Mehrere hunderttausend Deutsche wurden von den Alliierten nach dem Kriegsende ab 1945 interniert – als mutmaßliche Kriegsverbrecher, als mögliches Sicherheitsrisiko oder weil sie als Angehörige bestimmter Organisationen in die Kategorie des „automatischen Arrests“ fielen. Anders als die Kriegsgefangenschaft oder die Entnazifizierungsverfahren sind die Zivilinternierungen bislang verhältnismäßig wenig beachtet und erforscht worden. Kerstin Schultes als Dissertation an der Universität Bielefeld entstandene Studie zu den britischen und US-amerikanischen Internierungslagern der frühen Nachkriegszeit in Deutschland konzentriert sich vor allem auf die Erfahrungen der Internierten selbst. Zwar wurden die britischen und die US-amerikanischen Internierungslager 1948/49 weitgehend aufgelöst – wobei die letzten Internierten in der US-Zone erst im Sommer 1952 entlassen wurden (S. 383) –, seien aber auch danach noch von Bedeutung gewesen. Schulte wählt 1958 als Endpunkt für die Studie, da mit der Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg „die Phase der großzügigen Amnestierung und Wiedereingliederung von NS-Tätern in der Bundesrepublik“ geendet habe (S. 3).
Als Quellen dienen Dokumente der Alliierten zu den Lagern, Egodokumente der Internierten sowie Akten der deutschen Ministerien auf Länderebene (S. 21). Besonders hervorzuheben ist laut Schulte der umfangreiche, hier erstmals ausgewertete Bestand Staumühle zu internierten Frauen in der britischen Besatzungszone aus der Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne (S. 23). Im Internierungslager Staumühle befanden sich etwa 850 Frauen unter den über 9.000 Internierten (S. 173).
Das erste Kapitel beschreibt die Rahmenbedingungen in den Internierungslagern sowie die Unterschiede zwischen den britischen und US-amerikanischen Herangehensweisen. Zu nennen seien hier „die Bereiche der rechtlichen Rahmenbedingungen, der justiziellen Strafverfolgung, der Unterbringung und Versorgung in den Lagern“ sowie die „Entlassungspolitik“ (S. 76). Beispielsweise hätten die Briten alle Wehrmachtsangehörigen als „Militaristen“ und potenziell „gefährlich“ eingestuft, während in der US-amerikanischen Zone nur Generäle und Generalstabsoffiziere interniert worden seien (S. 77f.). Außerdem begannen die Briten wesentlich später damit, Internierte zu prüfen und zu entlassen. Auch die Übergabe von Verantwortung an deutsche Stellen habe später eingesetzt als in der US-Zone (S. 67). Anders als Kriegsgefangene waren zivile Internierte in dieser Phase „nicht durch internationales Recht geschützt“ (S. 49).
Im zweiten Kapitel widmet sich Schulte dem Umgang mit den Internierten hinsichtlich Entnazifizierung, Reeducation / Demokratisierung, Gewalt und Arbeit. Die Internierung sei als Stigmatisierung empfunden worden, was sich mitunter auch auf nicht-internierte Familienmitglieder ausgewirkt habe (S. 101). Schulte zieht außerdem Geschlecht als Analysekategorie heran – sowohl für den Lageralltag als auch für die Deutung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Ihr Fokus liegt dabei auf Frauen und Weiblichkeit, während Männer und Männlichkeit nicht ebenso eingehend analysiert werden. Schulte stellt „geschlechtsspezifische Deutungsmuster“ fest (S. 163). Männer hätten die NS-Vergangenheit in ihren Selbstzeugnissen nicht explizit thematisiert und gedeutet. Frauen hingegen hätten dies ausgiebig getan und dabei den nationalsozialistischen Wertekanon reproduziert (S. 198). Ebenfalls hervorzuheben ist die kulturelle und intellektuelle Seite des Lagerlebens, die weitgehend von den Internierten selbst gestaltet wurde (S. 199–223). Das gilt auch für die Lagerzeitungen, die Schulte ausgewertet hat (S. 133–138). Künftige Studien könnten einen Vergleich zu den Kriegsgefangenlagern sowie deren Lagerzeitungen vornehmen.
Das dritte Kapitel stellt den Kern der Studie dar. Aufbauend auf Martina Stebers und Bernhard Gottos Arbeiten zur „Volksgemeinschaft“1 leitet Schulte fünf Elemente ab, die für „das Narrativ der ‚Volksgemeinschaft‘“ (S. 232) in den Internierungslagern kennzeichnend gewesen seien: Kameradschaft, Leistungsgemeinschaft, Gewalt, Inszenierung von Gemeinschaft sowie die (vermeintliche) Überformung von Klassenschranken. Die Autorin zeigt, wie ehemalige Internierte noch Jahrzehnte später Kontakte sowie nationalsozialistische Werte und Entlastungsstrategien pflegten, darunter die „Sauberkeit“ der Internierten (S. 248), und auch Spenden sammelten, etwa um die Freilassung von Rudolf Hess zu erwirken (S. 250). In den Internierungslagern dominierten ehemalige NS-Funktionsträger:innen und alte Hierarchien bestanden fort (S. 262). Hier wäre eine Auseinandersetzung mit Generation als Analysekategorie wünschenswert gewesen; künftige Studien könnten sich damit im Detail befassen. Die von Schulte angeführten Beispiele (unter anderem auf S. 249, 259, 264) legen nahe, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation von Bedeutung war.
