Titel der Ausgabe 
Grenzgänge 10 (2003), 20
Weiterer Titel 
Neue Forschungen zur Französischen Revolution von 1789

Erschienen
Erscheint 
2 mal jährlich
Preis
8 € das Einzelheft, 15 € das Jahresabo (für Studierende und Ermäßigungsberechtigte 10 €)

 

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Institution
Grenzgänge. Beiträge zu einer modernen Romanistik
Land
Deutschland
c/o
Dr. Thomas Höpel Redaktion GRENZGÄNGE c/o Geistes- und Sozialwissenschaftliches Zentrum im Zentrum für Höhere Studien und Literaturen Emil Fuchs-Straße 11 D - 04105 Leipzig Tel. (0341) 9730286 Fax: (0341) 9605261 e-mail: hoepel@rz.uni-leipzig.de Nathalie Noel c/o Institut für romanische Sprachen Universität Leipzig Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Grüneburgplatz 1 D - 60629 Frankfurt am Main Tel. (069) 79822198 Fax (069) 79828937
Von
Höpel, Thomas

GRENZGÄNGE 10. Jahrgang 2003 Heft 20
Neue Forschungen zur Französischen Revolution von 1789

Inhaltsverzeichnis

Inhalt:

Thomas Höpel, Editorial

Michel Biard, Kulturelle Brüche während der Revolution

Valérie Sottocasa, Revolutionärer Bruch und populäres Gedächtnis: die Rolle des Erbes

Guillaume Mazeau, Charlotte Corday - Geschichte eines Missverständnisses

Corinne Gomez-Le Chevanton, Der Prozess von Jean-Baptiste Carrier: Logik und Chronologie der Bestrafung eines "Terroristen"

Daniel Schönpflug, Politische Einheit und kulturelle Vielfalt - zur Genese kultureller Ressentiments im Straßburger Jakobinerclub 1790-1794

Thomas Höpel, Kulturpolitik während der Französischen Revolution und des Ersten Kaiserreichs

Romanistik und Gesellschaft

Anja Röcke / Yves Sintomer, Nouvelles politiques urbaines et démocratie participative en France et en Allemagne

Isabella v. Treskow, Die Deutschen, die Besatzung, der Tod. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Ferdinando Camon anlässlich des 60. Jahrestages der deutschen Besetzung Italiens September 1943

Abstracts:

Michel Biard
Kulturelle Brüche während der Revolution

Inwiefern kann die Französische Revolution von 1789 als kultureller Bruch betrachtet werden? Die Revolution ist auf kultureller Ebene zugleich eine Zeit der Anerkennung des Erbes, eine Zeit der Neugründung und eine Zeit der Vorwegnahme. Das ist in vielen Bereichen nach 1789 und sogar im Jahr II der Revolution zu erkennen, in dem es zum Entwurf einer Kulturrevolution kommt, mit dem Wunsch, Frankreich zu regenerieren und einen neuen Menschen zu schaffen. Gerade während der Terrorherrschaft stehen das Streben und der Wunsch nach einer tabula rasa und nach der Bewahrung des "nationalen Erbes" nebeneinander. Der grundlegende kulturelle Bruch der Revolution von 1789 besteht aber nicht in den diversen, abgebrochenen Anstrengungen zur Schaffung eines "neuen Menschen" im Jahr II, sondern in der langsamen Demokratisierung des Kulturbereichs, der Abwendung von einer begrenzten Elite und der Hinwendung zu einem Volk von Staatsbürgern, selbst wenn es sich um eine Staatsbürgerschaft ohne Demokratie wie unter dem Kaiserreich handelt. Die Periode von 1795 bis 1804 wird zu einem Schlüsselmoment, in dem es zu einer Verbindung des vielschichtigen Erbes aus dem Ancien Régime mit Ideen von 1789, aber auch mit solchen der abgebrochenen Kulturrevolution kommt. Der depolitisierte Staatsbürger des Kaiserreichs bleibt doch Staatsbürger. Und dies ist ein Ergebnis der politischen und kulturellen Brüche der Revolution, ein Ergebnis, das seine ganze Bedeutung im 19. und 20. Jahrhundert erhält, wenn die Demokratie dauerhaft in Frankreich verankert wird. Der kulturelle Bruch der Französischen Revolution liegt vor allem in dieser Verankerung einer demokratischen Kultur in allen ihren Dimensionen.

