SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 8 (2008), 2

Titel der Ausgabe 
SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 8 (2008), 2
Weiterer Titel 
Geschichte des Sports der Juden in Deutschland und Österreich

Erschienen
Göttingen 2008: Verlag Die Werkstatt
Erscheint 
dreimal jährlich
ISBN
1617-7606
Anzahl Seiten
117 Seiten
Preis
9,70 €

 

Kontakt

Institution
SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Lorenz Peiffer Institut für Sportwissenschaft Leibniz Universität Hannover Am Moritzwinkel 6 30167 Hannover
Von
Peiffer, Lorenz

„Berliner Sportstudenten schließen das Institut für Sexualwissenschaften“. Unter dieser Überschrift berichtete vor 75 Jahren am 8. Mai 1933 u.a. die Oberhessische Zeitung Marburg über die Aktion von Studierenden der Berliner Hochschule für Leibesübungen. Das umseitige Titelbild dokumentiert den Aufmarsch der Berliner Studierenden vor dem Institut für Sexualwissenschaften des weltbekannten Sexualreformers und -wissenschaftlers Dr. Magnus Hirschfeld.

Im Rahmen der ‚Sammelaktion’ für die am 10. Mai 1933 geplante öffentliche Bücherverbrennung brachen ca. 100 Studenten der Hochschule für Leibesübungen am 6. Mai 1933 in das Institut Hirschfelds ein, verwüsteten und plünderten die Bibliothek sowie weitere Räume. Die Bücher wurden abtransportiert, „um auf den Holzstoß gebracht zu werden, auf dem am 10. Mai die undeutschen Bücher öffentlich verbrannt werden“. Die Studierenden hatten eine eigenen Blaskapelle mitgebracht, die die ganze Aktion mit Musik begleitete, so dass sich – wie ein Zeitzeuge berichtet – „große Scharen von Neugierigen vor dem Hause ansammelten“. Die damalige Presse muss diese, offensichtlich bis ins Detail geplante lokale Aktion für so ‚vorbildhaft’ gehalten haben, dass auch in anderen deutschen Regionen darüber berichtet wurde.

Zu den als „undeutsch“ abqualifiziert Büchern zählten auch und vor allem die Werke renommierter jüdischer SchriftstellerInnen und AutorInnen.

Dr. Magnus Hirschfeld war Sexualreformer, Jude, Sozialist und homosexuell. Damit vereinte er in seiner Person alle Elemente der nationalsozialistischen Rassenlehre, die ihn zum Verfemten und Feind des neuen Regimes machten. Offensichtlich war das hinlänglich ausreichend, dass junge Menschen mit einer akademischen Ausbildung, die darüber hinaus aufgrund ihrer Ausbildung mit Fragen der körperlichen Ausbildung, Körperkultur und Körperhygiene vertraut waren, diese barbarische Aktion durchführten. Wer immer auch von unseren späteren Sportlehrern und akademischen Lehrern an den Instituten für Leibesübungen in der Nachkriegzeit an dieser Aktion beteiligt gewesen sein mag, der Mantel des Schweigens hüllt sich seit 75 Jahren über diese Tat.

