Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 72 (2024), 3

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 72 (2024), 3

Erschienen
München 2024: De Gruyter Oldenbourg
Preis
Jahresabo: € 59,80; Stud.abo: € 34,80; Mitgl.abo. hist. u. pol. Fachverbände: € 49,80; Online-Zugang: € 49,00; Print+Online-Abo: € 72,00

 

Kontakt

Institution
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
Abteilung
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
PLZ
80636
Ort
München
Straße
Leonrodstraße 46 B
Von
Florian Hoppe, Geisteswissenschaften, De Gruyter Oldenbourg

Das neue Heft der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte erscheint am 1. Juli, wir wünschen anregende Lektüre!

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Elke Seefried, Umweltpolitischer Vorreiter. Die Außenpolitik des vereinten Deutschland und die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992
Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung etablierte sich 1992 das Bild Deutschlands als umweltpolitischer Vorreiter. Elke Seefried zeigt anhand neu zugänglicher Quellen, wie sich Anfang der 1990er Jahre außen-, umwelt- und entwicklungspolitische Selbstverständnisse und Politiken Deutschlands veränderten. Nicht nur Umweltminister Klaus Töpfer (CDU), sondern auch zivilgesellschaftliche Akteure wirkten daran mit, eine Politik nachhaltiger Entwicklung zu einem Markenkern deutscher Politik zu machen. Der schillernde Begriff nachhaltige Entwicklung stand für globales Verantwortungsbewusstsein und multilaterale Verständigung. Zugleich hatte er eine Kompensationsfunktion: Das Bild des umweltpolitischen Vorreiters ermöglichte ein Ausweichen vor der Frage einer deutschen Beteiligung an militärischen Interventionen. Die Rio-Konferenz war damit Motor einer neuen deutschen Rolle in der Weltpolitik.

Elke Seefried, A Trailblazer for Environmental Policy. The Foreign Policy of Unified Germany and the United Nations Conference on Environment and Development in Rio de Janeiro in 1992
The image of Germany as a trailblazer for environmental policy was established at the United Nations Conference on Environment and Development in 1992. Using newly accessible sources, Elke Seefried demonstrates how Germany’s conceptions of itself and its approaches to foreign, environmental and developmental policy changed during the early 1990s. Not only Environment Minister Klaus Töpfer, but also civil society activists contributed to making sustainable development a trademark of German policy. Sustainable development had multiple meanings, but it came to stand for global responsibility and multilateral agreement. For Germany, leadership in this realm offered a strategic advantage: its growing reputation as a green pioneer helped deflect questions about the country’s involvement in military interventions. The Rio Conference thus was a motor for a new German role in world affairs.

Oksana Nagornaia, Besetzte Umwelt. Natur und Raum im Ersten Weltkrieg – Galizien und Bukowina
Der Aufsatz untersucht den Zusammenhang von Raum, Umwelt und Krieg am Beispiel der wiederholten Besetzungen (Ost-)Galiziens durch russische Truppen im Ersten Weltkrieg. Von besonderer Bedeutung ist dabei das spannungsvolle Verhältnis zwischen den Bemühungen, die eroberte Region in das Zarenreich zu integrieren, und zugleich den militärischen Notwendigkeiten des Kriegsgeschehens Rechnung zu tragen. Dabei wurde die Umwelt unter den Bedingungen des industriellen Kriegs zwangsläufig militarisiert: Man holzte die Wälder ab und überflutete die Flusstäler aus operativen Überlegungen heraus; dazu kam die Verseuchung der Böden durch Kampfstoffe, Leichen und Kadaver. Die Angst vor Epidemien führte rasch zu einer Medikalisierung des Okkupationsregimes; dabei blieb eine Radikalisierung der Besatzungspraxis bis zu einer Politik der verbrannten Erde nicht aus.

Oksana Nagornaia, Occupied Environment. Nature and Space during the First World War – Galicia and Bukovina
The article investigates the connection between space, the environment and war using the example of the repeated occupations of (Eastern) Galicia by Russian troops during the First World War. The tensions between trying to integrate the occupied regions into the Czarist Empire on the one hand and accommodating war-related military necessities on the other hand are of particular importance in this regard. By necessity, the environment was militarised under the conditions of industrial warfare: Forests were felled and river valleys flooded for operational reasons; additionally, the soil was contaminated by chemical warfare agents, corpses and cadavers. Fear of epidemics quickly led to the medicalisation of the occupied areas. In the process, the practice of occupation became increasingly radical, up to and including a scorched earth policy.

Nikolas Dörr, Von Clinton lernen? Die Rezeption der US-amerikanischen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Hartz IV und die Agenda 2010 haben die deutsche Sozialpolitik verändert und eine zwei Jahrzehnte andauernde Debatte über Gerechtigkeit ausgelöst. Der Aufsatz untersucht den Einfluss des US-amerikanischen Workfare-Ansatzes während der Präsidentschaft von Bill Clinton (1992–2000) auf die Herausbildung und Entwicklung des neuen Paradigmas des aktivierenden Sozialstaats in der SPD. Nikolas Dörr zeigt, dass Clintons Wahlerfolge und Arbeitsmarktbilanz eine Vorbildwirkung für Mitte-Links-Parteien in Europa entfalteten, die sich schließlich im von Clinton und dem britischen Premier Tony Blair prominent propagierten Third Way widerspiegelte. Insbesondere Gerhard Schröder und Bodo Hombach forderten eine Orientierung am US-Beispiel, was in der SPD zu innerparteilichen Streitigkeiten führte. Auch wenn es letztlich nur zu wenigen konkreten Transfers kam, argumentiert der Beitrag, dass die Philosophie des aktivierenden Sozialstaats durch Clintons Sozialpolitik beeinflusst wurde.

