Rechtsgeschichte (Rg) 18 (2011)

Titel der Ausgabe 
Rechtsgeschichte (Rg) 18 (2011)
Weiterer Titel 

Erschienen
Frankfurt am Main 2011: Vittorio Klostermann
Erscheint 
2 Bände pro Jahr
ISBN
978-3-465-04118-4
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
35 Euro

 

Kontakt

Institution
Rechtsgeschichte – Legal History
Land
Deutschland
Ort
Frankfurt am Main
c/o
Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte Redaktion Rechtsgeschichte Hansaallee 41 60323 Frankfurt am Main Tel. ++49-69.78978-200 Fax ++49-69-78978-210 Anregungen und Manuskripte unter: rg@rg.mpg.de
Von
Berg, Olaf

Editorial

Der Blick auf ›Zentrum‹ und ›Peripherie‹ ist zu einer gebräuchlichen Perspektivierung historischer Forschung geworden. Er lässt manches sichtbar werden, schreibt aber nicht selten nahe liegende Wahrnehmungsmuster und Deutungsangebote von großer suggestiver Kraft fort. Auch die europäische Rechtsgeschichte kennt ihre Zentren und Peripherien: Italien, dann Frankreich, die Niederlande und Deutschland, alle von der »Fackel der großen Rechtswissenschaft« erleuchtet, stehen noch immer im Licht; Skandinavien, Ost und Südosteuropa, die anglo-amerikanische Welt, Spanien, Portugal, Lateinamerika und die vielen anderen imperialen Räume europäischer Mächte jenseits der Grenzen des Kontinents tragen trotz ihrer gewaltigen räumlichen Ausdehnung und intellektuellen Produktion noch immer wenig zu unserem Bild von der (europäischen) Rechtswissenschafts- und Rechtsgeschichte bei.

Diese Einsichten sind keineswegs neu, aber immer noch gültig – Grund genug, uns weiter und vermehrt den sog. Peripherien zuzuwenden, innerhalb Europas und im globalen Raum, aber auch thematisch: nicht zuletzt, um die Optik von Zentrum und Peripherien und das Deutungsmonopol einiger aus dem Zentrum in die Peripherien hineingeschriebener Rechtsgeschichten zu brechen und nach den Möglichkeiten einer dezidiert dezentralisierten Rechtsgeschichte zu fragen. Wir tun dies unter anderem im Rahmen eines Forschungsprojekts, das in Kooperation mit dem Exzellenzcluster »Herausbildung normativer Ordnungen« durchgeführt wird und sich der Rechtsgeschichte Südosteuropas widmet. Jani Kirov führt in seinen Prolegomena zu einer Rechtsgeschichte Südosteuropas in einige damit verbundene methodische Probleme postimperialer Historiographie und erste Ergebnisse der Forschung ein; viele seiner Überlegungen lassen sich auch auf andere räumliche Kontexte übertragen.

Auch Peter Collins Beitrag Durch Zwang zur Freiheit? ist im interdisziplinären Gespräch des Exzellenzclusters gereift und führt die Geschichte der Regulierten Selbstregulierung fort, zu der gerade ein weiterer, von ihm mit herausgegebener Band in unserer Schriftenreihe erschienen ist: Selbstregulierung im 19. Jahrhundert – zwischen Autonomie und staatlichen Steuerungsansprüchen (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 259). Wenig bekannten und erstaunlichen Phänomenen der Rechtsgeschichte widmen sich auch Karl Härter in seinem Beitrag zur Formierung transnationaler Strafrechtsregime und Miloš Vec mit seinen Gedanken zu Grundrechten der Staaten. Alle vier Autoren stehen für wesentliche Forschungsanliegen des Instituts: die Rechtsgeschichte Südosteuropas, Regulierte Selbstregulierung, Völkerrechtsgeschichte sowie Strafrechtsgeschichte und Historische Kriminalitätsforschung.

Unser besonderes Interesse an ›Recht und Religion‹ – und an nicht immer im Brennpunkt der rechtshistorischen Aufmerksamkeit stehenden Quellen und Regionen – kommt in Dmitrii Belkins Beitrag zur Rechtsgeschichte der Juden in der Ukraine zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in Wim Decocks Aufsatz From Law to Paradise zum Ausdruck, in dem er sich dem Rechtsdenken auf der Grenze zwischen weltlichem und kirchlichem Recht, Philosophie und Moraltheologie in der frühneuzeitlichen spanischen Monarchie zuwendet.

