Bereits Heft 1/2 dieses Jahres war dem Thema „Unterrichtsplanung“ gewidmet. Dessen Relevanz bedarf kaum einer Begründung: Unterrichtsplanung ist tägliche Aufgabe amtierender Lehrkräfte, in der zweiten Phase steht sie im Mittelpunkt der Ausbildung. Unterrichts- planung bildet mithin einen zentralen Bestandteil der Professionalität und der Professionalisierung von Lehrkräften. In der vorliegenden Ausgabe berichten erneut Vertreterinnen und Vertreter von Studienseminaren aus verschiedenen Bundesländern über ihre Konzepte und Praktiken. Christiane Blei, Tobias Dietrich und Wolfgang Woelk (Koblenz) stellen das in ihrem Seminar entwickelte Lehr-Lern-Modell in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Indem es den Unterrichtsprozess idealtypisch abbilde, schaffe es einen Rahmen für die gesamte Ausbildung und bewirke eine grundlegende Orientierung der Referendarinnen und Referendare. Stärker auf einzelne Aspekte von Unterrichtplanung gehen Maren Brauckmann, Michael Schmitt und Heiko Zielke (Düsseldorf) ein. Unter anderem behandeln sie die Formulierung von „Kernanliegen“, in denen die zentrale Intention einer Stunde prägnant benannt werden soll. Das im Seminar verwendete Modell verknüpft die Beschreibung der erwünschten Schüleraktivitäten, des inhaltlichen Lernfortschritts und der Kompetenzgewinne miteinander – was zu detailgenauen, aber auch außerordentlich komplexen Zielformulierungen führt. Die Frage, wie eine diversitätssensible Unterrichtsplanung aussehen kann, steht im Fokus der Überlegungen von Petra Manker (Karlsruhe). Sie formuliert dazu einige „Mindestanforderungen“, die auch mit etablierten geschichtsdidaktischen Maximen in Einklang stehen: Vermeidung von „Othering“ und von stereotypen Zuschreibungen; Berücksichtigung der „agency“ marginalisierter Gruppen; „Menschen ein Gesicht geben“, mithin Personifizierung. Spezifische Potenziale und Probleme bei der Planung bilingualen Geschichtsunterrichts erörtert Jan Kulok (Stuttgart) am Beispiel einer Unterrichtsstunde zum deutsch-britischen Verhältnis vor 1914. Als einen wichtigen Punkt stellt er die genaue Prüfung und Abgleichung der Begriffe heraus, die in deutschen und englischen Quellen in Erscheinung treten. Der Diskussionsbeitrag von Pia Büsse greift ein Stichwort auf, das in den Berichten aus den Studienseminaren immer wieder genannt wird: „Vertiefung“. Eine solche Phase kommt freilich in der einschlägigen geschichtsdidaktischen Literatur so gut wie nicht vor. Davon ausgehend hat die Autorin niedersächsische Fachleiterinnen und Fachleiter daraufhin befragt, welche Rolle die „Vertiefung“ bei ihnen spielt und wie sie inhaltlich verstanden wird. Ihr Befund: Der Vertiefung wird zwar zentrale Bedeutung zugeschrieben; worin sie eigentlich besteht, wird aber eher uneinheitlich und unscharf benannt. Hier scheint es geschichtsdidaktischen Diskussionsbedarf zu geben. Jenseits des Heftthemas berichtet Kathrin Klausmeier von einer empirischen Studie, in der sie Schülervorstellungen zur DDR untersucht hat. Sie argumentiert gegen die verbreitete, einem totalitarismustheoretischen Ansatz entspringende Behauptung, Schülerinnen und Schüler würden die DDR nicht klar genug als Diktatur einordnen. Vielmehr sei der Begriff „Diktatur“ im Schülerverständnis gewissermaßen durch den Nationalsozialismus besetzt. Statt vordergründiger Vereindeutung sei deshalb gerade differenzierte und sys- tematische Begriffsarbeit vonnöten. Mit dem Mythos der Erziehung bei den Spartanern befasst sich schließlich der Beitrag von Ralph Erbar. Er zeichnet dessen auf Plutarch beruhende Entstehungs- und Tradierungsgeschichte nach und kritisiert seine unreflektierte Übernahme in Schulbücher der 5. bis 7. Klassenstufe. Wohl könne man ihn im Geschichtsunterricht thematisieren – dann aber als Lehrstück für die Funktionalisierung von Geschichte in der Sekundarstufe II.
