Evangelische Gemeinschaften wie Baptisten, Mennoniten, Pfingstchristen, Charismatiker in Russland, der Ukraine und Weißrussland stehen im Mittelpunkt unserer Novemberausgabe. Die postsowjetische freikirchliche Szene befindet sich in einem stürmischen Umbruchsprozess, der sich vor allem in der Suche nach dem eigenen Platz in den mehrheitlich orthodox geprägten Ländern spiegelt. Einerseits betonen die russischen Freikirchen ihre eigene Tradition gegenüber den westlichen Glaubensgeschwistern, andererseits haben sie nach wie vor mit dem Misstrauen der anderen Religionsgemeinschaften und des Staates zu kämpfen. Gegenwärtig sorgen die unterschiedlichen Bewertungen der Ereignisse in der Ostukraine und auf der Krim für Entfremdungsprozesse zwischen russischen und ukrainischen Freikirchen. Eine zentrale Frage ist, ob und wie die teilweise noch von der zu sowjetischen Zeiten herausgebildeten religiösen Subkultur geprägten Freikirchen mit der modernen Welt in Dialog treten können. Anerkennung erfahren sie zum Teil für ihre sozialdiakonischen Tätigkeiten.
IM FOKUS
Natalija ZengerUmstrittener Historienfilm Matilda in russischen Kinos angelaufen
EVANGELISCHE FREIKIRCHEN
Nadezhda BeljakovaEvangelische Freikirchen in der Sowjetunion Die Russische Revolution bescherte den evangelischen Freikirchen anfangs neue Freiheiten und Handlungsspielräume, doch schon bald wurden auch sie zu Opfern der antireligiösen Kampagnen. Zu einer Änderung der Religionspolitik gegenüber den Freikirchen kam es im Zweiten Weltkrieg, die in der Gründung des Allunionsrats der Evangeliumschristen-Baptisten gipfelte. Neben den registrierten Gemeinden gab es weiterhin viele nichtregistrierte Gemeinden, was deren dynamisches Wachstum jedoch nicht verhinderte.
Oksana KuropatkinaEvangelische Freikirchen im heutigen Russland Die evangelischen Freikirchen sind eine religiöse Minderheit im heutigen Russland. Dennoch sind sie aufgrund ihrer Jugend- und Sozialarbeit eine der dynamischsten Gruppen der russischen Gesellschaft. Sie pflegen ihre Identität als Bürger Russlands und weisen eine hohe ethnische Toleranz auf. Gleichzeitig haben sie mit gesellschaftlichem Misstrauen und neuen Einschränkungen missionarischer Tätigkeit zu kämpfen.
Elena StepanovaRehabilitationszentren evangelischer Freikirchen in Russland Viele evangelische Freikirchen in Russland engagieren sich mit Rehabilitationsprogrammen für Drogen- und Alkoholabhängige. Charakteristisch für die Reha-Zentren ist deren missionarischer Ansatz in Verbindung mit körperlicher Arbeit. Die angestrebte verbesserte Kooperation mit staatlichen Behörden gestaltet sich schwierig, zudem werden die Zentren immer häufiger Opfer von Schikanen.
Roman LunkinDie Kirchen angesichts des russisch-ukrainischen Konflikts In der Bewertung des Euromajdan und der anschließenden Ereignisse sind die Kirchen in Russland und der Ukraine gespalten. Während die russische Regierung evangelische Freikirchen der Kooperation mit ukrainischen Glaubensgeschwistern verdächtigt, werden in der Ukraine die Ukrainische Orthodoxe Kirche–Moskauer Patriarchat wie auch russische Freikirchen für ihre Loyalität gegenüber Russland kritisiert. Auf der Krim zeigt sich die angespannte Situation unter den Kirchen besonders deutlich.
Olena PanychDie Evangeliumschristen-Baptisten in der Ukraine Die Evangeliumschristen-Baptisten sind die größte protestantische Gemeinschaft in der Ukraine. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion legten die Gemeinden ein stürmisches Wachstum hin, gleichzeitig kam es aber auch zu internen Spaltungen. Gegenwärtige Herausforderungen sind die Entwicklung von theologischen Bildungsinstitutionen sowie der Umgang mit der zu sowjetischen Zeiten herausgebildeten eigenen religiösen Subkultur.
Andriy DudchenkoOrthodoxe und Baptisten in der Ukraine Orthodoxe und Baptisten in der Ukraine teilen mehr Gemeinsamkeiten als gemeinhin angenommen. Berührungspunkte finden sich in der gemeinsamen Geschichte sowie in ähnlichen exegetischen und liturgischen Traditionen. In jüngster Zeit sind zudem interkonfessionelle Projekte an Universitäten entstanden.
Paula BorowskaSozial engagiert, öffentlich unsichtbar – Freikirchen in Belarus Evangelische Kirchen und Gemeinschaften stellen in Weißrussland eine verschwindende Minderheit dar. Zudem haben sie mit gesellschaftlichen Vorurteilen und politischen Restriktionen zu kämpfen. Durch ihr soziales Engagement ist es ihnen gelungen, sichtbarer zu werden und zum Teil auch staatliche Unterstützung zu erhalten. Das diesjährige Reformationsjubiläum bietet den evangelischen Christen die Chance, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.
BUCHANZEIGEN
Die evangelische Diaspora. Russland – Ukraine – Weißrussland – Kasachstan – Kirgistan – Georgien – Aserbaidschan – Armenien (= Jahrbuch des Gustav-Adolf-Werks 84. Jahrgang). Leipzig: Gustav-Adolf-Werk 2015
Joshua T. Searle, Mykhailo N. Cherenkov: A Future and a Hope. Mission, Theological Education, and the Transformation of Post-Soviet Society Eugene, Oregon: Wipf and Stock 2014
Nadezhda Beliakova, Miriam Dobson: Frauen in evangelischen Gemeinden der UdSSR: 1940–1980 / Ženščiny v evangel’skich obščinach SSSR 1940–1980gg.: issledovanija i istočniki. Moskau: Indrik 2015