Die Auseinandersetzung mit den Mensch-Tier-Beziehungen nimmt in der deutschen Geschichtsschreibung seit über einem Jahrzehnt ersichtlich zu. Zahlreiche Quellen sind etwa durch die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in den deutschen Ländern entstehenden Tierschutzvereine und deren Unterstützer überliefert. Es überrascht also, dass die Institutionsgeschichte dieser Bewegung bislang so wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Wolfram Schlenkers Monographie ist – Ideen- und rechtshistorische Studien1 sowie nicht veröffentlichte Doktorarbeiten2 ausgeklammert – nach der Pionierarbeit von Miriam Zerbel3 erst die zweite so detaillierte Darstellung des organisierten Tierschutzes im Deutschland des 19. Jahrhunderts.
Der Autor ist promovierter Politikwissenschaftler und Germanist, der in den 1970er-Jahren zur Kulturpolitik der DDR forschte, bevor er mehrere Jahrzehnte an der University for International Business and Economics in Beijing als Lektor, Lehrer für Deutsch als Fremdsprache und Projektleiter tätig war. Sein Interesse am Thema, die Perspektive darauf und sporadisch auch sein Narrativ werden durch die vieljährige Mitgliedschaft in den Tierschutzvereinen geprägt.
Der Fokus dieser mit einem etwas sperrigen Titel versehenen Studie sind die Aktivitäten der württembergischen Tierschutzvereine von den 1830er-Jahren bis zum Jahr 1914. Das Buch beleuchtet insbesondere die daran beteiligten Persönlichkeiten und ihre Schriften. Zwei Namen stechen dabei besonders heraus: Christian Adam Dann (1758–1837), pietistischer Pfarrer und der erste württembergische Tierschutzaktivist, und Theodor Plieninger (1795–1879), mehrjähriges Vorstandsmitglied des Württembergischen Tierschutzvereins und Redakteur dessen Mitteilungsblatts. Des Weiteren enthält die Studie rund ein Dutzend weiterer Porträtskizzen deutscher Tieraktivisten, die in entsprechenden Kapiteln untergebracht sind. Neben prominenten Persönlichkeiten und deren Schriften werden die Mitgliederstruktur, Publikationsorgane und allgemein die facettenreichen Aktivitäten der Tierschutzorganisationen beschrieben.
Das Quellenkorpus stellen vornehmlich Rechenschaftsberichte der Tierschutzvereine, die von ihnen herausgegebenen Zeitschriften sowie weitere Publikationen der in diesem Feld tätigen württembergischen Aktivisten dar. Die Quellen werden oft ausführlich zitiert – eine Vorgehensweise, welche der Autor als eine „Methode“ versteht, wodurch „die teilweise schwer erreichbaren Quellen möglichst selbst sprechen […] [und] dabei auch ein eigenes Urteil des Lesenden ermöglichen“ (S. 2). Die Monographie ist in drei Teile und 13 vornehmlich sachlich gegliederte Kapitel unterteilt. Der erste Teil stellt die kurze Geschichte der 1837 gegründeten ersten württembergischen Tierschutzvereine im deutschen und europäischen Kontext dar. Der zweite, die Hälfte der Studie umfassende Teil befasst sich mit dem 1862 gegründeten Württembergischen Tierschutzverein, dessen Zielsetzung, Strategien, Mitgliederschaft und Aktivitäten. Im dritten Teil werden die „radikalen“ Gruppierungen der Bewegung in den Blick genommen: Vegetarier, Antivivisektionisten (Gegner von Tierversuchen) und im Rahmen eigener Strukturen organisierte Frauen. Angehängt werden rund 70 Kurzbiogramme bekannter Tierschützer, eine tabellarische Chronik der württembergischen Bewegung sowie ein Namen-, Orts- und Sachregister.
Eher deskriptiv in ihrer Form bringt diese detailreiche und quellennahe Studie mehrere Erkenntnisse mit sich, wovon einige auch über die lokalen Verhältnisse hinaus von Relevanz sind. Auf eine überzeugende Weise belegt der Autor zum Beispiel die These, dass sich die Tierschutzbewegung in Württemberg in den 1830er-Jahren vor allem aus den Lehren des Pietismus speiste und weniger vom englischen „Vorbild“ beeinflusst war als in der Forschung bis dato behauptet wurde. Das persönliche Verhältnis zu Gott, ein antihierarchischer Charakter, die Gleichheit aller Menschen und die Anerkennung der Individualität anderer Lebewesen als Merkmale dieser religiösen Strömung trugen zum besseren Verständnis der moralischen Verpflichtungen von Menschen gegenüber anderen Tieren bei. Einige Pietisten erachteten Tiere als Subjekte mit einem komplexen Gefühlsleben und begründeten deren Schutz nicht nur anthropozentrisch, sondern auch um der Tiere willen.
