Religion und Gesellschaft in Ost und West (2018), 4–5

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West (2018), 4–5
Weiterer Titel 
Russland und die Fußball-WM 2018

Erschienen
Zürich 2018: Selbstverlag
Erscheint 
monatlich
Anzahl Seiten
56 S.
Preis
CHF 12.- / EUR 10.- zzgl. Versandkosten

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Land
Switzerland
c/o
Institut G2W Bederstr. 76 CH-8002 Zürich
Von
Zwahlen, Regula

Am 14. Juni wird im Moskauer Luschniki-Stadion die Fußball-WM 2018 eröffnet. Zum ersten Mal ist mit Russland ein osteuropäisches Land Gastgeber dieses Megasportevents. Zu Beginn von Putins vierter Amtszeit werfen wir in der aktuellen Ausgabe verschiedene Schlaglichter auf Russland: Wo steht das Land gegenwärtig politisch, wirtschaftlich, kulturell, religiös – und natürlich auch fußballerisch?
Als Russland Ende 2010 den Zuschlag für die Fußball-WM erhielt, waren die Re-Ideologisierung der russischen Innenpolitik, die aggressivere Außenpolitik und das angespanntere Verhältnis zum Westen seit 2012 noch nicht abzusehen. Natürlich verspricht er sich von der Fußball-WM eine globale Imagepolitur. Doch die Schattenseiten bei der Organisation der WM sind unübersehbar: u.a. extrem hohe Kosten, Missachtung von Menschenrechten beim Bau der Stadien sowie eine teilweise rassistische Fankultur. Nichtsdestotrotz freut sich die Bevölkerung auf die WM, wie die Stadtporträts zu vier der elf Austragungsorte in Russland zeigen.

Inhaltsverzeichnis

IM FOKUS

Karl Schlögel: Homo ludens, homo sovieticus, futbolisty 2018

POLITIK

Maria Lipman: Demobilisierung um der Stabilität willen
Das Regime von Vladimir Putin garantiert sozialpolitische Stabilität, für die zentralisierte staatliche Kontrolle, wirtschaftliche Stagnation und die Einschränkung politischer Freiheiten in Kauf genommen werden. Die verschärften Repressionen seit 2012 gelten politischen Gegnern, NGOs und unabhängigen Medien. Die Krim-Annexion hat einen Staatsnationalismus etabliert, der Putins Legitimität als Verteidiger gegen äußere Feinde stärkt, aber auf privater Ebene keine strikte Anpassung verlangt. Der größte Unsicherheitsfaktor ist zurzeit die ungeklärte Nachfolge Putins.

Alexander Kynev: Die russischen Präsidentenwahlen – Konkurrenz unter Konkurrenten
Das Ergebnis der russischen Präsidentschaftswahlen vom März 2018 ist keine Überraschung, der bisherige Präsident Vladimir Putin tritt seine vierte Amtszeit an. Keiner der Kandidaten hatte eine Chance, außer dem bezeichnenderweise nicht zur Wahl zugelassenen Oppositionspolitiker Alexej Navalnyj. Da dies gemäß der Verfassung Putins letzte Amtszeit ist, könnte in den nächsten Jahren Bewegung in das Feld potentieller Kandidaten kommen.

Jens Siegert: Starker Staat oder Staatsversagen?
Russland erscheint als starker Staat mit Vladimir Putin an der Spitze, der in der Bevölkerung große Zustimmung genießt und die Geschicke des Landes nach Belieben zu lenken vermag. Putin hat den Staat dabei faktisch in einen „gewöhnlichen Staat“, in dem die Gesetze gelten, und einen „außerordentlichen“ Staat aufgeteilt, der der Führungselite als Ressourcenbasis dient. Die jüngste Brandkatastrophe im sibirischen Kemerowo zeigt die dramatischen Folgen dieser Politik: Der korrupte Staatsapparat reproduziert sich selbst und versagt bei der Behandlung primär staatlicher Aufgaben.

