Sozial.Geschichte 21 (2006), 3

Titel der Ausgabe 
Sozial.Geschichte 21 (2006), 3
Weiterer Titel 
Methodenfragen, Nationalitätenrecht und Armeniermord

Erschienen
Bern 2006: Peter Lang/Bern
Erscheint 
3 Ausgaben pro Jahr
Anzahl Seiten
118 Seiten
Preis
13,30 € Einzelheft 34,00 € Abopreis

 

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Institution
Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts
Land
Deutschland
c/o
Sozial.Geschichte Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts Fritz-Gansberg-Str. 14, D-28213 Bremen Tel.: (0421) 218-91 25 Fax: (0421) 218-94 96
Von
Redaktion

Das Heft 3/2006 von Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts ist soeben erschienen.
Schwerpunkte: Methodenfragen, Nationalitätenrecht und Armeniermord.
Sozial.Geschichte ist die neue Folge der Zeitschrift 1999.
Sie können die Zeitschrift im Buchhandel, direkt über den Verlag (http://www.peterlang.net) oder über die Stiftung Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts (http://www.stiftung-sozialgeschichte.de) bestellen.
Weitere Information zur Zeitschrift und den Themenredaktion von Sozial.Geschichte finden Sie ebenfalls auf unserer Website http://www.stiftung-sozialgeschichte.de

Inhaltsverzeichnis

FORSCHUNG

Marian Füssel:
Die Kunst der Schwachen. Zum Begriff der 'Aneignung' in der Geschichtswissenschaft

Samuel Salzborn:
Hermann Raschhofer und die Ausprägung des "modernen" Nationalitätenrechts

Carl Alexander Krethlow:
Colmar Freiherr von der Goltz und der Genozid an den Armeniern 1915-1916

ZEITGESCHEHEN

Georg Fülberth:
Zu Wolfgang Abendroths angeblichen DDR-Kontakten

REZENSIONEN

Gérard Prunier, Darfur. The Ambiguous Genocide, besprochen von Gerd Hankel

Ahlrich Meyer, Täter im Verhör. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich 1940-1944, besprochen von Anne Klein

Loretta Walz, „Und dann kommst du dahin an einem schönen Sommertag“. Die Frauen von Ravensbrück, besprochen von Kathrin Mess

Florent Brayard, La „solution finale de la question juive“. La technique, le temps et les catégories de la décision, besprochen von Karl Heinz Roth

Eduard Mühle, Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung, besprochen von Hans-Erich Volkmann

Heide Gerstenberger / Ulrich Welke, Arbeit auf See. Zur Ökonomie und Ethnologie der Globalisierung, besprochen von Hartmut Rübner

Dietrich Eichholtz, Deutsche Politik und rumänisches Erdöl (1938-1941). Eine Studie über Erdölimperialismus, besprochen von Werner Bramke

Georg Fülberth, G Strich – Kleine Geschichte des Kapitalismus, besprochen von Kai Eicker-Wolf

ANNOTATIONEN

Philippe Despoix / Peter Schöttler (Hg.): Siegfried Kracauer pensenur de l´ histoire (K.H.R.); Ralf Ptak: Vom Ordoliberalismus zur Sozialen Marktwirtschaft. Stationen des Neoliberalismus in Deutschland (K.H.R.); Paul W. Rhode / Gianni Toniolo (eds.): The Global Economy in the 1990s. A Long Run Perspective (K.H.R.); Francesca Vianello (Hg.): Ai margini della città. Forme del controllo e risorse sociali nel nuovo ghetto (K.H.R.)

SOZIAL.GESCHICHTE EXTRA siehe: http://www.stiftung-sozialgeschichte.de

Harry Waibel:
Kritik des Antisemitismus in der DDR

Alex Callinicos:
Ausloten der Abgründe – Marxismus und der Holocaust

SUMMARIES

Marian Füssel: Die Kunst der Schwachen. Zum Begriff der Aneignung in der Geschichtswissenschaft
Der Begriff der Aneignung stellt einen Schlüsselbegriff der Sozial- und Kulturgeschichte dar. Ausgehend von der Rekonstruktion seiner unterschiedlichen Entstehungskontexte wird nach theoretischen Erweiterungspotentialen der Sozialgeschichte gefragt. Dabei lassen sich kollektive Aneignungsprozesse und Transferleistungen von Formen individueller subversiver Aneignung unterscheiden. Ausgehend von den Arbeiten Michel de Certeaus und Alf Lüdtkes werden die heuristischen Möglichkeiten des Aneignungsbegriffs im Sinne als eines produktiven Handelns innerhalb von Machtverhältnissen diskutiert. Aneignung bildet eine der grundlegenden Figuren im Denken de Certeaus, die in der Kunst des Handelns (1980) in die analytische Unterscheidung zwischen Strategien und Taktiken mündet. Einer der wesentlichen Unterschiede besteht in der unterschiedlichen Verfügung über den Raum. Die Strategie kontrolliert den Raum, der Taktiker kann sich immer nur situativ in vorgegebenen Verhältnissen einrichten. Mit Hilfe dieser Unterscheidung kann die teilweise amorphe Rede von der Aneignung theoretisch präzisiert und für aktuelle historiographische Fragen fruchtbar gemacht werden.