Valérie Sottocasa
Revolutionärer Bruch und populäres Gedächtnis: die Rolle des Erbes

Die Französische Revolution von 1789 wurde immer als grundlegender Bruch betrachtet. Allerdings ordnet wird sie auch in Jahrhunderte währende mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen ein. Seit dem 16. Jahrhundert sind die Berggegenden des Languedoc durch einen konfessionellen Bruch zwischen protestantischen und katholischen Gemeinschaften gekennzeichnet. Trotz des Edikts von Nantes (1685) bleiben die Cevennen protestantisch, während die Hochebenen ihren katholischen Glauben herauskehren. Im 18. Jahrhundert gibt es einen langen Zeitraum, in dem sich die Konflikte beruhigen, was glauben ließ, dass der alte Hass vergessen worden wäre. Als die Revolution ausbricht, wird die Aufhebung der Feudalität von Protestanten und Katholiken ohne Unterschied gutgeheißen. Ab 1790 kommen aber die alten Ängste wieder zu Tage. Nach einem Jahrhundert der Verfolgung nimmt das protestantische Bürgertum wieder öffentliche Ämter ein. Zahlreiche Katholiken erblicken darin eine Bedrohung und fürchten die Rache der Protestanten. Zu einem ersten Zusammenstoß der beiden konfessionellen Gemeinschaften kommt es im Juni 1790 in Nîmes. Die Kirchenreform, die Ende 1790 abgeschlossen wird, treibt die katholische Bevölkerung der Berge in die Arme der Royalisten, die dreimal versuchen, eine konterrevolutionäre Erhebung zu organisieren. Für die Protestanten verbindet sich die Verteidigung der Revolution mit der Verteidigung ihrer Rechte auf Gleichheit, die nach einem Jahrhundert der Intoleranz zurückerobert wurden. Seit diesem Zeitpunkt verschmilzt die konfessionelle Zugehörigkeit mit der politischen Parteinahme. In beiden konfessionellen Gemeinschaften ruft das kollektive Gedächtnis die Erinnerungen an die Massaker, die über hundert Jahre zurückliegen, wach. In den Gebieten der konfessionellen Grenze wird die Revolution als eine neue Episode der Religionskriege erlebt.

Guillaume Mazeau
Charlotte Corday - Geschichte eines Missverständnisses

In der Erinnerung der Französischen Revolution ist Charlotte Corday heute keine umstrittene Figur mehr. Sie ist aufgrund ihrer Tat, der Ermordung Marats am 13. Juli 1793, eine der bekanntesten Figuren der Konterrevolution. Dieses karikaturistische Bild verdankt sich drei verschiedenen Ursachen: dem besonderen Kontext des Sommers 1793, der Rolle Marats in der Revolution und schließlich der atypischen Karriere Charlotte Cordays, die im Widerspruch zu den normativen Rahmen der Zeit steht. Im Text wird die Konstruktion eines revolutionären Mythos und die Genealogie einer biographischen Konstruktion, die häufig teleologisch ist, detailliert nachgezeichnet. Dabei werden auch die kulturellen Missverständnisse und die politische Instrumentalisierung, die das Gedächtnis an Charlotte Corday verändert haben, untersucht.

Corinne Gomez-Le Chevanton
Der Prozess von Jean-Baptiste Carrier: Logik und Chronologie der Bestrafung eines "Terroristen"

