L'HOMME. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 18 (2007), 2

Titel der Ausgabe 
L'HOMME. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 18 (2007), 2
Weiterer Titel 
Geschlechtergeschichte, gegenwärtig

Erschienen
Wien 2007: Böhlau Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: 2x jährlich
ISBN
978-3-412-22206-2
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
€ 21,80 (D) / € 22,50 (A) / SFr 38,60

 

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Institution
L'Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft
Land
Austria
c/o
Redaktion: Veronika Siegmund, MA L’HOMME-Redaktion, c/o Institut für Geschichte, Universität Wien, Universitätsring 1, 1010 Wien Österreich Telefon: +43-(0)1-4277-408 13 Fax: +43-(0)1-4277-9408 Verantwortliche Herausgeberin: Christa Hämmerle
Von
Langreiter, Nikola

L’HOMME. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 18, 2 (2007), Geschlechtergeschichte, gegenwärtig
Hg. von Caroline Arni u. Susanna Burghartz

Geschlechtergeschichte, gegenwärtig. Herausforderungen, Kategorien, Positionen

Die Geschlechtergeschichte scheint sich zur Zeit in einer Phase der Konsolidierung, auch der Selbstvergewisserung und vielleicht gar der Kanonisierung zu befinden. Dies lassen nicht nur die zahlreich erscheinenden Einführungen vermuten. Zu beobachten ist auch, dass die – für die Geschlechtergeschichte charakteristischen – heftigen Debatten gegenwärtig in den Hintergrund rücken. An ihre Stelle tritt die unaufgeregte Anwendung verschiedener Ansätze in einer thematisch weit gefächerten empirischen Forschung.

Aktuelle Herausforderungen?
Diese Beobachtung mag beruhigen. Von L’HOMME wurde sie vielmehr zum Anlass genommen, nach aktuellen Herausforderungen an die Geschlechtergeschichte zu fragen. Worin liegen solche Herausforderungen heute? Mit welchen Feldern, Positionen oder Kategorien könnten sie verbunden sein? Wo liegen interessante Problemstellungen für die geschlechtergeschichtliche Forschung angesichts der Gleichzeitigkeit von Umbrüchen und Kontinuitäten in Gegenwartsgesellschaften?

Die Beiträge liefern Antworten
– auf unterschiedlichen Ebenen: Christina Lutter nutzt in ihrem Aufsatz „Geschlecht, Gefühl, Körper – Kategorien einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik?“ die analytischen Leistungen der Kategorie Geschlecht, um mittels einer historischen Kontextualisierung von Emotionen nach konzeptuellen Analogien zu fragen. In Auseinandersetzung mit zunächst fremdartigen, mittelalterlichen Texten gelingt es, Emotionen nicht als stabile und determinierende psychische Phänomene, sondern als historische Erscheinungen mit instabilem Charakter sichtbar zu machen.

Nach dem Nutzen einer historischen Perspektive auf die Entwicklung der Disziplin ‚Geschichte’ als Wissenschaft in ihrem Verhältnis zu Frauen und Geschlecht fragt Regina Wecker. Zugleich stellt sie den möglichen Gewinn einer solchen historischen Perspektive für die Gender Studies zur Debatte. Historische Tiefenschärfe, so ihr Fazit, ist für die Gender Studies essentiell, wenn diese die komplexen Konstellationen der Entstehung moderner Gesellschaften angemessen deuten wollen. Die Präsenz der historischen Dimension in den Gender Studies wiederum ist für die Sichtbarkeit der Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Geschichtswissenschaft selbst unverzichtbar.

Einen dritten Ausgangspunkt wählt Caroline Arni: Sie nimmt die Qualität der Geschlechtergeschichte, „ausgeprägt auf die Gegenwart gerichtete historische Reflexion“ zu sein, auf, um die Arbeit der Geschlechterhistorikerinnen in geschichtstheoretischer Hinsicht auf Zeitkonzeptionen und temporale Logiken zu befragen. Caroline Im Anschluss an das Konzept der „Anachronien“ postuliert sie eine neue theoretische Auseinandersetzung mit Zeit und Zeitlichkeit als Herausforderung. So könne die Geschlechtergeschichte das Spannungsverhältnis zwischen „Historisierung“ und „Anachronismus“ reflektieren und produktiv wenden.

