Herausgegeben von Mineke Bosch (Groningen), Hanna Hacker (Wien) und Ulrike Krampl (Tours)
Spektakel, aus dem Lateinischen spectaculum, „Schauspiel“: alles, was zur Schau gestellt, was explizit dem Blick anderer gezeigt wird. Etwas zur Schau stellen, sich zur Schau stellen, dies geschieht stets im Rahmen von historisch, sozial, materiell und kulturell situierten Dispositiven. Gestische, verbale und rituelle Handlungen spielen eine zentrale Rolle in der Konstitution von Gesellschaft. Sie sind maßgeblich daran beteiligt, sozialen beziehungsweise materiellen Verhältnissen moralischen und politischen Sinn zu verleihen; umgekehrt bedingen genau diese Verhältnisse die Möglichkeiten und Formen des Spektakulären, die einem Individuum zur Verfügung stehen. Zurschaustellungen produzieren und/oder reproduzieren demnach auch die Ordnungen der Geschlechter. Grundsätzlich erscheint ja das Verhältnis zwischen „Frauen“ und „Spektakel“ zwiespältig, da es darum geht, sichtbar zu sein, im Öffentlichen wahrgenommen zu werden. „Sich zur Schau stellen“, „making a spectacle of oneself“ kennen wir als vergeschlechtlichte Redewendungen, und die Kategorien des Sehens und Gesehenwerdens, des Blicks, sind geschlechtlich asymmetrisch besetzt.
Die Formen des Gesehenwerdens, des Zurschaustellens, um gesehen zu werden, sind immer historisch zu situieren. Für eine Geschichte des Spektakulären von Relevanz sind dabei Elemente der Wissens- und Mediengeschichte sowie der Geschichte des Körpers und der Formen des Theatralen. Im hier behandelten Zeitraum, der von der Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert reicht, ist wesentlich die Ausbildung einer mit Herrschaftsanspruch verbundenen visuellen und medialen Kultur zu berücksichtigen, die die Möglichkeiten der Wahrnehmung bestimmt. (…)
In diesem Sinne verstehen wir „Spektakel“ als Schnittstelle von Inszenierung, Diskurs, Repräsentation einerseits und enactment, Verkörperung, Performanz andererseits. Dieses Heft will dazu anregen, anhand des Zugriffs auf das Soziale über das Spektakel Grenzziehungen wie die zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, dem Politischen und dem Kulturellen, dem Ökonomischen/Materiellen und dem Symbolischen analytisch aufzubrechen. Ein solches Verständnis von Spektakel hat unseres Erachtens großes Potential im Versuch einer Transdisziplinarität zwischen Sozialwissenschaften und Ästhetik, aber auch zwischen Forschung und Theater beziehungsweise Performance. Die Fragestellung dieses „L’Homme“-Hefts kann auf soziale Situationen bezogen werden, die explizit „spektakulär“ angelegt wurden. Wie wird Geschlecht über Momente des – alltäglichen oder außergewöhnlichen – Spektakulären verhandelt, im Alltag oder auf der Bühne medialer Öffentlichkeit, mit welchen Mitteln, in welchen Formen körperlicher Präsenz, mit welchen Folgen für die soziale Positionierung von Geschlecht(ern)?
INHALT
Mineke Bosch, Hanna Hacker und Ulrike Krampl EDITORIAL, 5–9
Beiträge
Xenia von Tippelskirch „Es ist nichts Eingebildetes in mir“. Zur Inszenierung weltabgewandten Lebens in Frankreich um 1700, 11–25
Claudia Ulbrich Tränenspektakel. Die Lebensgeschichte der Luise Charlotte von Schwerin (1731) zwischen Frömmigkeitspraxis und Selbstinszenierung, 27–42
Rina Knoeff Sex in Public. On the Spectacle of Female Anatomy in Amsterdam around 1700, 43–58
Marietta Mayrhofer-Deák Koloniale Inszenierungen am Beispiel der Schulbuchserie „Mamadou et Bineta“ (Französisch-Westafrika), 59–72
Natascha Vittorelli Kriegerin und Krankenschwester. Mehr oder weniger spektakuläre Inszenierungen der Partisanin im sozialistischen Jugoslawien, 73–90
Extra
Joachim C. Häberlen „Weiter haben sich zwei Frauenpersonen besonders hervorgetan.“ Zur Rolle von Frauen in der Straßenpolitik am Ende der Weimarer Republik, 91–105
Forum
Anneke Ribberink MAGGIFICATION, a Personal Reading. On the Historiography and a Film Version of Margaret Thatcher’s Theatre of Politics, 107–117
Jessica Brandler-Weinreb Jenseits der Geschlechterrepräsentationen. Weiblichkeit und soziale Macht in den Gemeinderäten (Consejos Comunales) Venezuelas, 119–126
Fatima Farina Ruby und die anderen: Die italienische Politik in den Zeiten der Ver-Marktung, 127–133
Aktuelles und Kommentare
Eva Schöck-Quinteros und Sigrid Dauks Aus den Akten auf die Bühne. Eine Kooperation zwischen Geschichtswissenschaft und Theater, 135–141
Elisabeth Schäfer Die vergessenen Körper der Philosophie: „Philosophy On Stage #3“, 143–148
Aus den Archiven
Johanna Ludwig und Irina Hundt Louise Otto-Peters: Gesellschaft, Archiv, Jahrbücher, 149–153
REZENSIONEN zum Themenschwerpunkt
Catrien Santing Ulinka Rublack, Dressing up. Cultural Identity in Renaissance Europe, 155–158
Ulrike Krampl Sabine Arnaud Hg., La philosophie des vapeurs, suivie d’une Dissertation sur les vapeurs et les pertes de sang, 158–161
Margriet van der Waal Catherine M. Cole, Performing South Africa's Truth Commission. Stages of Transition, 161–164
Weitere REZENSIONEN
Falko Schnicke Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin u. Projektgruppe Edition Frauenstudium Hg., Störgröße ‚F‘. Frauenstudium und Wissenschaftlerinnenkarrieren an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin – 1892 bis 1945. Eine kommentierte Aktenedition, 165–168
Dominique Schröder Christa Hämmerle u. Li Gerhalter Hg., Apokalyptische Jahre. Die Tagebücher der Therese Lindenberg 1938 bis 1946, 168–171
Kerstin Wolff Heidi Niederkofler, Maria Mesner und Johanna Zechner Hg., Frauentag! Erfindung und Karriere einer Tradition, 171–175
Abstracts, 177–179
Anschriften der AutorInnen, 181–182