Jörg Stadelbauer: Zentren und Peripherien in der Russländischen Föderation
Von außen wird neben den Zentren Moskau und St. Petersburg oft der ganze Rest Russland als riesige Peripherie wahrgenommen. Doch wie ist das Riesenland eigentlich administrativ gegliedert? Auf den verschiedenen Ebenen der Gebietseinteilung finden sich jeweils eigene Zentren und Peripherien, was sich auch an den Migrationsbewegungen der Einwohner ablesen lässt. Bei der Auswahl der Austragungsorte wurden insbesondere die Großstädte im europäischen Teil Russlands berücksichtigt, während die sibirischen Städte wegen der Zeitverschiebung nicht zum Zug kamen.

Anton Saveljev: Wie bereitet sich Kaliningrad auf die Fußball-WM vor?
In der russischen Exklave an der Ostsee erinnert vor allem der restaurierte Königsberger Dom auf der Kant-Insel an die ostpreußische Vergangenheit der Stadt. Bei den Vorbereitungen auf die Fußball-WM waren die Renovationen sowjetischer Gebäude im „Hanse-Stil“ und der Bau des neuen Stadions auf Sumpfboden umstritten. Das Projekt des Wiederaufbaus des Westflügels des Königsberger Schlosses als Teil der Fanzone wurde hingegen nicht umgesetzt.

FUSSBALL

Dmitrij Dubrovskij: Kratzer an Russlands WM-Image
Wie andere Megasportevents dient die Fußball-WM 2018 der Legitimierung des Regimes. Dazu werden bei den Vorbereitungen Verletzungen der Menschenrechte von Bauarbeitern, eine rechtsradikale Fankultur, brutale Säuberungen der Städte von streunenden Tieren und Obdachlosen sowie drastische Einschränkungen der Bürgerrechte in den Austragungsstädten in Kauf genommen. Die antieuropäische Rhetorik in den russischen Medien könnte den erhofften Tourismusstrom eindämmen.

Nikolaus Katzer: Spiel und System. Russlands Fußball im 20. Jahrhundert
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg verbreitete sich der Fußball auch in den unteren Gesellschaftsschichten Russlands. Bald entdeckte die Kommunistische Partei sein Potential zur militärischen und gesellschaftlichen Erziehung sowie zur Herausbildung einer gesamtsowjetischen Identität. Vielen Fans bot der Fußball eine pseudoreligiöse Gegenwelt. Durch die staatlich geförderte Professionalisierung gelang in den 1950ern der Anschluss an den Weltfußball, was auch zur Kommerzialisierung des sowjetischen Fußballs führte.

Martin Brand: Fußball in Russland: Eine Staatsaufgabe
Bei Fußball denkt wohl kaum jemand als erstes an Russland, dennoch hat das Land den Zuschlag für die Durchführung der WM 2018 erhalten. Das Sportereignis soll in erster Linie das internationale Ansehen Russlands erhöhen, ebenso wie zuvor die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Dazu pumpen Regionalverwaltungen und Staatsbetriebe viel Geld in den russischen Fußball. Doch angesichts des angeschlagenen Images der FIFA und der kontroversen russischen Außenpolitik dürfte der Effekt eher bescheiden ausfallen, während auch am Nutzen für die Wirtschaft und Infrastruktur Zweifel bestehen.

Alexander Tsygankov: Wolgograd in Erwartung eines „Fußballwunders“
Wolgograd, das auf eine ruhmreiche militärische Vergangenheit zurückblickt, ist heute von wirtschaftlichen Problemen und Bevölkerungsrückgang gezeichnet. Angesichts von baulichen Pannen, Zeitdruck und logistischen Schwierigkeiten ist fraglich, ob die frühere „Heldenstadt“ den Herausforderungen der WM gewachsen sein wird. Trotzdem ist die Vorfreude unter Bevölkerung groß, da sie sich wirtschaftliche Impulse für ihre Stadt erhofft.

