Daniel Bellingradt, Institut für Buchwissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
FORUM KOMMUNIKATIONSGESCHICHTE
Das ›Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte‹ widmet sich seit nunmehr 20 Jahren der Vielfalt an möglichen Zugängen und interdisziplinären Perspektiven zu historischer Kommunikation. Die anhaltenden Fragen zu Konturen, Werkzeugen und Denkmustern kommunikationshistorischer Erkenntnisinteressen geben uns Anlass, ein Beitrags-Forum zu begründen, dessen Grundfrage »Was ist Kommunikationsgeschichte« in den nächsten Jahren aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen und aus dem Blick auf verschiedene Epochen erörtert werden soll. Die bewusst kurz gehaltenen und mit wenigen Anmerkungen versehenen Beiträge dieses Forums sollen fragende, einordnende und anregende Impulse geben, um »Kommunikationsgeschichte« innerhalb historisch arbeitender Disziplinen konzeptionell zu schärfen. In diesem Sinne werden die einzelnen Beitragenden das eigene (fachliche) Verständnis von Kommunikationsgeschichte vorstellen, begründen sowie Potentiale und Grenzen der eigenen Ansätze erörtern.
Stefanie Averbeck-Lietz (Bremen)
Kommunikationsgeschichte in Zeiten ihrer »Verlustgeschichte« als Herausforderung kommunikationswissenschaftlicher Forschung und Lehre
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Frank Bösch (Potsdam)
Perspektiven der Mediengeschichte im digitalen Zeitalter
AUFSÄTZE
Jonas Bechtold (Bonn)
Ein diplomatisches Bonmot. Zur publizistischen Kritik an frühneuzeitlichen Friedenskongressen und dem Diplomatic Public um 1700
Zusammenfassung: Nach dem Westfälischen Frieden 1648 etablierten sich multilaterale Verhand- lungen als internationales Kongresswesen, das in Europa Frieden wiederherstellen und sichern sollte. Dieses wiederkehrende diplomatische Verhalten rief wiederkehrende Kritik hervor – Kritik, die sowohl inhaltlich als auch sprachlich und stilistisch konstant blieb. Im besonderen Fall wird ein lateinisches Pasquill in Versform vorgestellt, das von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts in der Berichterstattung über Friedenskongresse publiziert und verbreitet wurde und die Effizienz eines jeweiligen Kongresses mit spöttischen Versen überzog. Zu diesem Befund wird argumentiert, dass die Verstetigung der Kritik in einem Bonmot-artigen Spottgedicht, das immer wieder neu rekontextualisiert werden konnte, auf ein Diplomatic Public verweist, das multilaterale Verhandlungen genau beobachtete und kommentierte bzw. diese Beobachtungen und Kommentierungen konsumierte und verbreitete. Zudem verweist die textliche Beständigkeit des Pasquills in immer neuen bzw. als neu dargestellten publizistischen Kontexten auf eine Verselbstständigung der Kritik zu einem ebenso selbstverständlich gewordenen internationalen Verhalten: der multilateralen Kongressdiplomatie.
Abstract: After the Westphalian Peace of 1648, several multilateral peace negotiations were estab- lished in international congresses in order to secure and rebuild peace in Europe. This diplomatic reflex provoked recurring criticism, which featured its own distinct characteristics in term of content, language, and style. As an example, this paper presents a Latin pasquille published from the middle of the 17th to the middle of the 18th century in different diplomatic contexts, which criticized the efficiency of a particular peace congress with mocking verses. Based on this source, it is argued that the perpetuation of this criticism in a bonmot-like poem, which could be repeat- edly recontextualized, refers to a »diplomatic public«. Such public would either closely observe and comment on multilateral negotiations or receive such observations and comments. In addi- tion, the persistence of the text of the pasquille in new or newly presented publicist contexts indicates that criticism of international behavior had become just as natural as multilateral congress diplomacy itself.
