Whiteness ist ein virulentes Thema – das liegt nicht zuletzt an globalen Migrationsbewegungen: Die nach dem Zweiten Weltkrieg so klar im „Süden“ verortete „Dritte Welt“ ist mittlerweile in der global city präsent. Bildungs- und ArbeitsmigrantInnen, Flüchtlinge, „nomadische Subjekte“, „Third World Intellectuals“ artikulieren sich im „Westen“, im „Norden“, in der „Ersten Welt“. Sie setzen ihre Stimmen gegen weiße hegemoniale Erzählungen und fordern zur Stellungnahme heraus.
Spannende Suche nach den ‚richtigen’ Worten Feministinnen, FrauenforscherInnen und VertreterInnen der Gender Studies suchen nach möglichen, nach ‚richtigen‘ Positionen. Diese Suche verläuft nicht spannungsfrei; spannend ist sie jedenfalls, wie die Beiträge in dieser Ausgabe von „L’HOMME“ zeigen.
Schon auf der Ebene des Schreibens erweisen sich Weißheiten als uneindeutiges thematisches Feld, in dem – orthographische – Klarstellungen als wesentlich begriffen werden. In deutschsprachigen Texten zum Thema stehen nahezu immer zwei Fußnoten am Beginn: Eine erläutert die Frage der Groß- beziehungsweise Kleinschreibung von Schwarz schwarz Black black (auch, doch seltener: Weiß weiß). Ein wenig so, als handle es sich um InsiderInnenwissen, das für Antirassismus bürgt, worauf man sich daher stolz bezieht. Die zweite wiederkehrende Anmerkung, meist eher entschuldigend formuliert, benennt die Problematik der Begriffsverwendung von race oder ‚race‘ oder „Rasse“. Ein Bezeichnungsdilemma, für das es jedenfalls im Deutschen keine zufrieden stellende Lösung gibt. Und eine Reihe von erklärungsbedürftigen Begriffen schließt sich an: Was meint „Rassisierung“? Heißt es „Rassialisierung“? Wo liegen die Differenzen zwischen „Weißheit“, „Weißsein“, „Weiße Kultur(en)“, „Whiteness“, „Whitenesses“? Sind begriffliche Vorlieben nur Geschmackssache? Liegen die Unterschiede auf der Hand oder gehören sie erläutert, in jedem Text aufs Neue?
Schreiben gegen w(W)eiße Macht Diese Unentschiedenheit verdeutlicht, wie schwierig und abgründig das Feld der Forschungen zu oder gegen ‚Race‘ geblieben ist. Nicht zuletzt die Ungewissheiten motivierten die Herausgeberinnen Minke Bosch und Hanna Hacker und die AutorInnen, zu und gegen Konstruktionen w(W)eißer Macht zu schreiben.
Die Beiträge verknüpfen Whiteness als analytischen und hermeneutischen Begriff mit historischen Prozessen von Vergeschlechtlichung und Rassialisierung sozialer und symbolischer Systeme und dem Funktionieren von Gewalt innerhalb dieser Systeme. Das Cover dieser wie jeder „L’HOMME“ ist weiß – diesmal vielleicht weniger selbstverständlich als sonst? Wir wünschen spannende Ein-Sichten und produktive Lektüre.
Kurzinformation zu den Beiträgen Die Ausführungen von Hanna Hacker zu einigen Aspekten von Politik und Geschichte der Whiteness und ihrer Theoretisierung im Feminismus eröffnen das thematische Feld.
Natasha Distiller und Meg Samuelson stellen ihren Beitrag „Denying the Coloured Mother“ in den großen Rahmen der Frage nach Verhältnissen zwischen rassialisierter und sexualisierter Gewalt in Südafrika. Sie beziehen sich dabei auf die Figur der Krotoa-Eva, der ‚Gründungsmutter’ der kreolisierten südafrikanischen Nation, die – je nach Lesart – das autochthone oder das weiße Erbe als Mittlerin legitimieren soll.
Katharina Walgenbach greift in „Emanzipation als koloniale Fiktion“ das Problem der historischen Relation zwischen Kolonialismus und Feminismus auf. Sie fragt welche Emanzipationsversprechen Autorinnen und Akteurinnen formulierten, die im „Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft“, seiner Frauenzeitung, seinen Hauswirtschaftsschulen, den Vorträgen und Propagandaveranstaltungen „Deutsch-Südwestafrika“ als Ort für „moderne Frauen“ entwarfen.