INHALT DER GWU 72 (2021)
ABSTRACTS (S. 250)
EDITORIAL(S. 252)
BEITRÄGE
Christiane Blei/Tobias Dietrich/Wolfgang Woelk Vom Lernziel zum Lernprodukt Struktur und Wandel der Unterrichtsplanung am rheinland-pfälzischen Beispiel (S. 253)
Maren Brauckmann/Michael Schmitt/Heiko Zielke Von der Sache zum Urteil Schlüsselfragen der Stundenplanung in Fachdidaktik und Seminarausbildung (S. 263)
Petra Manker Die Planung von Geschichtsunterricht in einer diversen Gesellschaft Erfahrungen und Denkanstöße aus der baden-württembergischen Seminarausbildung (S. 274)
Jan Kulok Planning for an enriching experience Unterrichtsplanung im Fach Geschichte bilingual (S. 288)
Kathrin Klausmeier „Also, im Unterricht wird die DDR zu hart dargestellt, find ich“ Wie moralisierende Zugänge historisch-politische Bildung erschweren (S. 299)
Ralph Erbar „Keinem stand es frei, zu leben, wie er wollte“ Über die Erziehung der Spartaner und den dunklen Ursprung eines langlebigen Mythos (S. 312)
DISKUSSION
Pia Büsse „Krönungsdisziplin“ Vertiefung? Die Vertiefung als Phase des Geschichtsunterrichts in Theorie und Praxis (S. 329)
INFORMATIONEN NEUE MEDIENAlessandra Sorbello Staub Virtuelle Historiografie Von Twitter und Instagram als Geschichtsplattformen (S. 334)
LITERATURBERICHTMartin Aust Osteuropäische Geschichte Ostmitteleuropa, Belarus, Ukraine, Russland, Sowjetunion, Teil I (S. 337)
NACHRICHTEN(S. 357)
AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 360)
ABSTRACTS
Christiane Blei/Tobias Dietrich/ Wolfgang Woelk Vom Lernziel zum Lernprodukt Struktur und Wandel der Unterrichtsplanung am rheinland-pfälzischen Beispiel
Unterrichtsplanung hat sich im Laufe der letzten 20 Jahre von einer Lernziel- zu einer Kompetenzorientierung verändert. Dies ging im Studienseminar Koblenz einher damit, einen kompetenzfördernden, lernproduktzentrierten und problemorientierten Lehr-Lern-Prozess als idealtypisches Konzept für einen Geschichtsunterricht zu modellieren. Aus Sicht der Auszubildenden hilft das Modell deutlich dabei, Unterricht transparent und stringent zu planen. Offen ist je- doch (noch) die Frage, wie die Abhängigkeit der Unterrichtsplanung von der Lehrerpersönlichkeit berücksichtigt werden kann.
Maren Brauckmann/Michael Schmitt/ Heiko Zielke Von der Sache zum Urteil Schlüsselfragen der Stundenplanung in Fachdidaktik und Seminarausbildung
Geschichtsdidaktische Modelle und Konzepte, die aus dem universitären Studi- um bekannt sind, müssen in der praktischen Ausbildung in Schule und Studienseminar konkretisiert, angepasst und in ihren Schwerpunktsetzungen auch verändert werden. Dabei sind für das Gelingen einer Geschichtsstunde die sorgfältige Auseinandersetzung mit der Sache in der Vorbereitung sowie die Gestaltung der Vertiefungsphase bei der Durchführung entscheidende Faktoren. In diesem Zusammenhang ist das in der Planung formulierte Stundenziel wichtiges Instrument zur Reflexion der Ergebnisse.
