Liebe Leserinnen und Leser,
am 28. März erschien die aktuelle Ausgabe der „Blätter“ mit folgenden Themen:
Clemens Heni 1968 = 1933? Götz Aly und die Totalitarismusfiktion
Mit seinem Buch “Unser Kampf” platzierte Götz Aly im Jubiläumsjahr von 1968 eine wohl kalkulierte Provokation in die aktuellen Deutungsschlachten um das Datum. Pointiert und kritisch nimmt Clemens Heni die darin neu aufgelegte These auseinander, die 68er seien ein später Ausläufer des deutschen Faschismus gewesen. Sein Fazit: Aly betreibt nicht nur beispiellose Geschichtsklitterung , sondern auch gefährlichen, den Nationalsozialismus verharmlosenden Selbstexorzismus.
Jürgen Habermas Die Dialektik der Säkularisierung
Religiöse Revitalisierungsbewegungen in allen Weltreligionen, kirchliche Deutungsangebote in öffentlichen Debatten und zunehmende Migration aus traditionalen Kulturen haben laut dem Philosophen Jürgen Habermas eines gemeinsam: Sie alle stellen die säkularistische Gewissheit in Frage, die einen scheinbaren gesetzmäßigen Bedeutungsverlust der Religion in säkularen Gesellschaften behauptet. Habermas verwirft diese Gleichsetzung von Säkularisierung und Modernisierung als obsolet und zeigt Perspektiven auf, in welcher Form die Religion im öffentlichen Diskurs “postsäkularer” Gesellschaften Platz finden könnte.
Rudi Dutschke Die Kunst des Aufstandes
In einem hier erstmalig veröffentlichten Brief von Rudi Dutschke nimmt der wohl bekannteste Protagonist der APO kritisch Stellung zu einem Aufsatz vom damaligen “Spiegel”-Redakteur Fritjof Meyer, der in einem von Dutschke selbst herausgegebenen, sowjetkritischen Buch erschien. Der Brief veranschaulicht einmal mehr die emanzipatorischen und selbstkritischen Aspekte der 68er-Studentenbewegung und deren Distanz zum sozialistischen, “staatskapitalistischen” Experiment des Ostblocks.
Stefanie Hürtgen Prekarität als Normalität
“Prekarität ist überall!” Die Worte Pierre Bourdieus aus dem Jahre 1997 scheinen mittlerweile auch hierzulande die Diskussion um Arbeitsverhältnisse zu streifen, vor allem dann, wenn Großkonzerne – wie jüngst der Autohersteller BMW – trotz sprudelnder Gewinne Massenentlassungen verkünden. Die Politikwissenschaftlerin Stefanie Hürtgen beklagt jedoch die ihrer Meinung nach obsolete Gegenüberstellung von “prekärer” und “normaler” Beschäftigung, die nach wie vor die Debatten beherrsche. Ihre Diagnose ist eindeutig: Die Prekarisierung mache auch vor den Kernbelegschaften nicht Halt und produziere ein allgemeines Klima der Erwerbsunsicherheit.
Klaus Naumann Die „Blätter“ in den 80er Jahren
Der ehemalige Mitherausgeber der “Blätter” Klaus Naumann untersucht 40 Jahre nach 1968 die langfristigen Effekte dieser Ereignisse auf die Zeitschrift und deren Rolle im linksintellektuellen Milieu der 80er Jahre. Er rekonstruiert die Widersprüche und den Wandlungsprozess der intellektuellen Struktur der Zeitschrift und schließt mit der These, die ehemalig von SED und DKP finanzierten “Blätter” haben sich auf einem Sonderweg der “Selbstanerkennung” mit den politischen Verhältnissen der Bundesrepublik letztlich versöhnt.