Joanna Kodzik (Versailles)
Mensch, Natur, Klima: Kommunikation und Rezeption von Wissen aus der Arktis im Mittel- und Osteuropa der Frühen Neuzeit
Zusammenfassung: Seit dem 18. Jahrhundert richtete sich die Aufmerksamkeit des interessierten Publikums mit größerer Intensität auf die wenig erforschte Arktis. Dies war unter anderem deut- schen Walfängern, Entdeckern und Missionaren, insbesondere der Herrnhuter Brüder-Unität, zu verdanken, die in die entlegensten Teile des hohen Nordens zogen und neues Wissen nach Europa brachten. Der vorliegende Beitrag ist der Kommunikation der akademischen und nicht-akademi- schen Akteure in Mittel- und Osteuropa über die europäische Arktis gewidmet. An ausgewählten Beispielen wird gezeigt, wie der Prozess der »culture mobility«, der eine ständige Zirkulation von Menschen, Ideen und Gütern annimmt, die Vorstellungen von Menschen, Natur und Klima in der arktischen Zone unter den Gelehrten, dem Adel und den weniger gebildeten Menschen in der ländlichen Gebieten Osteuropas prägte. Im Fokus steht die Rezeption in Medien wie Buch und gelehrte Zeitschrift. Die Fragen nach den Autoren, dem Zweck der Rezeption und dem Einfluss der Medien auf die Informationsvermittlung leiten den Versuch, standes-, religions- und fachspezifische Charakteristika der Kommunikation herauszuarbeiten. Nicht zuletzt belegt dieser Beitrag die Vernetzung der osteuropäischen Akteure mit Westeuropa, gezeigt an der Rezeption eines nicht selbstverständlichen Wissensbereichs, der Arktis.
Abstract: During the 18th century, reading audiences became increasingly interested in the Arctic hitherto relatively rarely explored. Thanks to German whalers, scholars and missionaries, among them especially the Moravians, who went to the most distant parts of the Far North, new know- ledge about the Arctic reached Europe. The present article is dedicated to the communication among scholars and other actors in Central and Eastern Europe about the European Arctic. A number of examples are analysed to show how the process of »cultural mobility« shaped by continuous circulation of people, ideas and goods, determined the views of scholars, the aristocracy and less well-educated people in rural parts of Central and Eastern Europe, as far as the imaginations of humans, the environment and the climate in the Arctic are concerned. The central focus are media such as books and scholarly periodicals. Questions of authorship, purpose of reception as well as the influence of media on the transfer of information are discussed in order to determine a number of chief characteristics concerning social order, religion and scholarship. The networking efforts by actors from Central and Eastern Europe with their more Western counterparts reveal the former’s own reception of knowledge about the Arctic that little if any attention has been paid to previously.
Michael Homberg (Potsdam)
Frequenzbesetzer. Freie Radios und alternativer Rundfunk in der Bundesrepublik von den siebziger bis zu den neunziger Jahren
Zusammenfassung: In der langen Geschichte des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland fristeten Freie Radios eine Randexistenz. Bis in die achtziger Jahre waren die »Piratensender« sogar illegal. Dennoch provozierte ihr Wirken von Beginn an eine breite gesellschaftliche Reso- nanz. Der Beitrag untersucht, wo, wie und warum ab den siebziger Jahren alternative Radio- experimente aus dem Geiste der Neuen Sozialen Bewegungen entstanden und was deren Protagonisten bewegte, politisch zu wirken. Er analysiert dazu die Vorstellungswelten der Radio- macher und die Programmatik der Sender ebenso wie die Praxis der Radiokollektive im Wandel des Medienverbunds von den siebziger bis zu den neunziger Jahren.
Abstract: In German broadcasting history, pirate radio stations have always been marginalized. Until the 1980s, they were even illegal. However, their actions provoked an impressive social echo. The article investigates, where, how and why alternative (political) radio experiments started in the Federal Republic and in how far they resonated with the new social movements. Thus, the article analyzes the radio pioneers’ motivations and their programmatic concepts as well as the evolution of broadcasting practice in alternative »pirate« and community radio collectives from the 1970s to the 1990s.
MISZELLEN
Johannes Arndt (Münster)
Periodische Presse in der europäischen Frühaufklärung – einige Abstraktionen
Jürgen Wilke (Mainz)
Das ›Berliner Tageblatt‹ und die Gestapo. Erschließung und Problematisierung einer unbekannten Quelle
*BUCHBESPRECHUNGEN / REVIEWS+
Im Open-Access-Besprechungsteil werden 125 Neuerscheinungen zur Kommunikationsgeschichte rezensiert. The reviews section features 125 reviews.
BIBLIOGRAFIE
(Wilbert Ubbens, Bremen)
Die Bibliographie verzeichnet mehr als 2000 kommunikationshistorische Aufsätze aus internationalen Zeitschriften. The bibliography on new literature comprises of about 2000 entries.
Alle Shortcuts zum Jahrbuch finden Sie hier: https://www.steiner-verlag.de/brand/Jahrbuch-fuer-Kommunikationsgeschichte#rahmendaten_basicdata-JB-JKG