Titel der Ausgabe 
Filmblatt 27 (2022), 78
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Made in West Germany

Erschienen
Preis
10 €

 

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Institution
Filmblatt
Land
Deutschland
c/o
CineGraph Babelsberg e.V., c/o Philipp Stiasny, Frankfurter Allee 22, 10247 Berlin
Von
Brigitte Braun, FB II - Medienwissenschaft/ Mediengeschichte, Universität Trier

Made in West Germany war bei Industrieprodukten jahrzehntelang ein Qualitätsversprechen, ob es auf Grundig Fernsehgeräten, Siku Spielzeugautos oder Braun Rasierapparaten prangte. Das Siegel war als Abgrenzung zu Produkten aus der DDR zu verstehen und betonte die eigene Herkunft im Konkurrenzkampf mit anderen Industrienationen, auch vor dem Hintergrund, dass die Gebrauchsgüterindustrie zunehmend in Niedriglohnländer abwanderte. Aber wie viel West-Deutschland steckte eigentlich drin, wenn ein Produkt bereits das Label tragen durfte, wenn es in der Bundesrepublik zusammengebaut wurde und aus ausreichend hierzulande hergestellten Teilen bestand?

Das neue Filmblatt dreht sich um die Frage, inwieweit Made in West Germany auch zur Charakterisierung des westdeutschen Films taugt. Zu fragen wäre nach dem Sitz der Produktionsfirmen, der Herkunft der Finanzierung, der Sprache der Dialoge, den Drehorten und der Staatsangehörigkeit der Mitwirkenden. Was ist mit der Inspiration durch Genrekinovorbilder aus Hollywood oder Frankreich, mit anderen stilistischen Einflüssen oder internationalen Vermarktungsstrategien? Und für was für eine Qualität stünde denn Made in West Germany im Kino überhaupt?
Im vorliegenden Heft sind Texte zu Filmen aus der gesamten Zeitspanne zu finden, in der die ,alte Bundesrepublik‘ existierte: Den Anfang macht Wolfgang Jacobsens Beitrag über Paul Mays eleganten Unterhaltungsfilm König für eine Nacht (1950), mit Adolf Wohlbrück, Willy Fritsch und Elisabeth Flickenschildt in den Hauptrollen. Und nicht nur wegen der Stars meint man hier mitunter einen Nachklang des Kinos der 1930er Jahre zu verspüren, der späten Weimarer Republik wie auch des Nationalsozialismus.
Guido Altendorf zeichnet in seiner „Dreigroschen-Chronik“ die komplizierte Produktions- und Aufführungsgeschichte von Wolfgang Staudtes Verfilmung der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill nach. Basierend auf dem Stück des 1956 in der DDR verstorbenen Dramatikers, war Staudtes Verfilmung für den globalen Markt konzipiert und wurde 1962/63 in West-Berlin mit internationalen Stars gedreht, in einer deutschen, englischen und französischen Sprachfassung.
Wie lebte es sich als Jugendlicher in der Bundesrepublik 20 Jahre nach Kriegsende? Jeanpaul Goergen stellt den Dokumentarfilm Menschen von Morgen (1965) des Niederländers Kees Brusse vor und gibt einen Überblick über zwischen 1945 und 1965 entstandene Dokumentarfilme zum Thema Jugend.
Klassisches Hollywoodkino, B-Movies und die Filme der Nouvelle Vague dienten Hartmut Bitomsky, Harun Farocki und Eckhart Schmidt, die sich alle drei auch schreibend mit der internationalen Filmgeschichte auseinandergesetzt haben, als Vorbilder für ihre Spielfilme. Während die Genreambitionen von Bitomsky und Farocki nach nur je einem Kinospielfilm jäh endeten, wie Frederik Lang in seinem Beitrag ausführt, drehte Schmidt in seiner produktivsten Phase in den 1980er Jahren einen Spielfilm nach dem anderen. Gary Vanisian nimmt sich exemplarisch den Großstadtwestern Alpha City – Abgerechnet wird nachts (1985) vor, eine kühl gestylte Liebes- und Gewaltfantasie aus dem nächtlichen West-Berlin.
In einer völlig anderen Subkultur der westlichen Hälfte der geteilten Stadt sind die in der Deutschen Kinemathek archivierten Super-8-Filme des Performance- Künstlerkollektivs Die Tödliche Doris entstanden; ein Bestand, den Tarek Strauch vorstellt.
Unterhaltungskino von Klamauk und Sexfilm bis zum Actionreißer war das Metier des jüngst verstorbenen österreichischen Produzenten Karl Spiehs, dem Philipp Stiasnys Review-Essay gewidmet ist: Sein Filmschaffen wurde vom Feuilleton geschmäht, in Fankreisen dafür umso mehr bejubelt.
Der Trailer der Spiehs-Produktion Blutiger Freitag (1973, R: Rolf Olsen) war auch Teil des Jubiläumsprogramms, mit dem CineGraph Babelsberg am 24. September 2021 sein 30-jähriges Bestehen im Zeughauskino feierte. Die Trailer – allesamt zu Filmen, die im Laufe der Jahrzehnte in einer unserer Reihen Wiederentdeckt, FilmDokument oder als Sonderprogramm gezeigt wurden – erzählten an diesem Abend von der Vereins- wie Filmgeschichte.
Das Spektrum reichte von Stummfilmen wie Lockendes Gift (1928, R: Fred Sauer) und Spione (1928, R: Fritz Lang) über Tonfilmkomödien wie Die Koffer des Herrn O. F. (1931, R: Alexis Granowsky) und Allotria (1936, R: Willi Forst) bis hin zu DEFA- und Nachwendefilmen wie Wozzeck (1947, R: Georg C. Klaren), Revue um Mitternacht (1962, R: Gottfried Kolditz) oder Tanz auf der Kippe (1991, R: Jürgen Brauer).
Und natürlich durfte auch Made in West Germany nicht fehlen, mit so unter- schiedlichen Filmen wie Herrliche Zeiten (1950, R: Erik Ode), Schwarzer Kies (1961, R: Helmut Käutner), Jet Generation (1968, R: Eckhart Schmidt) oder Uliisses (1982, R: Werner Nekes).
Die anregenden Gespräche und Diskussionen zwischen den einzelnen Trailervorführungen wie auch beim anschließenden Anstoßen vor dem Kino, mündeten fast immer in dasselbe Fazit: Viel zu selten werden historische Trailer im Kino gezeigt und viel zu wenig ist bislang dazu geforscht und geschrieben worden! Vielleicht werden Sie also bald mehr dazu im Filmblatt lesen können. Einstweilen wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre über Filme Made in West Germany.

