Die Autorin dieser Rezension durfte selbst noch in einem fensterlosen Raum des dritten Untergeschosses einer Universitätsbibliothek über Wochen aufgrund von Papierzerfall schwer zugängliche Bestände satirischer Zeitschriften sichten. Mit der digitalen Sammlung „Französische Kunst- und Satirezeitschriften und Karikaturen – digital“1 hat nun die Heidelberger Universitätsbibliothek einen digitalen Zugang zu einer sehr großen Auswahl von Zeitschriften ermöglicht, die für die Publikation von Bildsatiren im Frankreich des 19. Jahrhunderts von großer Relevanz sind. Hinzu kommen verschiedene Alben, das heißt thematische Sammlungen von Bildsatiren in gebundener Form, und einige Kunstzeitschriften, finanziell gefördert über das DFG-Projekt „Die europäische Perspektive. Digitalisierung und Erschließung ausländischer Kunst- und Satirezeitschriften des 19. und frühen 20. Jahrhunderts“. Über dieses Portal können Nutzerinnen und Nutzer online im Werk wichtiger Zeichnerinnen und Zeichner aus diesem Zeitraum recherchieren. Zudem werden zu einzelnen Publikationen, Zeitschriften und Alben, – leider mit kleinen bibliografischen Ungenauigkeiten – einige Aufsätze und Buchpublikationen genannt, die einen ersten Einblick in die Forschungsliteratur geben.
Die Sammlung geht ursprünglich auf eine Spende des Buchhändlers Nikolaus Trübner (1817–1884) zurück, der seine Bibliothek vollständig der Heidelberger Universitätsbibliothek übereignet hatte. Sie wurde um weitere Bestände und, was als besonders positiv hervorzuheben ist, mit Leihgaben der Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg in Frankfurt am Main ergänzt. Auf diese Weise umfasst sie nicht nur den Zeitraum bis 1884, dem Tode des Spenders, sondern auch Zeitschriften bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein. Sie dokumentieren ein breites Spektrum der politischen Richtungen, wie sie in den Publikationen zum Ausdruck kamen, sowie die ästhetischen Praxen von Bildpolemikerinnen und -polemikern und künstlerisch anerkannten Zeichnerinnen und Zeichnern.
Das Portal bietet eine interessante Quellenbasis für Forschungsthemen zu den Revolutionen des 19. Jahrhunderts, den letzten Jahren des Zweiten Kaiserreichs, dem deutsch-französischen Krieg und zur Pariser Commune sowie der antikommunardischen Bildpublizistik bis hin zu den zentralen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen der französischen Dritten Republik, wie die Herausbildung des Bildvokabulars des politischen Antisemitismus in Zusammenhang mit der Dreyfus-Affäre, aber auch über einen großen Teil des Jahrhunderts hinweg die Auseinandersetzungen um Zensur und Pressefreiheit, um die Geschlechterordnung und die Laizisierung des Schulwesens etc.
Am Beispiel der hier zugänglichen Bildpublizistik zur Pariser Commune von 1870/71 kann gut verdeutlicht werden, wie der Zugang zu historischen Printmedien wesentlich verbessert wurde. In der Zeit des deutsch-französischen Kriegs und der Pariser Commune wurden aufgrund der schwierigen ökonomischen Situation Bildsatiren weniger in Zeitschriften veröffentlicht als in Form von Einzelblättern, die auf der Straße verkauft wurden. Der Zeichner Faustin hatte selbst exemplarisch für seine Karikatur „Sa majesté – ou l’habit ne fait pas le moine“ beschrieben, wie er zunächst einen Verleger suchte und mit der ersten Auflage von 1.000 Exemplaren eigenhändig die Blätter zu den Kiosken der Stadt Paris brachte. Dies wiederholte sich aufgrund des schnellen Verkaufs, sodass er bis zum nächsten Morgen bei einer Auflage von 50.000 Exemplaren angelangt war.2 Die Personensuche des Portals ermöglicht es nun, per Mausklick zu einer Zusammenstellung von Faustins Bildpublizistik zu kommen, die einen sehr guten Überblick über die Grundzüge seines Werks gibt. Dies umfasst auch einzelne Blätter, die über die Alben, welche zur Sammlung zählten, zugänglich gemacht werden, in diesem Fall die „Collection de caricatures et de charges pour servir à l’histoire de la guerre et de la révolution de 1870–1871“ von ca. 1872.
Weitere Funktionalitäten wie die Volltextsuche erleichtern die thematisch einschlägige und gezielte Recherche, wenngleich sie sicherlich nicht das „händische“ Verfahren des systematischen Durchgehens der Publikationen ersetzen. Die Verlinkung mit weiteren Recherchemöglichkeiten beispielsweise zum http://arthistoricum.net mag insbesondere Studierenden erleichtern, hier einen ersten Zugang zur Forschung über Bildsatiren und angrenzende Felder zu finden.
Wie in Bezug auf einige andere Digitalisierungsprojekte von Universitätsbibliotheken ist kritisch anzumerken, dass hinsichtlich der wissenschaftlichen Kontextualisierung noch mehr geleistet werden könnte. Angesichts des hochwertigen Materials und der hohen Qualität der Zugänglichkeit verwundert es, dass die redaktionelle Betreuung der Kommentare eher pragmatischen Entscheidungen zu folgen schien. Es werden in der Kürze sehr gute Literaturhinweise auch zu einzelnen Zeitschriften gegeben, eine etwas mehr in die Tiefe gehende Deskription des jeweiligen Mediums direkt an dieser Stelle wäre jedoch wünschenswert.
Anmerkung:
1 Zu finden unter: https://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/fachinfo/www/kunst/digilit/artjournals/frzzeit.html (03.03.2020).
2 Vgl. Troche, Caricaturistes maudits, in: Maurice Gachelin / Jean Rollin / Vladimir Thonet (Hrsg.), La Commune de Paris, 1871 – 1971. Exposition du Centenaire, Saint-Denis 1971, S. 56–66, hier S. 58; auf Deutsch zitiert unter anderem in Raimund Rütten / Ruth Jung / Gerhard Schneider (Hrsg.), Die Karikatur zwischen Republik und Zensur. Bildsatire in Frankreich 1830–1880 – eine Sprache des Widerstands?, Marburg 1991, S. 6.