Religion und Gesellschaft in Ost und West (2016), 9–10

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West (2016), 9–10
Weiterer Titel 
Illiberale und autoritäre Tendenzen in Osteuropa

Erschienen
Zürich 2016: Selbstverlag
Erscheint 
monatlich
Anzahl Seiten
48 S.
Preis
EUR 8.- / CHF 10.- zzgl. Versandkosten

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Land
Switzerland
c/o
Institut G2W Bederstr. 76 CH-8002 Zürich
Von
Zwahlen, Regula

Nicht nur in Polen und in Ungarn haben sich in letzter Zeit illiberale Tendenzen entwickelt, in vielen Staaten Ostmittel- und Osteuropas sind autoritäre Kräfte auf dem Vormarsch. Die Gründe und der Verlauf dieser Entwicklungen unterscheiden sich in den verschiedenen Ländern. Daher lohnt es sich, die jeweiligen nationalen Kontexte bei der Analyse zu berücksichtigen.

In dieser Doppelnummer, die parallel auf Englisch erscheint, untersuchen wir die aktuelle Situation in den betroffenen östlichen EU-Mitgliedern, Beitrittskandidaten und Nachbarländern aus politik- und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Die Beiträge sind die vorläufigen Ergebnisse eines vom Academic Swiss Caucasus Net (Universität Fribourg) organisierten Workshops zum Thema.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

ILLIBERALE TENDENZEN

Vedran Džihić, Nicolas Hayoz: Illiberale Versuchungen und Autoritarismus im Osten Europas
In Südost- und Osteuropa entwickeln sich neue Regierungsformen in einer Grauzone zwischen Demokratie und Autoritarismus. Gründe dafür sind u. a. eine allgemeine Krise der Demokratie und der (neo-)liberalen Transformationsstrategie sowie die Erweiterungsmüdigkeit der EU. Gegen die illiberalen Tendenzen regt sich erst seit jüngster Zeit sozialer Protest.

Anton Shekhovtsov: Die nicht mehr länger stille Gegenrevolution
Der Aufstieg der neuen Rechten ist in Reaktion auf das Erstarken postmaterialistischer und kosmopolitischer Einstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg zu sehen. Die ausgelaugten traditionellen Volksparteien und postmoderner Pragmatismus haben ein ideologisches Vakuum hinterlassen, in das rechtsradikale Parteien vorstoßen konnten. Dennoch profitieren nicht sie in erster Linie von der gegenwärtigen Krise der EU, sondern nationalkonservative Politiker à la Orbán oder Kaczýnski.

Vlastimil Havlík: Populismus und politische Unternehmer in der Tschechischen Republik
Tschechien gilt als Musterschüler hinsichtlich postkommunistischer Transformation und Demokratisierung. Doch die populistische Rhetorik und Politik des gegenwärtigen Präsidenten und der Aufstieg von Unternehmerparteien bedrohen dieses Erfolgsmodell. Präsident Zeman bedient sich einer Freund-Feind-Logik und seine Vorstellung einer Mehrheitsdemokratie bietet Minderheiten kaum Schutz. In den Händen von politischen Unternehmern konzentriert sich eine beispiellose politische und wirtschaftliche Machtfülle.

Magdalena Solska: Der ambivalente „gute Wandel“ in Polen
Nach ihrem Wahlsieg hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in kürzester Zeit eine Reihe umstrittener Gesetze zum Verfassungsgericht, zur Verwaltung und zu den Medien verabschiedet. Trotz ihrer Selbstdarstellung als Vertreterin des Volkswillens hat die PiS jedoch kein Wählermandat zu einem radikalen Umbau der Staatsstruktur. Langfristig hängt der Erfolg der Partei davon ab, ob sie ihre sozialen Versprechen einlösen kann.

Grigorij Mesežnikov: Rechtsextreme Herausforderung für die slowakische Demokratie
Seit den Parlamentswahlen vom März 2016 ist erstmals eine rechtsextremistische Partei im slowakischen Parlament vertreten. Die Volkspartei – Unsere Slowakei ist eine radikale Anti-System-Kraft, die sich die Abschaffung der liberalen Demokratie zum Ziel gesetzt hat. Die anderen im Parlament vertretenen Parteien schließen eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aus, doch bleiben diese eine Herausforderung für die Demokratie in der Slowakei.

Zoltán Kiszelly: Ungarns illiberaler Staat: Vorbild oder Paria?
Die ungarische Regierung steht international in der Kritik, mit ihren politischen Reformen der vergangenen Jahre einen autoritären Staatsumbau anzustreben. Der Autor diskutiert dieses Modell eines „illiberalen Staates“ vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen der ostmitteleuropäischen Länder. Erklärtes Ziel der Regierungspartei Fidesz ist es, mehr politische Souveränität innerhalb der EU zu erlangen.

Senada Šelo Šabić: Kroatiens Erfahrung mit der liberalen Demokratie
In Kroatien haben die politischen Eliten im Vorfeld des EU-Beitritts kontroverse Debatten unterdrückt, um den Beitrittsprozess nicht zu gefährden. Das rächt sich nun, indem das Fehlen tiefgreifender gesellschaftlicher und politischer Veränderungen deutlich wird. Das Ehe-Referendum von 2013 zeugt daher nicht nur von einer konservativen Einstellung in weiten Teilen der Gesellschaft, sondern auch vom Frust der Wähler über die politischen Eliten.

Jasmin Mujanović: Fragmentierter Autoritarismus in Bosnien-Herzegowina
Das Dayton-Abkommen hat anfangs einen erfolgreichen Staatsbildungsprozess in Bosnien-Herzegowina eingeleitet, der jedoch im letzten Jahrzehnt ins Stocken geraten ist. Notwendige Reformen der Verfassung und des politischen Systems scheitern an der korrupten politischen Elite und am von Dayton geschaffenen ethnischen Quotensystem. Gleichzeitig nimmt die soziale Unzufriedenheit zu.

