Wir sprechen zwar viel über Diversität, aber wir wissen wenig darüber. Dabei ist Diversität ein gesellschaftliches und historisch gewachsenes Phänomen inmitten eines Geflechts aus unterschiedlichen Begriffen, Akteuren, Medien und Institutionen, das wissenschaftlich untersucht und problematisiert werden kann. Dem widmet sich das aktuelle Heft, die darin versammelten Beiträge verstehen sich als Tiefenbohrungen in die ungehobenen Rationalitäten, Dynamiken, Potenziale und Paradoxien der Diversität.
Zum Einstieg legt Heftherausgeber Onur Erdur eine „Kritik der diversen Vernunft“ vor, in der er die diskursive Auseinandersetzung um und mit Diversität skizziert – in internationaler und nationaler Hinsicht sowie von politisch linker und rechter Seite. Georg Toepfer untersucht das Verhältnis von „Gleichheit und Verschiedenheit“ aus historisch-philosophischer Perspektive: ein auf den ersten Blick gegensätzliches Begriffspaar, das jedoch auf eine wechselvolle und spannungsreiche Geschichte der Durchdringung und Verschränkung zurückblickt, in die sich auch der Diversitätsdiskurs einschreibt. Entlang von Fallbeispielen aus Belgien und Großbritannien setzt sich Christiane Reinecke mit der Frage auseinander, wie „Antidiskriminierung“ in Europa im Übergang von den 1960er- in die 1970er-Jahre weit über die Grenzen einer einzelnen Gesellschaft hinaus zu einer umstrittenen, aber auch einflussreichen gesellschaftlichen Norm wurde. In der sozialwissenschaftlichen Studie von Lea Baro geht es um die Rolle von „Diversität als affektives Instrument“, das zwar positive Bilder und Gefühle auszulösen vermag, aber mitunter keine substanziellen Veränderungen erwirkt. Hannah Lotte Lund besichtigt in ihrem Aufsatz das Leben und Werk des bekannten Arztes, Sexualreformers und Sexualwissenschaftlers „Magnus Hirschfeld“, dessen „Konzept der sexuellen Zwischenstufen“ als eine der ersten Theorien sexueller und geschlechtlicher Differenz überhaupt gilt. Dabei fragt sie nach den Chancen und Grenzen seiner Überlegungen für heutige Diversitätsdiskussionen. Im abschließenden Interview stellen Onur Erdur und Sandrine Micossé-Aikins, Leiterin von Diversity Arts Culture, einer in Berlin ansässigen Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversität im Kulturbereich, fest, dass „Berlin diverser ist als der Berliner Kulturbetrieb“. Welche praktischen Probleme ergeben sich, wenn staatliche und private Institutionen den Anspruch erheben, gleichberechtigte Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen zu Kunst und Kultur zu schaffen und Diskriminierungen im Kulturbetrieb abzubauen?
Im „Ortstermin“ zeichnet Jens Bisky die wechselvolle Geschichte des Berliner „Bahnhof Zoo“ nach – einst der einzige Fernbahnhof in West-Berlin, zwischenzeitlich Umschlagplatz für Drogen und Prostitution und jederzeit ein Zentrum städtischen Lebens.