Ergänzt wird der Heftschwerpunkt durch ein „L’HOMME extra“ von Daniela Koleva zu Lebensgeschichten älterer Frauen und Männer im Bulgarien der 1990er Jahre. Sie konfrontiert Erzählkonventionen und -muster mit Fragen nach sozialen Konventionen und setzt damit Ideologie und Praxis weiblicher Lebenserfahrungen ins Verhältnis.

Einen dezidiert feministisch-politischen Einwurf formuliert Dagmar Herzog mit ihrer engagierten Stellungnahme zur Moraldiskussion, die derzeit in den USA mit beklemmender Vehemenz geführt wird. Ebenfalls für die Rubrik „Aktuelles und Kommentare“ liefert Andrea Ellmeier einen kritischen Literaturüberblick zu Gender und Konsumgeschichte. Sie geht dabei besonders auf die „postmoderne Figur“ des/der citizen consumer ein.

Aktuell sind auch die Debattenbeiträge von Christoph Conrad, Hanna Hacker, Barbara Lüthi und Elisabeth Timm im „Forum“. Vor unterschiedlichem Hintergrund setzen sie sich mit dem Verhältnis der Geschlechtergeschichte zu einer von „turns“ geprägten kulturwissenschaftlichen Neuorientierung auseinander, wie sie Doris Bachmann-Medick in ihrem Buch „Cultural Turns“ vorgestellt hat.

Alle diese Beiträge zeigen, wie intensiv – allen Unkenrufen zum Trotz – nach wie vor Theorie, Praxis und Politik in Gender-Fragen miteinander verflochten sind. Die Geschlechtergeschichte ist nach wie vor anregend und aufregend.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Caroline Arni u. Susanna Burghartz
Editorial (7–8)

Beiträge

Christina Lutter
Geschlecht, Gefühl, Körper – Kategorien einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik? (9–26)

Regina Wecker
Vom Nutzen und Nachteil der Frauen – und Geschlechtergeschichte für die Gender-Theorie. Oder: Warum Geschichte wichtig ist (27–52)

Caroline Arni
Zeitlichkeit, Anachronismus und Anachronien. Gegenwart und Transformationen der Geschlechtergeschichte aus geschichtstheoretischer Perspektive (53–76)

L’Homme extra

Daniela Koleva
Telling Women’s Lives. Ideology and Practice (77–90)

Aktuelles und Kommentare

Andrea Ellmeier
S/he: The Making of the Citizen Consumer. Gender und Konsumgeschichte/feministische Konsumgeschichte revisited (91–103)

Dagmar Herzog
Das illegitime Kind der sexuellen Revolution: Wie die religiöse Rechte in den USA mit Sex an die Macht gelang (105–122)

Forum

Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften
Zur Diskussion gestellt von Christoph Conrad, Hanna Hacker, Barbara Lüthi u. Elisabeth Timm (123–138)

Aus den Archiven

Tanja Rietmann
Von Fällen „sozial Gestrauchelter“. Die Akten zur administrativen Versorgung im Staatsarchiv des Kantons Bern (Schweiz) (139–147)

Rezensionen

Ulrike Strasser
Judith Bennett, History Matters. Patriarchy and the Challenge of Feminism (149–151)

Gianna Pomata
Angelika Epple, Empfindsame Geschichtsschreibung. Eine Geschlechtergeschichte der Historiographie zwischen Aufklärung und Historismus (151–154)

Timo Luks
Sabine Hark, Dissidente Partizipation. Eine Diskursgeschichte des Feminismus (154–156)

Gabriele Sorgo
Barbara Orland Hg., Artifizielle Körper – lebendige Technik. Technische Modellierungen des Körpers in historischer Perspektive (156–160)

Maren Lorenz
Sabine Mehlmann, Unzuverlässige Körper. Zur Diskursgeschichte des Konzepts geschlechtlicher Identität (160–164)

Sandra Maß
Rainer Herrn, Schnittmuster des Geschlechts – Transvestitismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft (164–166)

