Sportzeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 13 (2013), 2

Titel der Ausgabe 
Sportzeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft 13 (2013), 2
Weiterer Titel 
Jüdischer Sport

Erschienen
Göttingen 2013: Verlag Die Werkstatt
Erscheint 
dreimal jährlich
ISBN
1617-7606
Anzahl Seiten
126 Seiten
Preis
9,70 €

 

Kontakt

Institution
SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Lorenz Peiffer Institut für Sportwissenschaft Leibniz Universität Hannover Am Moritzwinkel 6 30167 Hannover
Von
Peiffer, Lorenz

Vor 80 Jahren – im Sommer des Jahres 1933 –, wenige Wochen und Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland war der Arisierungsprozess in der deutschen Turn- und Sportbewegung bereits weit fortgeschritten. Noch bevor eine neue nationalsozialistische Sportführung etabliert war und die Grundlinien ihrer zukünftigen Sportpolitik festlegen und vorstellen konnte, beeilten sich deutsche Turn- und Sportverbände, auf allen Ebenen – von den Vereinen bis in die Verbandsspitzen – Juden aus Führungspositionen zu entfernen und jüdische Sportlerinnen und Sportler aus ihren Reihen auszuschließen. Betroffen von diesen Maßnahmen waren auch jüdische Spitzenathletinnen und -athleten wie die Weltklassehochspringerin Gretel Bergmann, der Daviscupspieler Daniel Prenn, die Turn-Olympiasieger Alfred und Gustav Felix Flatow, der Fußball-Nationalspieler Julius Hirsch und viele andere.

Mit ihrer Ausstellung „Vergessene Rekorde“, die seit 2009 an wechselnden Standorten in Deutschland zu sehen ist, erinnert die Potsdamer Historikergruppe um Jutta Braun und Hans Joachim Teichler an die herausragenden sportlichen Leistungen der drei jüdischen Leichtathletinnen Gretel Bergmann, Lilli Henoch und Martha Jacob. Zu dieser Gruppe der jüdischen Leichtathletinnen zählte auch Ingeborg Mello, die zusammen mit Lilli Henoch ebenfalls in der erfolgreichen Handballmannschaft des Jüdischen Turn- und Sportclubs 1905 Berlin (JTSC) spielte. In seinem Beitrag „Ingeborg Mello. ‚Zwei Leben‘ im Sport“ stellt der griechische Historiker Nikos Zaikos (Thessaloniki) den Lebensweg und die sportliche Karriere der in Deutschland nahezu vergessenen jüdischen Sportlerin vor. Als 16jährige gab Ingeborg Mello im Juli 1935 ihr Leichtathletik-Debüt beim ersten lang erwartenden leichtathletischen Wettkampf zwischen den beiden konkurrie-renden großen jüdischen Verbänden Makkabi und Schild. Als ihre Parade-disziplin kristallisierte sich sehr schnell das Kugelstoßen und Diskuswerfen heraus.

Im Jahre 1938 floh Ingeborg Mello zusammen mit ihrer Mutter vor dem nationalsozialistischen Terror nach Argentinien. In dem südamerikanischen Land startete sie eine zweite beispiellose Leichtathletikkarriere. Bei den Olympischen Spielen 1948 in London und 1952 in Helsinki war sie Mitglied der argentinischen Mannschaft. 22 mal wurde sie argentinische Meisterin zwischen 1940 und 1962, siebenmal süd-amerikanische Meisterin, zweimal Panamerikanische Meisterin sowie Ibero-Amerikanische Meisterin. Ingeborg Mello starb am 25. Oktober 2009.

Mit seiner Regionalstudie „…dem Verein angeschlossenen Juden werden gestrichen“ über die „Geschichte des Turnens und des Sports der Juden in Lippe 1860–1933“ fügt Florian Lueke (Lemgo) einen weiteren Mosaikstein ein in die bislang noch sehr lückenhafte lokal- und regionalgeschichtliche Aufarbeitung des jüdischen Sports in Deutschland. Vergleichbar zu anderen Untersuchungen über das sportliche Engagement der Juden in ländlichen Bereichen zeigt sich auch in Lippe, dass jüdische Bürger „in hohem Maße“ am sportlichen Vereinsleben interessiert und neben ihren eigenen sportlichen Aktivitäten auch als Mäzene und Förderer des örtlichen Turn- und Sportvereinswesens aktiv waren. Mit der Selbstgleichschaltung der Vereine nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden auch in Lippe die Juden zum Austritt aus ihren Turn- und Sportvereinen gezwungen.

Bibliografien sind Arbeits- und Orientierungshilfen, die einen ersten Überblick über den Stand der Forschung, ihre Schwerpunkt und auch Defizite geben. Mit ihrer im Jahre 2009 erschienenen kommentierten Bibliografie „Jüdischer Sport und Sport der Juden in Deutschland“ haben Lorenz Peiffer und Henry Wahlig (Hannover) erste Impulse für eine weitergehende wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema gegeben. Nachdem in den letzten Jahren über 200 kleinere und größere Studien zur Geschichte des jüdischen Sports in Deutschland erschienen sind, legen die beiden Autoren eine „Ergänzung und Erweiterung“ vor. Bemerkenswert ist, dass sowohl in der allgemeinen Zeitgeschichte wie in der Judaistik die Frage nach der Bedeutung des Sports im Alltagsleben der jüdischen Bevölkerung in Deutschland zunehmend in den Blick genommen wird.