In der deutschen Presse seien die Internierten in den ersten Jahren nach Kriegsende selten als Opfer betrachtet worden, sondern es sei vor ihnen gewarnt worden, oder die vermeintlich gute Behandlung oder milde Spruchkammerurteile seien kritisiert worden. Sympathien seien primär für die Kriegsgefangenen reserviert gewesen (S. 296f.). Auf lokaler Ebene in der Nähe der Lager hingegen sei die Bevölkerung den Internierten in manchen Fällen eher positiv begegnet (S. 311). Auch die evangelische und die katholische Kirche hätten sich der Internierten angenommen und deren Opferdiskurs befördert (S. 314). Der Autorin zufolge war „die gesellschaftliche Wahrnehmung der Internierten insgesamt stark von der jeweiligen Besatzungszone und der Zeit abhängig“ (S. 311).
Darüber hinaus betrachtet Schulte die Internierung im politisch-kulturellen Gedächtnis der jungen Bundesrepublik. Die Reintegration der ehemaligen Internierten habe eine besondere Herausforderung dargestellt, nicht zuletzt, da sie das neue System oft ablehnten (S. 317). Sie profitierten enorm von den Amnestiegesetzen der frühen 1950er-Jahre und dem „131er-Gesetz“ (S. 321–323). Das habe indes nicht die Akzeptanz der neuen Demokratie gefördert. Die früheren Internierten hätten „sich weiterhin als schuld- und ahnungslose Opfer von Nationalsozialismus, Krieg und Besatzung“ inszeniert (S. 327). Schulte konstatiert, dass die Internierungszeit „prägender“ „als alle sozialpolitischen Integrationsversuche der Bundesrepublik“ (S. 328) gewesen sei. Auch bei der literarischen Verarbeitung hätten sich die „Hauptnarrative“ der „Opfer-, Leidens- und Schicksalsgemeinschaft“ durchgesetzt (S. 330). Hilfsorganisationen und Vereine für ehemals Internierte, die sich unter anderem für Entschädigungszahlungen einsetzten, waren dem Verfassungsschutz suspekt; es kam auf Länderebene in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern auch zu Verbotsverfahren (S. 372f.). Laut Schulte zeigten die sinkenden Mitgliederzahlen ab Ende der 1950er-Jahre, „dass die Internierten zwar nicht unbedingt ihre weltanschauliche Überzeugung veränderten oder ablegten, aber sich offensichtlich zumindest ihre Prioritäten verschoben und sie sich in ihrem Leben in der Bundesrepublik eingerichtet hatten“ (S. 378). Ob und wie die ehemals Internierten selbst den breiteren Diskurs in der Bundesrepublik mitbestimmten, müsste durch weitere Studien geprüft werden.
Abschließend widmet sich ein kurzes viertes Kapitel dem Ende der Lager und dem Nachkriegskonsens. Schulte zeigt anschaulich, wie langlebig die Narrative aus der Internierungszeit waren, wie Werte und Überzeugungen aus der NS-Zeit fortlebten und wie eine Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit – insbesondere mit der eigenen Schuld und Verantwortung – unter den (ehemals) Internierten überwiegend ausblieb. Ausnahmen scheint es in dem von Schulte verwendeten Quellenbestand nicht zu geben. Ob dieses Muster bei den ehemals Internierten noch verbreiteter als in der Mehrheit der Nachkriegsbevölkerung war, bleibt dabei genauer zu prüfen. Das „Volksgemeinschafts“-Narrativ habe der Internierung Sinn verliehen, musste aber „vor Ort hergestellt und praktisch eingeübt werden“ (S. 378f.). Schultes Befund in der Schlussbetrachtung des vierten Kapitels ist schlüssig, wenn sie ein Spannungsverhältnis zwischen der Realität der Lagererfahrungen und „ihrer diskursiven Verhandlung“ (S. 388) feststellt. Für diese Verarbeitung sei die „Volksgemeinschaft“ von erheblicher Bedeutung gewesen (ebd.). Sie habe es ermöglicht, mit der Enttäuschung und Orientierungslosigkeit nach dem Ende des „Dritten Reiches“ umzugehen (S. 389). Ob die Wiedereingliederung und Wiedereinsetzung der ehemaligen Internierten in den erlernten oder ausgeübten Beruf aufgrund des Fehlens von Arbeitskräften sowie aus Mangel an Alternativen tatsächlich „praktisch unumgänglich“ war (S. 390f.), ist allerdings fraglich.
Kerstin Schulte gelingt es, die Erfahrungen und Selbstwahrnehmungen der Internierten darzustellen, ohne den Blick auf deren Entlastungsstrategien und die ideologischen Kontinuitäten aus der NS-Zeit zu verlieren. Eine Bewertung der „Volksgemeinschaft“ als Analysekategorie, den Möglichkeiten und Grenzen ihrer Aussagekraft wäre am Ende noch wünschenswert gewesen. Schultes umfassende Betrachtung zentraler Aspekte der Internierungslager schließt eine Lücke in der Forschung und bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen. Dazu gehören (wie erwähnt) beispielsweise Analysen von Generation sowie Männlichkeit, aber auch Fallstudien zu bestimmten Personen(gruppen), die man von der NS-Zeit bis weit in die Bundesrepublik hinein weiter verfolgen könnte. Vergleiche mit Österreich, den Speziallagern in der Sowjetischen Besatzungszone oder den Kriegsgefangenlagern wären darüber hinaus von Interesse. Auch weitere Quellengattungen könnten herangezogen werden – zum Beispiel alliierte Vernehmungsprotokolle des Counter Intelligence Corps (CIC) mit den Zivilinternierten oder eine Sekundärauswertung von Oral-History-Interviews mit Deutschen, unter denen sich gegebenenfalls auch ehemals Internierte befinden könnten.
Anmerkung:
1 Siehe unter anderem Martina Steber / Bernhard Gotto (Hrsg.), Visions of Community in Nazi Germany. Social Engineering and Private Lives, Oxford 2014.