Die Stabilität autoritärer Ordnungen beruht auf ihrer Fähigkeit, Kontrolle auszuüben und tatsächliche oder vermeintliche Gegner zu unterdrücken. Nach Stalins Tod 1953 bedienten sich kommunistische Regime unterschiedlicher Methoden der Herrschaftssicherung, die sich im Laufe der Zeit veränderten: Setzten sie anfangs zumeist weiterhin auf Terror und Willkür, wurden Repressionen und Kontrollmechanismen später zunehmend »verregelt«.Die Beiträge des Jahrbuches für Historische Kommunismusforschung 2023 beschreiben, auf welche Weise Ordnungen in staatssozialistischen Gesellschaften durchgesetzt und gefestigt wurden. Im Zentrum stehen die Jahrzehnte nach dem Tod Stalins bis in die frühen 1980er-Jahre. In dieser Phase nahmen Repressions- und Kontrollpraktiken neue Formen an. Denn alle spätsozialistischen Regime konnten die innergesellschaftliche Stabilität nur aufrechterhalten, indem sie begrenzte Formen der Partizipation zuließen. Derartige Zugeständnisse verlangten jedoch nach einer Professionalisierung von Kontrollmechanismen, damit aus Stimmungen und Meinungen kein offener Widerstand erwuchs.
Kontrollregime und Stabilitätserwartungen im SpätsozialismusJörg Baberowski/Robert Kindler: Kontrollregime und Stabilitätserwartungen im Spätsozialismus. Eine Einleitung, S. 1
Andreas Petersen: Die Gründergeneration der DDR. Lebensgeschichtliche Prägung und herrschaftspolitisches Handeln der Sowjetunionrückkehrer, S. 11
Molly Pucci: Die Sowjets im Ausland. Der NKWD und der Staatsaufbau in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 25
Oksana Nagornaia/Tatjana Raeva: Stalins »Kulturattachés«. Sowjetische Kulturdiplomatie im beginnenden Kalten Krieg, S. 45
Jörg Ganzenmüller: Chruščëvs Wiederherstellung der Parteidiktatur. Entstalinisierung und regionale Herrschaftspraxis in der Sowjetunion, S. 61
Martin Wagner: Über die Trennung sprechen. Das Erbe der Entstalinisierung und das Ende der sino-sowjetischen Freundschaft 1963, S. 75
Douglas Selvage: Hegemonie und Eigeninteressen. Die Etablierung von Geheimdienstbeziehungen zwischen dem Ostblock und Kuba, 1959–1970, S. 93
Pavel Kolář: Die Todesstrafe und die Transformation der kommunistischen Staatsgewalt nach Stalin S. 115
Jens Boysen: Schutz und Strenge. Die Polnische Armee als autoritäre Schirmerin der Nation (1970–1990), S. 135
Muriel Blaive: Der Fall der Familie Ouřada. Kommunistische Bürokratie und Geheimpolizei in der Tschechoslowakei der 1970er-Jahre, S. 153
Roger Engelmann/Daniela Münkel: Zwischen »Parteilichkeit« und »Gesetzlichkeit«. Etappen der Verrechtlichung in der Strafverfahrenspraxis der DDR-Staatssicherheit, S. 167
Sebastian Stude: »Man muss die richtige Taktik anwenden.« Ermittlungsverfahren und Untersuchungshaft der DDR-Staatssicherheit in den 1950er- und 1970er-Jahren, S. 187
Jens Gieseke: Tschekismus im Sinkflug. Interne und öffentliche Diskurse über die Staatssicherheit in der spätsozialistischen DDR (1977–1989), S. 205
Christian Booß: Die Staatsanwaltschaft und die Steuerung der politischen Justiz in der DDR, S. 223
Udo Grashoff: Kern und Peripherie. Zur Struktur politischer Tabus in der DDR. Das Suizidtabu als Beispiel, S. 239
Anna Schor-Tschudnowskaja: Wahrheit und Lüge nach dem Terror. Literarisches Schaffen als Strategie und Hindernis im Erinnern an den Stalinismus, S. 257
MiszelleHendrik Berth/Elmar Brähler/Peter Förster/Markus Zenger/Yve Stöbel-Richter: Erinnerte Repressionserfahrungen in den letzten Jahren der DDR und deren Auswirkungen im Lebensverlauf, S. 275