Hg. von Božena Chołuj, Ute Gerhard u. Regina Schulte
----------- Editorial (Auszug)-----------
Die Prostitutionsforschung ist mittlerweile so umfangreich, dass es nicht möglich wäre, ihre richtungsweisenden Tendenzen in einem Heft darzustellen. Die vorliegenden Artikel zum Schwerpunkt bieten daher vor allem Einblicke in ausgewählte Aspekte und Zusammenhänge. Prostitution als Thema bleibt trotz der Geschlechterperspektive problematisch. Sie ist aufgrund ihres Zusammenhangs mit Geld, Macht, Sexualität und Geschlecht weder durch wissenschaftliche Analysen noch durch sozial-politisches Handeln aus ihrer Schattenexistenz herauszuholen. Der Status der Prostitution ist weiterhin fraglich, auch dort, wo sie als Sexarbeit legalisiert ist. Auf den ersten Blick würde man denken, dass dieser Status mit dem Sexualitätsverständnis in der jeweiligen Kultur zusammenhängt, aber die Auseinandersetzung mit diesem Thema wird auch nicht leichter, wenn Sexualität generell positiv konnotiert wird. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass die Grenze zwischen jeglicher Darstellung oder Analyse der Prostitution und ihrer Bewertung im Sinne von Befürwortung oder strikter Ablehnung sehr fragil ist. Diese Polarität ist zu einer Art Aporie geworden, sogar in der Frauenbewegung und in der feministischen Forschung.
Die zunehmende Mobilität der Menschen durch die Globalisierung und das ökonomische Gefälle zwischen den einzelnen Ländern sind sicherlich ausreichende Gründe, sich dem Prostitutionsdiskurs trotz aller Schwierigkeiten zuzuwenden. Im Rahmen des Schwerpunktthemas erinnern wir daher an die Ursprünge und die Entwicklung des Wissens in Europa um dieses Phänomen. Prostitution erscheint insgesamt als ein Knotenpunkt, der unterschiedliche Machtverhältnisse erkennen lässt. Dort, wo diese vertuscht werden, weil ihre Thematisierung dem jeweiligen nationalen Diskurs oder den ökonomischen Interessen im Wege steht, wird versucht, sie aus der Geschlechterperspektive zu dekuvrieren bzw. zu dekonstruieren. So steht weder die Frau als Prostituierte noch die Prostitution selbst im Zentrum unseres Interesses, vielmehr eine wissenschaftliche Tatsache, zu der die Prostituierte im wissenschaftlichen Diskurs im Laufe des 19. Jahrhunderts gemacht wurde (Sabisch) sowie das unabgeschlossene Thema feministischer Diskussion im Schnittpunkt von Selbstbestimmung und Zwang, Arbeit oder Abhängigkeit und Gewalt (De Vries). Widersprüchlich erscheint der Rechtsdiskurs um die härtere Bestrafung der Prostitution unter Männern und enthüllt doch zugleich die machtvolle Hierarchie im Geschlechterverhältnis (Lücke). Zu entlarven sind schließlich das Vergessen und das gleichzeitige Faszinosum in Darstellungen der Sex-Zwangsarbeit von Frauen unter extremen Lagerbedingungen (Eschenbach). Abgerundet wird der Schwerpunkt durch den Einblick in die zeitgenössischen Aktivitäten einer Frauen-NGO (El-Nagashi).
----------- INHALT-----------
Editorial, 7–10
Beiträge
Katja Sabisch Die Prostituierte im 19. Jahrhundert. Zur Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 11–28
Petra de Vries From Slave to Sex Worker. Feminist Debates and Prostitution Politics in the Netherlands, 1880–2000, 29–47
Martin Lücke Hierarchien der Unzucht. Regime männlicher und weiblicher Prostitution in Kaiserreich und Weimarer Republik, 49–64
Insa Eschebach Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern. Geschichte, Deutungen und Repräsentationen, 65–73
Aktuelles und Kommentare
Faika A. El-Nagashi „Weder Schuldige, noch Opfer“. Ermächtigungsstrategien im Kontext von Migration und Sexarbeit, 75–83
Regina Mühlhäuser und Gaby Zipfel Forschungsverbund „Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten“, 85–87
Aus den Archiven
Stefanie Risse Liebes Tagebuch – Caro Diario! Europäische Tagebucharchive im Vergleich: Das Archivio Diaristico Nazionale und das Deutsche Tagebucharchiv in Emmendingen, 89–96
Barbara Pätzold Nachruf auf Erika Uitz, 97–98
Rezensionen zum Themenschwerpunkt
Tobias Krüger Martin Lücke, Männlichkeit in Unordnung. Homosexualität und männliche Prostitution in Kaiserreich und Weimarer Republik, 99–102
Weitere Rezensionen
Dariusz K. Balejko Anika Keinz, Polens Andere. Verhandlungen von Geschlecht und Sexualität in Polen nach 1989, 103–106
Peter-Paul Bänzinger Nicolas Pethes u. Silke Schicktanz Hg., Sexualität als Experiment. Identität, Lust und Reproduktion zwischen Science und Fiction, 106–110
Katrin Keller Thierry Wanegffelen, Le pouvoir contesté. Souveraines d’Europe à la Renaissance, 110-112
Veronika Jüttemann Monika Mommertz u. Claudia Opitz-Belakhal Hg., Das Geschlecht des Glaubens. Religiöse Kulturen Europas zwischen Mittelalter und Moderne, 112–115
Marie Claire Hoock-Demarle Hazel Rosenstrauch, Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt, 116–118
Dieter Josef Hecht Alison Rose, Jewish Women in Fin de Siècle Vienna. Jewish History, Life, and Culture, 118–120
Verena Pawlowsky Sabine Kienitz, Beschädigte Helden. Kriegsinvalidität und Körperbilder 1914–1923, 121–124
Kirsten Heinsohn Christine Hikel, Nicole Kramer u. Elisabeth Zellmer Hg., Lieschen Müller wird politisch. Geschlecht, Staat und Partizipation im 20. Jahrhundert, 125–127
Christof Dejung Johanna Gehmacher u. Maria Mesner, Land der Söhne. Geschlechterverhältnisse in der Zweiten Republik, 127–130
Kirsten Bönker Karen Hagemann, Sonya Michel u. Gunilla Budde Hg., Civil Society and Gender Justice. Historical and Comparative Perspectives, 130–134
Abstracts, 135–137
Anschriften der AutorInnen, 139–141