Vom Tahrir-Platz in Kairo bis zum Zuccotti Park in New York: Die „Platzproteste“ der 2010er-Jahre, die mit den Massenkundgebungen des Arabischen Frühlings begannen und sich innerhalb kurzer Zeit weltweit verbreiteten, schienen ein Jahrzehnt der Demokratisierung einzuleiten. Doch welche Folgen hatten sie tatsächlich? Was ist vom damaligen Aufbruch geblieben? Zeit für „Eine Bestandsaufnahme“.
In ihrer Einleitung skizzieren Seongcheol Kim und Martin Nonhoff die „Konturen einer Forschungsagenda“, die aus demokratietheoretischer Perspektive nach den institutionellen Folgen der Platzbewegungen fragt. Ausgehend von ihren Beobachtungen identifizieren sie mit „Bewegungsparteien und Volksparteien neuen Typs“ zwei politische Organisationsformen, die sie im Spannungsfeld zwischen radikaler Demokratie und Populismus verorten. Anschließend blickt Cilja Harders zurück auf den „Aufstand in Ägypten“, der trotz seiner anfänglichen Erfolge und dem Ende des Mubarak-Regimes nicht die von den Protestierenden erhofften demokratischen Reformen brachte. Gestützt auf die Ergebnisse ihrer Feldforschung zieht Harders „Eine etwas andere Bilanz“ der damaligen Ereignisse, die nicht das politische Scheitern, sondern die Erfahrungen der Protestierenden in den Blick nimmt und die persönlichkeitsbildende Kraft von Erlebnissen der Selbstermächtigung und Solidarität in Rechnung stellt. Conrad Lluis nimmt uns mit in ein „Empörtes Spanien“, in dem die Wut über die sozialen Verwerfungen der in Reaktion auf die globale Finanzkrise verordneten Austeritätspolitik nicht nur wochenlange Platzbesetzungen, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die spanische Parteienlandschaft zur Folge hatte. In „Die Indignados und ihr Nachleben“ erinnert er an die Anfänge und Ziele der Protestbewegung und gibt Einblicke in die politische Praxis der aus ihr hervorgegangenen Partei Podemos. Auf der anderen Seite des Atlantiks, genauer gesagt im unweit der New Yorker Börse gelegenen Zuccotti Park, errichteten Aktivist:innen am 17. September 2011 ein Protestcamp, um unter dem Motto „Occupy Wall Street“ gegen soziale Ungleichheit und für mehr Demokratie zu demonstrieren. Aber errichteten sie wirklich nur ein Protestcamp oder war die Zeltstadt vielmehr „Ein Laboratorium der Demokratie?“ Und warum ist „Occupy Wall Street als Ereignis und Referenz“ in der US-amerikanischen Politik bis heute präsent, obwohl das Camp nur wenige Monate Bestand hatte? Worin besteht die anhaltende Relevanz der Bewegung? Diesen Fragen geht Christian Leonhardt nach. Im letzten Beitrag des Themenschwerpunkts blickt Jan Matti Dollbaum auf die Proteste, die in Russland (2011-2013) sowie in Belarus (2020-2021) zwischenzeitlich das verordnete Schweigen der autoritären Regime durchbrachen und öffentlich Korruption und Wahlbetrug anprangerten. Dollbaum analysiert die Mechanismen von „Repression und Institutionalisierung in Russland und Belarus“ und erläutert, warum es den jeweiligen Oppositionsbewegungen nicht gelang, den „Teufelskreis des elektoralen Protests“ zu durchbrechen.
Zum „Ortstermin“ treffen wir diesmal Hannah Schmidt-Ott, die uns „Auf dem Parkplatz“ empfängt und erklärt, welche Vorzüge dieser scheinbar so unwirtliche Ort besitzt, wenn man ihn aus der Perspektive von Jugendlichen aus der Wolfsburger Peripherie betrachtet.