Repräsentiert das Heft mit diesen und den kurzen Beiträgen von Wolfram Brandes (zusammen mit Hartmut Leppin) und Barbara Dölemeyer – und den Illustrationen aus einer von ihr konzipierten Ausstellung anlässlich von 200 Jahren ABGB – einen großen Teil des Forschungsspektrums des Instituts, so haben wir eines nicht geschafft: eine breite Debatte »Europa und die Türkei: Eine europäische Rechtsgeschichte?« anzuzetteln. Das Echo auf unseren Aufruf hat uns gezeigt, wie wenig wir doch noch voneinander wissen und miteinander kommunizieren: Es war trotz einzelner Eingänge überaus schwach. Wir haben deswegen auf diese Debatte verzichten müssen – vorerst, denn sie muss geführt werden. Einige einschlägige Rezensionen sowie einen wichtigen Beitrag wollen wir aber bereits jetzt abdrucken: Osman Cans Abhandlung über Das türkische Verfassungsgericht als Wächter der Raison d'État.

Um Staatsraison und Verwandtes, also gerade nicht um periphere, sondern zentrale Themen der europäischen Rechtsgeschichte, wird es dann wieder im nächsten Heft gehen, das im Herbst mit einem Schwerpunkt auf Beiträgen zur Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts erscheinen wird.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Editorial

Recherche

Wim Decock
012 From Law to Paradise: Confessional Catholicism and Legal Scholarship

Karl Härter
036 Die Formierung transnationaler Strafrechtsregime. Auslieferung, Asyl und grenzübergreifende Kriminalität im Übergang von gemeinem Recht zum nationalstaatlichen Strafrecht

Miloš Vec
066 Grundrechte der Staaten. Die Tradierung des Natur- und Völkerrechts der Aufklärung

Peter Collin
096 Durch Zwang zur Freiheit?. Wirtschaftliche Selbstverwaltung im deutschen Kaiserreich zwischen Regulierung und Selbstregulierung

Dmitrii Belkin
120 A Two-Headed Janus: Continuity and Change within the Legal History of Jews in Ukraine, 1905–1932

Jani Kirov
140 Prolegomena zu einer Rechtsgeschichte Südosteuropas

Osman Can
162 Das türkische Verfassungsgericht als Wächter der Raison d'État

Kritik

Peter Collin
186 Optionen und Kontinuitäten regulierter Selbstregulierung in der frühen Kranken- und Altersversicherung. Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik

Thomas Kupka
214 Averroes als Rechtsgelehrter.
Averroes, Die entscheidende Abhandlung und die Urteilsfällung über das Verhältnis von Gesetz und Philosophie

Johannes Berchtold
216 Schattenboxen.
Turan Kayaoglu, Legal Imperialism

Simeon Evstatiev
219 Comprehensive Secularity
Yilmaz Bulut, Laizismus oder übergreifende Säkularität des Rechtstaates?

Matthias Schwaibold
222 Türkische Plagen
Gottfried Plagemann, Von Allahs Gesetz zur Modernisierung per Gesetz

Gerd Bender
224 Ein Deutschtürke
Ernst E. Hirsch, Als Rechtsgelehrter im Lande Atatürks

Eliana Augusti
226 Le ragioni dell'›altro‹
Samim Akgönül, Minorités en Turquie, Turcs en minorité

Johannes Platschek
229 Caveat emptor
Éva Jakab, Risikomanagement beim Weinkauf

Tilman Repgen
233 Produktive Unruhe – Kein Recht ohne Form
Peter Oestmann (Hg.), Zwischen Formstrenge und Billigkeit

Matthias Schwaibold
235 Westschweizerische Selbstbespiegelungen
Denis Tappy, Bettina Kahil-Wolff, Léonard Bruchez, 300 ans d'enseignement du droit à Lausanne
James Fazy, De l'intelligence collective des sociétés

Thomas Vormbaum
237 Das Recht Frankreichs?
Heike Jung u. a. (Hg.), 200 Jahre Code d'instruction criminelle – La Bicentenaire du Code d'instruction criminelle

Kent D. Lerch
240 Aufbruch ins 19. Jahrhundert
William Cornish u. a. (Hg.), The Oxford History of the Laws of England, Vol. XI–XIII

Monika Dommann
242 Was ist das Publikum?
Isabella Alexander, Copyright Law and the Public Interest in the Nineteenth Century

Thomas Gergen
244 Revolutionäres Frauenrecht
Diemut Majer, Frauen – Revolution – Recht

Thiago Reis
246 Apologie des Pandektensystems
Jan Peter Schmidt, Zivilrechtskodifikation in Brasilien

Fernando Martínez Pérez
249 Del taller de un administrativista
Sabino Cassese, Il diritto amministrativo: storia e prospettive

Ulrich Jan Schröder
252 Die Ordnung der Diskurse
Anna-Bettina Kaiser, Die Kommunikation der Verwaltung

Marginalien

Barbara Dölemeyer
259 Das Bild des Gesetzes in Allegorie und Karikatur. Zur Ikonographie des ABGB

Wolfram Brandes, Hartmut Leppin
263 Die Collectio Thessalonicensis – ein Forschungsdesiderat

270 Abstracts
273 Autoren
274 Abbildungen

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