Für Bedachtnahme der historischen Vielfalt möglicher (gleichzeitig vorzufindender) Verknüpfungen zwischen Männlichkeit, Weißheit und Überschreitungen von Identität argumentiert Timothy Ashplant in „Dis/Connecting Whiteness“. Entlang biographischer und fiktionaler Entwürfe dreier britischer bürgerlicher Männer im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wird deutlich, wie different sich der Umgang mit sexuellen, rassialisierten und Klassen-Grenzen gestalten konnte. Eines von Ashplants Beispielen bezieht sich auf die Faszination des Unternehmers, Autors und Reisenden Robert A. Macfie durch „Gypsies“.
Von Johanna Gehmacher kommt ein Review Essay u nationalsozialistischer weißer Selektions- und Vernichtungspolitik. Sie befragt drei Neuerscheinungen zur Rassen- und Geschlechterpolitik im Nationalsozialismus (von Tina Campt, Elizabeth Harvey, Alexandra Przyrembel) nach ihrem Verhältnis zu Geschichte, Sprache und Symptombildung.
In der Rubrik „Aktuelles und Kommentare“ geht es mehrfach um begrifflich-konzeptionelle Perspektiven im schwierigen und widersprüchlichen Feld weißer Mehrheitskulturen. Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr diskutieren den Begriff „Rasse“/Race. Auf Basis ihrer Analyse einiger theoretischer Ansätze zu gesellschaftlicher Ungleichheit, plädieren sie für den Terminus „Dominanzkultur“. Eske Wollrad resümiert die Probleme einer Allianzenbildung zwischen weißen und Schwarzen Forscherinnen im partiell gescheiterten „Europäischen Forum Weißsein und Gender“ an der Universität Oldenburg. Dineke Stam problematisiert am Beispiel der niederländischen „Interkulturellen Museumsprogramme“ Begriffe wie Integration, Multikulturalität und Diversität.
Dem Aspekt der Bilderpolitik und der visuellen Darstellung politischen Gewahrseins ist auch „Im Gespräch“ gewidmet. Zwischen München und Cape Town hat Antje Schuhmann ein Interview mit Michelle Booth geführt, einer südafrikanischen Künstlerin, die in ihrer Foto/Textserie „Seeing White“ mit der Un-Heimlichkeit alltäglicher weißer (Blick-)Präsenz arbeitet.
Offene Beiträge in diesem Heft: ein Aufsatz von Gertrud Hüwelmeier zur Migration deutscher katholischer Ordensschwestern in die USA und ein Bericht von Alexandra Przyrembel über die Konjunktur der Emotionen in der Geschichtswissenschaft.
Inhaltsverzeichnis
Editorial (S. 7–12)
Hanna Hacker Nicht Weiß Weiß Nicht. Überschneidungen zwischen Critical Whiteness Studies und feministischer Theorie (S. 13–27) [Abstract]
Natasha Distiller, Meg Samuelson “Denying the Coloured Mother”: Gender and Race in South Africa (S. 28–46) [Abstract]
Katharina Walgenbach Emanzipation als koloniale Fiktion: Zur sozialen Position Weißer Frauen in den deutschen Kolonien (S. 47–67) [Abstract]
T. G. Ashplant Dis/Connecting Whiteness: Biographical Perspectives on Race, Class, Masculinity and Sexuality in Britain c. 1850–1930 (S. 68–85) [Abstract]
Johanna Gehmacher Geschichte, Sprache, Symptombildung. Anmerkungen zu neueren Arbeiten zur Rassen- und Geschlechterpolitik des Nationalsozialismus (S. 68–85)
L’Homme Extra
Gertrud Hüwelmeier „Nach Amerika!“ Schwestern ohne Grenzen (S. 97–115) [Abstract]
Alexandra Przyrembel Sehnsucht nach Gefühlen: Zur Konjunktur der Emotionen in der Geschichtswissenschaft (S. 116–124)
Im Gespräch
“Seeing White” – Interrogating Whiteness with the South African Photographer Michelle Booth. An interview by Antje Schuhmann (S. 125–133)
Aktuelles und Kommentare
Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr Race/„Rasse“ und Whiteness – Adäquate Begriffe zur Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit? (S. 135–143)
Eske Wollrad Forum „Weißsein und Gender“ – Risiken kritischer Forschung zu Weißsein im deutschsprachigen Raum (S. 144–150)
