Lehrpersonen für den muttersprachlichen Unterricht manifestierten. Das migrantische Wissen, das in diesen Kursen vermittelt wurde, war äußerst vielschichtig und bisweilen auch nationalistisch geprägt. In diesem Zusammenhang betrachtet Zloch später die in den 1980er-Jahren vielfältigen Varianten des aufkommenden islamischen Religionsunterrichts.
Die Diskussion rund um separate Klassen für zugewanderte Kinder und Jugendliche, sei es in Nationalklassen, in vermehrten Sonderschulzuweisungen oder spezifischen Klassen oder Schulen für Spätausgesiedelte, bildet einen weiteren Schwerpunkt. Diese Debatte wurde vor dem Hintergrund der damals aufkommenden Forderung nach mehr Chancengleichheit hinsichtlich sozialer Aufstiegschancen sowohl in der Bundesrepublik wie auch nach allfälliger Rückkehr geführt. Das Leitbild der Chancengleichheit wurde allerdings nicht für Arbeitsmigrant:innen oder Diasporen spezifisch postuliert. In den 1970er-Jahren war zudem die Versozialwissenschaftlichung von Bildung und Schule prägend, was Zloch anhand der steigenden Wissensproduktion durch Qualifikationsarbeiten an pädagogischen Hochschulen und durch Begleitstudien lokaler Modellversuche schildert. In der Zusammenschau von Wissenschafts-, Behörden- und Praxiswissen wird eine Konkurrenz unterschiedlicher pädagogischer Konzepte deutlich, die die Vielfalt der Positionen und Interessen widerspiegelt. Die Erzählung schließt mit einzelnen Ausblicken auf die Entwicklung seit den 1990er-Jahren, das Ende der Systemkonkurrenz und die stärkere Perspektive auf den globalen Süden.
Die sorgfältige, detailreiche Untersuchung besticht in der systematischen Herangehensweise sowohl hinsichtlich der verschiedenen Wissensebenen wie auch der Unterscheidung von Wissenspraktiken und Wissensbeständen. Dies resultiert in einer wohltuend mehrperspektivischen Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Migration am Beispiel von Schule und Bildung. Allerdings löst die Autorin den eigenen Anspruch nur bedingt ein, migrantische Perspektiven stärker zu berücksichtigen. Weil die Quellen letztlich vor allem in staatlichen Archiven erhoben wurden, bleiben die Einblicke in das „migrantische Wissen“, das Zloch in ihrer Studie durchaus mitdenkt, nur sporadisch. Der Autorin standen meist nur solche Quellen migrantischer Urheberschaft zur Verfügung, die an staatliche Archive überliefert und von diesen als erhaltenswert taxiert wurden. In denjenigen Passagen, in welchen Zloch auf entsprechende Quellen zurückgreifen konnte, zeigt sich, wie fruchtbar der Einbezug migrantischer Perspektiven gerade für das Verständnis der Wissenszirkulation oder der Anerkennung von Wissen ist. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Studien anhand von Privatarchiven, Sammlungen oder Nachlässen in nicht-staatlichen Archiven diese Sicht vertiefen und differenzieren können.
Zudem wäre eine explizitere Bezugnahme auf unterschiedliche Schulstufen und Bildungstypen wünschenswert. Wenn in einzelnen Teilkapiteln ausschließlich Gymnasien vorkommen, ist zu fragen, ob auch tiefere Schulstufen oder andere Bildungstypen wie Hauptschulen mit ähnlichen Fragen konfrontiert wurden. Zum einen würde dies eine differenziertere Sicht auf die durch das Bildungswesen mitgestaltete Sozialstruktur der Einwanderungsgesellschaft ermöglichen. Zum anderen könnte noch deutlicher herausgearbeitet werden, wie das Spannungsfeld zwischen Integration oder Rückkehrförderung bezüglich Schulstufen und Bildungsalter vielseitig diskutiert wurde.
Dies schmälert jedoch nicht den Eindruck, dass die Studie hervorragend ist. Stephanie Zloch legt ein Standardwerk zur Zeitgeschichte von Migration und Bildung in Deutschland vor, das sich durch die verschränkte Darstellung sehr unterschiedlicher Migrationskontexte auszeichnet. Es gelingt der Autorin außerordentlich gut, übergreifende Strukturmerkmale der untersuchten Wissensbestände und Wissenspraktiken zu identifizieren und gleichzeitig deren Vielfalt zu dokumentieren. Zloch bietet zu Recht keine teleologische Erfolgsgeschichte der interkulturellen Bildung, vermittelt aber facettenreich und durchaus im Bewusstsein der Konflikte „eine optimistische Haltung zur Zukunft der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland“ (S. 637).
Anmerkungen:
1 Simone Lässig / Swen Steinberg, Knowledge on the Move. New Approaches toward a History of Migrant Knowledge, in: Geschichte und Gesellschaft 43 (2017), S. 313–346; Kijan Espahangizi, Der Migration-Integration-Komplex. Wissenschaft und Politik in einem (Nicht-)Einwanderungsland, 1960–2010, Göttingen 2022, https://doi.org/10.46500/83539148 (06.01.2025).
2 Anselm Doering-Manteuffel, Die deutsche Geschichte in den Zeitbögen des 20. Jahrhunderts, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62 (2014), S. 321–348, https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2014_3_1_doering-manteuffel.pdf (06.01.2025).