Jovana Marović: Der schmale Grat zwischen Partei und Staat in Montenegro
Seit zweieinhalb Jahrzehnten hält sich in Montenegro die gleiche Regierungspartei an der Macht. Diese andauernde Vormachtstellung hat auf allen administrativen Ebenen zu engen Verflechtungen zwischen Staat und Partei geführt. So nutzt die Partei staatliche Ressourcen zur Wählermobilisierung, lässt korrupte lokale Behörden stillschweigend gewähren und bewahrt Beamte vor der Übernahme von Verantwortung.

Marko Vujačić: Serbien: Belagerter Staat und Gesellschaft in Not
In Serbien besteht zwar ein Mehrparteiensystem, aber tatsächlich wird dieses jeweils von einer Partei dominiert. Die Parteien bieten keine politischen Programme, plündern die staatlichen Ressourcen und bilden so klientelistische Netzwerke. 2016 protestierten in Belgrad zahlreiche Bürger gegen mutmaßliche illegale Praktiken der städtischen Behörden. Dieses Engagement der Zivilgesellschaft ist zwar erfreulich, doch der weitere Weg der Protestbewegung ist ungewiss.

Arben Hajrullahu: Kosovo zwischen ungelösten Problemen und vorgestelltem Liberalismus
Trotz großen internationalen Engagements steht die Demokratie in Kosovo weiterhin auf schwachen Füßen und sind Korruption und organisierte Kriminalität verbreitet. Das Haupthindernis auf dem Weg zu mehr Rechtsstaatlichkeit sind nach wie vor die ungelösten kosovarisch-serbischen Beziehungen, an denen auch die Bedingungen für eine EU-Beitrittsperspektive beider Länder bisher nichts ändern konnten.

Dane Taleski, Dragan Tevdovski, Trajche Panov, Viktor Dimovski: Das Aufrechterhalten eines hybriden Regimes: Der Fall Makedonien
Makedonien stellt in den Untersuchungen zu hybriden Regimen einen Sonderfall dar. Obwohl die Ungleichheit in der Bevölkerung groß und die Qualität der Demokratie tief ist, kommt es kaum zu verbreiteten Protesten in der Bevölkerung, nur punktuell werden Forderungen nach mehr Demokratie und Umverteilung laut. Dank eines ausgeklügelten Klientelsystems gelingt es dem Regime, sein eigenes Überleben zu sichern.

Cengiz Günay: Die autoritäre Wende in der Türkei und die Schwächen des autoritären Systems
Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 erlebt die Türkei eine autoritäre Wende. Deren Ursachen reichen aber schon länger zurück. Bei ihrer Machtübernahme 2002 ließ sich die Regierungspartei AKP im Bündnis mit Kurden und liberalen Kräften noch von einer pro-EU-Orientierung leiten, doch in den letzten Jahren setzte sie unter anderem in Folge des Wegfalls der EU-Beitrittsperspektive auf eine Monopolisierung der Macht. Befördert wird diese durch verschwommene Grenzen zwischen Regierungspartei und staatlichen Funktionen, das Ausgrenzen oppositioneller Stimmen und einem Patronage-Netzwerk für die eigenen Anhänger.

Natalia Timuş: Moldovas demokratischer Zerfall
Das einstige Musterland der Östlichen Partnerschaft der EU, die Republik Moldau, befindet sich in der Krise. Ein riesiger Korruptionsskandal und ein instabiles Parteiensystem, dessen Akteure eher eigennützig als prinzipientreu handeln, haben die bisher erfolgreiche Demokratisierung und den europäischen Integrationsprozess des Landes ins Wanken gebracht. Zudem macht Russland vermehrt seinen Einfluss geltend.

Olexiy Haran, Mariia Zolkina: Nach dem Euromajdan: Freie Wahlen vs. personalisierte Parteien und informelle Praktiken
Vorgezogene Wahlen und grundlegende Änderungen des Wahlverfahrens waren eine zentrale Forderung des Euromajdan. Neuwahlen in der Ukraine fanden zwar auf allen Ebenen statt und wurden von der internationalen Gemeinschaft als frei und fair eingestuft. Doch das Parlament passte lediglich das Gesetz über die Kommunalwahlen an, dagegen blieb das Verfahren für Parlamentswahlen das gleiche wie unter dem autoritären, früheren Präsidenten Janukovytsch. Neue alternative Parteien sind somit weiterhin benachteiligt.

Giga Zedania: Demokratie und/oder Liberalismus in Georgien?
Das politische System Georgiens wird durch charismatische Führungspersonen und ihre Netzwerke geprägt. Bisher taten sich alle Regierungen mit Machtwechseln und einem fairen Umgang mit der Opposition schwer. Tendierte die Regierung nach 2003 zu einer eher autoritären Liberalisierung, ist derzeit – auch unter russischem Einfluss – ein illiberales Demokratieverständnis im Aufwind.

Natasha Wunsch: Ist die Transformationskraft der EU am Ende?
Die EU-Erweiterungsstrategie steht auf dem Prüfstand. Gingen Europäisierung und Demokratisierung bisher Hand in Hand, so drohen zunehmend autoritäre Tendenzen und demokratische Rückschritte sowohl in den neuen Mitgliedstaaten als auch bei EU-Beitrittskandidaten einen Dominoeffekt auszulösen, der für die EU als politisches Projekt zur Gefahr wird.

Buchanzeigen:

Sabine Witt: Nationalistische Intellektuelle in der Slowakei 1918–1945. Berlin 2014

Paul W. Werth: The Tsar’s Foreign Faiths. Oxford 2014

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