Dušan Reljic Der Staat der Mafia Organisierte Kriminalität im Kosovo
Das Kosovo hat am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit erklärt und ist dennoch in vielerlei Hinsicht zum Brennpunkt der Verschmelzung von organisierter Kriminalität und kriminalisierter Staatlichkeit in der Region geworden. Dem Balkanexperten Dusan Reljic gelingt es unter Rückgriff auf die historischen Veränderungsprozesse in der Region, die Strukturen des Netzwerkes der albanischen Mafia offen zu legen. Darüber hinaus zeigt er die Gefahren für die zivilisierte Welt auf und lässt auch Handlungsempfehlungen nicht zu kurz kommen.
Gerd Mielke und Ulrich Eith Im Versuchslabor Der Strukturwandel des deutschen Parteiensystems
Durch den Aufstieg der Linkspartei in Westdeutschland erlebt das deutsche Parteiensystem derzeit einen tiefgreifenden Strukturwandel. Die Herausbildung eines Fünfparteiensystems lässt traditionelle Lagerkoalitionen kaum noch zu. Gerd Mielke und Ulrich Eith zeigen, warum es in naher Zukunft zum Fünfparteiensystem keine Alternative geben kann und welche Folgen dies sowohl für die Parteien als auch die Wähler haben wird.
Axel Troost, Raoul Didier und Philipp Hersel Jenseits von Liechtenstein Steuerungerechtigkeit und deutsche Kleinstaaterei
Die hohe Anzahl an Steuersündern im Fall Liechtenstein hat verdeutlicht, dass dem Gemeinwesen bei mangelhafter Steuereintreibung Jahr für Jahr Milliarden verloren gehen. Doch worin liegen die eigentlichen Ursachen? Den Autoren gelingt es, das System der Steuerverwaltung zu charakterisieren und zu zeigen, dass die Ursache weniger in der kriminellen Energie von Steuerhinterziehern, sondern vielmehr in dem System selbst - sowie dem Unwillen der Politik, diese Fehler zu beheben – liegt.
Inhalt:
KOMMENTARE UND BERICHTE
Sozialdemokratische Chaostage von Detlef Hensche S. 5
Die Argusaugen des Staates von Heribert Prantl S. 7
Steuerflucht als Kavaliersdelikt von Wolfgang Lieb S. 10
Hartz-IV-Kombilohn von Martin Staiger S. 14
Das Ende kooperativer Sicherheit? Von Wolfgang Zellner S. 17
Afghanistan: Die gescheiterte Mission von Lutz Mez und Behrooz Abdolvand S. 21
Tschad: Diktatur von Frankreichs Gnaden von Helga Dickow S. 24
Kuba nach Fidel von Günther Maihold S. 28
MEDIENKRITIK
Feminismus eingestellt von Stefanie Ehmsen S. 32
ANALYSEN UND ALTERNATIVEN
Die Dialektik der Säkularisierung von Jürgen Habermas S. 33
1968 = 1933? Götz Alys Totalitarismusfiktion von Clemens Heni S. 47
Die Kunst des Aufstands von Rudi Dutschke S. 59
Auf einem Sonderweg nach Westen. Die „Blätter“ in den 80er Jahren von Klaus Naumann S. 71
Der Staat der Mafia. Organisierte Kriminalität im Kosovo von Dušan Reljić S. 83
Im Versuchslabor. Der Strukturwandel des deutschen Parteiensystems von Gerd Mielke und Ulrich Eith S. 94
Jenseits von Liechtenstein. Steuerungerechtigkeit und deutsche Kleinstaaterei von Axel Troost, Raoul Didier und Philipp Hersel S. 104
Prekarität als Normalität. Von der Festanstellung zur permanenten Erwerbsunsicherheit von Stefanie Hürtgen S. 113
WIRTSCHAFTSINFORMATION
Streit ums Erbe von Margit Schratzenstaller S. 120
DOKUMENTE ZUM ZEITGESCHEHEN
Die SPD in Hessen entscheidet selbst. Beschluss des SPD-Parteivorstands vom 25.2.2008 S. 123
„Kompromisslose Überprüfung der US-Politik“ Offener Brief von 104 Kongressabgeordneten zur Kuba-Politik vom 19.2.2008 S. 124
Chronik Februar 2008 S. 125