Gegenwärtige Forschungen zum Staat und Diskussionen über Staatlichkeit sind häufig von Governance-Analysen dominiert, die an die Stelle des Staates eine kollektive Regelung gesellschaftlicher Angelegenheiten setzen. In Abgrenzung dazu zielen die Beiträge in der aktuellen Ausgabe darauf, Strategien für die Suche nach dem in der wissenschaftlichen Debatte verschwundenen Staat wieder freizulegen und klassische theoretische Konzepte von Staatlichkeit zu reaktualisieren.
Lars Döpking argumentiert in seinem Aufsatz „Politik und Geltung“, dass die Debatten um Max Webers Staatsverständnis dessen Potenzial verkennen. Mithilfe weberianischer Begriffe sei Staatlichkeit als Chance auf die Geltung einer bestimmten Ordnung zu rekonstruieren. Bei Tobias Eules „Wiederbegegnung mit einer aussortierten Kategorie“ hat die im Völkerrecht verankerte Zuschreibung einer Staatseigenschaft im Fall sogenannter De-facto-Staaten unmittelbare Auswirkungen auf deren Handlungsmöglichkeiten. Diese ergeben sich unter anderem aus Urteilen des Internationalen Strafgerichtshofs und des Gerichtshofs der Europäischen Union. Philipp Müller betrachtet „Im Namen des Staates“ die zeitgenössischen Diagnosen zum Scheitern staatlicher Planungspolitik im autoritär regierten Portugal und zeigt, wie sich darin die Vorstellung staatlicher Steuerungsmacht verfestigte. Der Aufsatz von Ariane Leendertz beschäftigt sich unter der Überschrift „Zersetzung von innen“ mit dem Wandel von Staatlichkeit am Beispiel der Urban Policy unter der Präsidentschaft Ronald Reagans in den USA: Während städtische Entwicklungspolitik und Wohnungsbau bis zu Reagans Regierungsantritt zum Kernbereich gesellschaftspolitischer Reformen gehörten, wurde das Budget des entsprechenden Departments ab 1982 drastisch zusammengestrichen. Auch Rüdiger Graf befasst sich am Beispiel der „Verhaltenspolitik“, genauer: dem sogenannten Nudging, mit dem „Wandel von Staatlichkeit seit den 1970er-Jahren“. Unter Zuhilfenahme vermeintlich natürlicher Prinzipien von Entscheidungsprozessen sollen Menschen dazu angehalten werden, sich gesünder, ökologischer, sicherer oder ökonomischer zu verhalten, ohne dass ihnen diese Steuerung bewusst wird.
Gerade die Ausführungen von Rüdiger Graf machen deutlich, dass uns das Thema Staat auch unsichtbar begleitet, versteckt in der Anlage von Handlungsmöglichkeiten, die wir nicht mit dem Staat in Verbindung zu bringen gewohnt sind. Umso wichtiger ist es, den Staat als zentrale Regulierungsinstanz analytisch stark zu machen. Es gilt, der Handlungsmacht des Staates wieder neue Relevanz zuzuschreiben und sie in prominenter Weise einzufordern – dazu trägt das vorliegende Heft bei.