Dineke Stam A Clog-dance with Diversity. Past, Present and Future of the Multicultural Netherlands (S. 151–158)
Rezensionen
Mineke Bosch Melissa Steyn, “Whiteness just Isn’t What It Used to Be”: White Identity in a Changing South Africa (S. 159–162)
Bärbel Grubner Claudia Thallmayer u. Karin Eckert Hg., Sexismen und Rassismen. Lateinamerikanerinnen zwischen Alter und Neuer Welt (S. 163–167)
Ela Hornung Marguérite Bos, Bettina Vinzenz u. Tanja Wirz Hg., Erfahrung: Alles nur Diskurs? Zur Verwendung des Erfahrungsbegriffes in der Geschlechtergeschichte (S. 167–170)
Marlen Bidwell-Steiner Urte Helduser, Daniela Marx, Tanja Paulitz u. Katharina Pühl Hg., under construction? Konstruktivistische Perspektiven in feministischer Theorie und Forschungspraxis (S. 170–173)
Wolfgang Schmale Stefan Dudink, Karen Hagemann u. John Tosh Hg., Masculinities in Politics and War. Gendering Modern History (S. 174–175)
Daniele Hacke Susanne Winter Hg., Donne a Venezia. Vicende Femminili fra Trecento e Settecento (S. 176–178)
Ulrike Strasser Helmut Puff, Sodomy in Reformation Germany and Switzerland 1400–1600 (S. 179–181)
Susanna Burghartz Ulrike Strasser, State of Virginity: Gender, Religion, and Politics in an Early Modern Catholic State (S. 182–185)
Christina Lutter Elsanne Gilomen-Schenkel Red., Die Augustiner-Chorherren und die Chorfrauen-Gemeinschaften in der Schweiz (S. 185–187)
Abstracts (S. 188–190) Anschriften der AutorInnen (S. 191–192)
Abstracts
Hanna Hacker, Know White No White. Transitions between Critical Whiteness Studies and Feminist Theory
The paper first presents a few key definitions of “white”, “white culture”, “white supremacy” in Critical Whiteness Studies (CWS). The following introduction into CWS approaches in different scholarly disciplines comprises an overview of CWS in literary criticism, art history, colonial history and Postcolonial Studies, focusing on “master texts” such as Manet’s painting “Olympia” (1863), “master artifacts” like the transparent soap in 19th century commodity racism, or Frantz Fanon’s “master quote” “Look, a negro! I’m scared!” Eventually, the paper analyses Joyce Ladner’s anthology “The Death of White Sociology” (1973) as an ambiguous precursor to feminist dealings with hegemonic Whiteness and the respective conflicts within 2nd wave feminism.
The subsequent discussion of “color conscious” feminist approaches traces the raise of postcolonial and “third world” voices within the 2nd (and 3rd) wave – concepts like “womanism” or “mestíza consciousness” herein figuring prominently –, and simultaneously problematizes the feminist historiographic master narrative(s) about the origin and the course of white/non-white negotiations. At this point, the paper brings in some moments of “whitening” in German and Austrian feminist fantasmatic productions, and eventually poses questions about the repeated white/non-white conflicts in feminist practice and theory, ongoing despite the obvious “boom” in CWS and Diversity Studies. L’Homme, 16 (2005), 2, 13–27
Natasha Distiller, Meg Samuelson, “Denying the Coloured Mother”: Gender and Race in South Africa
This article brings to light, contextualises, and makes use of, some of the historical writing of Marie Kathleen Jeffreys, an archivist who lived in early Apartheid South Africa. Jeffreys wrote extensively about the social origins of the South African nation, specifically about slavery in the colonial Cape, as part of a project to resist the increasingly ossifying racist legal and social structures of South Africa. In this paper we focus on Jeffrey’s representation of Krotoa-Eva, the first Khoikhoi woman to marry into colonial settler society, and who acted as an interpreter between the Dutch and Khoikhoi.
