EditorialPiraterie. Ein Phänomen mit Geschichte
Von der Antike bis weit herauf in die Neuzeit lösten die Begriffe Pirat und Seeräuber in den unterschiedlichsten Sprachen und Übersetzungen Angst und Schrecken bei Seehändlern und Küstenbewohnern aus – und selbst heute noch sind Regionen wie Somalia, der Golf von Guinea und die Straße von Malakka vor Piraterie keineswegs sicher. Seine Wurzeln hat das deutsche Wort Pirat dabei im griechischen peiratés beziehungsweise im davon entlehnten lateinischen pirata. Gerade über die lateinische Form fand dieser Begriff wohl im Verlauf des Mittelalters Einzug in zahlreiche europäische Sprachen – darunter eben auch in das Deutsche.
Was dabei im Laufe der Zeit als Piraterie bezeichnet wurde, hing fast immer vom Blickwinkel des Betrachters ab. So galten für die meisten Staatsgefüge – vom Römischen über das Fränkische Reich und das imperiale China bis hin zum überseeischen spanischen Imperium – all jene Personen als Piraten, die die Seeherrschaft und den Seehandel in den von diesen Reichen beanspruchten Meeren und Küstenzonen störten. Diese Seeräuber machten sich häufig gewaltsam das Hab und Gut von anderen Personen zu Eigen und bemächtigten sich auch gerne der Personen selbst zum Zweck der Lösegelderpressung oder Versklavung. Dabei lässt sich aber – speziell ab der frühen Neuzeit – bei den verschiedensten Seemächten auch die Tendenz bemerken, Piraterie als Mittel der (maritimen) Kriegsführung gegen konkurrierende Mächte einzusetzen. Als Freibeuter beziehungsweise Kaperfahrer überfielen Private im Auftrag oder zumindest mit Duldung eines Staatsgefüges die Schiffe und Hafenstädte des Gegners. Diese Aktivitäten machten sie für die eine Seite zu Helden und für die andere Seite eben zu Piraten und Verbrechern. Speziell in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und insbesondere im 21. Jahrhundert taucht der Begriff Piraterie vermehrt in anderen Kontexten auf. So bezeichnet man den Diebstahl von Filmen, Audiodaten, Software und ganz allgemein Markenartikeln gehobener Preisklasse als Piraterie. Mit der Gründung von Piratenparteien in mehreren europäischen Ländern hat der Begriff in jüngeren Jahren auch in politischen Bereichen Einzug gefunden.
In den nachfolgenden sechs Artikeln greifen die Autoren unterschiedliche Beispiele von Piraterie auf, um sich ihren verschiedenen Facetten anzunähern. Die ersten beiden Artikel sind im Mittelalter angesiedelt: Andreas Obenaus untersucht Wikinger und Sarazenen als Bedrohung für das christliche Abendland, während Stephan Köhler Piraterie und das Aufkommen von staatlicher Legitimierung – in Form von Kaperfahrern – am Beispiel italienischer Seestädte diskutiert. In den Beiträgen von Birgit Tremml-Werner und Veronika Kolomaznik verschiebt sich das Augenmerk auf den ostasiatischen Raum. Birgit Tremml-Werner betrachtet das Auftreten der Piraten im Ostchinesichen Meer zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert, während sich Veronika Kolomaznik den mächtigen südchinesischen Piratenverbänden um 1800 widmet. In der Politik des 20. und 21. Jahrhunderts sind Alexander Hensel und Stephan Klecha mit ihrem Artikel zu Piratenparteien angekommen. Eugen Pfister untersucht abschließend den Topos Piraterie in alten (Literatur und Theater) und neuen (Film und Computerspiel) Medien.
Im Fachdidaktikbeitrag von Martin Buchsteiner und Martin Nitsche untersuchen die beiden Autoren anhand der historischen Figur des Piraten Klaus Störtebeker, was über diesen an Überlieferungen vorliegt, welche historischen Vorstellungen über ihn existieren und zeigen, welche Chancen sich daraus für das historische Lernen im Geschichtsunterricht ergeben.
Inhalt
Editorial, S 2
Andreas Obenaus Wikinger und Sarazenen. Frühmittelalterliche Piraten an den Küsten Kontinentaleuropas, S 3–9
Stephan Köhler Von Seefahrern, Händlern und Piraten. Der Kaperkrieg als „staatliche Institution“ im Mittelalter, S 10–16.
Birgit Tremml-Werner Von Banditen, Barbaren und Seeräubern. Wako-Verbände im Chinesischen Meer, S 17–22.
Veronika Kolomaznik Der Piratenbund der südchinesischen Küste, S 23–28.
Alexander Hensel/Stephan Klecha Piraten in der Politik. Über die Sprache und Metaphorik der deutschen Piratenpartei, S 29–34.
Eugen Pfister Piraten-Pop-Kultur. Wandel und Bedeutung eines kulturellen Piratenbildes, S 35–40.
Fachdidaktik
Martin Buchsteiner/Martin Nitsche Störtebeker – Möglichkeiten binnendifferenzierter De-Konstruktion einer kulturgeschichtlichen Mythenbildung im Unterricht, S 41–50.