* Literaturbericht Mit der zehnbändigen Ausgabe der Gesammelten Schriften von Helmuth Plessner gibt es jetzt die Möglichkeit, das Werk eines der wichtigsten Vertreter von philosophischer Anthropologie und Gesellschaftswissenschaften im deutschsprachigen Raum der letzten neunzig Jahre insgesamt zu studieren. Jan Weyand rekonstruiert in einem großformatigen Zugriff zentrale Elemente von Plessners vielgestaltigem und facettenreichem Werk. Deutlich wird dabei herausgearbeitet, wie sich die anthropologische Zentralidee Plessners, die von der „exzentrischen Positionalität“ des Menschen in der Welt handelt, mit gesellschaftsanalytischen Machtfragen verbindet. Herausgestellt wird zudem die Relevanz der Analysen für gegenwärtige wissenschaftliche Debatten und Auseinandersetzungen.
* Rezensionsaufsätze Ebenfalls mit einem großformatigen Werk beschäftigt sich Stephan Egger, wenn er Joachim Radkaus Biographie zu Max Weber kritisch diskutiert. Dabei gelangt er zu der Einschätzung, dass diese monumentale, auf der Grundlage des umfangreichen Briefwechsels erzählte Biographie keine Gelegenheit auslässt, um das klassische biographische Genre bloßzustellen. Seiner Einschätzung nach kann dieses „Lebensbild“ keine der Erwartungen an eine „intellectual history“ erfüllen, da bei Radkau die sexuellen Probleme Webers als treibende Kraft hinter dem Werk dargestellt werden. In einer grandiosen Fehlinterpretation wird Webers bahnbrechende „Sozialökonomik“ angetrieben von naturalistischen Vorstellungen, die jedes seiner geschriebenen Worte als heimlichen Sublimationsversuch erscheinen lassen. Im Anschluss an die von Bourdieu edierten Studien zum „Elend der Welt“ verantworten Franz Schultheis und Christina Schulz ein deutsches Parallelunternehmen, mit dem Zumutungen und Leiden im deutschen Alltag aus der Perspektive derer, die als Unterschicht bzw. im Prekariat lebend dargestellt werden. „Gesellschaft mit begrenzter Haftung“ verknüpft zahlreiche Interviews mit Aufgabenstellungen von Gesellschaftsanalyse und Gesellschaftstheorie. Deutlich wird dabei herausgearbeitet, wie Günter Roth herausstellt, dass es sich bei den „Opfern“ gegenwärtiger gesellschaftlicher Entwicklungen und Verhältnisse nicht (mehr) um die klassischen Verlierer allein handelt, sonder dass Flexibilisierung und Verunsicherungen inzwischen auch große Teile vormaliger Mittelschichten treffen. Das vorgelegte farbige Kaleidoskop unterfüttert eine Soziologie sozialer Ungleichheit, die auf neue gesellschaftliche Kämpfe und Auseinandersetzungen warten lässt. Der Frage gesellschaftlicher Spaltungen, der Kluft zwischen Armut und Reichtum geht Dietmar Seeck anhand einer Publikation zum Thema für Deutschland nach. Festzuhalten ist dabei gleich zu Beginn, dass die interdisziplinär angelegten Beiträge dieses Bandes deutlich machen, dass es in Deutschland, im Unterschied zu anderen Ländern, nur eine wenig entwickelte wissenschaftliche und empirisch abgesicherte Diskussion zum Thema „Reichtum“ gibt. Zweitens wird deutlich, das eine Theorie des Reichtums, wie einige Autoren fordern und zeigen, den Zusammenhang von Reichtum und gesellschaftlicher Macht auf verschiedenen Ebenen zu einem zentralen Thema zu machen hat, um den Fetischcharakter gesellschaftlicher Verhältnisse im Spätkapitalismus dekonstruieren zu können. Diese Strategie der Denaturalisierung gesellschaftlicher Erscheinungen könnte einen weiteren Anlass zu Positionierungen in gesellschaftlichen Kämpfen bieten.
* Sammelbesprechung Gesellschaftsanalytisch und historiographisch nimmt Dieter Nelles neuere Studien zur Geschichte des deutschen und internationalen Kommunismus zum Anlass, Kenntnisstand, Probleme und Kontroversen zu diesem Thema zu rekonstruieren. Vermittelt werden geschichtsanalytische Erkenntnisse und Problemstellungen, die nicht nur für die Rekonstruktion der Geschichte des 20. Jahrhunderts, sondern auch für gegenwärtige Gesellschaftsanalyse bedeutsam sind. Leitmotivisch steht dabei –mit Hermann Weber- die Frage im Vordergrund, welche Ursachen der Wandlung des Kommunismus von einer sozialen Emanzipationsbewegung hinzu einem System der Unterdrückung und des Massenterrors zugrunde gelegen haben.
* Forschungsbericht Im Kontext der Ausdifferenzierung Sozialer Arbeit und Jugendhilfe werden immer mehr Diskussionen über Bereiche der öffentlichen Sozialisation geführt. Walter Gehres stellt eine Vielzahl deutscher wie internationaler Veröffentlichungen zum Thema zusammen, mit denen grundlegende Einsichten in den state of the art sowie Entwicklungsperspektiven diese Bereiches herausgearbeitet werden. Deutlich wird in einer sehr differenzierten Weise, dass gegenwärtig eine Vermittlung von Institutionenanalyse und den differenten Lebenslagen von Kindern auf der Tagesordnung steht, um die Frage angemessen diskutieren zu können, wie Kindeswohl und kindliche Entwicklungsperspektiven gefördert werden können.
* Essay Catherine Casey betrachtet unter der Überschrift „Arbeitsmärkte, Unternehmen und die Nutzung von Bildung“ Entwicklungslinien einer sozioökonomischen Diskussion die in en letzten Jahren zunehmend an Bedeutung und Einfluss gewonnen hat: Es handelt sich um die Frage, inwieweit Wissen und Innovation im Zentrum von Wertschaffung, wirtschaftlicher Entwicklung und der Herstellung von Wettbewerbsvorteilen für nationale Ökonomien oder aber den EU-Raum zu betrachten sind. Dabei nimmt sie den Ruf zur Schaffung einer lernenden Gesellschaft, um den Anforderungen einer „wissensbasierten Ökonomie“ gerecht werden zu können auf, um die Grundlagen dieser Position kritisch zu rekonstruieren und zu hinterfragen und zudem deutlich zu machen, dass hierbei nur „hochqualifizierte Arbeitnehmer“ in den Blick geraten. Auf de Strecke bleiben hierbei – wie auch in anderen Texten der SLR 54 deutlich wird- diejenigen, die als „niedrigqualifiziert“ angesehen werden.