Der Berliner Sport-Club (BSC) war vor dem Ersten Weltkrieg einer der bedeutendsten Sportvereine Berlins. Diese Spitzenstellung unter den Berliner Vereinen konnte der BSC auch bereits Anfang der 1920er Jahre wieder einnehmen, bis am 11. Februar 1922 14 Leistungsträger ihre Mitgliedschaft kündigten und im März desselben Jahres den Deutschen Sport-Club gründeten. In seinem Beitrag „Der ‚Deutsche Sport-Club‘. Ein völkisch-nationaler, antisemtischer Verein“ geht Heinz-Martin Ehlert den Ursachen und politischen Motiven der Gründung dieses neuen Vereins nach.

Edmund Neuendorff war einer der „Turnführer ins Dritte Reich“, wie Horst Ueberhorst den ehemaligen Vorsitzenden der Deutschen Turnerjugend und Führer der Deutschen Turnerschaft in seiner bereits 1970 erschienenen Biografie bezeichnet. Neuendorff war bekennender Antisemit und mitverantwortlich für die radikale antisemitische Ausrichtung der Deutschen Turnbewegung nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahre 1933.

Peter Kratz (Wiesbaden) zeichnet in seinem Beitrag „Vom nationalsozialistischen Turnführer zum evangelischen Pfarrer. Der ungebrochenen Weg des Edmund Neuendorff“ die verschiedenen Stationen Neuendorff nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der Entnazifizierung bis zu seinem Wirken als „Pfarrer für Flüchtlingsseelsorge in Voltlage-Höckel“ nach. Dieser Beitrag wurde im ‚Deutschen Pfarrerblatt“ (Heft 1/2013) erstmalig veröffentlicht und für ‚SportZeiten‘ geringfügig überarbeitet. Für die Genehmigung überarbeiteten Wiederabdruck danken wir dem Autor und den Herausgebern des „Deutschen Pfarrerblatt(es)“.
Im Rahmen der Ausstellung „Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933–1938“ ist auch der Sport ein wichtiges Thema, wie Detlef Kuhlmann (Hannover) in seinem Bericht herausstellt, ebenso wie in der Ausstellung „TEMPO TEMPO! Im Wettlauf mit der Zeit“ im Berliner Museum für Kommunikation, wo er sich auf die Spurensuche nach Elementen zum Sport machte.

Die Besprechungen von drei Neuerscheinungen spannen einen weiten Bogen von der Geschichte der deutsch-israelischen Sportbeziehungen, über die Geschichte des NOK der DDR bis zu einem französischen Sammelband über die Zusammenhänge von Sport und Krieg.

Auch in diesem Heft muss die Rubrik „Für Sie gelesen“ aus arbeitstechnischen Gründen leider wieder entfallen. Die Übersicht über „Neuerscheinungen“ und die Vorstellung der „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ des Heftes beschließen diese Ausgabe.

Inhaltsverzeichnis

Beiträge

Zaikos, N.
Ingeborg Mello. „Zwei Leben“ im Sport
7

Lueke, F.
„… dem Verein angeschlossene Juden werden gestrichen.“ Geschichte des Turnens und des Sports der Juden in Lippe 1860–1933
31

Peiffer, L./Wahlig, H.
Jüdischer Sport und Sport der Juden in Deutschland. Eine kommentierte Bibliografie. Eine Weiterführung und Ergänzung
55

Ehlert, H.-M.
Der „Deutsche Sport-Club“. Ein völkisch-nationaler, antisemitischer Verein
87

Kratz, P.
Vom nationalsozialistischen Turnführer zum evangelischen Pfarrer. Der ungebrochene Weg des Edmund Neuendorff
97

Berichte

Kuhlmann, D.
„Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 – 1938“. Ausstellung im DHM Berlin. „Ausgrenzung im Schatten der Olympischen Spiele“ als Thema
111

Kuhlmann, D.
„TEMPO TEMPO! Im Wettlauf mit der Zeit“ zeigt 250 Exponate. Berliner Ausstellung bietet Spurensuche zum Sport
112

Besprechungen

Krauß, M.
STREPPELHOFF, R.: Gelungener Brückenschlag. Sport in den deutsch-israelischen Beziehungen. Academia: St. Augustin 2012.
115

Wagner, R.
FINK, M.: Das NOK der DDR – Zwischen Olympia und Politik. Die Olympische Bewegung der DDR im Spannungsfeld der deutsch-deutschen Geschichte 1945-1973. Die Werkstatt: Göttingen 2012.
116

Gounot, A.
ROBÈNE, L. (Hrsg.): Le Sport et la Guerre, XIXe – XXe siècles. Presses Universitaires de Rennes: 2012.
118

Mitteilungen
122

Neuerscheinungen
124

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
126

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger