Geschichte und Region/storia e regione 14 (2005), 2

Titel der Ausgabe 
Geschichte und Region/storia e regione 14 (2005), 2
Weiterer Titel 
Themenheft "Region in Waffen/regioni in armi"

Erschienen
Innsbruck 2005: StudienVerlag
Erscheint 
2 Hefte pro Jahr
Anzahl Seiten
212 S.

 

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Institution
Geschichte und Region / Storia e regione
Land
Italy
Von
Überegger, Oswald

Was ist Militärgeschichte? Die laufenden Debatten über das Selbstverständnis der "neuen" Militärgeschichte haben einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der die Disziplin in theoretisch-methodischer und inhaltlicher Hinsicht weit geöffnet hat. "Region in Waffen" analysiert das Potenzial regionalhistorisch angelegter Studien für eine modernisierte Militärgeschichte. Im Mittelpunkt stehen dabei kulturhistorisch inspirierte und dekonstruktionistisch ausgerichtete Beiträge, die sich als regionale Bausteine einer "Kulturgeschichte des Krieges" begreifen.

Inhaltsverzeichnis

Aus dem Editorial:

Die Entwicklung der Militärhistoriographie hängt unweigerlich mit ihren Entstehungsbedingungen zusammen. Als applikatorisch ausgerichtete Fachwissenschaft bewegte sich die vor allem innerhalb des Militärs als Operationsgeschichte betriebene „Kriegsgeschichte“ in deutlicher Distanz zur in Folge der Aufklärung entstehenden kritischen Geschichtswissenschaft. Im Sinne einer „Erfahrungswissenschaft“ beschränkte sich das Erkenntnisinteresse im Wesentlichen auf die Nutzbarmachung historisch-empirischer Kriegserfahrungen für künftige operative Unternehmungen. An diese einsichtigen militäreigenen Antriebe reihten sich erst später, vornehmlich im 19. Jahrhundert, andersgelagerte Funktionen, die in einem engen Zusammenhang mit der für den modernen Typus der Massenheere immer zentraler werdenden Identitätsstiftung der Soldaten zu sehen sind. Die Wertlegung auf die Schaffung eines „regimental spirit“ durch die eigenen militärischen Leistungen glorifizierende und heroisierende Regimentsgeschichten stellt neben der erwähnten Fokussierung auf den militärpraktischen Nutzen eine später entstandene Variante der gewissermaßen doppelten Indienstnahme der Kriegsgeschichte durch das Militär dar. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte von Militär und Krieg – man denke bspw. an Clausewitz und Delbrück – stand deshalb, ob dieser – um es mit heutigen Begrifflichkeiten auszudrücken – gezielten Instrumentalisierung, traditionellerweise im Schatten der applikatorisch oder militäridentitätsstiftend ausgerichteten „Kriegsgeschichte“.

Dieses hier stark vereinfacht referierte Spannungsfeld zwischen militär- und geschichtswissenschaftlichem Interesse hat die Militärgeschichte bis in die jüngste Vergangenheit charakterisiert, und mit dazu beigetragen, dass die durchschlagende wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung der Geschichte von Militär und Krieg abseits ehrgeiziger aber weitgehend isolierter Einzelprojekte mit deutlicher Verspätung in Angriff genommen wurde. Lange war die Militärgeschichte deshalb ein Betätigungsfeld für Offiziere als vermeintliche militärische Fachmänner, für genuin militärisch sozialisierte Historiker und passionierte Amateurhistoriker. Demgegenüber hielt sich die universitäre bzw. zweckungebundene Institutionalisierung der Disziplin in bescheidenen Grenzen.

Die etwa seit den 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum in Bewegung geratene militärhistorische Forschung ist schließlich ein Produkt vielfältiger ineinandergreifender Prozesse: Langfristig trug der durch die Technisierung der modernen Kriegsführung bewirkte schleichende Bedeutungsverlust einer applikatorisch ausgerichteten Militärgeschichte entscheidend zu ihrer Verwissenschaftlichung bei. Zuletzt verliehen die „neuen Kriege“ an der Jahrtausendschwelle der Militärgeschichte eine erhöhte Attraktivität. Sie führten nicht nur zu einer intensiven Diskussion über Definition und Erscheinungsformen von Krieg in den Sozialwissenschaften, sondern zogen auch eine stärkere geisteswissenschaftliche ergo historische Beschäftigung mit Kriegs- bzw. Konfliktszenarien und ihren gesellschaftlichen Folgen nach sich. Parallel dazu entdeckte die immer stärker interdisziplinär ausgerichtete universitäre Geschichtswissenschaft im Zuge der methodischen Öffnung des Fachs den Wert einer modernisierten Militärgeschichte als Teilbereich der Geschichtswissenschaft, die nun gerade ob ihrer bisherigen wissenschaftlichen Marginalisierung ein beträchtliches Attraktivitätspotenzial darstellte. Fernerhin eröffneten innovative alltags-, mentalitäts- und kulturhistorische Zugänge eine fruchtbare Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen fachlicher Neuorientierungen innerhalb der Disziplin. Der aktuelle militärhistorische Forschungsmainstream deutet in die Richtung einer „Kulturgeschichte des Krieges“, deren Konturen die Ergebnisse des bisherigen Diskussionsprozesses widerspiegeln und in letzter Zeit an Schärfe gewonnen haben.