„Es war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“. Dieser Satz von Heinrich Heine aus dem Jahre 1821 sollte über 100 Jahre später in Deutschland grausame Wirklichkeit werden. Am Anfang des Vernichtungsprozesses der jüdischen Bevölkerung durch die nationalsozialistischen Machthaber stand die Vernichtung des ‚Geistes’. Am Ende dieses Prozesses standen die Gaskammern der nationalsozialistischen Vernichtungslager.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde die „rassistisch begründete Judenfeindschaft“ zur Staatsdoktrin. In der zeithistorischen Forschung ist mittlerweile unstrittig, dass nicht „Verführung und Gewalt“ als die beiden zentralen Kategorien gelten können, die das Verhalten der deutschen Bevölkerung gegenüber dem NS-Regimes kennzeichneten, sondern dass der politische und gesellschaftliche Wandlungsprozess auf große Zustimmung traf. Die „Massenloyalität, in welcher die überwältigende Mehrheit der deutschen Bevölkerung dem NS-Regime nahezu bis zu dessen völligem Zusammenbruch gegenüberstand (war) keineswegs erzwungen“. Die Diskriminierung und Verfolgung politischer Gegner sowie der jüdischen Bevölkerung fand zahlreiche Helfer – auch in den Reihen der deutschen Turn- und Sportbewegung. Deutsche Turn- und Sportvereine sowie ihre Verbände zählten mit zu den ersten gesellschaftlichen Organisationen, die sich ihrer jüdischen Mitglieder durch Ausschluss entledigten. Longerich weist darauf hin, dass die Schaffung der von den Nazis „durch Diskriminierung, Entfernung, Ausschaltung und Beseitigung von Fremden“ angestrebten „rassisch homogene(n) Volksgemeinschaft“ auch der Hilfe von Akteuren bedurfte, „die Eigeninitiative entwickelten und intuitiv verstanden, was die Führung von ihnen wollte.“ Einen Befehl der nationalsozialistischen Reichssportführung zum Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus den deutschen Turn- und Sportvereinen und -verbänden hat es – nach dem gegenwärtigen Stand der zeithistorischen Erkenntnisse – in der Phase des Machteroberungsprozesses in den Jahren 1933/34 nicht gegeben.

Das aktuelle Heft steht im Zeichen dieser Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen der jüdischen Sportlerinnen und Sportler und Sportfunktionäre im nationalsozialistischen Deutschland sowie im „angeschlossenen“ Österreich. In zwei biografischen Beiträgen wird die Lebensgeschichte eines Wiener jüdischen Fußballfunktionärs und eines jüdischen Mainzer Turnvereinsvorsitzenden vorgestellt. Leo Schidrowitz war nicht nur Vereins- und Verbandsfunktionär bei Rapid Wien und im Österreichischen Fußballverband (ÖFB), sondern auch Verleger, Autor und Sexualformer, der in Anlehnung an das Berliner „Institut für Sexualforschung“ von Dr. Magnus Hirschfeld in Wien den Verlag für Kulturforschung Amonesta & Co. gegründet hat. Matthias Marschik/Wien zeichnet nicht nur die einzelnen Stationen des Lebensweges von Leo Schidrowitz nach, sondern geht auch auf den Umgang des ÖFB mit der eigenen Geschichte ein.

Der langjährige jüdische Vorsitzende des Mainzer Turnvereins von 1817, Ernst Cantor, wurde ein Opfer der nationalsozialistischen Rassenverfolgungen. Thomas Schnitzler/Trier ist es gelungen, den Lebensweg von Ernst Cantor zu rekonstruieren und die heutige Führung des Mainzer Turnvereins dazu zu bewegen, das Andenken an Ernst Cantor durch die Setzung eines „Stolpersteins“ zu gedenken.

Nach dem Ausschluss der jüdischen Sportlerinnen und Sportler organisierten sich die Ausgeschlossenen in eigenständigen jüdischen Vereinen des Makkabi und des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten. Zu den bevorzugten Sportarten zählte auch weiterhin das Fußballspiel, das in eigenen Ligen bis zu Deutschen Meisterschaften ausgetragen wurde. Henry Wahlig/Hannover stellt einen der erfolgreichen jüdischen Vereine der 30er Jahre ‚Hakoah Bochum’ (ab 1933 ‚Schild Bochum’) vor. Mit der Reichspogromnacht am 9. November 1938 endete auch das jüdische Sportleben in Bochum.

Nach der Befreiung Deutschlands von der braunen Diktatur wurden zunächst ca. 180.00 Überlebende der Shoa in sogen. Displaced Persons Camps zusammengeführt. Welche Bedeutung das Fußballspiel für die Menschen in diesen Lagern hatte, zeigt Jim G. Tobias/Nürnberg in seinem Beitrag über das Endspiel der jüdischen Fußball-Liga im Münchner Grünwaldstation im Jahre 1947„Ichud ojch wajter der bester in undzer zone“.