Nikolas Dörr, Learning from Clinton? The Reception of US Social and Labor Market Policy in the Social Democratic Party of Germany
Hartz IV and Agenda 2010 have changed the German welfare state and triggered a two-decade-long debate about social equity. The article examines the influence of the American workfare approach during the presidency of Bill Clinton (1992–2000) on the formation and development of the new paradigm of the activating welfare state within the SPD. Nikolas Dörr shows that Clinton’s electoral successes and labor market record set an example for centre-left parties in Europe, which was ultimately reflected in the Third Way approach prominently propagated by Clinton and British Prime Minister Tony Blair. Gerhard Schröder and Bodo Hombach in particular called for alignment with the US example, which led to disputes within the SPD. Even if there were ultimately only few concrete policy transfers, the article argues that the philosophy of the activating welfare state was influenced by Clinton’s social policy.

Diskussion

Margit Szöllösi-Janze, Resilienz. Zur Geschichte eines allgegenwärtigen Begriffs – Thesen zu den Herausforderungen einer modernen Zeitgeschichte
Das Konzept Resilienz als Sonde in die Zeitgeschichte einzuführen, erlaubt dieser, sich über Verwissenschaftlichungsprozesse neu zu definieren, sich der Analyse komplexer Zusammenhänge zu stellen und innovative Fragestellungen zu entwickeln. Seit den 1970er Jahren diffundierte der Terminus international aus der Physik zunächst in die Psychologie und Ökologie und verklammert seit der Jahrtausendwende wie ein interdisziplinäres Scharnier Natur-, Lebens-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften. Der Resilienz-Begriff drang außerdem aus den Wissenschaften in das Denken etwa von Politik, Militär, Ökonomie und Kindererziehung vor. Resilienz ist eng an die Wahrnehmung multipler Krisen oder gar drohender Katastrophen gebunden und an die Erwartung geknüpft, den Kipppunkt wissenschaftsbasiert für Innovation und Erneuerung zu nutzen.

Margit Szöllösi-Janze, Resilience. On the History of an Omnipresent Term – Theses on the Challenges of a Modern Contemporary History
Introducing the concept of resilience as a probe into contemporary history allows for its redefinition based on processes of academisation, the analytical confrontation with complex interrelations and the development of innovative research questions. Starting in the 1970s the term diffused internationally from physics to other fields, initially psychology and ecology; since the turn of the millennium, it has joined natural and life sciences as well as social and cultural studies as an interdisciplinary hinge. The term resilience also penetrated from academia into the thinking of politics, the military, the economy and child rearing. Resilience is strongly tied to a perception of multiple crises or even imminent disasters and connected with the expectation that the tipping point may be used for innovation and renewal on a scientific basis.

Dokumentation

Rainer Volk, „Ein ziemlich starkes Stück“. Klaus Harpprechts ungedruckter Essay zum 25. Jahrestag des 20. Juli 1944
Im März 1969 bestellte eine Ad-hoc-Initiative prominenter Persönlichkeiten bei Klaus Harpprecht einen Essay zum 25. Jahrestag des 20. Juli 1944. Ziel war es, in der breiteren Öffentlichkeit eine Debatte über den Widerstand gegen Hitler anzustoßen. Der Text des bekannten Publizisten erwies sich als sprachlich, historisch und politisch prägnant. Er verknüpfte aktuelle Themen wie die Studentenrevolte und die deutsche Teilung mit dem Spektrum der Absichten und Charaktere des versuchten Staatsstreichs gegen Hitler. Doch gelang es den Initiatoren des Projekts nicht, die Skepsis der Überlebenden und Nachfahren des militärischen Widerstands zu überwinden; der Essay blieb daher ungedruckt. Rainer Volk analysiert Entstehung und Scheitern von Harpprechts Text und ordnet diesen in den zeithistorischen Kontext ein.

Rainer Volk, “A Pretty Strong Piece”. Klaus Harpprecht’s Unpublished Essay on the 25th Anniversary of the 20 July 1944 Coup Attempt
In March 1969, an ad hoc initiative of prominent persons commissioned an essay by Klaus Harpprecht on the 25th anniversary of the 20 July 1944 coup attempt. The aim was to start a broad public debate on the resistance against Hitler. The text by the well-known publicist proved to be linguistically, historically and politically incisive. He connected topical issues such as the student revolt and German partition with the spectrum of aims and characters of those involved in the attempted coup against Hitler. However, the initiators of the project did not succeed in overcoming the scepticism of the survivors and descendants of the military resistance; the essay remained unpublished. Rainer Volk analyses the genesis and failure of Harpprecht’s text and places it in its historical context.

VfZ-Online
Neu: Ein weiteres Interview in der Rubrik „VfZ Hören und Sehen“ und ein Blick auf unsere Rubrik „Aktuelles“

Rezensionen online
Abstracts
Autorinnen und Autoren
Hinweise

Weitere Hefte ⇓
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger