Höflichkeit ist ein „heißes Thema“. Die gesellschaftspolitischen Debatten thematisieren es ebenso wie die Forschung. Woraus dieses aktuelle Interesse sich speist, ist allerdings weniger klar. Die Themenstellung „Konjunkturen der Höflichkeit in der Frühen Neuzeit“ verweist darauf, dass das Interesse an Höflichkeit in der europäischen Geschichte immer wieder neue – wenn auch diskontinuierliche – Konjunkturen erlebte. Sie stellt mit dem gewählten zeitlichen Schwerpunkt eine Periode ins Zentrum, die die Vielschichtigkeit solcher Konjunkturen, ihrer Akzente, Schauplätze, Formen, Sprache und Metaphorik, ihrer sozialen und politischen Qualitäten – auch angesichts bereits vorliegender Forschungsresultate – thematisierbar macht. Und sie zielt darauf, am historischen Beispiel Leistungen und Qualitäten der Höflichkeit freizulegen, die das aktuelle Interesse daran begreiflich machen. Das Interesse an Umgangsformen wird hier als Indikator begriffen für den Versuch, gesellschaftliches Miteinander auch dort zu ermöglichen, wo Fremdheit, Verschiedenheit und fundamentale Gegensätze eigentlich zur gewaltsamen Konfrontation tendieren. Als Überbrückung unauflöslicher Andersartigkeit hilft Höflichkeit, Mord und Totschlag zu vermeiden. Damit hat sie eine eminent gesellschaftliche und politische Funktion.
Konjunkturen der Höflichkeit in der Frühen NeuzeitHrsg. von Brita Rang, Johannes Süßmann, Susanne Scholz, Gisela Engel
INHALTSVERZEICHNIS
Brita Rang, und Johannes Süßmann Einleitung
Aleida Assmann: Höflichkeit und Respekt. Höflichkeit und Sozialität
Helmut Lethen: Anthropologien der Höflichkeit
Sektion I : Höflichkeit im höfischen Kontext
Daniel Dornhofer: Go Pen and Paper, publish my Complantis. Liebesdichtung auf der Suche nach dem richtigen Ton am Hofe James' VI.
Giora Sternberg: Are formules de politesse Always Polite? The Bauffremont-Villars Incident, Discursive Struggles and Social Tensions under the Ancien Régime
Andreas Fahrmeir: Höflichkeit und Revolution
Sektion II: Höflichkeit in Stadt und Republik
Peter Scholz: Humanitas als ein sozial distinguierender Verhaltensmodus – Höfliche Rede und Umgangsformen in der republikanischen Senatsaristokratie
Daniel Schläppi: Höflichkeit als Schmiermittel des Staatsapparates und kommunikativer Kitt in republikanisch verfassten Gemeinwesen der alten Eidgenossenschaft
Ruth Florack /Rüdiger Singer: Politesse, Politik und Galanterie: Zum Verhältnis von Verhaltenslehre und galantem Roman um 1700
Brita Rang: „A conformity and flexibility of manners is necessary in the course of the world“- Höflichkeit in Chesterfields Letters to His Son (1774)
Sektion III: Höflichkeit auf Reisen und als diplomatische Aufgabe
Dorothea Nolde: Von Peinlichkeiten und Pannen: Höflichkeit als Medium und als Hindernis der Kommunikation auf höfischen Europareisen des 16. und 17. Jahrhunderts
Sabine Schülting: “An other kinde of civilitie”: (Un)Höflichkeit in ‘Orient’-Reisen der Frühen Neuzeit
Matthias Köhler: Höflichkeit, Strategie und Kommunikation. Friedensverhandlungen an Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert
Sektion IV: Höflichkeit unter Gelehrten
Elisabeth Stein: „Carmen non placuit, sed perplacuit“ - Höflichkeit in Humanistenbriefen?
Sebastian Kühn: Provokation und verletzte Ehre. Über Rituale der Unhöflichkeit bei frühneuzeitlichen Gelehrten
Robert Seidel: Disputationen über die Höflichkeit - Frühneuzeitliche Verhaltenslehren im Spiegel des akademischen Kasualschrifttums
Sektion V: Höflichkeit auf dem Wege zur Zivilgesellschaft
Rita Casale: Ethik der Konversation versus Moral der Kommunikation
Michael Maaser: Tafelfreuden bilden: Erasmus von Rotterdams Unterweisung über den Umgang mit Menschen
Johannes Süßmann: Höflichkeit in den französischen Religionskriegen
Milos Vec: Höflichkeit als selbstregulative Norm. Beobachtungen zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft in der deutschen Aufklärung
Kurze Angaben zu den Autorinnen und Autoren
Abstracts