Einen ähnlichen Entwicklungsschub hat die neuere militärhistorische Forschung in Italien nicht bzw. nicht in diesem Ausmaß erfahren. Das Fach ist in besonderem Maße von den knapper werdenden finanziellen Ressourcen im Wissenschaftsbereich betroffen und an den Universitäten in personeller Hinsicht unterbesetzt. Das italienische militärgeschichtliche Forschungsinteresse beschränkte sich über lange Zeit hinweg vor allem auf die klassische „histoire bataille“, institutionengeschichtliche Aspekte und die Geschichte der Militärdoktrinen. Die traditionellerweise sehr zeithistorisch orientierte moderne universitäre italienische Militärgeschichte hat sich letzthin vor allem sozial- und kulturhistorischen Fragestellungen zugewandt und orientiert sich dabei primär an französischen und angelsächsischen Vorbildern, auch wenn sich in Italien bis dato keine sprichwörtliche Schule der „new military history“ herausgebildet hat. Thematisch verschiebt sich das Forschungsinteresse dabei immer mehr von dem Ersten Weltkrieg auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der italienischen „resistenza“.

In der deutschsprachigen Forschung hingegen hat die neu gestellte Frage „Was ist Militärgeschichte?“, wie bereits erwähnt, eine rege Diskussion über die theoretisch-methodischen Grundlagen des Fachs nach sich gezogen. Innerhalb dieser Überlegungen über die methodische Ausrichtung und das Selbstverständnis der „neuen“ Militärgeschichte sind die Bedeutung und das Potenzial regionalgeschichtlicher Forschungen für diese modernisierte Militärgeschichte bisher kaum explizit angesprochen worden, obwohl eine Vielzahl innovativer Impulse gerade von lokal- und regionalgeschichtlichen Studien ausgegangen sind. Diese Lücke möchte vorliegendes Themenheft über „Militär und Region“ zumindest partiell schließen. Die abgedruckten Beiträge sind in den Kernbereichen kulturhistorisch inspirierter „neuer“ Militärgeschichte angesiedelt und reflektieren allesamt lokale und regionale (Klein-)Räume als heuristische Kategorie. In der Verbindung neuer militärhistorischer Zugänge und moderner Lokal- bzw. Regionalgeschichte liegt demnach auch der Forschungsertrag dieses Heftes.

Geschichte und Region/Storia e regione
14. Jahrgang, 2005, Heft 2 - anno XIV, 2005, n.2
Themenheft: Region in Waffen/Regioni in armi

Herausgeber dieses Heftes/curatori di questo numero
Oswald Überegger und/e Camillo Zadra

Inhaltsverzeichnis:

Christa Hämmerle
Verhandelt und bestätigt - oder eben nicht? Gemeinden und Allgemeine Wehrpflicht in Österreich-Ungarn (1868-1914/18)

Wencke Meteling
Regimenter als Image prägende Standortfaktoren. Regiments-Geschichte als regionale Militärgeschichte am Beispiel der brandenburgischen Garnison Frankfurt (Oder)

Marco Mondini
Piccole patrie in armi. La Grande Guerra e la costruzione del mito alpino

Martin Schennach
Der wehrhafte Tiroler. Zu Entstehung, Wandlung und Funktion eines Mythos

Aufsätze/Contributi

Cinzia Villani
Va una folla di schiavi. Lager di Bolzano e lavoro coatto (1944-1945)

Forum

Hans Heiss
1809 - 2009: Eine Vorschau auf das Tiroler Bicentenaire

Carlo Romeo
Bombe e televisione. In margine al documentario Bombenjahre

Christian Terzer
Hitlers Kosaken. Ein Archäologe, ein Historiker und ein Ethnologe auf den Spuren eines Stücks Osttiroler Zeitgeschichte

Andrea Sarri
Cattolicesimo, Shoa e totalitarismo: note in merito a due libri recenti

Rezensionen/recensioni

Oswald Überegger. Der andere Krieg. Die Tiroler Militärgerichtsbarkeit im Ersten Weltkrieg
(Hermann J. W. Kuprian)

Gerald Steinacher (a cura di), Südtirol im Dritten Reich. L'Alto Adige nel Terzo Reich. NS-Herrschaft im Norden Italiens. L'occupazione nazista nell'Italia settentrionale. 1943 - 1945
(Gustavo Corni)

Waltraud Kannonier-Finster, Eine Hitler-Jugend. Sozialisation, Biographie und Geschichte in einer soziologischen Fallstudie
(Petra Mayr)

Gerald Steinacher (Hg.) unter Mitarbeit von Leopold Steurer, Im Schatten der Geheimdienste. Südtirol 1918 bis zur Gegenwart
(Michael Gehler)

Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, herausgegeben von Josef Pauser, Martin Scheutz und Thomas Winkelbauer
(Marco Bellabarba)

Gruppo di lavoro Per un Museo nelle Semirurali (a cura di), Semirurali e dintorni, Bolzano: Assessorato alla Cultura e allo Spettacolo - Città di Bolzano 2004
(Giorgio Mezzalira)

Abstracts

Autoren/Autori

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