Die globale Strahlkraft des VW Käfers scheint auch fünfzehn Jahre nach Produktionsende kaum nachgelassen zu haben. Wurde das Symbol des Wirtschaftswunders spätestens 1968 im durch Walt Disney produzierten Film The Love Bug (Ein toller Käfer, 1968) als „Herbie“ zum Filmstar, erweckte ihn der US-amerikanische Regisseur Travis Knight fünfzig Jahre später für Bumblebee (2018), ein Prequel-Spin-Off der Transformers-Filmreihe, im letzten Jahr wieder zum Leben: als verstaubten VW-Käfer auf einem Schrottplatz. Der Göttinger Historiker Ingo Köhler führt uns mit seinem Beitrag in jene Jahrzehnte zurück, in denen sich der Käfer zum Sympathieträger par excellence entwickelte und korrigiert dabei die weit verbreitete Vorstellung, dass bereits mit den ‚Wirtschaftswunderjahren‘ die so erfolgreiche Transformation der Bundesrepublik in eine „Gesellschaft der Autofahrer“ begann. Setzte die Massenmotorisierung auch erst später ein, so spielte der Käfer dabei jedoch eine entscheidende Rolle: als „Einstiegsmoment von Millionen Konsumbürgerinnen und -bürgern“. Die Berliner Historikerin Sina Fabian wiederum zeigt auf, wie der Volkswagenkonzern in den 1970er-Jahren auf den ‚Ölschock‘ und veränderte Käuferinteressen reagierte und sich dabei mit den Fahrerinnen auch eine neue Zielgruppe erschloss – und dabei weit verbreitete Geschlechterklischees aufgriff.
Darüber hinaus eröffnen uns die Zeichnungen und Bilder, die der französische Zwangsarbeiter Robert Piganiol in der „Stadt des KdF-Wagens“ mit Bleistift, Tusche oder Aquarellfarben zu Papier brachte, eine neue Perspektive auf das Leben der Zwangsarbeiter während der Zeit des Nationalsozialismus. Wir sprachen mit dem Kulturwissenschaftler Jörn Wendland über die verschiedenen Funktionen der Bilder zwischen „Selbstvergewisserung, Mittel zur Distanz und Ausdruck des Selbstbehauptungswillens“.
Nachdem wir uns bereits in der letzten Ausgabe mit Arne Steinert auf eine Spurensuche in die Musik- und Jugendkultur in Wolfsburg begeben haben, nimmt er uns diesmal mit zu einem ehemaligen Dorfgasthof in Ahnebeck, der sich Anfang der 1960er-Jahre rasch zur lokalen Twist-Hochburg entwickelte. Eine Bedeutung, die auch dem NDR nicht verborgen blieb, der 1963 eine Hörfunkreportage über den Star-Tanz-Club produzierte. Bei den tanzwütigen Wolfsburger Jugendlichen war dieser auch deshalb so beliebt, da sie sich dort wenigstens ein Stück weit der elterlichen und städtischen Kontrolle entziehen konnten.
Unsere kommende Ausgabe wird außer der Reihe bereits im April erscheinen – als begleitende Publikation zur Ausstellung Günter Franzkowiak: Arbeit, die wir gemeinsam mit dem Kunstverein Wolfsburg im dortigen Raum für Freunde realisieren.
INHALTSVERZEICHNIS
Sina FabianZwischen Krise und Pluralisierung. Veränderte Autonutzung in den 1970er-Jahren und die Reaktionen des Volkswagenkonzerns S. 1–4
Ingo KöhlerAuf den Spuren der Konsumdemokratie. Die Automobilisierung und der Volkswagen in der jungen Bundesrepublik S. 5–7
Zwischen Selbstbehauptung, sozialem Medium und Mittel der Dokumentation. Zeichnungen des französischen Zwangsarbeiters Robert Piganiol aus der "Stadt des KdF-Wagens" Jörn Wendland im Interview S. 8–11
Arne SteinertLet's go to Ahnebeck! Ein Dorfgasthof als Pilgerstätte für Wolfsburger Jugendliche in der Beat-Ära S. 12–13
Werner StraußDie Errichtung des Stadtkrankenhauses (AdM 11/2018) S. 14
Maik UllmannZur Sicherung der "Ernährung von Volk und Heer". Der Einsatz von Kriegsgefangenen in Ehmen während der letzten Monate des Ersten Weltkrieges (AdM 12/2018) S. 15
Werner StraußWolfsburg wird Großstadt. Das Inkraftreten des "Wolfsburg-Gesetzes" am 1. Juli 1972 (AdM 1/2019) S. 16