Der Titel entspricht nicht ganz dem Buch: Chris Wickham strebt in der Tat nach einer Reinterpretation der hochmittelalterlichen mediterranen (und europäischen) Wirtschaft. Allerdings verfolgt er dabei ein konkretes Ziel, nämlich die Dekonstruktion der angeblich von Italien ausgehenden „kommerziellen Revolution“ des hohen Mittelalters. Deren Ursachen sollen mit einer Neujustierung der bisher vermeintlich überschätzten Rolle der oberitalienischen Seehandelsstädte erklärt werden. „Der Esel und das Boot“ im Obertitel stehen als Metapher für den Transport über Land und über Wasser. Der regionale und überregionale Transport von Waren ist zwar das zentrale Thema des Buches, allerdings spielen die Transportmittel selbst im Grunde keine Rolle. Wenig überraschend ist es der Seehandel mit Massengütern, dem die Hauptaufmerksamkeit gilt.
Wer Chris Wickhams „Framing the Early Middle Ages“ kennt, wird sich über manche Prämissen und Methoden in dieser „Fortsetzung“ nicht wundern. Dazu gehört die Annahme, dass sich die Bedeutung von wirtschaftlicher Verflechtung nicht durch den Handel mit Luxuswaren wie Gewürzen oder Seide bestimmen lässt, sondern durch den Austausch von Massengütern wie Getreide, Wein und Öl sowie Textilien aus Leinen und Wolle. Ebenso grundlegend ist der Anspruch, neben den schriftlichen Quellen auch die Ergebnisse der Archäologie auszuwerten. Wickham interessiert sich dabei vor allem für die Keramik (Transportgefäße wie Amphoren sowie Gefäßkeramik unterschiedlicher Herstellungsart), die er als Indikator (Proxy) für die Intensität wirtschaftlicher Verflechtung heranzieht. Als weiteres Element tritt die vergleichende Perspektive hinzu, die in „The Donkey and the Boat“ fünf Fallstudien umfasst: Ägypten, Nordafrika und Sizilien, Byzanz, Al-Andalus und Oberitalien. Wirtschaftliche Verflechtung erfolgte im Mittelalter – so eine weitere Prämisse – innerhalb einer Region, während der überregionale Handel stets eine untergeordnete Bedeutung einnahm. Schließlich trägt der derzeit vielleicht bekannteste Wirtschaftshistoriker des früheren Mittelalters seine Thesen mit großem Selbstbewusstsein vor und weist an zahlreichen Stellen auf die Defizite der bisherigen Forschung hin: „Much of the historiography had got the basic structures of economic processes wrong for our period, and for the pre-capitalist period as a whole“ (S. 22). Kann man das überheblich nennen? Sei’s drum, das Buch ist erneut ein Meisterwerk in der Kombination von starker Thesenbildung und erschlagender Fülle der verarbeiteten Quellen und Literatur.
Die Ergebnisse liegen auf zwei Ebenen: Da sind zum einen die äußerst umfangreichen Fallstudien. Für jede Regionen bemisst der Autor Umfang und Art des internen Austausches, widmet sich ausführlich den gehandelten Waren, berücksichtigt schriftliche ebenso wie archäologische Quellen und stellt die Befunde in einen allgemeinen historischen sowie historiographischen Kontext. Für Wirtschaftshistoriker:innen können diese Fallstudien auch einzeln einen wichtigen Ausgangspunkt für die eigene Arbeit bilden. Hinsichtlich seiner Hauptthese kommt Wickham zum Ergebnis, dass alle behandelten Regionen zwischen 950 und 1180 ein Wirtschaftswachstum und damit eine Intensivierung der inneren Verflechtung erlebten. Die Ursachen für diese Entwicklung waren von Region zu Region allerdings unterschiedlich und reichten von den politischen Strukturen über demographisches Wachstum bis zu den frühmittelalterlichen Voraussetzungen. Ägypten blieb die gesamte Epoche über das wirtschaftliche Powerhouse und verlor diesen Status erst nach der Pest und der dadurch verursachten demographischen Katastrophe. Die Region mit dem größten inneren Wirtschaftswachstum war Al-Andalus, das indes nur wenig mit den anderen Regionen verflochten war und quasi eine Welt für sich bildete. Damit meint Wickham einen überzeugenden Indikator für seine Kernthese gefunden zu haben, denn der Fall von Al-Andalus zeige „the most common misconception about the history of economic development in this period, that the principal measure for it is interregional, long-distance exchange” (S. 464).
Damit gelangen wir zur zweiten Ergebnisebene und dem Hauptanliegen des Autors. Chris Wickham will mit seinem Buch zeigen, dass die „kommerzielle Revolution“ des hohen Mittelalters eine eurozentrische, italophile und romantische Erfindung darstellt, die auf mangelnder Kenntnis der nicht-italienischen mediterranen Wirtschaftsregionen beruht. In Wirklichkeit sei diese „Revolution“ nur eine stärkere Verbindung der vorhandenen Wirtschaftsblöcke im Laufe des 12. Jahrhunderts gewesen (S. 662), ohne dass sich deren Struktur wesentlich gewandelt habe. Die großen Veränderungen hätten erst der Vierte Kreuzzug sowie die Pestepidemie im 14. Jahrhundert hervorgebracht. Entsprechend bescheiden sei auch der Anteil der oberitalienischen Kaufleute aus Venedig, Genua und Pisa einzuschätzen, der lediglich in der Verbindung bereits bestehender Handelsnetzwerke im 12. Jahrhundert gelegen habe. Erst während des 13. Jahrhunderts habe Oberitalien eine eigene innere Wirtschaftskraft entwickelt.
Die Thesen des Buches entsprechen den bekannten Grundüberzeugungen des Autors und liegen gleichermaßen im Trend der aktuellen Forschung: Die Ausweitung des Blicks über Westeuropa hinaus, die Abkehr von eurozentrischen Vorannahmen, die interdisziplinäre und vergleichende Methode, die positive Würdigung der Wirtschaft in islamischen Reichen verbunden mit einer vehementen Ablehnung jeder Form des Orientalismus, die Datierung der wirtschaftlichen Weichenstellung in die Zeit nach der Pest. Damit gibt sich Chris Wickham jedoch noch nicht zufrieden. Im letzten Kapitel des Buches verknüpft er seine Reinterpretation der mediterranen Wirtschaft mit grundlegenden Überlegungen zur „feudalen Wirtschaft des Mittelalters“ im Allgemeinen. Die feudale Produktionsform betrachtet Wickham als Weltsystem, in dem sich „Eliten“ und „Bauern“ gegenüberstanden. Im hohen Mittelalter habe sich in diesem „Klassenkampf“ in allen mediterranen (und vielen anderen) Wirtschaftsregionen eine Balance zwischen einer vermögenden Elite und einem Bauerstand, der zunehmend über eigene Kaufkraft verfügte, eingestellt. Dieses Gleichgewicht der Kräfte sei durch die Wandlungen des späten Mittelalters ins Wanken geraten. So grundlegend neu sind die Ergebnisse nach 688 Seiten nun vielleicht doch nicht. Etwas zusammenhanglos stehen meiner Meinung nach die Feudalismusinterpretation mit ihrem Fokus auf Bauernstand und agrarischer Produktion und die Hauptthese des Buches, die um Handel und Konsum kreist, nebeneinander. Dennoch sollte Wickhams Großerklärung, der man auch in anderen Details nicht immer folgen muss, unbedingt kennen, wer sich für Wirtschaft und Gesellschaft im Mittelalter interessiert.