In dem umfangreichen Besprechungsteil stehen zahlreiche Neuerscheinungen zur Geschichte des internationalen Fußballs im Vordergrund, daneben die Rezension eines Jahrbuches der jungen Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sportwissenschaft sowie eine Publikation zum Doping.

‚Berichte’ über Ausstellungen und Tagungen, ‚Mitteilungen’, die Vorstellung sporthistorischer Veröffentlichungen in anderen Periodica und Sammelbänden unter ‚Für Sie gelesen’ sowie die Zusammenstellung von ‚Neuerscheinungen’ beschließen diese Ausgabe von ‚SportZeiten’

Lorenz Peiffer

Inhaltsverzeichnis

Beiträge

Marschik, M. /Spitaler, G.:
Leo Schidrowitz. Propagandist des Wiener Fußballs
7

Schnitzler, T.
„Gewissenhaft und treudeutsch“: Ernst Cantor. Leben und Wirken eines Turnvereinsvorsitzenden aus Mainz, der Opfer der Rassenverfolgungen wurde
31

Wahlig, H.:
Die vergessenen Meister: Die jüdische Sportgruppe Bochum 1925 – 1938
61

Tobias, J. G.:
„Ichud ojch wajter der bester in undzer zone“. München 1947: 5.000 Zuschauer verfolgten die Finalspiele der jüdischen Fußball-Liga im Grünwalder Stadion – Ichud Landsberg verteidigte erfolgreich den Meistertitel
81

Berichte

Wahlig, H.: Ausstellungen zur Fußballgeschichte in Österreich 88
Wahlig, H.: 17. Braunauer Tage für Zeitgeschichte 89
Peiffer, L.: Ausstellung „Oberschlesier in der deutschen und polnischen Fußballnationalmannschaft 89
Peiffer, L.: Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sportwissenschaft 90

Besprechungen
Brändle, F.:
BOSSHARD, W./JUNG, B.: Die Zuschauer der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Limmat Verlag: Zürich 2008. 248 S. mit zahlr. Fotos.
92

Brändle, F.:
HORNBY, H.: Uppies and Downies. The Extraordinary Football Games of Britain. Swindon: English Heritage 2007 (Reihe Played in Britain, he-rausgegeben von Simon Inglis, Band 10).
93

Marschik, M.:
ARMSTRONG, G./MITCHELL, J. P.: Global and Local Football in Malta: Politics and Europeanization on the Fringes of the EU. London und New York 2008 (Routledge Critical Studies in Sport). 212 S., 106 €.
95

Marschik, M.:
MADERTHANER, W./PFOSER, A./HORAK, R. (HRSG.): Die Eleganz des runden Leders. Wiener Fußball 1920-1965. Wien & Göttingen 2008 (Wienbibliothek im Rathaus / Die Werkstatt). 224 S., 18.90 €.
97
Kuhlmann, D.:
COURT, J./MÜLLER, A./WACKER, C. (Hrsg.): Jahrbuch 2006 der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sportwissenschaft e.V. Fußballsport und Wissenschaftsgeschichte. (Studien zur Geschichte des Sports, Band 2). LIT-Verlag: Berlin 2007. 176 S., 24,90 €.
99

Pille, T.:
HOLTZ-BACHA, C. (HRSG.): Fußball – Fernsehen – Politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wies-baden 2006, 293 S., 32,90 €.
101

Pakula, K.:
BLASCHKE, R.: Im Schatten des Spiels – Rassismus und Randale im Fußball. Verlag Die Werkstatt: Göttingen 2007, 240 S., 16,90 €.
102

Sobeczko, M.:
MEINBERG, E.: Dopingsport – im Brennpunkt der Ethik. Merus Verlag: Hamburg 2006, 224 S., 17,90 €.
103

Mitteilungen
105

Für Sie gelesen
108

Neuerscheinungen
114

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
117

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