Im Winter 1793 kommt es in Nantes im Departement Loire-Inférieure zu schrecklichen Verfolgungen. Im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in der Vendée werden die Einwohner der Stadt, die als Konterrevolutionäre oder lediglich Gemäßigte verdächtigt werden, zu Tausenden hingerichtet. Eine bereits strenge legale terreur wird von einer nicht legalen terreur begleitet, die vom Repräsentanten des Konvents Jean-Baptiste Carrier ins Werk gesetzt wird. Im Januar 1794 wird Carrier nach Paris zurückgerufen, nachdem er vom Abgesandten des Wohlfahrtsauschusses, Marc-Antoine Jullien, als Verantwortlicher für besonders außergewöhnliche Terrormaßnahmen angezeigt wurde. Einige Monate später, im Winter 1794, wird Carrier für die in Nantes begangenen Verbrechen zum Tode verurteilt und hingerichtet. In der Zeit, in der sein Prozess vorbereitet wird, findet innerhalb des revolutionären Lagers eine politische Abrechnung statt. Dabei stellt sich allen Abgeordneten des Thermidorkonvents und der französischen Bevölkerung selbst die Frage nach der eigenen Verantwortung und Schuld während der Terrorherrschaft. Diese Abrechnung führt im Namen der humanité zugleich zu einem grundlegenden Meinungsumschwung in Hinsicht auf die Einordnung des politischen Gegners und der gegen ihn zulässigen Gewaltmaßnahmen.

Daniel Schönpflug
Politische Einheit und kulturelle Vielfalt - zur Genese kultureller Ressentiments im Straßburger Jakobinerclub 1790-1794

In den Jahren zwischen 1790 und 1794 nahm der Straßburger Jakobinerclub ganz unterschiedliche Haltungen gegenüber dem deutschen Nachbarn ein. Anfangs hatte er sich einer Politik der Verbrüderung verschrieben, im Herbst 1791 wurde er jedoch zu einem der vehementesten Verfechter eines Befreiungskrieges gegen das Heilige Römische Reich, schließlich, im Herbst 1793, sogar zu einem erbitterten Gegner der deutschen Kultur. Im Zentrum des Artikels steht die Frage, wie es zu dieser rapiden Verschiebung von Freund- zu Feindbildern kommen konnte. Die Verschlechterung des Verhältnisses zu Deutschland wird eingebettet in einen Prozess der Radikalisierung, der einerseits ideologische Ursachen hat - vor allem die im Club verbreiteten spezifisch revolutionären Einheitskonzepte -, andererseits aber auch in den sozio-kulturellen und politischen Strukturen Straßburgs verwurzelt ist. Insgesamt zeigt sich, dass der Prozess der lokalen Radikalisierung keinesfalls als eine bloße Reaktion auf äußere Einflüsse - vor allem den Pariser Zentralismus - interpretiert werden kann. Vielmehr spielen religiöse und sprachliche Konfliktlinien eine Rolle, die schon im vorrevolutionären Straßburg prägend waren.

Thomas Höpel
Kulturpolitik während der Französischen Revolution und des Ersten Kaiserreichs

Der Text stellt den Forschungsstand zur Kulturpolitik während der Französischen Revolution und dem Kaiserreich vor, einem Bereich, der nach dem bicentenaire zu vermehrten Untersuchungen Anlass gab, die unser Bild von den Brüchen und der Wirkung dieser Kulturpolitik grundlegend geändert haben. Die Kulturpolitik während der Revolution und dem Kaiserreich besaß eine Tiefenwirkung nicht nur in der französischen, sondern auch europäischen Gesellschaft, wobei nicht unbedingt die Maßnahmen der Revolutionäre, die eine neue Revolutionskultur verankern wollten wie z.B. durch die Einführung des republikanischen Kalenders oder zahlreicher Rituale, die größte Wirkung entfalteten, sondern vielmehr eher die weniger sichtbaren, die auf Demokratisierung und Liberalisierung von Kultur setzten. Die Kulturpolitik unter Revolution und Kaiserreich hat daher eher weniger durch die Initiierung einer Revolutionskultur, die einen neuen Menschen formen sollte, gewirkt, als durch die institutionelle und rechtliche Neuordnung der Kultur- und Kunstlandschaft, welche die Grundlagen für das Frankreich des 19. und 20. Jahrhundert legte. Die Schaffung von öffentlich zugänglichen Kulturinstitutionen - Museen, Archiven und Bibliotheken - hat zudem dazu beigetragen, kulturelle Muster, Besitz und Gebrauch kultureller Güter in der Nation zu verbreiten.

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