Die erzwungene „Staatsbürgerschaftsoption“ und Umsiedlung der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung Südtirols in den Jahren zwischen 1939 und 1943 muss als eines der einschneidendsten politischen Ereignisse der Südtiroler Zeitgeschichte gewertet werden. Durch die Analyse vergleichbarer Prozesse in Europa zwischen 1939 und 1955 sucht der geplante Sammelband nach dem historischen Ort der Südtiroler Umsiedlung und der hiermit verbundenen kollektiven traumatischen Erfahrungen. Allen Umsiedlungsvorhaben ist die Herabwürdigung der betroffenen Bevölkerungsgruppen zur Verschubmasse im expansiven Umbau von Raum und ethnischer Struktur gemeinsam. Inwieweit aber bestehen Gemeinsamkeiten auch auf dem Gebiet von zugrundeliegenden Theoremen und Zielvorstellungen, von politischen Entscheidungsprozessen und Planungsverfahren, in der Bereitstellung von bevölkerungspolitischem Wissen und in der Entfesselung von Gewalt? Wie sind die personellen und institutionellen Konstellationen zu beschreiben, die Umsiedlung und Vertreibung ermöglichten, wie die politisch-administrativen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie sich vollzogen? Und welches war schließlich das Schicksal derjenigen, die Opfer ethnisch radikalisierter Ideologeme wurden? Hierauf antworten sieben Beiträge, die sich teils mit den grundsätzlichen Rahmenbedingungen im nationalsozialistischen Deutschland sowie mit dessen Umsiedlungsmaßnahmen in Südtirol und im besetzten Polen beschäftigen, teils ethnopolitischen Interventionen in Rumänien, Bulgarien, Kroatien und im Nachkriegsjugoslawien nachspüren.
INHALTSVERZEICHNIS
Editorial 5-19
Hansjörg Gutberger Auf dem Weg zu einer radikalen Ordnung des Sozialen: Nationalsozialistische Raumforschung, Raumordnung und ländliche Sozialwissenschaft vor Beginn der NS-Siedlungspolitik im Zweiten Weltkrieg 21-47
Martin Dröge „An der Neubesiedlung des Ostens ist Westfalen stärkstens interessiert.“ Initiative und Planungen zur landsmannschaftlich geschlossenen Ansiedlung westfälischer Bauern im Reichsgau Wartheland 1940-1942 48-70
Michael Wedekind Planung und Gewalt: Raumordnung und Bevölkerungsplanung im Kontext der Umsieldung Südtirol 71-109
Roberta Pergher Le Opzioni in Sudtirolo e la politica demografica fascista: tra nazionalizzazione e mancata segregazione razziale 110-128
Nevenko Bartulin Politiche etniche italiane e croate nel territorio annesso di Dalmazia e nello Stato indipendente di Croazia (1941–1943) 129-154
Alberto Basciani Il trattato di Craiova del 7 settembre 1940 e gli scambi di popolazione tra la Romania e la Bulgaria (1940–1943) 155-176
Michael Portmann Die Bevölkerungs- und Nationalitätenpolitik des kommunistischen Jugoslawien im Spannungsfeld von Revolution und Tradition (1944–1948), unter besonderer Berücksichtigung der deutsch- und ungarischsprachigen Gruppen in der Autonomen Provinz Vojvodina 177-196
Forum
Giorgio Mezzalira Da un confine all’altro: esuli giuliani, istriani e dalmati in Alto Adige 197-206
Maria Pia Bigaran Una rassegna degli ultimi studi degasperiani 207-213
Rezensionen
Christian Rohr, Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit (Christian Pfister) 215-217
Stefano Biguzzi, Cesare Battisti (Mariapia Bigaran) 217-219
Josef Ehmer u. Karl Ille (Hg.) Italienische Anteile am multikulturellen Wien (Querschnitte 27), Studienverlag: Innsbruck, Wien, Bozen, 2009, 228 S., (Margareth Lanzinger) 220-224
Claudia Andrea Spring, Zwischen Krieg und Euthanasie. Zwangssterilisationen in Wien 1940–1945 (Stefan Lechner) 224-228
Simona Boscani Leoni, Essor et fonctions des images religieuses dans les Alpes. L’exemple de l’ancien diocèse de Coire (1150-1530 env.) (Helmut Stampfer) 228-231
Massimo Bertoldi, Lungo la Via del Brennero. Viaggio nello spettacolo dal Tardo Medioevo al Rinascimento (Hans Drumbl) 231-234