Petra Manker Die Planung von Geschichtsunterricht in einer diversen Gesellschaft Erfahrungen und Denkanstöße aus der baden-württembergischen Seminarausbildung
Was soll eine durchdachte Unterrichtsplanung berücksichtigen? Der Beitrag beleuchtet, welche Aspekte das Gymnasialseminar Karlsruhe bei der Ausbildung von Geschichtslehrkräften betont, um Geschichtsunterricht so planen zu können, dass der Charakter von Geschichte als Denkfach deutlich wird und die Diversität der Lernenden berücksichtigt wird. Es werden Vorschläge gemacht, wie mit häufig beobachteten Problemen umgegangen werden kann. Das am FUER-Modell orientierte Kompetenzmodell des baden-württembergischen Bildungsplans mit dem „Kreislauf historischen Denkens“ bietet dabei die Grundlage.
Jan Kulok Planning for an enriching experience Unterrichtsplanung im Fach Geschichte bilingual
Nach knapper Darstellung der Rahmenbedingungen des gymnasialen bilingualen Unterrichts im Fach Geschichte in Baden-Württemberg werden am Beispiel einer Doppelstunde zum deutsch-britischen Verhältnis vor 1914 die für die bilinguale Unterrichtsplanung wichtigen fach- und quellen- sprachlichen Aspekte sowie das Potential für sprachliches und interkulturelles Lernen bilingualen Geschichtsunterrichts aufgezeigt. Es wird dargestellt, wie bildungsplankonform zwar das Gleiche wie im deutschsprachigen Unterricht vermittelt wird, aber bei der Planung ggf. größere Herausforderungen zu berücksichtigen sind, welche aber im Endeffekt zu einem breiter gefächerten Lerngewinn führen können.
Kathrin Klausmeier „Also, im Unterricht wird die DDR zu hart dargestellt, finde ich“ Wie moralisierende Zugänge historisch-politische Bildung erschweren
Auch dreißig Jahre nach der Friedlichen Revolution 1989 sind die Diskussionen um die DDR-Geschichte nicht verstummt. Den wiederkehrenden Vorwürfen der Diktaturverharmlosung und eines vermeintlichen Versagens des Geschichtsunterrichts in der Vermittlung von Zeitgeschichte wird in dem Beitrag eine Analyse von Schülervorstellungen zur DDR gegenübergestellt. Durch einen innovativen empirischen Zugang werden verbreitete Thesen um nostalgische Verklärung relativiert und korrigiert. Der Beitrag weist auf Probleme moralisierenden Geschichtslernens hin, liest sich als Plädoyer für eine umfassende Begriffsarbeit und markiert die Notwendigkeit neuer Perspektiven auf Diktaturgeschichte(n).
Ralph Erbar „Keinem stand es frei, zu leben, wie er wollte“ Über die Erziehung der Spartaner und den dunklen Ursprung eines langlebigen Mythos
Der Aufsatz beschäftigt sich mit dem Ursprung der angeblichen Erziehung der Spartaner in der Antike, ein beliebter und häufig tradierter Stoff, der auch heute noch in zahlreichen aktuellen Lehrplänen und Schulbüchern zu finden ist. Er fragt danach, unter welchen Bedingungen diese Erzählung entstand, wie sie über Jahrhunderte hinweg immer wieder tradiert wurde und bis in die Gegenwart zum „Kanon“ des Geschichtsunterrichts gehört, obwohl doch eigentlich offensichtlich sein müsste, dass es sich hier um ein historisch nicht belegbares Konstrukt handelt. Dies zeigt, dass auch das Fach Geschichte vor der Tradierung von Mythen nicht gefeit ist.