Die Strukturen des Alltags und der sozialen Identitäten in realsozialistischen Systemen gehören - wie die sich rasch verbreitende einschlägige Forschungslandschaft verdeutlicht - zu den zentralen Fragestellungen der historischen Beschäftigung mit dem Staatssozialismus. Die Interpretationen unterscheiden sich dabei insbesondere hinsichtlich der Einschätzung der Rolle des sozialistischen Staates: konnten Partei und Staat Alltag und Identitäten weitgehend determinieren, oder entzog sich das alltägliche Leben dem politischen Zugriff, so wie das einige aktuelle anthropologische Arbeiten behaupten? Ausgangsüberlegung des aktuellen Hefts der Berliner Osteuropa Info ist die Ansicht, dass weder Alltag und Identitäten in der Politik kommunistischer Regime aufgehen, noch sich unabhängig von diesen entwickelten. Vielmehr entstanden komplexe Interdependenzen zwischen Ideologie, Politik, Alltag und sozialen Identitäten, die im vorliegenden Heft aus einer interdisziplinären Perspektive untersucht werden.
Ulf Brunnbauer (Berlin): Alltag und Ideologie im Sozialismus – eine dialektische Beziehung
Chris Hann (Halle/Saale): Memory Tracks: state, nation and everyday life in 1970s Budapest
Joel Halpern (Amherst, Mass.): Yugoslav Socialism and its Aftermath as Viewed Through the Lens of Personal Experiences in the Balkans, 1953-2004
Pavel Kolar (Potsdam): Welch ein Galimathias! Die Auseinandersetzungen in den regionalen und lokalen Organisationen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei nach dem XX. Parteitag der KPdSU
Sandor Horvath (Budapest): Urban Socialism and Everyday Life in Sztálinváros
José M. Faraldo (Potsdam): Gloomy Landscapes. Everyday strategies of identity in 1960’s Poland. A case study
Maja Brkljacic (Zagreb): Pig’s Head. Stories of Tito’s Childhood
Valeska Bopp (Leipzig): „Wir haben uns zurechtgefunden…“ Mangel und Überlebensstrategien in Rumänien in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts
Heike Winkel (Berlin): Zwischen Emanzipation und Analphabetentum. Identität als Ereignis in Ideologie und Praxis des sowjetischen Eingabewesens
Kirsti Jõesalu (Tartu): “The Right to Happiness” – Echoes of Soviet Ideology in Biographical Narratives
Matthias Schwartz (Berlin): Wunder mit wissenschaftlicher Begründung. Verzauberter Alltag und entzauberte Ideologie in der sowjetischer Science Fiction der Nachkriegszeit
Berichte aus dem Osteuropa-Institut: J. Kant/W. Stuppert: Trivium - ein deutsch-weißrussisches Austauschprojekt
Herwig Roggemann: Law in Transition. Reform of Post-Socialist Legal Systems in Central and Eastern Europe and Comparative Law.