Hg. von Caroline Arni (Basel) und Edith Saurer (Wien)
------------- Editorial (Auszug)-------------
Die Frage, wie Gesellschaften personale Identitäten und soziale Zugehörigkeiten in Begriffen von Verwandtschaft, Herkommen und Genealogie begründen, indem sie körperliche Prozesse und Subs-tanzen bedeutsam machen, beschäftigt Geschichtswissenschaft und Anthropologie stets von Neuem. Motiviert ist diese anhaltende Faszination unter anderem durch die Tatsache, dass solche Deutungen zwar institutionalisiert werden – in sozialen Konventionen, in rechtlichen Regelungen, in Traditionen der Repräsentation oder in Wissenssystemen –, sich einer vollständigen Fixierung aber immer entziehen. Entsprechend sind Historikerinnen und Anthropologen nicht nur in der Auseinandersetzung mit ihren Gegenständen, sondern außerdem in ihren jeweiligen Gegenwartsgesellschaften mit Aushandlungen konfrontiert, in welchen sich nicht selten gegensätzliche Positionen gegenüberstehen und die zu intellektuell herausfordernden Paradoxa führen – wie etwa die gleichzeitige Auf- und Entwertung von DNA hinsichtlich sozialer Zugehörigkeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Im aktuellen Heft wird eine gegenstandsbezogene Herangehensweise versucht: Im Zentrum steht die Geschichte der Deutungen von körperlichen als generativen Substanzen. Dabei ist „generativ“ nicht nur im Sinn von Zeugung gemeint. Vielmehr geht es darum, wie körperliche Substanzen in einer Weise bedeutsam gemacht werden, die Personen und deren Zugehörigkeiten in Begriffen von Verwandtschaft und Abkunft hervorbringt. Präsentiert werden unter anderem Beiträge zur Milch-verwandtschaft im Islam, zu DNA-Abstammungstests oder zur Konvertibilität von Blut und Samen in der christlichen Vorstellungswelt.
----------- Inhalt-----------
Editorial, 5-10
Beiträge
Beate Fricke Zur Genealogie von Blutspuren. Blut als Metapher der Transformation auf dem Feldbacher Altar (ca. 1450), 11–32
Myriam Spörri Moderne Blutsverwandtschaften. Die „Blutprobe“ und die Biologisierung der Vaterschaft in der Weimarer Republik, 33–49
Marianne Sommer „Wer sind Sie wirklich?“ – Identität und Geschichte in der ‚Gensequenz‘, 51–70
Aktuelles und Kommentare
Barbara Orland Verwandte Stoffe. Blut und Milch im Frauenkörper, 71–80
Sabine Strasser Blut, Milch und Ehre. Feministische Debatten zu Modernisierung und Multikulturalismus in der Türkei und in Europa, 81–100
Martin Richards DNA Paternity Testing, Parentage and Kinship. Reflections on Some Tendencies in the UK and in the USA, 101–105
Aus den Archiven
Barbara Duden Das „Alltags-Gen“. Heudorfer Antworten auf die Frage „Was fällt Ihnen ein, wenn Sie das Wort ‚Gene‘ hören?“, 107–117
Extra
Gabriele Michalitsch Geschlechterregierung und politische Ökonomie: Was Adam Smith damit zu tun hat, dass Frauen heute weniger als Männer verdienen, 119–133
Ilse Reiter-Zatloukal und Christiane Rothländer Staatsbürgerschaftsentzug und Geschlechterdifferenz. Rechtsgrundlagen und Ausbürgerungspraxis 1933 bis 1938 am Beispiel Wien, 133–153
Rezensionen zum Themenschwerpunkt
Peter Becker Christina von Braun u. Christoph Wulf Hg., Mythen des Blutes, 155–158
Anthony Bale Caroline Walker Bynum, Wonderful Blood. Theology and Practice in Late Medieval Northern Germany and Beyond, 158–161
Silvia Berger Helga Satzinger, Differenz und Vererbung. Geschlechterordnungen in der Genetik und Hormonforschung 1890–1950, 161–164
Regula Argast Willemijn de Jong u. Olga Tkach Hg., Making Bodies, Persons and Families. Normalising Reproductive Technologies in Russia, Switzerland and Germany, 165–168
Weitere Rezensionen
Beatrix Rubin Hannah Landecker, Culturing Life: How Cells Became Technologies, 169–173
Gisela Bock Claudia Andrea Spring, Zwischen Krieg und Euthanasie. Zwangssterilisationen in Wien 1940–1945; 173–177
Hanna Hacker Angela Steidele, Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens, 177–180
Call for Papers Krieg im Geschlechterkontext (29. September bis 1. Oktober 2011, Universität Wien), 181–182
Abstracts, 183–186
Anschriften der AutorInnen, 187–188