Die Studie hinterfragt auch die verbreitete These, wonach die Tierschutzbewegung im 19. Jahrhundert ein fast ausschließlich urbanes Phänomen gewesen sei, das ähnlich wie die Heimtierhaltung durch die Entfernung der Menschen von der Natur motiviert worden sei. Im Gegensatz dazu konzentrierte sich aber die Tierschutzbewegung in Württemberg bis in die 1870er-Jahre auf ländlich gehaltene Nutztiere. Erst im Kaiserreich verlegte sie den Schwerpunkt auf Heimtiere – insbesondere Hunde, Katzen und Vögel – sowie Arbeitstiere in den Städten. Zu bedauern ist, dass gerade für die 1870er- und 1880er-Jahre die Hauptquelle der Studie – die Presse der württembergischen Tierschutzbewegung – unvollständig erhalten ist. Somit kann der Neuorientierungsprozess der Bewegung nicht präziser erfasst und lediglich dessen Ausgang am Übergang zum 20. Jahrhundert ausgewertet werden.
Eine kritisch zu bewertende Eigenschaft dieser Studie ist ihr polemisch-normativer Charakter. Der Autor bezieht sich regelmäßig auf den gegenwärtigen Umgang mit Tieren, fast immer aber ohne bibliographische Angaben. Er scheint vorauszusetzen, dass die Tierhaltungsverhältnisse in der Gegenwart dem Leser allgemein bekannt – vielleicht sogar selbsterklärend – sind (zum Beispiel auf S. 6, 65, 185f., 620). Insbesondere eine These ragt als ein Beitrag zur öffentlichen Diskussion im 21. Jahrhundert heraus: Die Lebensbedingungen der Nutztiere vor der Massentierhaltung seien nicht so idyllisch gewesen, wie man sie heute manchmal in den Medien und populären Publikationen darstelle. Obwohl dieser These nicht ohne weiteres zu widersprechen ist, bleibt offen, ob das ausgewertete Quellenmaterial sie ausreichend belegt (S. 4, 222, 383, 427). Nicht zuletzt untersucht der Autor lediglich eine Seite der Debatte – die Tierschützer, die angesichts ihrer Zielsetzung vor allem daran interessiert waren, Ausbeutung und Misshandlungen von Tieren anzuprangern und ihnen entgegenzuwirken. Die eigentliche Erforschung der Lebensbedingungen der Nutztiere bedarf darüber hinaus Quellen bäuerlicher, tierzüchterischer beziehungsweise veterinärmedizinischer Provenienz.
Redaktionell hätte diese Monographie durch zumindest zwei Maßnahmen zugänglicher und besser recherchierbar gemacht werden können. Zum einen hätten längere Zitate – die in dieser Studie nicht selten sind – an Erkennbarkeit deutlich gewonnen, wären sie eingerückt oder auf eine andere übliche Weise gekennzeichnet worden. Zum anderen wäre die Zitierweise verständlicher gewesen, wenn sie einheitlich statt zwischen Fußnoten und Angaben in Klammern im Haupttext geteilt wäre.
Trotz der genannten Kritikpunkte stellt die Monographie einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des organisierten Tierschutzes in Deutschland dar. Die Fülle an Fakten, Daten und Namen macht sie lokalhistorisch besonders nützlich. Angesichts der Wichtigkeit dieser Region für die deutsche Tierschutzbewegung geht die Relevanz der Studie aber sogar weit über Württemberg hinaus. Sie wird daher gewiss zu einem Bezugspunkt für weitere tierhistorische und verwandte Themen werden.
Anmerkungen:
1 Vgl. beispielsweise Johannes Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft. Eine rechtliche Neukonstruktion auf philosophischer und historischer Grundlage, Baden-Baden 1999; Winfried C. J. Eberstein, Das Tierschutzrecht in Deutschland bis zum Erlaß des Reichs-Tierschutzgesetzes vom 24. November 1933. Unter Berücksichtigung der Entwicklung in England, Frankfurt am Main 1999.
2 Vgl. beispielsweise Anita Maria Idel, Tierschutzaspekte bei der Nutzung unserer Haustiere für die menschliche Ernährung und als Arbeitstier im Spiegel agrarwissenschaftlicher und veterinärmedizinischer Literatur aus dem deutschsprachigen Raum des 18. und 19. Jahrhunderts, [Freie Universität Berlin 1999].
3 Miriam Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich. Ein Beitrag zur Geschichte des Vereinswesens, Frankfurt am Main 1993.