Appropriation is a key term in modern social and cultural history. Parting from a reconstruction of its historical genealogy and use in historical research my paper seeks theoretical potentials of social history. This means to differentiate between ways of collective cultural appropriation and more individual forms of subversive appropriation. Discussing the works of Michel de Certeau and Alf Lüdtke, the paper assesses the heuristic capacities of appropriation as productive agency inside power relations. Appropriation is central to the work of de Certeau I shall argue. In his work The Practice of Everyday Life (1980) he makes a decisive analytical distinction between strategies and tactics, which allows us a more precise use of the term appropriation. While strategies are controlling space, tactics only make temporal use of pre-existing and pre-defined spaces.

Samuel Salzborn: Hermann Raschhofer und die Ausprägung des "modernen" Nationalitätenrechts
Hermann Raschhofer war einer der zentralen Protagonisten eines völkerrechtlichen Nationalitäten- und Volksgruppenkonzepts, das seit der Weimarer Republik als völkisches Gegenkonzept zur liberalen Minderheitenpolitik entwickelt wurde. Er verknüpfte in seiner Tätigkeit theoretische und praktische Dimensionen völkischen Engagements, d.h. er verfolgte sein Ziel der ethnischen Segmentierung Europas sowohl wissenschaftlich, wie politisch. Während des Nationalsozialismus war Prof. Dr. Dr. Raschhofer – als enger Vertrauter von Konrad Henlein und Karl Hermann Frank – insbesondere auf dem Gebiet der Tschechoslowakei an volkstumspolitischen, auch geheimdienstlichen Maßnahmen beteiligt und gehörte unter der Führung von Theodor Oberländer dem berüchtigten Sonderverband Bergmann an. Raschhofers Schriften bildeten nach 1945 die Grundlage für die Herausbildung einer völkischen Völkerrechtsschule im Umfeld seiner Professur an der Universität Würzburg. Seine vormalige Nähe zu völkischen Verbänden wie der Sudetendeutschen Partei (SdP) wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs ersetzt durch ein operationelles Nahverhältnis zu den Vertriebenenverbänden, insbesondere der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) und dem Dachverband Bund der Vertriebenen (BdV).

Hermann Raschhofer was one of the central proponents of a concept of nationalities and ethnic groups under international law, which had been developed as a national counter-concept to the liberal policies of the minority since the Weimar Republic. It combined theoretical and practical approaches towards a national commitment, i.e. he pursued the goal of ethnic segmentation of Europe scientifically as well as politically. During the Nazi era, Prof. Dr. Dr. Raschhofer participated, as a close confidante of Konrad Henlein and Karl Hermann Frank, in political (as related to national traditional) and also secret service activities, particularly as they concerned Czechoslovakia. He was also a member of the infamous Sonderverband Bergmann battalion under the leadership of Theodor Oberländer. Raschhofer’s writings formed the basis for the creation of a school of international law associated with his professorship at the University of Würzburg after 1945. His earlier associations with national organisations, including the Sudetendeutsche Partei (Sudeten German Party), were substituted with an operative and close relationship to various Vertriebenenverbände (associations of exiles), particularly the Sudetendeutsche Landsmannschaft and the umbrella association of the Bund der Vertriebenen.