We compare Jeffreys’ use of Krotoa-Eva as a ‘mother of the nation’ figure to the resurgence of writing about her in post-apartheid South Africa. Paying attention to the institution of slavery and particularly its dimensions of gender violence in the early Cape, we argue that discourses of ‘racial difference’ and ‘racial mixing’ in the formation of ‘the nation’ need to be seen in an historical perspective that takes account of the functioning of gender, both as an axis of experience with a relation to ‘race’ that has remained unacknowledged by South African writers about Krotoa-Eva, and as a tool for discursive identity construction. L’Homme, 16 (2005), 2, 28–46
Katharina Walgenbach, Emancipation as Colonial Fiction: the Social Position of White Women in German Colonies
The question addressed by this paper is whether the participation of White women in German colonialism was associated with emancipatory effects and motives. To start with, the testimonies of White women who were involved in the colonial project are investigated. The concepts of colonial housekeeping schools in Germany and articles published by the Women’s League of the German Colonial Society (1907–1914) provide the empirical basis of the analysis which demonstrates that, despite their emancipatory rhetoric, the Women’s League and the housekeeping schools adopted a conservative gender model. The membership of the Women’ League in the Federation of German Women’s Association is also examined as well as the potential links between the discourses of the Women’s League and the bourgeois Women’s movement in Germany. Finally, the normative proposals of the Women’s League with respect to the appropriate adoption of a White female identity in German colonies are outlined.
The second part of the paper demonstrates that, in social, economic and legal terms, there was no significant change in the scope available to women for action and behaviour in the colonies as compared with life at home in the German Kaiserreich. Thus, the “elevated position” of German women, often glorified by the Women’s League, can be only related to White privileges. Because the gender arrangement between White women and men was not modified in any way, this article refers to emancipation as a colonial fiction. L’Homme, 16 (2005), 2, 47–67
T. G. Ashplant, Dis/Connecting Whiteness: Biographical Perspectives on Race, Class, Masculinity and Sexuality in Britain c. 1850–1930
Research on whiteness has shown the ways in which racial classifications intersected with other categories of difference, especially those of nation, class, gender and sexuality. But such ideologies of whiteness were also internally contradictory. This article uses three examples, two biographical and one fictionalised, to explore interconnections and disjunctions between categories of difference among bourgeois men in Britain c.1850–1930. Ideological discourses, such as those of race, are effective not only by offering frameworks for understanding the world, but also because they are internalised psychologically through patterns of emotional affiliation with which they are intertwined, formed within the family and other institutions of socialisation. Some individuals, through internal conflicts, come to reject the composite (racial, class, gendered, etc.) identity proffered to them via those families and institutions. Such cases, where ascribed identities conflict rather than mesh with one another, can reveal mutually reinforcing mechanisms of power which are normally concealed, illuminating both the ways in which categories of difference could reinforce one another, and the ways in which a disturbance of individual identity formation could undermine not only connections between those categories but also the very categories themselves. Analyses of the depiction of Izzart, a character in Somerset Maugham’s story “The Yellow Streak” (1926), and of the life stories of Arthur Munby (1828–1910), a writer, and Scott Macfie (1868–1935), a businessman and pioneer Gypsiologist, explore the different ways in which they dealt with conflicts within their racial/class/gender/sexual identity as a ‘white man’. L’Homme, 16 (2005), 2, 68–85
Gertrud Hüwelmeier, “To America!” Sisters without Borders
Roman Catholic nuns have since long been trans-local in their orientations, their prayers and their work. As an answer to Secularisation hundreds of women’s congregations emerged in Europe in the 19th century. Due to political conflicts as well as to mass migration many women religious left Germany and migrated other European countries and to the USA.
This article explores the experiences of sisters who left their country of origin and settled in a new place. At the same time they maintained multiple ties and interactions with their home country. Comparing two religious communities, I will stress on the relationship between gender, migration and religion. Special attention will be given to the following questions: Who made the decision for migration? Which kinds of cross-border networks were important for women religious? How did nuns experience the host country? And in which ways did they communicate with their branches “at home”? L’Homme, 16 (2005), 2, 97–115