WIRTSCHAFT

Maria Pastukhova: Russland als Partner in der multipolaren Energiepolitik
Trotz wachsender Spannungen bleibt Russland der größte Energielieferant der EU. Die Sanktionen der EU im russischen Energiesektor schaden langfristig vor allem kleineren Unternehmen, während sich die Großkonzerne vermehrt nach Asien ausrichten, wo der Energiebedarf steigt. Angesichts des Ausgreifens Chinas versucht Russland sich mit Hilfe der Eurasischen Wirtschaftsunion eine strategische Position in der Region zu sichern.

Andrej Varkentin: Jekaterinburg – Stadt ohne Turm
In Jekaterinburg waren für die WM zahlreiche Infrastrukturprojekte geplant, und es gab architektonisch kühne Pläne für eine Fan-Zone mitten im Stadtzentrum. Doch das meiste wurde nicht umgesetzt, dafür kam es zu eher kosmetischen Aktionen, wie dem Abriss des unfertigen, aber beliebten Fernsehturms. Auf Unverständnis stieß zudem der Neubau des kurz zuvor sanierten Stadions.

Janis Kluge: Sanktionen, Öl, Demografie: Russland droht lange Stagnation
Trotz des gesunkenen Ölpreises und der Sanktionen hat sich die wirtschaftliche Lage Russland in den letzten beiden Jahren wieder stabilisiert. Für die nächsten Jahre ist eher eine Stagnation denn ein kräftiges Wirtschaftswachstum zu erwarten. Die Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland befindet sich in einem Dilemma zwischen undichten Verboten und ungewollten Schäden.

KULTUR UND RELIGION

Ulrich Schmid: Repression, Kritik und patriotisches Engagement
Die Kulturlandschaft Russlands ist wie die russische Gesellschaft von tiefen Gräben zwischen Befürwortern und Kritikern der Regierungspolitik durchzogen. Skandale um Theater- und Filmaufführungen sowie ein Gerichtsprozess gegen den Theaterregisseur Kirill Serebrennikov machen Schlagzeilen. Im Westen weniger bekannt ist die gezielte Propaganda der staatlichen (Geschichts-)Politik durch populäre TV-Serien. Der aufgeheizten Atmosphäre können sich auch politisch distanzierte Künstler kaum entziehen.

Regina Elsner: Mit Gottes Hilfe – Die Russische Orthodoxe Kirche und der Sport
Sport wird von der Russischen Orthodoxen Kirche als wichtiger Aspekt eines gesunden Lebensstils begrüßt. In den letzten Jahren hat die Kirche ihr pastorales Engagement unter den Sportlerinnen und Sportlern ausgebaut. Sportliche Wettkämpfe gelten auch als Ausdruck eines gesunden Patriotismus. Angesichts der Dopingvorwürfe gegenüber Russland nimmt die Kirche jedoch immer mehr die Position des Staates ein und versteht den Sport als Teil des Kampfes der Zivilisationen.

Alexandra Yatsyk: Die tatarische Welt zwischen Nationalismus und Markenaufbau
Der tatarischen Hauptstadt Kasan ist es gelungen, eine eigene Markenidentität einerseits als Zentrum des russischen Islam und andererseits als Gastgeber für Großanlässe zu schaffen. Dies verdankt sie einer geschickten und pragmatischen Politik gegenüber dem föderalen Zentrum, die weitgehende Autonomie mit Beteiligung an nationalen Entwicklungsprojekten verbindet. Seit jedoch die tatarische Sprache unter Druck gekommen ist, organisiert eine neue Generation eher kulturell ausgerichteter tatarischer Nationalisten eine Vielzahl von Aktionen zur Förderung der tatarischen Sprache und Kultur.

BUCHANZEIGEN

Stephan Felsberg, Tim Köhler, Martin Brand (Hg.): Russkij Futbol. Ein Lesebuch. Göttingen 2018

Manfred Zeller: Das sowjetische Fieber. Fußballfans im poststalinistischen Vielvölkerreich. Stuttgart 2015

Karl Schlögel: Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt München 2017

Christian Münch: In Christo närrisches Russland. Zur Deutung und Bedeutung des ‚jurodstvo‘ im kulturellen und sozialen Kontext des Zarenreiches. Göttingen 2017

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