Die Erforschung der spätantiken magistri militum, die seit Kaiser Konstantin die obersten Befehlshaber der spätrömischen Armee waren, ist bereits seit Theodor Mommsen ein wichtiges Thema der Alten Geschichte. Während sich die ältere Forschung vornehmlich mit Aspekten der Stellenbesetzung und der Hierarchie innerhalb des Amtes befasste1, widmete sich die jüngere Forschung insbesondere den einflussreichen Heermeistern des 5. Jahrhunderts. Eine aktuelle Darstellung, die sich speziell mit den Heermeistern des 4. Jahrhunderts und der Entwicklung des Amtes befasst, fehlte seit dem großen RE-Artikel von Alexander Demandt. Christopher Bendle hat sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen und mit seiner an der Universität Melbourne verfassten und nun erweiterten Masterarbeit einen Beitrag zum Verständnis des Heermeisteramtes in der Zeit von 341 bis 395 zu liefern. Der Autor postuliert, dass signifikante Änderungen im Verhältnis von Kaiser und Heermeister durch bottom-up Prozesse zustande kamen, wobei Militärs selbst aktiv wurden und in Krisenmomenten die Kompetenzen ihres Amtes erweiterten (S. 14f.). Am Ende hätten die Heermeister „a synergetic, reciprocal relationship with the collapse of imperial centralization“ geführt (S. 205).
Nach einer Einleitung (S. 13–17) sowie einer Betrachtung der Forschungsgeschichte (S. 17–23) und des Quellenmaterials (S. 24–27) unterteilt Bendle seine Arbeit in vier große Kapitel, die ihrerseits mehrfach untergliedert sind. Die ersten beiden Kapitel sind als chronologische Bearbeitung des Untersuchungszeitraums von 341 bis 395 angelegt, während sich Kapitel 3 und 4 mit strukturellen Aspekten des Amtes befassen. Das erste Kapitel (S. 29–75) umfasst den Zeitraum von 341 bis 363, wobei die Darstellung mit dem Tod Jovians im Jahr 364 endet. Bendle demonstriert, dass die Heermeister jener Zeit durchaus einflussreiche Positionen erreichten, jedoch nicht die kaiserliche Autorität der dominanten Kaiser Constantius II. und Julian übertreffen konnten. Anhand der gescheiterten Usurpationen der beiden Heermeister Vetranio und Silvanus (S. 36–53) wird aufgezeigt, dass die Möglichkeiten eines magistri militum, stabile Netzwerke aufzubauen, um den Thron nach einer Machtübernahme zu halten, begrenzt waren. Die beiden Fälle stellen für spätere Heermeister warnende Beispiele dar, sodass jene Thronkandidaten aus den mittleren Offiziersrängen präferierten.
Das zweite Kapitel (S. 76–121) thematisiert die Jahre von 364 bis 395. Mit der Ernennung Valentinians I. zum Kaiser und dessen ostentativer Förderung des Militärs beginne eine Phase des Erstarkens einzelner Heermeister wie Merobaudes, Bauto und Arbogast. Gleichzeitig setze eine unterschiedliche Entwicklung des Westens und des Ostens des Römischen Reiches ein. Während der „schwache“ Kaiser Valentinian II. seinen Heermeistern laut Bendle nichts entgegenzusetzen hatte, schaffte es der „starke“ Kaiser Theodosius I. den Einfluss des Militärs zu begrenzen.
Das dritte Kapitel (S. 122–147) ist den Netzwerken von Heermeistern gewidmet. Anhand zweier Fallbeispiele, nämlich der Usurpation des Silvanus (S. 128–133) und dem Wirken der „Cliquen“ während des Übergangs von Valentinian I. auf Gratian (S. 133–146), demonstriert Bendle die Möglichkeiten und Grenzen von Netzwerkanalysen. So verfügte Silvanus zwar über ein weitgestreutes Netzwerk, dieses wies jedoch eine zu geringe Stabilität auf, um die Usurpation erfolgreich zu gestalten. Im Gegensatz dazu erlangte Merobaudes durch ein starkes Netzwerk die einflussreichste Position unter den Heermeistern und dominierte nach dem Tod Valentinians I. die Geschicke des Westreiches. Bendle ist sich dabei der Einschränkungen durch die Überlieferungslage bewusst, die eine Beurteilung der Intensität der dargestellten Beziehungen erschwert.