Brigitte Rath
Daniela Hacke, Women Sex and Marriage in Early Modern Venice (166–168)

Hanna Hacker
Martina Tißberger, Gabriele Dietze, Daniela Hrzán u. Jana Husmann-Kastein Hg., Weiß – Weißsein – Whiteness. Kritische Studien zu Gender und Rassismus (168–172)

Walter Sauer
Rita Schäfer, Im Schatten der Apartheid. Frauenrechtsorganisationen und geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika
Veronika Wittmann, Frauen im Neuen Südafrika. Eine Analyse zur Gender-Gerechtigkeit (172–177)

Laurie Cohen
Jennifer A. Davy, Karen Hagemann u. Ute Kätzel Hg., Frieden – Gewalt – Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung (177–180)

Abstracts
(181–182)

Anschriften der AutorInnen
(183–184)

Abstracts

Caroline Arni, Temporality, Anachronism, and Anachronies. Concepts of Time in Gender History and its Transformations

Periodically, gender historians are concerned with questioning themselves about “new challenges” in their field. This recurrent inquiry meets today with certain uneasiness: The relation contemporary gender historians maintain with their own present (as the point of departure of any history-writing) is, nowadays, somehow paralyzed – and this has consequences for how the past is addressed. The problem, in short, goes to the heart of the historiographical project more generally.

Against a critical analysis of the – actual or perceived – current impasses in the writing of gender history, the essay scrutinizes “anachronism” and “anachrony” as notions upon which, in historiography, different ways of conceiving historians’ relationship to the present and the past have been debated and concepts of continuous or discontinuous time have been spelled out.

I examine how the uses of both notions have, in gender history, informed foundations and transformations of the field over the past decades and scrutinize their salience and pitfalls. Against this backdrop, the essay argues that gender historians should let go of the nostalgic longing for discerning “new” unifying conceptual challenges and turn, instead, towards an intensified reflection on the concepts of temporality which inform their work.

Daniela Koleva, Telling Women’s Lives: Ideology and Practice

The paper is an attempt at approaching oral history material collected for archival purposes (i. e. not guided by a feminist programme) in a gender-sensitive way. It is based on my work with about 200 life stories of elderly women and men collected since the 1990s in Bulgaria.

In the first part I make some observations on women’s narratives looking at their content, language, style and structure. Then I examine in some detail two women’s stories. They were singled out because of the way the narrators edited their stories for the publication, which seemed to be at odds with the two women’s self-presentation throughout the interviews.

This type of editing has prompted some questions related, on the one hand, to narrative conventions understood as the ways in which life stories are guided by the ‘rules of genre’, that is by ideas of what constitutes a good story. On the other hand, the questions pertain to social conventions and offer an opportunity to juxtapose ideology and practice in women’s lives.

Christina Lutter, Gender, Emotion, Body – Categories of a Cultural Studies Perspective on Mediaevalism?

This article’s focus is on the general question of this volume about recent challenges for Gender History from a cultural historians’ and medievalists’ perspective. Starting points are Joan Scott’s concept of gender as an analytical as well as a social category and her critical remarks on the sex-gender-distinction. According to her this well established divide has in fact ensued a reification of sex as an a-historical category and a re-biologization of the ideas of ‘woman’ and ‘man’.

Secondly, I will try to show how Scott’s concept of gender can be adapted to the analysis of other phenomena often not perceived as being (at least partly) socio-culturally constructed. I will use miracula and other source material dating from a 12th century’s monastic community delivering fascinating insights into representations of emotions, religious beliefs, and gender relations, as well as their social contexts.

Along these examples I will argue that gender as a multi-relational category can help to develop a constructionist concept of emotions without disregarding the various interrelations between their physical, psychic, and socio-cultural aspects. At the same time, medieval source material may help showing how emotions, embodied identities, and gender are constructed quite differently in specific historical contexts. Finally, I am using Catherine Lutz’s term emotion trouble in analogy to Judith Butler’s gender trouble to stress the instable and performative character of emotions. This might also help to conceptualize the ‘making of’ bodies, that is the constant interactions between ‘biology’ and ‘culture’ in a more comprehensive way.

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