Inhaltsverzeichnis

Editorial
[1]

Artikel

Wolfgang Jacobsen: Fantasiertes Königsidyll – nicht ohne Politik!? Adolf Wohlbrück als König für eine Nacht (1950) [5]

Guido Altendorf: „Film ist Industrie, Filmkunst ein kostbares Abfallprodukt.“ Eine Dreigroschen-Chronik [19]

Jeanpaul Goergen: Jugendfilme und Jugendnot. Bundesdeutsche Dokumentarfilme zum Thema Jugend und der Interviewfilm Menschen von Morgen (1965) von Kees Brusse [35]

Frederik Lang: Auf der Suche nach dem verlorenen Kino. Genreambitionen von Hartmut Bitomsky und Harun Farocki [53]

Gary Vanisian: Die Nacht, die Schöne und der Tod. Eckhart Schmidts Groß- stadtwestern Alpha City (1985) [69]

Fundstück

Tarek Strauch: Das performative Archiv. Die Tödliche Doris in der Deutschen Kinemathek [81]

Aus Forschung und Vermittlung

Lucy Alejandra Pizaña Pérez: Operetten, Dramen, Propaganda. Neue Forschungen zu Verleih und Rezeption von NS-Filmen in Argentinien, Ecuador und Uruguay [87]

Reviews

Philipp Stiasny: Tanten, Teenies, Supernasen. Der Produzent Karl Spiehs und die Lisa Film [95]

Michael Grisko: „Die einzige Wirklichkeit, auf die es ankommt, befindet sich im Kopf des Zuschauers“. Eindrücke der Ausstellung Methode Rainer Werner Fassbinder. Eine Retrospektive [105]

Film-Editionen

Verbotene Liebe (DDR 1990, R: Helmut Dziuba). DVD. Fridolfing: absolut MEDIEN 2020 (Anett Werner-Burgmann) [109]

o.k. (BRD 1970, R: Michael Verhoeven). DVD. München: Edition filmmuseum 2020 (Ralph Eue) [112]

Buchrezensionen

Iris Haukamp: A Foreigner’s Cinematic Dream of Japan. Representational Politics and Shadows of War in the Japanese-German Coproduction New Earth (1937). London u. a.: Bloomsbury 2020 (Qinna Shen) [115]

Johanne Hoppe: Von Kanonen auf Spatzen. Die Diskursgeschichte der nach 1945 verbotenen NS-Filme. Marburg: Schüren 2021 (Frank Noack) [117]

Mariana Ivanova: Cinema of Collaboration. DEFA Coproductions and International Exchange in Cold War Europe. New York, Oxford: Berghahn Books 2022 (Caroline Moine) [119]

Michael Grisko: Drehort Thüringen. DEFA-Produktionen 1946–1992. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2020 / Michael Grisko: DEFA-Geschichte in Filmen. Baden-Baden: Nomos Verlag 2020 (Frank-Burkhard Habel) [122]

Detlef Kannapin (Hg.): Im Maschinenraum der Filmkunst – Erinnerungen des DEFA-Chefdramaturgen Rudolf Jürschik. Berlin: DEFA-Stiftung 2021 (Günter Agde) [125]

Dennis Basaldella: Ein Leben für den Film. Der freie Filmhersteller Horst Klein und das Film- und Fernsehschaffen in der DDR. Marburg: Büchner-Verlag 2020 (Kay Hoffmann) [127]

Rolf Aurich, Hans Helmut Prinzler (Hg.): Reinhard Hauff. Vermessungen der Wirklichkeit. München: edition text + kritik 2021 (Tobias Haupts) [130]

Herbert Wilfinger: Kino zum Mitnehmen. Filmprogramme in Österreich 1896–2020. Wien: Filmarchiv Austria 2021 (Michael Omasta) [132]

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Ausgabe
[135]

Impressum
[138]

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