Das vierte Kapitel (S. 148–200) widmet sich dem Heermeisteramt und analysiert mit Hilfe prosopographischer Methoden den typischen Karriereverlauf sowie die Herkunft der Amtsträger. Zunächst widmet sich Bendle der Karriere der Heermeister (S. 148–171): In einer präzisen Analyse zeigt er auf, dass die Herrschaft Valentinians I. nicht nur eine bereits bekannte Bevorzugung des Militärs und eine allgemeine Rangerhöhung mit sich brachte, sondern auch eine Veränderung der Struktur des Amtes zur Folge hatte. Die Heermeister wurden folglich nahezu ausschließlich aus dem Rang der comites rei militaris rekrutiert, wobei sich die durchschnittliche Amtsdauer eines Heermeisters von drei bis vier Jahren auf sechs Jahre verlängerte – ein Indiz für den wachsenden Einfluss der Heermeister. Im Anschluss bespricht Bendle die Herkunft und Identität der Heermeister (S. 171–200). In einer ausführlichen Einleitung (S. 171–188) stellt Bendle den Forschungsstand vor und folgt grundlegend Mischa Meiers Gedanken einer von außen zugeschriebenen „barbarischen“ Identität der Heermeister.2 Für die anschließenden Untersuchungen übernimmt der Autor die Zuschreibungen der Quellen: „Barbarische“ Heermeister sind jene, die auch in den Quellen als solche benannt werden oder ähnliche Charakteristika aufweisen. Des Weiteren existierte ein „social taboo“ (S. 187), welches „barbarischen“ Heermeistern die Spitze des Kaisertums verwehrte. In den daran anschließenden Beobachtungen zur Herkunft der Heermeister stellt Bendle fest, dass das Verhältnis von „barbarischen“ zu „römischen“ Heermeistern nahezu ausgeglichen war (mit leichtem Übergewicht der „barbarischen“ Heermeister), anders als es beispielsweise Hugh Elton annimmt. Der Anteil der „Barbaren“ sei zum Ende des 4. Jahrhunderts aber gewachsen.3
Das Buch schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (S. 201–205), einer Bibliographie (S. 208–230), in der alle zentralen Aufsätze und Bücher zur Thematik aufgeführt sind 4, und dem Register (S. 231–236).
Die ersten beiden Kapitel präsentieren eine eher unspektakuläre chronologische Wiedergabe der Ereignisgeschichte, die nur in einzelnen Details Neues bietet: „Starke“ Kaiser (Constantius II., Julian und Theodosius I.) dominieren und begrenzen ihr Militär, „schwache“ Kaiser (Valentinian II.) werden dominiert. Die von Bendle eingangs gestellte These von bottom-up statt top-down Prozessen trifft somit im Wesentlichen erst für die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts zu und beginnt mit der Wahl Valentinians I. durch die höchsten Offiziere des Reiches. In der Folge ist vor allem Merobaudes als herausragender Vertreter zu nennen, der dementsprechend besonders hervorgehoben wird. Er konnte seinen Kompetenzbereich maßgeblich erweitern und schuf mit der Ernennung eines „Kinderkaisers“ einen folgenreichen Präzedenzfall. Bei Arbogast hingegen träfe die These nur zu, wenn man wie der Autor davon ausgeht, dass er die Position des Heermeisters mehr oder weniger von seinem Vorgänger Bauto usurpierte. Es gibt jedoch auch gewichtige Stimmen, die davon ausgehen, dass Theodosius I. Arbogast zum Heermeister ernannte und zum zentralen Beamten Valentinians II. machte.5 In diesem Fall hätte man es wieder mit einem top-down Prozess zu tun, denn es ist der Kaiser, der die Vormachtstellung des Heermeisters legitimierte. Bendle geht auf die Debatte allerdings nicht ein.
Die Kapitel 3 und 4 können als die eigentliche Stärke des Buches bezeichnet werden. Die detailreichen methodischen Überlegungen ermöglichen einen umfassenden Einblick in die strukturellen Gegebenheiten und Möglichkeiten des Amtes. Die in Kapitel 3 vollzogene Netzwerkanalyse stellt eine für die Heermeister des 4. Jahrhunderts neue Methode dar, die in dieser Form bislang noch nicht angewandt wurde.
Bendle bespricht in seiner Monographie die zentralen Heermeister sowie bedeutsame Ereignisse rund um das Amt im 4. Jahrhundert. Dabei ordnet er die Akteure und Ereignisse in den jeweiligen historischen Kontext ein und bietet einen soliden Überblick über das Amt. Das Buch bietet somit einen schnellen Einstieg in die Thematik, was insbesondere von Studierenden geschätzt werden dürfte. Für den Experten hingegen enthält die Publikation kaum Neues: Die Resultate sind in der Regel bereits bekannte, grundlegende Erkenntnisse.6
Anmerkungen:
1 Vgl. dazu zuletzt Anthony Kaldellis / Marion Kruse, The Field Armies of the East Roman Empire. 361–630, Cambridge u. a. 2023, das von Bendle jedoch nicht mehr zur Kenntnis genommen wurde.
2 Vgl. Mischa Meier, Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr., 2. Aufl., München 2021, bes. S. 84–87.
3 Vgl. Hugh Elton, Warfare in Roman Europe. AD 350–425, Oxford 1996.
4 Ein vermeidbares Ärgernis sind hier jedoch die Rechtschreibfehler bei einigen Literaturangaben.
5 Vgl. dazu den Zosimos-Kommentar von François Paschoud (Hrsg.), Zosime, Histoire Nouvelle, Bd. II 2: Livre IV, Paris 1979, S. 452–453.
6 Gelegentliche anonyme Verweise auf „historians“ (S. 143), „scholars“ oder allgemein „studies“ (beide S. 149) ohne Verweise in der Fußnote erschweren allerdings die Benutzung. Zudem wären bei der Ersterwähnung und der Diskussion der Stellenbesetzung mehr Verweise auf den RE-Artikel Demandts und die Einträge in der Prosopography of the Later Roman Empire wünschenswert gewesen.