Carl Alexander Krethlow: Colmar Freiherr von der Goltz und der Genozid an den Armeniern 1915-1916
Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz Pascha war in Armeniergenozid von 1915/16 verstrickt. Da er die Armenier als eine Bedrohung im Rücken der eigenen Truppen begriff, billigte Goltz den Deportationsbefehl vom Frühjahr 1915. Zudem begrüßte er die Niederschlagung des armenischen Aufstandes in Van vom Mai 1915. Im November 1915 setzte er sich dann selbst zuerst für die Bekämpfung von Armenierunruhen im Raum Midyat ein, widerrief einen diesbezüglichen Befehl jedoch später. Ende November, auf seiner Reise nach Bagdad, wurde er Augenzeuge der Zwangsevakuierung. Goltz zeigte sich zwar betroffen, änderte seine Haltung gegenüber den Deportationsmaßnahmen aber nicht. Im Kommandobereich seiner 6. Armee setzte er sich im Januar 1916 erfolgreich dafür ein, dass die bereits nach Mossul deportierten Armenier nicht weitergeschafft wurden. Dies blieb eine einmalige Aktion, die zudem machtpolitisch motiviert war. Goltz suchte nämlich in seinem Kommandobereich auch die zivile Gewalt zu erlangen. Dies misslang. Von da an hielt er sich strikt an die Vorschriften von Kriegsminister Enver Pascha, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Osmanischen Reiches zu mischen. Gegenüber der deutschen Führung vertuschte Goltz die Vernichtung der Armenier. So trug Goltz dazu bei, dass die osmanische Regierung in ihrem Tun weitestgehend ungehindert fortschreiten konnte.

The German field marshal Colmar von der Goltz Pasha was directly involved in the Armenian genocide in 1915/16. Perceiving the Armenians to be a threat to the Osman troops, he approved the governmental deportation order in the spring of 1915 and welcomed the suppression of the Armenian rebellion in the city of Van during May of the same year. In November 1915, Goltz initially gave orders to fight an Armenian unrest in the Midyat region, but later withdrew his orders. Later that month, while traveling to Baghdad, Goltz witnessed the forced evacuation of Armenians from Anatolia to Mesopotamia. He was moved by the sight, but did not change his conviction. As commanding general of the 6th army (Mesopotamia), Goltz prevented the local Turkish authorities from deporting Armenians in Mosul in January 1916. This remained a singular action driven by utmost political motivation. Thus, Goltz tried to expand his power from the military field into the civilian sphere. Once failed, he strictly followed the orders of Enver Pasha, the Osman war minister, not to interfere in internal Turkish affairs. Goltz covered up the genocide of the Armenian population to the German high command, thus contributing to its unopposed continuation.

Georg Fülberth: Zu Wolfgang Abendroths angeblichen DDR-Kontakten
1998 und 2000 berichtete Wolfgang Kraushaar über einen Archivfund, der angeblich eine Zusammenarbeit Wolfgand Abendroths mit der Westabteilung der SED belege. Jochen Staadt behauptete 1998 eine enge Kooperation seit dem Herbst 1967. Anne Chr. Nagel stellte 2005, gestützt lediglich auf das Material von Kraushaar, sogar die These einer Kollaboration mit dem Ministerium für Staatssicherheit auf. Fülbert kommt bei Überprüfung sämtlicher zugänglicher Dokumente aus dem Bundesarchiv zu folgendem Ergebnis: Abendroth plante 1967 die Gründung einer sozialistischen Partei in der Bundesrepublik. Die Haltung der in die DDR emigrierten Führung der KPD schien ein mögliches Hindernis, weshalb Abendroth eine Reise nach Ost-Berlin plante, um diese Schwierigkeit auszuräumen. Sie kam nicht zustande. Abendroth hatte in den Folgejahren keinerlei Kontakt mit dem Ostbüro der SED. Anlässlich eines Arztbesuchs in Berlin/DDR kam es erst 1973 zu einem völlig unverbindlichen Gespräch mit Albert Norden, dem Leiter des Ostbüros. Für die Behauptung einer Verbindung Abendroths mit dem Ministerium für Staatssicherheit gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

In 1998 and 2000, Wolfgang Kraushaar presented a document suggesting cooperation between Wolfgang Abendroth and the Westabteilung of the SED (Department for Western Affairs of the Socialist Unity Party of Germany). In 1998, Jochen Staadt maintained that these alleged contacts were very close and ongoing since the autumn of 1967. In 2005, Anne Chr. Nagel, basing her assertions merely on Kraushaar’s work, proposed that Abendroth was a collaborator of the security and intelligence service of the German Democratic Republic (Stasi). In the Federal Archives (Bundesarchiv), Fülbert studied the documents concerning Wolfgang Abendroth: when Abendroth planned the founding of a new socialist party in West Germany in 1967, he had considered discussing problems resulting from the unfriendly position of some communist leaders concerning his plans with the leaders of the illegal KPD and SED parties. But he never accepted an invitation to visit the German Democratic Republic. A visit to a doctor’s office finally offered the opportunity for a noncommittal conversation with Albert Norden, the head of the Department of Western Affairs in East Berlin in 1973. The assertion that Abendroth was collaborating with the Stasi is baseless.

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