Wenn man mich in Polen nach den prägenden Strömungen der deutschen Kultur im letzten Jahrzehnt fragt, so mache ich vor allem auf die wachsende Bedeutung von deutschen Künstlern aus Migrantenfamilien aufmerksam. Der Filmregisseur Fatih Akim, die Schriftsteller Wladimir Kaminer, Artur Becker und Sherko Fatah oder der Pop-Musiker Bushido sind Protagonisten der deutschen Kulturlandschaft. Mit ihren orientalischen, osteuropäischen und mediterranen Wurzeln erweitern sie die kulturellen Horizonte der Deutschen und bereichern das kollektive Gedächtnis um andere historische Erzählungen. Ihr Erfolg symbolisiert den Kosmopolitismus der Berliner Republik. Doch wie fest verankert diese kulturelle Offenheit ist, fragten sich im vergangenen Jahr viele nach dem überraschenden Erfolg von Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Die Zustimmung zu Sarrazins populistischen Thesen deckte die Sehnsucht vieler Bundesbürger nach einer ethnisch reinen deutschen Leitkultur auf. Für eine überraschende Akzentverschiebung in der deutschen Identitätsdebatte sorgte der neue Bundespräsident Christian Wulff. Zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit forderte Wulff ein Verständnis vom Deutschsein ein, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verenge, sondern breiter angelegt sei. „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, betonte das Staatsoberhaupt. Wulff wies zu Recht darauf hin, dass die Bundesrepublik viel stärker von ihren Einwanderern geprägt ist, als oft wahrgenommen. Die Begegnung verschiedener Kulturen in der Bundesrepublik hat das Land grundlegend verändert, und zwar in eine positive Richtung, denn sie stärkt das kosmopolitische, europäische Element der deutschen Kultur.
Deutsch-polnisches Panorama
WAS IST DEUTSCH, WER IST DEUTSCH?Artur Becker Im Zug durch Deutschland: Ein Reisebericht aus Kosmopolen
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DIALOG-Gespräch mit dem Berliner Schriftsteller Sherko Fatah über die Migrationsdebatte in Deutschland
Piotr Buras Debatte: Was heißt es, Deutscher zu sein?
Mely Kiyak Ein Brief: Tragen Seelen Pässe?
Denk ich an Deutschland … Eine Umfrage unter Kindern
Katrin Lechler Stereotypen: Mein langer Weg zu den türkischen Berlinern
Sineb El Masrar Kommentar: Mythos „typisch deutsch“
DIALOG-PREIS
Dietrich Schröder Beiderseits der Oder: Ein Porträt des Instituts für angewandte Geschichte
Krzysztof Wojciechowski Wissenschaft und Zivilgesellschaft: Eine Laudatio auf den Träger des DIALOG-Preises
GESCHICHTE
Markus Krzoska „Tausend Jahre sind ein Tag“: Reflexionen über die Interpretationen deutsch-polnischer Geschichte
Adam Krzemiński 1989: Wer hat die Mauer zum Fall gebracht?
ABSCHIED
Basil Kerski Bohdan Osadczuk (1920–2011): Erinnerung an einen ukrainischen Kosmopoliten
Bohdan Osadczuk Berlin: Die längste Station
MUSEEN
Michał Olszewski Oldtimer der Luftfahrt: Ein Besuch im Krakauer Luftfahrtmuseum
POLITIK
Janusz A. Majcherek Nach den Wahlen: Donald Tusks Dilemmata